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Reim Monk auf Punk!

Auf der Rollschuhbahn lernte Rich Terfry den HipHop kennen. Sein mittlerweile zwölftes Album verknüpft Rap mit Jazz, Country und Blues.

Buck 65

„I saw the best minds of my generation destroyed“, raunt Rich Terfry alias Buck 65 gleich zu Beginn von Situation ins Mikrofon. Das sind, auch wenn sie vielleicht nicht mehr jeder kennt, die berühmten ersten Worte von Allen Ginsbergs legendärem Gedicht Howl, das 1957 wegen Obszönität vorübergehend verboten wurde. Gewiss kein schlechter Ausgangspunkt eines Liedtexts. Und wenn man etwas zu sagen hat, darf man sich getrost auch ein paar Wörtchen ausleihen.

Grandmaster Flashs The Message war der erste Rap, den Terfry seinerzeit auf der Rollschuhbahn des ostkanadischen 3000-Seelen-Nests Mount Uniacke hörte; damals war er zehn Jahre alt. Nur zur Erinnerung: Das Kürzel Rap steht nicht zuletzt für Rhythm and Poetry. Der Titel eines frühen Buck-65-Albums, Language Arts (1996), lässt keinen Zweifel daran, welchen Stellenwert Terfry dem Erzählen und dem Spiel mit der Sprache einräumt.

Auf späteren Alben orientiert sich sein rauer, unverkennbarer Wortfluss deutlich an den Markenzeichen des Beat-Poetry: der spontanen Prosa Jack Kerouacs und den Cut-Up-Techniken eines William Burroughs. Seine Erzählweise perfektionierte Buck 65 schließlich auf Talkin’ Honky Blues (2003). Auf diesem, seltsamerweise weithin unbemerkt gebliebenen Klassiker des Underground-Hiphop gelingt ihm das Kunststück, scheinbar völlig disparate Genres mit stupender Effektivität unter einen Hut zu bringen: Hiphop wird mit Folk, Country und Blues angereichert, als hätte eins seit jeher zum anderen gehört. Und so ist es ja auch, gemäß dem schönen Motto, dass es ohne Tradition keine Moderne geben kann.

Dabei verweist Buck 65 auf die New Yorker DJ-Legende Afrika Bambaata. „Er verstand sich und andere DJs als Musik-Anthropologen“, sagt Terfry. „Diese Vorstellung habe ich aufgegriffen und versucht, den Gedanken noch ein bisschen weiterzuspinnen. Ich bin weiter und weiter zurückgegangen, über die Traditionen New Yorks und Jamaicas hinaus bis zu den Wurzeln von Blues und Talking Blues. In der HipHop-Szene kann man mit derartigen Anschauungen allerdings keinen Blumentopf gewinnen. In der Szene bin ich immer ein Außenseiter geblieben“.

Womöglich auch deshalb, weil Terfry das mittlerweile dauersteife Gangster-Geschwafel stets außen vor gelassen hat. Mit Situation setzt er – nach der Best-of-Compilation This Right Here Is Buck 65 und dem eher unentschlossenen Album Secret House Against The World – den auf Talkin’ Honky Blues begonnenen Weg konsequent fort. Diesmal mit einer Hommage an ein fast vergessenes, im Rückblick allzu oft nur als borniert und verschnarcht wahrgenommenes Jahrzehnt.

Sein mittlerweile zwölftes Album bedient sich der Beats und Basslinien des Old-School-Hiphop. Er beschwört die Ikonen und Unruhestifter der Fünfziger in einem impressionistischen Rap-Bildersturm – und reimt folgerichtig Thelonious Monk auf Punk. Auf Situation besichtigt er eine Kulturrevolution. „Sicher, Punk war eine aufregende Sache“, sagt Terfry, „aber verglichen mit dem, was 1957 in musikalischer Hinsicht passierte, letztlich kaum mehr als ein Sturm im Wasserglas.“

Er denkt nicht daran, die Aufbruchsstimmungen von damals in Sound oder Samples zu reproduzieren. Er macht das, was er am besten kann: Er erzählt. Mit seinen nostalgischen Stimmungen und jazzigen Piano-Loops erinnert Situation nicht nur von fern an John Zorns Film-noir-Reverenz Spillane, sondern erweist sich als ebenso gekonnt intertextuelles Spiel mit Namen, Zitaten und Querverweisen.

