Das Haus in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau war die letzte Bleibe des NSU – doch war die Wohnung darin ihr einziger Unterschlupf? Recherchen der Spiegel-Autoren Bertolt Hunger und Christina Elmer legen nahe, dass Beate Zschäpe meist allein dort wohnte, ohne ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. „Nahezu sicher nicht als einziges Domizil“ hätten die drei ihre Wohnung genutzt. Das geht aus den Verbrauchswerten der Wasserzähler hervor, die für drei regelmäßig anwesende Menschen viel zu gering erscheinen.
Am 169. Prozesstag lagen die Nerven im NSU-Prozess blank. Streit entbrannte zwischen Nebenklägern auf der einen, Verteidigung und Anklage auf der anderen Seite um die Frage, wie ausführlich das Unterstützernetz des NSU ausgeleuchtet werden muss. Anlass war die Vernehmung des mutmaßlichen früheren Blood-&-Honour-Mitglieds Antje B. Bundesanwalt Herbert Diemer kritisierte, dass zu viele sachfremde Fragen gestellt würden. „Dass Staatsanwälte und Verteidiger am selben Strang ziehen, ist nicht selbstverständlich“, bemerkt Tanjev Schultz in der Süddeutschen. Partei ergriff schließlich Richter Manfred Götzl und ließ die Fragen zu: „Götzl ist offenbar nicht dazu bereit, die Themen des Prozesses so eng zu definieren wie die Ankläger.“
Der Sprengstoffanschlag von Köln 2004, der Mord an Ismail Yasar in Nürnberg 2005 – zwei Taten, die dem NSU zugerechnet werden und Parallelen zueinander aufweisen. Kurz nach dem Mord brachte der Nürnberger Ermittler Albert Vögeler beide Fälle in Zusammenhang. Doch mit dieser These konnte er die Kollegen beim Bundeskriminalamt (BKA) nicht überzeugen, wie er gestern vor Gericht schilderte. Das Ergebnis mache „deutlich, wie die Täter von Pannen und Versäumnissen der Ermittler profitierten“, kommentiert Björn Hengst auf Spiegel Online.
Gestern vor zehn Jahren verübte der NSU laut Anklage den Anschlag in der Kölner Keupstraße: Eine Bombe, auf einem Fahrrad platziert, explodierte vor einem Friseursalon und verletzte 22 Menschen. Ermittler schlossen damals einen rechtsterroristischen Hintergrund aus – und traumatisierten damit Opfer und Anwohner. Zum Jahrestag feierte die Keupstraße das Festival Birlikte („Zusammenstehen“), auf dem auch Bundespräsident Joachim Gauck und Justizminister Heiko Maas sprachen.
Berichte zum Gedenktag thematisieren, wie die Ermittlungen das Vertrauen zwischen Migranten und dem deutschen Staat zerrütteten. „Bis der Anschlag dem ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ (NSU) zugeordnet werden konnte, mussten die Geschäftsleute und Anwohner der Keupstraße mit Vorurteilen leben. Sieben Jahre lang“, schreibt Claudia Hauser auf Spiegel Online.
Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Gefangener aus einer Haftanstalt behauptet, etwas über etwaige NSU-Unterstützer zu wissen – obwohl dem nicht so ist. Der Grund ist meist simpel: die Hoffnung auf einen Vorteil. Am Montag war das Gericht möglicherweise mit einem solchen Fall konfrontiert.
Der NSU-Prozess, der nun schon fast ein Jahr dauert, geht an den Beteiligten nicht spurlos vorbei – auch nicht an den so robust wirkenden Verteidigern der Angeklagten. Wieso sie eine angeblich „böse“ Mandantin vertritt, muss Zschäpes Anwältin Anja Sturm seit Beginn des Mandats erklären – vor Anwälten der Nebenklage, vor den Medien und früher sogar vor den Kollegen ihrer Berliner Kanzlei, die sie daraufhin verließ. In einem Porträt für die ZEIT widmet sich Özlem Topcu dem ständigen Rechtfertigungskampf der Juristin. „Der Prozess – er verändert die Leben der meisten, besonders der Engagierten. Er führt zu einem privaten Notstand“, analysiert Topcu. Nicht jeder teile Sturms Einstellung, „dass Verteidigung niemals eine Frage der Moral oder der politischen Einstellung sein dürfe“.
Den Vorwurf, die Bundesanwaltschaft sei an einer vollständigen Aufklärung der NSU-Morde nicht interessiert, hat Bundesanwalt Harald Range zurückgewiesen. Die Ermittlungen seien „sehr breit angelegt und mit enormem personellem Einsatz geführt“ worden, sagte er dem Focus. Fehlverhalten der Behörden müsse in den Untersuchungsausschüssen aufgearbeitet werden, Aufgabe des Gerichts sei es, die Verantwortung der Angeklagten für die Morde zu klären. Diese Meldung griff unter anderem die türkischsprachige Sabahauf.
Der Mitangeklagte im NSU-Prozess, Carsten S., stand im Mittelpunkt des 45. Verhandlungstages. Er wurde vom Verteidiger des mutmaßlichen Unterstützers der NSU-Terrorzelle, Ralf Wohlleben, befragt und offenbarte weitere Erinnerungslücken, die zumindest Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk nachvollziehbar findet. Außerdem kündigte Richter Götzl an, Überwachungsbilder aus der Kölner Keupstraße vergrößern zu lassen, um festzustellen, ob Zschäpe am Tatort anwesend war. Nachzulesen unter anderem in der Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Am Wochenende gab es in der deutschen Presselandschaft nur wenige Veröffentlichungen zum NSU-Prozess. Bemerkenswert war darunter zunächst der Artikel von Kai Mudra. Dieser fragt in der Thüringer-Allgemeinen: „Wurden weitere Hinweise auf Zschäpe übersehen?“