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Lebensretter zu verschenken

Lambchop aus Nashville suchen ihr Glück in Ohio. Die Lieder ihres neuen Albums changieren zwischen Soul, Folk und Country

Wie klingt es, wenn ein Dutzend weißer Countrymusiker aus Nashville den Soul spielt? Es klingt opulent, warmherzig und ein bisschen nostalgisch. So klangen, so klingen Lambchop – eine der aufregendsten musikalischen Entdeckungen der neunziger Jahre.

Kurt Wagner ist bis heute der Kopf der Band. Er ist Musiker, Gitarrist, Maler, Poet – und Liebhaber des Soul. Daher klingt Country à la Lambchop eben auch nach erdigem Soul – Steel-Guitar, Saxofon, Trompete, Vibrafon, Piano und Streicher schwingen ganz und gar einträchtig. Alben wie How I Quit Smoking, Nixon, What Another Man Spills und vor allem Is A Woman waren feine Meisterwerke, die akustische Gitarren und Orgelklänge in etwas Neuem vereinten. Mit tiefer Stimme singt Kurt Wagner darauf über Tod und Einsamkeit, über Selbstmord und Scheidungen. „Kein falsches Glitzerzeug, sondern Ansichten vom Leben, wie es ist“, war einmal im Tagesspiegel zu lesen.

Und heute? Das neue Album ist wieder bei der Berliner Plattenfirma City Slang erschienen, es trägt den sehnsüchtigen Titel OH (ohio). Schon die von dem Maler Michael Peed gestaltete Hülle mag man nicht aufhören zu betrachten, dieses Gemälde eines nicht mehr ganz jungen, nackten Paares. Sonderbar steif liegen sie da, ein bisschen umständlich. Wie Figuren aus einer mittelalterlichen Buchmalerei. Sie umarmen sich, er streicht ihr über die Brust. Sie lieben sich, im Hintergrund gibt ein Fenster den Blick auf die Welt frei. Wie anders ist die Szenerie draußen! Offenbar gab es einen Unfall, ein Mann liegt am Boden und wird verarztet.

Wer im Bett bleibt – und womöglich Lambchop hört – der braucht keinen Arzt. Der wird mit Musik kuriert. Mit Ruhe und Gelassenheit. Mit ausgesuchter Langsamkeit und Zartheit. So klingt Musik, von der man glaubt, sie könne Leben retten. Musik, die behaglich ist, aber auch flüstert: „Du wirst nicht immer leben.“ Auf OH (ohio) sucht die Band nach dem düsteren Vorgänger Damaged ihr Glück wieder in balsamischen, von Piano und Gitarre geführten Zeitlupenliedern zwischen Soul, Folk und Country.

Wer dieses Album besitzen möchte (man kann es wirklich nur empfehlen), der muss nur zum nächsten Kiosk gehen. Denn OH (ohio) wird gegen einen geringen Aufpreis sechzigtausendfach der Oktober-Ausgabe des Rolling Stone beiliegen. „Es ist das erste Mal, dass in Deutschland ein komplettes neues Album einer namhaften Band bei einer renommierten Musikzeitschrift veröffentlicht wird“, bewirbt die Plattenfirma den Coup. Sie ginge damit eine „Ehe in Sachen Qualität und Synergie“ ein, die es so noch nicht gegeben habe. Aber mutet das Verschleudern einer CD für weniger als zwei Euro nicht eher an wie ein weiterer verzweifelter Schritt des traditionellen Musikgeschäfts?

Wer sich am Kiosk lieber mit Getränken und Gedrucktem versorgt und seine Musik beim Plattenhändler kauft, an den hat die Plattenfirma auch gedacht: Im Laden ist OH (ohio) auf Vinyl und mit Bonus-CD erhältlich. Nicht allerdings bei Saturn und Media Markt, denn die haben aus Protest bereits alle Lambchop-CDs remittiert. Das wiederum dürfte City Slang erheblich treffen, schließlich wird bei den beiden Musikdiscountern gut ein Drittel aller CDs in Deutschland verkauft.

„OH (ohio)“ von Lambchop ist auf CD und LP bei City Slang/Universal erschienen.

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Kanonenkugel ins Herz

Seit 28 Jahren hat Larry Jon Wilson keine Platte mehr aufgenommen. Jetzt setzte er sich in Florida ans Fenster und zupfte ergreifende Lieder, als sei kein Tag vergangen.