Wenn die Geister von Charlie Parker, Eddie Cochran und Bettie Page in Buck 65s kehligem Rap aufeinander treffen, wird einmal mehr deutlich, dass sich Kultur nicht aus Genres, sondern aus Stil und Haltung speist. Und da wahre Kultur schon immer darin bestand, es anders zu machen, darf man Situation fraglos als ein großes Album betrachten: Selten ist es jemandem gelungen, moderne Americana so selbstverständlich zu einer Einheit zu verschmelzen.

„Situation“ von Buck 65 ist erschienen bei Strange Famous Records/Warner.

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Diese DJane ist ein Geschoss

Im Club turnt die Französin Missill drahtig hinter den Plattentellern und legt alle paar Sekunden eine neue Platte auf. Für ihr Album „Targets“ musste sie ein bisschen stillhalten, es fiel ihr schwer.

Missill Targets

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Tanzende auf einen Wechsel an den Plattenspielern aufmerksam zu machen. Mancher DJ ändert radikal den Musikstil, mancher gönnt dem Publikum ein paar Sekunden Ruhe. Die Französin Missill eröffnet ihren Auftritt im Hamburger Baalsaal damit, dass sie die Lautstärkeregler bis zum Anschlag öffnet. Ihr Manager gibt ihr verzweifelt Zeichen, sie wischt seinen stummen Einwand mit einer Handbewegung weg. Sie ist aufgedreht und lässt eine Rakete starten, die Ohren ihres Publikums sind ihr gleich.

Missill ist klein und drahtig. Temporeich wirft sie in ihren Sets HipHop, Reggae und Techno zusammen, was immer ihr eben in die Finger kommt. Sie spielt kaum ein Stück bis zum Ende, jeder Klang wird verfremdet. Ist ihr ein Stück zu langsam, spielt sie es auf 45 Umdrehungen. Hier und da gesteht sie den Tanzenden Verschnaufpausen zu, spätestens nach einer halben Minute unterbricht sie den Reggae mit einem knüppelharten Rhythmus. Ihr Markenzeichen ist ein verzerrter elektrischer Klang, der an den Rock-House der Franzosen von Justice und Ed Banger erinnert.

„Man fragt mich häufig, ob ich Koks schnupfe. Gelegentlich rauche ich einen Joint, das hilft mir, mich zu konzentrieren, ansonsten nehme ich gar keine Drogen“, erzählt Missill. Sie freue sich sogar über das Rauchverbot in Clubs. „Ich bin einfach hyperaktiv“, sagt sie. Missill ist auch Graffiti-Künstlerin, nimmt Platten auf und gestaltet die Hüllen selbst – im Manga-Stil.

Hyperaktiv klingt auch die Musik ihres Albums Targets. Es beginnt druckvoll mit einer Mischung aus Reggae und HipHop, MC Dynamite spendiert flinke Raps. Es ist eine wilde Reise: Eine knappe Stunde lang verwurstet Missill von Baile Funk bis Elektro beinahe jede Spielart urbaner Tanzmusik, ständig erhöht sie die Taktzahl. Springt man nach den abschließenden harten Tanzflächenfüllern zu den ersten Stücken der CD zurück, klingen diese sogar ruhig. Missill sagt, es sei ihr im Studio schwergefallen, den jeweiligen Stil eines Stücks beizubehalten, „vier Minuten ohne Wechsel? Aaaah!“ Die Platte sei für die Tanzfläche produziert, in Clubs habe sie die Stücke getestet und anschließend verfeinert.

Auf Dauer ermüden Missills brachiale Klänge. Stücke wie Check Dat erinnern zu sehr an frühere Kreuzungsversuche aus Rock und HipHop. Am Ende der Platte sind die Stücke dermaßen rockig, dass man es kaum anhören mag. So leicht man sich von ihrer Energie und dem Ideenreichtum ihrer Musik beeindruckend lässt, so schnell fühlt man sich zu alt für Targets.

„Targets“ von Missill ist erschienen bei Discograph/Rough Trade.

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Hökern am Tapeziertisch

Neunzehn Jahre lang rappte Percee P im Park und verkaufte seine Mixkassetten vor einem Plattenladen. Nun hat er sein erstes Album fertig, „Perseverance“.

Percee P Perseverance

Fast zwei Jahrzehnte lang war der amerikanische Rapper Percee P ein Musiker ohne Album. Dabei hatte seine Karriere so gut begonnen: Im Jahr 1988 erschien seine erste Maxi Let The Homicides Begin. Seine rasanten, perkussiven Reime waren damals einmalig. Statt ein Album aufzunehmen, liefert er sich fortan Rap-Battles im Park und auf der Straße. Noch heute staunt man über seine sportiven und wortreichen Auseinandersetzungen mit Lord Finesse in den Patterson’s Projects im Süden der Bronx.

