Im Jahr 1965 hatte Charles Mingus mit seinem Oktett fleißig komponiert und Stücke – teilweise über das Telefon – einstudiert. Sie sollten beim Monterey-Jazzfestival erstmals aufgeführt werden. Doch Mingus wurde nicht eingeladen. Kurze Zeit später traten die Musiker trotzig im Auditorium der Universität von Kalifornien (UCLA) auf. Mingus ließ das Konzert mitschneiden und als Doppel-LP in einer Auflage von 200 Stück für den eigenen Versandhandel pressen. Die gingen schnell weg; danach war die Aufnahme nicht mehr erhältlich.
Nun gibt es das Konzert auf einer Doppel-CD, Charles Mingus At UCLA. Eigentlich war es kein Konzert, es war ein Workshop, eine Performance, ein Happening. Man erlebt Mingus in Aktion: seine Ansprachen ans Publikum, die spontanen Anfeuerungsrufe an die Band und seine witzigen Zurechtweisungen der Musiker. Nachdem die Band mehrmals falsch eingesetzt hat, schickt er vier Musiker hinter die Bühne und legt in Quartett-Besetzung eine wilde Hommage an die Gründerväter des Bebops hin, Ode to Bird and Dizzy, eine Ode an Charlie Parker und Dizzy Gillespie. Danach bittet er die vier Blechbläser – Jimmy Owens (Flügelhorn), Hobart Dotson (Trompete), Julius Watkins (Waldhorn) und Howard Johnson (Tuba) – zurück auf die Bühne.
Charles Mingus At UCLA vermittelt einen Eindruck sowohl von der Zerbrechlichkeit von Mingus’ abenteuerlichen Kompositionen als auch von der Kraft des Jazz und improvisierter Musik allgemein. Neben den vier Blechbläsern stehen der Trompeter Lonnie Hillyer, der Altsaxophonist Charles McPherson und der Schlagzeuger Dannie Richmond auf der Bühne, Mingus selbst spielt mal Klavier, mal Kontrabass. Diese eigentümlich blechlastige und etwas jazzfremde Besetzung lässt die Musik bei aller Schwere der Themen leicht schweben. In They Trespass The Land Of The Sacred Sioux beschwört Mingus das traurige Los der Sioux-Indianer, in Don’t Let It Happen Here zitiert er den NS-Widerstandskämpfer Pastor Martin Niemöller. Dazwischen gibt es, wie damals bei Mingus üblich, mit Muskrat Ramble einen kurzen Ausflug zu den Ursprüngen des Jazz, zum Dixieland.
Trotz der oft schlechten Aufnahmequalität und manch anstrengender Passage entfaltet das Album einen Zauber, schon beim Auftaktstück Meditation On Inner Peace. Mingus lässt seinen Bass wie ein Cello singen, während Tuba und Schlagzeug den ruhigen, gleichförmigen Takt vorgeben. Improvisation schiebt sich über Improvisation, bis zum großen chaotischen Finale.
„At UCLA“ von Charles Mingus ist erschienen bei Emarcy/Universal.
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