Larry Jon Wilson

Der sanftgebügelte Klang der Fiedel umfängt die Zuhörer, ein schunkelnder Rhythmus fordert sie zum Mitklatschen auf. Das ist eine Sensation, heute Abend und hier in Nashville stehen drei Legenden auf einer Bühne: Billy Ray Cyrus, Shania Twain und Garth Brooks. Sie haben die elektrischen Gitarren umgeschnallt und schicken geschliffene Akkorde ins dankbare Publikum. Keine fünf Minuten hält Kris das aus, »Country kann so abgeschmackt sein«, denkt er sich, »die Neunziger ätzen mich an«. Er geht hinaus…

… geht fünfzehn Jahre zurück. Ein paar Straßen weiter biegt Kris links ab, in eine dunkle Gasse. Dann wieder links, einmal halbrechts, ein paar hundert Meter geradeaus und rechts eine halbe Treppe hinab. Hier haben er und seine Freunde Nashville neu aufgebaut, hier versammeln sich die Country Outlaws in einem winzigen, gemütlichen Kellerstübchen. Johnny Cash ist da und Waylon Jennings, selbst Willie Nelson. Kris lässt sich nieder.

Auf der Bühne steht sein Freund Larry, Larry Jon Wilson. Er hat gerade begonnen zu spielen, allein mit seiner Gitarre und seiner Stimme erfüllt er den Raum und die Menschen mit Leben. Im Bariton grummelt er beseelte Geschichten, banale und dramatische. Sein Country ist nicht glatt, nein, hier schwingen Soul und Blues mit, seine Akkorde sind rau. Am Ende steht das Publikum und applaudiert, vier-, fünfmal muss Wilson auf die Bühne zurückkehren, einige Lieder spielt er doppelt, weil er keine neuen mehr kennt. Alle sind gerührt, der Sänger nicht weniger als sein Publikum. »Dieser Teufelskerl«, flüstert Kris seinem Nebenmann zu, »er bricht dein Herz mit der Stimme einer Kanonkugel«.

Sein Freund steht noch immer auf der Bühne und bedeutet den Jubelnden, dass er noch etwas zu sagen habe. »Freunde… und ich weiß, dass alle, die heute Abend hier sind, meine Freunde sind… Das fällt mir jetzt nicht leicht. Es ist gar nicht lange her, zehn Jahre, da habe ich zum ersten Mal eine Gitarre in der Hand gehalten, nicht hier in Nashville, sondern in Langley, South Carolina. Was ist alles passiert seither? Ich habe gelernt, sie zu spielen, habe meinen Job als Chemiker aufgegeben, habe mit der Hilfe vieler von Euch – Townes, Mickey… – ein paar Alben aufgenommen.« – »Und keine Schlechten, Mister Wilson!«, ruft ein sehr junger Mann dazwischen, viele im Publikum signalisieren lautstark ihre Zustimmung. »Mag sein«, fährt Wilson lächelnd fort, »gekauft hat sie trotzdem niemand, oder? Ich mache es kurz. Vielen Dank für alles, Freunde. Es war mir ein großes Vergnügen, Nashville mit euch gemeinsam hier neu aufzubauen, Stein für Stein! Es war eine schöne Zeit. Macht’s gut.«

»Du verdammter Dickkopf«, ruft Kris ihm hinterher, aber er weiß, das wird nichts ändern.

Achtundzwanzig Jahre später in Florida. Kris lehnt grinsend im Türrahmen und traut seinen Augen nicht. Da sitzt sein Freund Larry Jon Wilson am offenen Fenster – draußen rauscht der Atlantik. Er sitzt da mit seiner Gitarre, nur seiner Gitarre. In der Ecke steht ein Aufnahmegerät, es läuft die ganze Zeit. Wilson öffnet eine Dose Bier und wärmt seine Hände in der warmen Brise. Er stimmt Willie Nelsons Heartland an:

»There’s a home place under fire tonight in the heartland
And the bankers are taking my home and my land from me
There’s a big achin‘ hole in my chest now where my heart was
And a hole in the sky where God used to be
My American dream fell apart at the seams
You tell me what it means, you tell me what it means.«

»Warum ausgerechnet jetzt? Und warum hast du 28 Jahre gebraucht, diese fantastischen Lieder endlich aufzunehmen?« – »Ach weißt du, Kris. Ich wollte es einfach noch einmal versuchen, egal wie stümperhaft das klingt. Was meinst du?« Kris schnappt nach Luft, er kann es einfach nicht fassen.