Bald hatte er einen Namen. Hier und da hörte man ihn als Gast auf den Aufnahmen befreundeter Reimer. Einen Plattenvertrag bekam er nicht. So hökerte er jahrelang vom Tapeziertisch. Wochentags stand er vor dem New Yorker Plattenladen Fat Beats und verkaufte Mixkassetten. Percee P machte aus der Not eine Tugend und blieb den Rappern und Liebhabern präsent.

In seiner Geschichte steckt die Geschichte des HipHop. Als Kind stand Percee P Ende der Siebziger im Park und lauscht den ersten Rappern. Die Entstehung des Rap – auf Tonträgern ist sie kaum dokumentiert – hat er mit eigenen Ohren erlebt.

17 Jahre nach seiner ersten Maxi erschien im Jahr 2005 die Vorabsingle Put It On The Line zu seinem Debütalbum. Weitere zwei Jahre drauf gibt es nun tatsächlich eine ganze Platte von Percee P zu hören: Perseverance – Beharrlichkeit.

Er stand gerne hinter seinem Tapeziertisch, heißt es. Ein Album zu haben ist noch schöner. Nun ist er ständig auf Tour, hat ein größeres Publikum und steht in der Zeitung. Das Warten hat sich für ihn gelohnt – und auch für die Hörer.

Der kalifornische Produzent Madlib ist für die klangliche Architektur von Perseverance verantwortlich. Er verbindet traditionelle Elemente mit Modernem, als würde er ein Haus um eine Ruine herumbauen. Geschichtsbewusstsein und Experimentiergeist bilden eine Einheit. Immer wieder ragen Klangcollagen heraus. Sie verleihen dem Album die Aura des Filmischen. Es knackt, knistert, Bässe wummern, Klänge laufen gegeneinander – dreckige Klänge von einem unaufgeräumten Ort. Die Gesamtheit macht Spaß – ein einzelnes Stück hervorzuheben fällt schwer.

Vorm Plattenladen in New York trifft man ihn nicht mehr an. Percee P ist nach Los Angeles gezogen. Ob er ein zweites Album machen wird, ist ungewiss.

„Perseverance“ von Percee P ist erschienen bei Stones Throw.

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Kurz vorm Umkippen

Common rappt auf „Finding Forever“ zu den Liedern von Kanye West. So klingt gute Popmusik, gebastelt mit den Werkzeugen eines HipHoppers.

Common Finding Forever

Ein ungeschriebenes Gesetz des Plattenerwerbs besagt, dass man sich auf das Cover verlassen kann. Spricht es den Betrachter an, ist die Musik gut. Bei dem amerikanischen Rapper Common hat diese Regel immer gegriffen. Die Gestaltung seiner Platten spiegelte immer die Stimmung der Musik wider. Man sah Like Water For Chocolate und Be die beseelten Geschichten an und Electric Circus seine Zerfahrenheit. Ein Airbrush-Motiv mit esoterischen Schnörkeln illustriert Commons neues Werk Finding Forever. Er lächelt dem Käufer milde entgegen und sieht dabei aus wie ein Lehrmeister der Panflöte und des Tantra. Das Bild ist schäbig, keine Kreissparkasse der Welt würde damit ihr Foyer schmücken. Ist das Album deshalb schlecht?

Glücklicherweise nicht! Finding Forever ist solide, bisweilen großartig. Commons Stimme legt sich sanft über die melodiösen Kompositionen des Produzenten Kanye West. Die Musik klingt neu und vertraut, wie gute Popmusik eben, gebastelt mit den Werkzeugen eines HipHoppers. Bei dem Stück The People funktioniert das so: Eine Synthesizer-Linie karamellisiert, markige Gitarren ziehen Fäden, das Sample einer Stimme spielt sich immer wieder in den Vordergrund. Dazu gibt es einen drängenden Rhythmus und Commons wahnsinnige Stimme. Er bricht seit Jahren mit dem Klischee des harten Rappers. Seine Texte stellen immer das Bewusstsein über den Konsum. In seiner Musik schwingt der Soul der sechziger Jahre.

Kanye West hat die meisten Stücke geschrieben. Ein elegantes Stück Flirtmusik kommt von Will.i.am. Sein I Want You entschädigt für viele Banalitäten, die er mit seiner Band Black Eyed Peas verzapft hat. Auch Commons verstorbenem Mitbewohner J Dilla wird gehuldigt, der Beat zu So Far To Go kommt von dessen Album Donuts.

Common nahm die Stücke in Neuseeland, Berlin, Honolulu, Los Angeles, Prag, New York und Melbourne auf. Dafür klingt das Album erstaunlich konsistent. Manchmal steuert Common haarscharf am Kitsch entlang. Das Klavier klingt dann, als streichelte Richard Clayderman die Tasten. Mit dem Kitsch auf dem Album ist es wie mit Milch, die kurz vor dem Umkippen ist – sie schmeckt gerade noch.

„Finding Forever“ von Common ist erschienen bei Geffen/Universal

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Diese Stimme durchbohrt Wände

Eigentlich hatten Dizzee Rascal und Wiley die Stars eines neuen Stils werden sollen. Doch die Helden des Grime zerstritten sich. Auf ihren neuen Alben treten sie gegeneinander an.

Wiley Playtime Is Over

HipHop ist die Musik der regionalen Phänomene. Jeder Ort der Welt bringt seine eigene Spielart hervor. Schon immer klang Rap-Musik aus der Mutterstadt New York anders als die aus Los Angeles. Lange standen diese beiden Metropolen für Rap-Musik schlechthin. Später kamen Detroit, Atlanta und Philadelphia ins Rampenlicht. Musik ist von äußeren Umständen abhängig, selbst das Wetter spielt eine Rolle. HipHop hat sich zu einer weltweiten Sprache mit unterschiedlichen Dialekten entwickelt.

Rapper in England haben sich schwer getan, zu einer eigenen Form zu finden. Lange orientierten sie sich an den großen Brüdern aus Amerika. Beachtliche Einzelleistungen waren die Ausnahme, eine Bewegung war nicht zu erkennen.

Dann kam Grime. Eine Welle neuartiger Musik, die Anfang des Jahrzehnts aus den Piratenradios der Insel geblubbert kam. Einzelne Läden verkauften Mixtapes und unbeschriftetes Vinyl für DJs. Bald wurde Grime international wahrgenommen. Der ganz große Erfolg fehlt allerdings noch.

Diese Musik hat keine Mitte. Sie ist durch und durch extrem. Die Bässe wummern tiefer als anderswo. Darüber werden klirrend hohe Synthesizer und Samples geschichtet. Gerappt wird schnell. Entspannung ist hier nicht zu finden. Wenn ein Grimer eine Ballade versucht, klingt sie gehetzt. Grime ist Clubmusik. Wer so etwas zuhause hört, geht irgendwann die Wände hoch.

Jede Bewegung hat ihre Helden. Dizzee Rascal und Wiley veröffentlichten ihre Debütalben 2003 beim mächtigen Label XL Records. Stars sollten sie werden, und Grime sollte die Welt erobern. Doch die Verkäufe entsprachen nicht den Erwartungen. Wiley zerstritt sich mit seinem alten Kumpel Dizzee und verlor den Plattenvertrag.

Und nun kommen beide gleichzeitig mit neuen Alben zurück. Wiley macht auf Playtime Is Over Grime in Reinkultur. Die Bässe sind runder als vor drei Jahren, ansonsten hat sich wenig getan. Wer ein puristisches Grime-Album hören will, ist hier richtig. Rhythmisch vertrackt und jederzeit ungemütlich geht es zu. Die Stimme findet kaum Luft.

Rap lebt sehr vom Text. Wiley erzählt von seinem neuen Plattenvertrag. Wiley erzählt, wie er die Grime-Musik geprägt hat. Wiley erzählt, dass er sich nun vom Mikrofon zurückziehen wird, um jungen Künstlern den Vortritt zu lassen. Wiley ist neunundzwanzig und redet wie ein Methusalem von seinem Vermächtnis. Nicht sehr spannend.

Auf Letter To Dizzee wendet er sich an seinen alten Rivalen, wie im klassischen Drama. Hey, Kumpel, guck mal, was wir alles gerissen haben. Vergiss nicht, ich bin dein großer Bruder. Ruf mich an, und alles ist verziehen. Doch Dizzee Rascal ruft nicht an. Auf seinem Album Maths And English findet er für Wiley nur Schimpfworte.

Dizzee Rascal Maths and English

Dizzee Rascal will nach vorn. Er öffnet den Grime für Spielarten des amerikanischen HipHop. Die Klänge der frühen Neunziger transportiert er im Stück Pussyole (Oldschool) ins britische Jetzt. In texanischer Hitze trifft er auf die Gruppe UGK, Sirens ist dröhnend und gewaltig. Sogar am Jungle versucht er sich.