Eine Woche lang nimmt Larry Jon Wilson auf, was ihm einfällt, die meisten Lieder komponiert er selbst. Freunde kommen vorbei und lauschen, reden. Die Erinnerungen verwandeln sich in Lieder, aus Liedern werden neue Erinnerungen. Er nimmt jedes Lied nur einmal auf, kein Produzent legt Hand an. Ein paar Mal spielt eine kaum hörbare Geige im Hintergrund, als käme sie aus dem Nebenzimmer. Wilson stört sich nicht an schiefen Tönen, entzupft seiner Gitarre ein paar intuitive Country- und Bluesakkorde und erzählt, was ihm einfällt. Er ergeht sich in Selbstmitleid: »I’d miss you, if I knew what I was missing«, singt er in der bewegenden Losers Trilogy – und rechnet ab. Er berichtet von düsteren Träumen und gescheiterter Liebe, aber seine warme Stimme gibt einem das Gefühl, das Leiden sei gar nicht so schlimm.

Ein paar Wochen darauf: Will Oldham eilt Nashvilles Hilsboro Road hinunter und stolpert ins Bluebird Café. Stolz wedelt er mit einer selbstgebrannten CD, die der Country-Haudegen Kris Kristofferson ihm gerade geschickt hat. »Liebe Leute, kauft euch diese Platte, bitte. Das hier sind zwölf Lieder, denen man anhört, dass sie aus der Tiefe kommen. Dagegen klingt selbst Johnny Cash überladen.«

Das unbetitelte fünfte Album von Larry Jon Wilson ist als CD bei 1965 Records/Alive erschienen. Die vier Alben, die er in den Jahren 1975 bis 1979 aufnahm, sind derzeit unverständlicherweise nicht erhältlich.

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Sehnsüchtiges Taumeln

The Gentle Lurch aus Dresden machen schrullige Countrymusik. Die Stücke auf ihrem ersten Album „From Around A Fire“ torkeln, das Klavier klimpert betrunken, nicht mal der Kontrabass steht hier wirklich aufrecht

The Gentle Lurch

Die Slide-Gitarre säuselt, die Orgel hallt, die Mundharmonika quietscht. Ist das Country? Schon. Cowboys? Bedingt. Wilder Westen? Ganz und gar nicht. Eher schon wilder Osten. The Gentle Lurch haben ihr knisternd züngelndes Feuer in der weiten sächsischen Provinz irgendwo zwischen Ziegra-Knobelsdorf und Töpeln entzündet. Unter freiem Himmel lagern sie an den Ufern der Zschopau, die sich in weiten Schleifen durch schroffe Felsen und romantische Landschaften hinabwindet zur Talsperre Kriebstein. Ab und an steigt einer auf die Simson, fährt zur Tankstelle und holt neues Bier. Die beiden Cowboys heißen Lars Hiller und Frank Heim, das Cowgirl im Bunde ist Cornelia Mothes.

Zunächst: der Name. The Gentle Lurch, was soll das sein? Das sanfte Taumeln? Hört man die Musik auf ihrem ersten Album From Around A Fire, versteht man schnell, dass die Gruppe keinen passenderen Namen finden konnte. Die Stücke eiern ganz gehörig, schlingern und torkeln. Das Klavier klimpert betrunken, nicht mal der Kontrabass steht hier wirklich aufrecht. Es ist schon irgendwie Country, wenn auch ziemlich schmuddelig und schrullig. Country aus dem die Spielfreude klingt und weniger die existenzielle Inbrunst, die den Kollegen aus dem Westen so eigen ist. Stil-Puristen würden wohl schon die Melodika, diese lustige Kreuzung aus Blas- und Tasteninstrument, im Lied Evil Women verabscheuen.

Die elf Stücke der Platte sind ruhig und schön. Einfache, auf der Gitarre gezupfte Akkorde werden von hübschen Klavier- und Akkordeonmelodien und warmen Bassläufen umspielt. Immer wieder tauchen neue Instrumente auf, hier ein Banjo und eine Orgel, dort Harmonika und Trompete. Oft gibt es kein richtiges Schlagzeug, das Klopfen auf den Korpus der Gitarre gibt dann den Rhythmus vor. Bei The Night When Frank Got Drunk For The First Time, Age 23 albern sie mit einem Kinderkeyboard und einem Schlagzeugcomputer rum. Ab und an hört man, wie sich jemand eine Zigarette ansteckt, im Hintergrund knistert ein Lagerfeuer. Oder ist das nur Einbildung?