Maths And English ist ein abenteuerliches Album. Die Musik ist voller Zitate und streckt sich doch nach der Zukunft. Es gibt Enthusiasmus, Hunger und Handwerk. Und Stories. Rascal weiß sie zu erzählen, seine Stimme durchbohrt Wände. Lediglich die Duette mit der Sängerin Lily Allen und Alex Turner von den Arctic Monkeys sind misslungen. Es scheint schwer, eine Stimme zu finden, die mit Dizzees harmoniert.

Wer wird nun der Superstar des Grime – Wiley oder Dizzee Rsacal? Es ist wie im richtigen Leben: Man hört lieber dem zu, der nach vorne schaut. Wer ständig Sentiment und Frustration der Vergangenheit beschwört, dem schließen sich alsbald die Türen. Wiley hätte besser daran getan, sich nicht mit Dizzee Rascal zu messen. Dizzee Rascal hingegen kann von sich behaupten, dass er mit neunzehn einer war, der den Grime erfand. Und dass er ihn mit zweiundzwanzig zu neuer Höhe führt.

„Maths and English“ von Dizzee Rascal ist erschienen bei XL Recordings/Indigo, „Playtime Is Over“ von Wiley ist erschienen bei Ninja Tune/Rough Trade

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Reime aus dem Papiertütchen

Die Plattenfirma Geffen hat offensichtlich wenig Interesse daran, dass jemand die neue Platte von Mos Def kauft: „True Magic“ ist unschön verpackt und wird nicht beworben. Schade um die fabelhafte Musik.

Mos Def True Magic

Mos Def ist Rapper. Weil er sich nebenbei auch der Schauspielerei widmet, braucht er lange, ein Album aufzunehmen. Vor acht Jahren erschien seine Debütplatte Black On Both Sides. Das Musikfernsehen ignorierte ihn bereits damals – trotz seines Erfolgs. Mos Def verweigert sich den Klischees, er ist ein Rapper alter Schule. Sein Stil ist geprägt vom alternativen HipHop der Neunziger und Gruppen wie A Tribe Called Quest und De La Soul.

Mit nasaler Stimme stapelt er die Reime im Swingtanz. Und es macht Spaß, genau hinzuhören. Mit den stupiden Texten seiner Gangsta-Kollegen hat er nichts an der Kappe. Er singt nicht von Diamanten und lang gestreckten Limousinen, der Weg aus dem Ghetto führt bei ihm nicht über die Ansammlung von Reichtümern und Frauen. Seine Lyrik ist sozial.

Auch ohne die Unterstützung des Musikfernsehens verkaufen sich seine Platten ganz ordentlich. Zu gut, um bei einem kleinen Label zu veröffentlichen. Zu schlecht allerdings für einen großen Konzern. Nach dem Bankrott der kleinen Firma Rawkus Records, die sein erstes Album veröffentlicht hatte, wechselte er vor einiger Zeit zu Geffen, einem Teil der Universal-Gruppe. Ein gutes Verhältnis hatten der Rapper und die Plattenfirma angeblich nie, so ist er gerade auf der Suche nach einer neuen.

Um seinen Vertrag zu erfüllen, veröffentlicht er nun ein letztes Album bei Geffen, True Magic. Aber was ist das? Schon die Verpackung stiftet Verwirrung, sie ist lächerlich. Die bedruckte CD ist nur von einer weißen Papiertüte umhüllt, im Laden steht sie zum vollen Preis. Vorabexemplare für Journalisten sehen oft so aus, aber wie soll man mit so etwas Käufer erreichen? Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung könnte ungeschickter nicht sein: Die Platte erschien zwischen Weihnachten und Neujahr. Steckt dahinter ein genialer Schachzug der Plattenfirma? Sollen visuelle Reize vermieden werden, weil sie die Magie der Musik stören könnten?

Universal erklärt, es handele sich um eine Vorabveröffentlichung. Sie sei eine Reaktion darauf, dass das Album bereits seit Anfang Dezember im Internet kursiere. Eine offizielle Veröffentlichung mit schöner Hülle und Werbung solle im Laufe des Jahres erfolgen. Eine haarsträubende Firmenpolitik.

Die Musik wirft ebenfalls Fragen auf. Sie ist ungeschliffen und weniger vielschichtig, als man es von Mos Def gewohnt ist. Die Rhythmen sind minimalistisch und kaum experimentell. True Magic ist eine konservative HipHop-Platte, so etwas macht heute kaum noch jemand, keine Gastauftritte befreundeter Rapper, keine aufgeblasene Produktion. Aber genau das scheint Mos Defs Talent zu sein. Seine Stimme ist melodiös, das unspektakuläre und monotone Gewand stellt das heraus.