Lars Hillers Stimme passt zur Stimmung der Lieder, zu ihrer Ruhe. Sie klingt unaufgeregt und warm, oft spricht er mehr, als er singt. Als würde er guten Freunden nachts am Feuer ein paar Anekdoten zuflüstern, auf englisch. Denn gas station klingt besser als Tankstelle, hedgehog geheimnisvoller als Igel und sky weiter und höher als Himmel. Bei einigen Stücken singt Hiller mit Cornelia Mothes im Duett, dann ist Nashville nicht mehr fern.

Sie nehmen ernst, was sie da tun. Die Slide-Gitarre und die Mundharmonika sollen nichts ironisieren, zum Glück. Auch die Texte bersten vor Klischees, sie erzählen von einer Cowboy-Welt, wie man sie aus dem Kino kennt. „The first thing you gotta to do / When you’re coming into town / Is to find a way out“ – Worte, die aus dem Mund von John Wayne oder Clint Eastwood stammen könnten. Die Musik passt zu den Bildern, die sie erzeugt. Bei Bar Or Disco wird die Melodika sehnsuchtsvoll und traurig geblasen, “A few days ago a friend and I went up into the mountains / We stared into the campfire, we talked about / How good it would feel, how nice it would be, having girls around / Lalalalala lala lalalalalala lala”. Mountains klingt wie „mauns“, selbst einen amerikanischen Akzent hat der Sänger sich zugelegt. Auf dieser Platte passt einfach alles zusammen.

„From Around A Fire“ von The Gentle Lurch ist als CD erschienen bei Schinderwies und im Vertrieb von Broken Silence. Erhältlich ist sie auch bei Finetunes

Hören Sie hier „PR Folks“

Lesen Sie hier: Ein Portrait der Regensburger Plattenfirma Schinderwies Productions

Lesen Sie hier: Die Platten des Jahres 2006 – Eine Nachschau auf 100 Tonträger

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Ein warmes Klagen

Das Gesamtwerk des Will Oldham alias Bonnie Prince Billy lässt sich kaum überschauen – dabei ist der eigensinnige Country-Musiker gerade mal 36 Jahre alt. Sein jüngster Streich, „The Letting Go“, wird die Puristen einmal mehr schockieren

Cover Bonnie Billy

Als was soll man diesen Mann aus Louisville bezeichnen? Countrymusiker ist er. Ein Phänomen, ein bisschen verrückt. Fleißig, manisch. Sein Werk besteht aus zahllosen Alben, Mini-Platten, Singles, Kooperationen und Filmmusiken. Von der Menge her könnte er es wohl mit Bob Dylan aufnehmen. Dabei ist Oldham gerade mal 36.

Der Wiener Standard nannte ihn „den hässlichsten Mann der Musikgeschichte“. Nun, es lassen sich viele Namen für Will Oldham finden. Er denkt sich auch immer wieder neue aus. Palace nannte er sich, Palace Brothers oder jetzt, seit einiger Zeit, Bonnie Prince Billy – eine Mischung aus Hochadel und dem Revolverhelden William Bonnie alias Billy the Kid.

Seit über einem Jahrzehnt schon begeistert er eine wachsende Gemeinde; er führt ein junges Publikum heran an ein Genre, dem der Mief und Pief amerikanischer Südstaaten anhaftet. Country-Puristen sind oft schockiert, wenn sie von ihm hören. Will Oldham hat sich nie geschert um das Klischee vom kautabak-spuckenden Cowboy und seiner Gitarre. Er hat Hank Williams nie gemocht, wuchs auf mit Rock und Punk, den Ramones und Dinosaur Jr. Und auf seinen Platten musiziert er oft mit einer opulenten Band. Während seine allgemein bekannten Kollegen inzwischen so alt klingen und werden, wie ihre Fans schon lange sind, bricht er mit den Traditionen. Nicht nur formal, auch textlich.

Oldhams Sprache ist poetisch, barock, anrüchig, kryptisch. Nie käme er auf die Idee, die Liebschaft zu einer vollbusigen Hinterwäldlerin zu besingen. Seine Texte handeln von Identitätskämpfen, von Gott und Verlust. Manchmal haben sie sexuelle Pointen. Johnny Cash bewunderte ihn dafür, bat ihn sogar, ein Lied für seine American-Recordings-Reihe zu schreiben. Björk nahm ihn mit auf ihre Welttournee.