Auf seinem letzten Album The New Danger kokettierte er noch mit pathetischen Rockklängen. Die Besinnung auf seine Stärken klingt überzeugend. Die Stücke Undeniable und Fake Bonanza stechen heraus, There Is A Way ist ein optimistischer Hit. Andere Stücke trägt er mit nöliger Stimme vor, sie klingen etwas lustlos und niedergeschlagen, wenig selbstbewusst.

True Magic ist eine Platte voller Fragen, sie ist persönlich und fordert zur Auseinandersetzung auf. Hoffentlich ist es nicht seine letzte, er hat angekündigt, sich künftig auf seine Schauspielkarriere zu konzentrieren.

„True Magic“ von Mos Def ist erschienen bei Geffen/Universal

Eigentlich sollten Sie hier das soeben für den Grammy nominierte Stück „Undeniable“ zu hören bekommen. Die Plattenfirma Universal untersagte das mit dem Hinweis, „mit Rücksicht auf den Künstler“ solle die Platte momentan nicht explizit beworben werden. Auf der Website des Künstlers kann man sich einminütige Schnipsel verschiedener Stücke anhören

Lesen Sie hier: Die Platten des Jahres 2006 – Eine Nachschau auf 100 Tonträger

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Im Gedränge der Klänge

Isis aus Los Angeles lieben die Melodien, die Anspielungen und die Abwechslung. Leider wird auf „In the Absence Of Truth“ zu viel gebrüllt

Isis - Absence Of Truth

Ein paar Sekunden ist nichts zu hören, dann erhebt sich eine sanfte Harmonie. Ein Schlagzeug bollert hinein in düstere Flächen aus synthetischen Klängen. Hallbelegte Töne der elektrischen Gitarre tauchen auf, wie kleine Lichtblitze im Nebel. Das Schlagzeug wird hektisch, doch das scheint nur so.

Immer lauter grummelt der Bass aus dem Hintergrund nach vorne, der Synthesizernebel verdichtet sich. Minutenlang fügen Isis Schicht um Schicht hinzu, ein Brei entsteht. Im dichten Gedränge der Klänge kaum mehr wahrnehmbare Disharmonien schleichen sich ein, ganz so, als würde eine Explosion vorbereitet.

Wieder falsch. Nach einer Ewigkeit halten sie inne, entrümpeln das Stück. Der Takt wird gewechselt, die Tonart, die Stimmung. Aaron Turner singt langgezogene Worte in den frisch gewaschenen Klangteppich. Seine Stimme kommt von hinten, eine schöne Melodie. Die Harmonien erinnern an den Rock der siebziger Jahre und an Marillion und Porcupine Tree.

Später wird die Gitarre dann nachdrücklich, Aaron Turner singt sich hoch ins Hymnische. Der Bass grunzt Heavy-Metal-Muster. Plötzlich rutscht die Stimme anderthalb Oktaven ab und ist nur noch als kehliges Geschrei zu vernehmen. „Die!“ – Stirb! kann das nur heißen, was einem da entgegengebrüllt wird. Auch wenn man ihn die ganze Zeit eigentlich erwartet hat, so recht passen mag der plötzliche Ausbruch nicht in das kaum aggressive Wrist Of Kings.

So ähnlich ist es bei fast jedem Stück auf Isis‘ viertem Album In The Absence Of Truth. Die Musik ist eher sphärisch als hart, die Gitarren und der gedroschene Bass treten nur selten aus dem Klangnebel hervor. Die Stimme ist meist leise, das Schlagzeug trocken und hallfrei. Früher oder später packt es den Sänger dann aber, und er zerbrüllt die ansonsten so melodiösen Klanggebilde mit unverständlicher Lyrik. Zu schade!

Wenn man sich Mühe gibt, kann man es ignorieren. Man sollte es tun, denn die Stücke stecken voller Ideen und Referenzen. Not In Rivers, But In Drops macht Anleihen bei The Cures düsterem Album Pornography, der Bass scheppert böse. Da wirkt eine Kraft, die ohne stählerne Härte auskommt, die auch ohne Lautstärke funktioniert und ohne kreischende Instrumente, die in den Vordergrund drängen. Over Root And Thorn baut auf einem sich für achteinhalb Minuten stetig wiederholenden Gitarrenmuster auf, langsam, düster und melodiös. Aber nie langweilig. Und aus der Selbstversunkenheit von Holy Tears hört man Pink Floyd heraus.

Parallel zu In The Absence Of Truth erscheint ein Minialbum für die In The Fishtank-Serie des niederländischen Labels Konkurrent. Zu hören sind drei Stücke, die Isis gemeinsam mit der schottischen Band Aerogramme aufgenommen haben. Da wird nicht gebrüllt.