Eine amerikanische Zeitung warf ihm zu seinem letzten Studioalbum Superwolf vor, er verschmutze die Countrymusik mit seiner Zügellosigkeit, den morbiden Wortspielen und den seltsamen religiösen Hinweisen. Oldham gab zurück, amerikanische Intellektuelle hätten vor Religion so viel Angst wie vor ihren Eiern. Was Journalisten oder Fans über ihn denken, scheint ihm schon lange egal zu sein. Und wie es unter seinem strähnigen Vollbart hervorgebrummt kommt, will man es ihm auch gerne glauben: „It’s only about the music“.

Also hören wir ihm zu auf The Letting Go. Folgen wir den ersten Geigenstrichen. Eine akustische Gitarre wärmt die Stimmung an, dann Oldham: „When the Numbers / get to high / of the dead / flying through the sky / Oh I / Don’t know why / Love comes to me.” Dann, aus dem Nichts, die Folksängerin Dawn McCarthy. Sie umgarnt jede Silbe, ihre Worte werden zur Versuchung. Nie zuvor hat Will Oldham eine andere Stimme so nah an seine gelassen. Das ist ja schon fast ein Duett!

Lassen wir uns weitertragen, zum Blues von Cold and Wet, hören in The Seedling den Balanceakt von beseeltem Nashville und Folklore. Immer wieder brechen Kleinigkeiten die melancholische Grundierung der Lieder auf. Da bläst plötzlich ein Flügelhorn, eine Strophe später summt eine Orgel. Der herkömmliche Country wird bis an seine Grenzen ausgeleuchtet, franst immer weiter aus. Sogar auf digitale Experimente lässt Oldham sich ein.

So ist der Mann mit den vielen Namen ein Musiker, der eine ganze Richtung wieder interessant machen kann.

„The Letting Go“ von Bonnie ‚Prince‘ Billy ist als LP und CD erschienen bei Domino Records

Hören Sie hier „No Bad News“

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Taschentücher für den Mann in Schwarz

Da ist kein Kitsch und keine Scham: Auf „A Hundred Highways“ singt Johnny Cash seine letzten Lieder, rau und direkt. Die Abschiedsgesänge sind ergreifend und traurig. Und manchmal kaum zu ertragen

Cover Hundred Highways

Mit Tränen in den Augen sitze ich auf dem Bett und suche Taschentücher. So viel Todesnähe spürt man selten in Musikstücken – da ist kein Kitsch, keine Scham. Die Lieder sind traurig und ergreifend, die Stimme vom Alter brüchig und immer noch eindringlich. Der Mann, der da singt, blickt voller Ruhe dem Tod ins Auge. Sein Abschiedsgesang lässt mich innehalten, ich kann ihn kaum ertragen.

Johnny Cash ist 2003 gestorben. Über ein halbes Jahrhundert lang hat er Lieder aufgenommen. Man muss kein Liebhaber des Genres sein, um den King of Country-Music zu mögen, eigentlich war er gar kein typischer Country-Musiker. Er war ein einsamer Rebell, der „Mann in Schwarz“. Er erzählte Geschichten vom Leben der Unterprivilegierten, vom Tod, von Gott und seelischen Abgründen. Einige seiner letzten Aufnahmen mit dem Produzenten Rick Rubin, der ihn Anfang der Neunziger Jahre aus der Versenkung geholt hatte, sind auf dem Album American V – A Hundred Highways versammelt. Zwölf Lieder, auf das Wesentliche reduziert: Johnny Cash und seine raue Stimme, zurückhaltend begleitet von einer Gitarre. Auf manchen Stücken ist auch ein Cembalo, eine Orgel und ein Klavier zu hören.

Warum nur stimmt mich dieses Album so schrecklich traurig? Elvis Presley war schon tot, als ich seine Musik wahrnahm, ich musste ihn nicht verabschieden. Johnny Cash aber war immer da, spielte unermüdlich über die Jahre. Und obwohl er nie einer meiner ganz großen Helden war, schätzte ich ihn immer. Er hat mich begleitet, vielleicht fällt der Abschied deshalb so schwer.

Cash thematisierte seinen nahenden Tod immer wieder. In dem Musikvideo zu Hurt sah man ihm 2002 seine Gebrechen deutlich an. In Bildern rauschen hier Stationen seines Lebens vorbei und er zieht Bilanz: Wenn er sein Leben erneut zu meistern hätte, er würde alles wieder genau so machen. Das ist vermutlich das Schönste, was man am Ende eines Lebens sagen kann.