„In The Absence Of Truth“ von Isis ist als CD erschienen bei Ipecac und wird als Doppel-LP Ende Januar bei Robotic Empire erscheinen

Hören Sie hier „Dulcinea“

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Beseelt hüpfen die Schmalzringe

Der HipHopper und Produzent J Dilla starb im Februar 2006. Vom Krankenbett aus arbeitete er besessen an dem Album „Donuts“. Seine Ideen hätten für ein weiteres Leben gereicht

Cover J Dilla

James Yancey war HipHop-Produzent. Unter den Namen J Dilla und Jay Dee veränderte er mit seinen Arbeiten die Ästhetik des Genres von Grund auf. Anfang des Jahres 2006 starb er an den Folgen der Immunerkrankung Lupus.

Seine Karriere begann in den frühen neunziger Jahren, HipHop wurde gerade zum Massenprodukt. Rapper wie Master P und Sean Combs – besser bekannt als Puff Daddy beziehungsweise P. Diddy – eroberten damals diesen neuen Markt. J Dilla stand nicht für hitparadentaugliche Produkte, sondern für beseelten und ästhetischen, manchmal wütenden HipHop. Die Stars standen Schlange vor seinem Studio in Detroit, er arbeitet lieber mit Untergrund-HipHoppern wie A Tribe Called Quest und The Pharcyde und seinen Schulfreunden Frank N Dank.

J Dilla arbeitete scheinbar ohne Pause, produzierte und mischte für Künstler wie Common, The Roots und De La Soul, aber auch für die Elektronikbastler Four Tet und unzählige andere. Seine Beats sind von einer fesselnden Musikalität, seine Arbeiten stecken voller Überraschungen und Lebendigkeit. Weltweit bringen sie die Hüften zum Hüpfen. Von ihm konnte man immer auch etwas über Musik und ihre freie Form lernen. J Dilla wurde nur zweiunddreißig Jahre alt. Sein früher Tod sorgte für Ernüchterung, seine Innovationskraft und Unbestechlichkeit werden dem Genre fehlen.

Er aß für sein Leben gern Donuts. So hat er den überzogenen Schmalzringen sein letztes Album gewidmet. Bevor er die Welt verließ, versorgte er sie noch einmal mit Ideen für ein ganzes Leben: Einunddreißig Stücke in knapp vierzig Minuten. Donuts ist ein rastloses Instrumentalalbum mit aberwitzigen Brüchen und Stimmungswechseln, sanft verpackt in weiche Bässe. Man kann die CD immer wieder hören, Anfang und Ende sind verknüpft. Ein Donut als Ying-Yang-Symbol gedacht, das ist doch was.

Das Album entwickelt einen Sog. Die Stücke sind gegen den Verfall gespielt, noch im Krankenhaus arbeitete er mit Plattenspieler, Computer und Sampler an seinem Vermächtnis. Man hört die Nadel fallen und hüpfen, für den Feinschliff war keine Zeit mehr. Donuts ist eine rohe Abfolge von Ideen. Es zeigt, dass J Dilla noch viel vorhatte.

„Donuts“ von J Dilla ist erschienen bei Stones Throw/PIAS

Hören Sie hier einen Ausschnitt aus „Donuts“

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Sechs Freunde sollt ihr sein

Nun wird getanzt, aber ist das ein Jazzclub oder eine Disco? „Navy Brown Blues“ von Mocky pendelt zwischen vielen Stilen. Der kanadische HipHopper hat gute Musiker um sich geschart. Wenn er nun noch die Klappe hielte!

Cover Mocky

Die Welt zu Gast bei Freunden: Hier läuft Kanadas musikalische Nationalmannschaft auf.

Als Kapitän führt der Rapper Dominic Salole das Wort, er nennt sich Mocky. Im Mittelfeld die Folk-Prinzessin Leslie Feist. Links außen röhrt Peaches, rechts außen tanzt Taylor Savvy, im Tor wacht Gonzales. Das kleine Team trainiert teils in Berlin-Kreuzberg, teils in Paris; es hat sich durch Englands beseelten Stimm-Stürmer Jamie Lidell verstärkt. Zusammen spielen sie flüssig, nicht unschlagbar, aber überaus fantasievoll.

Sechs Freunde sollt ihr sein: Auf Navy Brown Blues musizieren der Kanadier Mocky und seine Weggefährten. Seit Jahren helfen sie einander, mal spielt der eine hier, mal produziert der andere da. Meist kommt interessante Musik dabei heraus, stilistisch umherstreifend zwischen HipHop, Folk, Soul, Elektro und Disco-Punk.

Die Arrangements auf Navy Brown Blues sind vielschichtig, frisch, aufregend. HipHop-Klischees wie Händeklatschen und dumpfe Bässe werden gebrochen von freundlich-rohen Akustikgitarren und lustigen Elektroflimmereien. Dazu gesellt sich gelegentlich ein Fender Rhodes-Piano oder ein klapperndes Schlagzeug. Die Jacksons und Prince klingen durch, durchaus tanzbar, stellenweise kitschig. Die ausgezeichneten Gastsänger strahlen in den Refrains, Feist veredelt die erste Single Fighting Away The Tears zu einem klöternden Rührstück.

Wenn Mocky selbst das Mikrofon zur Hand nimmt, wird’s weniger schön. Seine Raps und Strophen sind kaugummiweich, zu eingängig, zu geölt. Er quatscht in jedem Lied – aber es ist ja auch seine Platte.

„Navy Brown Blues“ von Mocky ist als LP und CD erschienen bei Four Music.

Hören Sie hier Animal und In The Meantime

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Erfolg ohne Knarre an der Schläfe

Der Londoner Rapper Sway räumte schon vor der ersten Platte Preise ab. Seine Debüt-CD „This Is My Demo“ besticht durch das, was man im HipHop oft vermisst: Witz und Selbstironie.

Cover Sway

Nicht nur HipHop-Superstar 50 Cent war vergangenen Herbst verblüfft: Bei der Vergabe des britischen MOBO-Publikumspreises, der Auszeichnung für „Musik schwarzer Herkunft“ (Music of Black Origin), schnappte sich ein englischer Nobody den Titel „Bester HipHop-Künstler“.

Zu allem Überfluss machte Überraschungsgewinner Sway sich dann auch noch über das gerade bei amerikanischen Kollegen verbreitete Gangster-Gepose lustig: „Ich laufe nicht durch die Gegend und halte Leuten die Knarre an die Schläfe, also rappe ich auch nicht darüber, wie ich durch die Gegend laufe und Leuten die Knarre an die Schläfe halte“, sagt der 23-Jährige aus dem Nord-Londoner Stadtteil Hornsey. Sway, der mit bürgerlichem Namen Derek Safo heißt und dessen Eltern aus Ghana stammen, macht lieber Musik über sich und das Leben in London – Massaker sind da eher selten, im Gegensatz zu hoffnungslos überzogenen Kreditkarten.

Auf dem Weg zum Erfolg war Sway von Anfang an auf sich gestellt. Zwei kleine Alben veröffentlichte er, auf der Straße. Nachdem der schwarze BBC-Musiksender 1Xtra und Piratenstationen 2002 auf seine Songs stießen und begannen, sie zu spielen, produzierte Sway zwei Mix-CDs, This is My Promo, Volume 1 und 2, und verkaufte sie auf Konzerten und im Internet, vor Clubs und bei unabhängigen Plattenläden – angeblich über 10.000 Stück. Mit den Einnahmen finanzierte er dann Musikvideos, um bei MTV Base und anderen Fernsehsendern präsent zu sein.

Die Karriere Marke Eigenbau hat Sways Musik das Eigenwillige bewahrt. Die Debüt-CD This Is My Demo, wiederum ohne eine große Plattenfirma produziert, ist vor allem eines: Very British! Schon im Titelsong scherzt er über seine afrikanischen Wurzeln. Feine Selbstironie und Anspielungen auf das Alltagsgroßbritannien ziehen sich durch das ganze Album.

Er liefert locker seinen wortgewandten Hochgeschwindigkeitsrap, mixt ihn mit Reggae, Soul und Pop, ohne die Songs zu überladen. Die Rhythmen sind komplex, die Aussagen manchmal ungewöhnlich: In Hype Boys läster er über den im HipHop verbreiten Verbrecherkult („Everybody’s a bad boy now“), in Pretty Ugly Husband rappt er über häusliche Gewalt. In Download plädiert er gegen das kostenlose Herunterladen von Musik aus dem Internet, weil es nicht nur die großen, bösen Labels trifft, sondern auch unabhängige Rapper wie ihn.

Gegen Ende lässt die CD etwas nach, die Stücke werden etwas einförmig. Bis dahin rufen Mr. BritHop und seine speziellen Drehs weit mehr hervor als nur Tanzlaune.

„This Is My Demo“ von Sway ist als CD erschienen bei All City Music.

Hören Sie hier „Hype Boys“