Seine große Liebe und zweite Ehefrau June Carter stirbt im Mai 2003, Cash folgt ihr nur wenige Monate später, im Alter von 71 Jahren. Kurz zuvor, von schwerer Krankheit gezeichnet, besingt er den Tod im letzten Lied, das er selbst geschrieben hat: Like The 309. Einsam und müde bittet er Gott um Hilfe in Help Me und interpretiert das tragische Hank Williams-Stück On The Evening Train, in dem die Geliebte im Abendzug für immer „nach Hause“ gebracht wird. Johnny Cash nimmt Abschied. In Würde und in Schwarz.

„American V – A Hundred Highways“ von Johnny Cash ist als LP und CD erschienen bei Mercury/Universal

Hören Sie hier „Help Me“

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The Byrds: „Sweetheart Of The Rodeo“ (Columbia/Sony BMG 1968)
Okkervil River: „Black Sheep Boy & Appendix“ (Virgin 2006)

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Pilgerväter im Glitteranzug

Über die Jahre (12): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: Die Byrds nehmen 1968 mit dem jungen Countryfreak Gram Parsons „Sweetheart Of The Rodeo“ auf. Und verleihen damit der Hinterwäldlermusik der Amerikaner ersten Popglanz

Cover Byrds

Als Countryfan hat man es schwer. Schnell gilt man mindestens als langweilig, wenn nicht gar als hochgradig reaktionär, wenn das Herz für die Klänge von Steel Guitar, Fiddel und Mandoline schlägt. Erfuhren solche Instrumente im Neo Folk Anfang der 90er Jahre noch neue Aufmerksamkeit, so sind dessen Anhänger mit ihren Bands gealtert. Der Pioniergeist anfangs großartiger Formationen wie zum Beispiel Lambchop hat sich leider sowohl in deren aktuellen Darbietungen als auch bei ihrem Publikum verflüchtigt.

Aber Halleluja, wenn es um alte Veröffentlichungen geht, findet sich das gewisse Etwas, das Kribbeln über eine besondere Band oder Platte, natürlich in reicher Auswahl. Das latente Unbehagen am konservativen Image von Country&Western einmal zum Anlass genommen, bietet sich hier ein Außenseiteralbum der Byrds an, um ein wenig über die Popwerdung des Country zu philosophieren. Sweetheart Of The Rodeo erscheint 1968, Popmusik hat den Rock’n’Roll längst als Ausdruck subversiver Jugendkultur beerbt.

Mit ihrer Version von Folk-Rock feiern die Byrds ab 1965 erste Erfolge. Markenzeichen der ersten Jahre ist die dreifache Gitarrenbesetzung und der unvergleichliche dreistimmige Harmoniegesang von Roger McGuinn, Gene Clark und David Crosby. Doch Folk ist ja nicht Country. Obwohl viele junge Musiker der Protestgeneration mit Country und Bluegrassmusik aufgewachsen und emotional tief in ihr verwurzelt sind, suchen sie in den 60er Jahren nach neuen Wegen hinaus aus dem Traditionalismus. Das führt auch dazu, dass der gelernte Mandolinenspieler Chris Hillman bei den Byrds nur den E-Bass spielt.

Als 1966 zuerst der sensible Gene Clark das Handtuch wirft und 1967 schließlich der zickige, herrschsüchtige David Crosby von den Übrigen gefeuert wird, ist die Zeit reif für einen neuen Rebellen. Durch Vermittlung Hillmans stößt der verträumte, aber künstlerisch sehr selbstbewusste Songschreiber und Multiinstrumentalist Gram Parsons zu den Byrds. Er übernimmt Gitarre, Keyboards, Gesang – und bringt den Country mit. Er ist von Anfang an eine Art Lichtgestalt in einer sich neu orientierenden Szene junger Countrymusiker. Er singt und spielt inspiriert von den alten sehnsüchtigen Melodien der Hinterwälder und der Musik des Südens, aber er fühlt wie ein rebellischer Popheld und gibt damit der Sehnsucht eine neue Richtung.

Die Stücke auf Sweetheart Of The Rodeo wirken etwas zusammengewürfelt. Letztlich aber sind die vielen Coverversionen, von Dylan-Hits und Klassikern des Gospelsoul wie You Don`t Miss Your Water bis zu Countryballaden von Woodie Guthrie und Merle Haggard, nicht einmal untypisch für ein Byrds-Album. Dafür ist der Stilbruch der musikalischen Mittel umso heftiger, nie zuvor hat eine Rocktruppe plötzlich mit einem Ensemble von Studiomusikern aus Nashville und Instrumenten wie Steel Guitar, Geige, Banjo, Mandoline eine Popplatte aufgenommen.

Begeisterte Kritiken, aber schlechte Verkaufszahlen sind das zwiespältige Echo auf einen nun ganz anderen Byrds-Schmelz. Von religiöser Bedächtigkeit und Schwere befreit, hängt I Am a Pilgrim seine Fahne in den Wind popfrisch geschmetterter Wehmut, die melodischen Arrangements selbst des trippelnden Banjos wollen vorwärts, anstatt in grüblerischem Blues zu verharren. Besonders die von Gram Parsons mitgeschriebenen Songs Hickory Wind und One Hundred Years From Now, aber auch das adaptierte Blue Canadian Rockies kommen seiner Idee vom „Cosmic Rock“ am nächsten: Angelehnt an die psychedelische Stimmung der vorangegangenen Byrds-Platten seit Fifth Dimension, lehren sie den vom Bluegrass aufgewirbelten Straßenstaub das Fliegen.

In diesem Sinne ist Sweetheart Of The Rodeo vor allem der Funke, an dem sich der Geist für legendäre Platten anderer Bands der folgenden Jahre entzündet. Das Besetzungsdrama bei den Byrds führt unterdessen nur zu weiteren persönlichen Zerwürfnissen, bis auch der duldsame Chris Hillman die Nase voll hat und die Band kurz nach Gram Parsons Ausstieg verlässt. Zusammen reorganisieren die beiden die Gruppe The Flying Burrito Brothers. Das Debüt The Gilded Palace Of Sin kommt schon 1969 und bringt Parsons Träume endlich auf den Punkt: Abgefahrener als mit diesen zwischen Himmel und Hölle kurvenden, vom Fuzzpedal verzerrten Gitarrenslides zu zuckrigem Mandolinengezirpe kann keine Formation das Establishment erschüttern und Spottlieder dichten über Sin City, das allzu feine San Francisco.

Im selben Jahr taucht auch Ex-Byrd Gene Clark mit einer neuen Countryplatte auf, gemeinsam mit Doug Dillard von den Dillard-Brüdern spielt er einen Meilenstein modernster Hillbilly-Musik ein: The Fantastic Expedition Of Dillard & Clark. Mit von der Partie ist Bernie Leadon, der später als Gründungsmitglied der Eagles die Popularisierung von Country Rock als kulturellem Aushängeschild Amerikas betreibt.

Musikalisch überflügeln The Gilded Palace Of Sin und The Fantastic Expedition Of Dillard & Clark den Countryausflug der Byrds. Doch irgendwo im Dreiklang dieser ungeplanten Trilogie liegt der Wendepunkt, der interessanter ist als das meiste, was danach noch kommt. Die Byrds hangeln sich mit mehr Irrungen als Höhepunkten bis zu ihrer Auflösung 1973, im selben Jahr stirbt Gram Parsons nach kurzer Solokarriere mit 26 an Drogen und Alkohol den frühen Heldentod eines Popmessias.

Es ist das Geheimnis solcher Geschichten und ihrer Platten, dass sie noch heute nach Abenteuer und Aufbruch klingen, an manchen Tagen sogar mehr als die Neuerscheinung, die einem vorgestern noch so aufregend erschien.

„Sweetheart Of The Rodeo“ von den Byrds ist erhältlich bei Columbia/Sony BMG

Hören Sie hier Ausschnitte aus „Blue Canadian Rockies“ und „I Am A Pilgrim“

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(11) Sender Freie Rakete: „Keine gute Frau“ (2005)
(10) Herbie Hancock: „Sextant“ (1973)
(9) Depeche Mode: „Violator“ (1990)
(8) Stevie Wonder: „Music Of My Mind“ (1972)
(7) Tim Hardin: „1“ (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: „Reformhölle“ (1992)
(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Hinfort mit den Cowboy-Hüten!

In einer Blechhütte in Austin entstand „Black Sheep Boy“ von Okkervil River. Darauf singen sie wunderschöne Lieder von Halunken, Herzensbrechern und schrägen Vögeln

Cover Okkervil

Das Klischee eilt voraus: Country? Ist das nicht Altherrenmusik? Vom Leben rund um verlassene Highways und staubige Männer in Unterhemden, zerbeulte Wohnwagen und wogende Kornfelder? Die vertonte Bodenständigkeit der amerikanischen Südstaaten? Wie leicht man sich täuschen kann.

Hinfort mit den Cowboy-Hüten! Und mit den Western-Hemden. Hinaus aus der Tristesse der Wohnwagensiedlungen. Hinein in die Wollpullover, in die ein wenig zu engen T-Shirts, in die Hinterhofproberäume der Universität. Hier trifft die Rauheit des Punk auf die schlichten Arrangements und die Themen des Country. Alternative Country nennt man diese Musik oft. Zu deren besten Vertretern gehören zweifellos Okkervil River. Auch wenn die Texaner diese Bezeichnung wohl ungern hören.

Sechs Jahre ist es her, da bekam ihr Sänger Will Robinson Sheff die Kurzgeschichte Okkervil River der russischen Autorin Tatyana Tolstoya in die Finger. Falls Sie das zu Hause im Diercke-Atlas nachschlagen wollen: Den Fluss Okkervil gibt es wirklich, er fließt in der Nähe von St. Petersburg. Sheff gründete eine Band mit College-Freunden, benannte sie nach der Kurzgeschichte und veröffentlichte seitdem vier Alben, etliche EPs und Kollaborationen. In ihrer Musik vermengen Okkervil River dabei stets Elemente von Punk, Rock, Folk und Country. Getragen wird sie nicht nur von der musikalischen Finesse, sondern auch von Sheffs Texten über Mörder, Halunken, Herzensbrecher, rachsüchtige beste Freunde, Außenseiter und andere schräge Vögel.

Vor dem Album Black Sheep Boy kam der große Bruch. Besonders für Will Sheff. Sein Haus soll er verkauft haben, um frei zu sein, rumzureisen, Amerika zu sehen, Lieder zu schreiben. Ein Jahr lang. Dann fanden sich alle wieder ein in einer kleinen Blechhütte mit gewelltem Dach und ohne Klimaanlage mitten in Austin, Texas. Dort ist ein Konzeptalbum entstanden, voller Melancholie, Wehmut, Wut und furiosen Hymnen. Und gleichzeitig eine kleine Hommage an einen von Sheffs Helden: Folksänger Tim Hardin, der 1980 an einer Überdosis Heroin starb. Dessen Song Black Sheep Boy von 1967 entlieh Sheff seine Hauptfigur.

Das schwarze Schaf, das davon träumt zu töten. Merkwürdige Dinge tut, sagt und denkt – der teils böse, teils burleske Anti-Held, über den Okkervil River auf ihrem neuen Album ihre Geschichten singen. Und es macht einen Riesenspaß, ihnen dabei zuzuhören. Sie sind lauter geworden, treibender, wurzeln weniger im traditionellen Country: Die Mandoline weicht häufig mal einer zumindest in Nuancen verzerrten Gitarre, das Wurlitzer-Piano einem surrenden Synthesizer. Sheffs Stimme klingt nun öfter wütend. Überschlägt sich. Hallt nach. Oder ist das die Blechhütte?

Den verzweifelten Ausbrüchen folgen nahezu andächtig vorgetragene Schunkelstücke und todtrauriges Dahingeschmachte, begleitet von einer tranigen Trompete, wabernden Pedal-Steel-Gitarren und perkussivem Orgelspiel. Die Vielfalt der Instrumente innerhalb eines Lieds wie So Come Back, I’m Waiting ist beeindruckend genug – da bräuchte Will Sheff gar nicht mehr so gut zu dichten. Aber er macht’s trotzdem. Weil er wohl einer der begabtesten Songwriter ist, den die amerikanische Indie-Musik zurzeit hat.

Das Album erschien ursprünglich im vergangenen Jahr bei dem kleinen Label Jagjaguwar in den USA. Jetzt hat sich Virgin seiner angenommen und es in Europa neu veröffentlicht. Zusammen mit einem Appendix, einem Nachtrag, sieben Songs, die das Album erweitern und bereichern.

„Black Sheep Boy & Appendix“ von Okkervil River ist als Doppel-CD erschienen bei Virgin und als LP bei Jagjaguwar. Ende Mai ist die Band auf Tour durch Deutschland.

Hören Sie auf der Website der Band „For Real“ und „Black“