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Elegant entwendet

Die vier Musiker von Milburn sind noch jung, trotzdem klingt „Well Well Well“, als hätten sie jede Rockplatte der letzten 30 Jahre gehört. Hier leihen sie eine Melodie, dort klauen sie einen Rhythmus

Milburn - Well Well Well

Ganz einfach ist es nicht mehr, poppige Rockmusik mit Siebziger-Anleihen zu machen und dabei originell zu klingen. Auch Milburn machen nichts wirklich Neues. Aus ihren Stücken klingen abwechselnd Franz Ferdinand durch und die Strokes, Razorlight und Maximo Park. Und die Arctic Monkeys natürlich auch, denn die klangen ja selbst schon wie eine Mischung ihrer Vorgänger.

Aber Milburn machen das gut, sie kombinieren die Einflüsse unterhaltsam und schreiben feine Lieder. Das Meiste ist ziemlich elegant geklaut. Oder geliehen. Die Gitarren sind ruppig und meistens – Franz Ferdinand hatten das wieder kultiviert – Stereo aufgenommen. Im Kopfhörer kommt von jeder Seite eine andere Gitarrenmelodie, ein sehr schöner Effekt. Die Melodien sind mal abgeklärt wie bei den Strokes, mal euphorisch punkig. Die Rhythmen erinnern hier an The Clash – die Saiten auf die Zwei im Takt nur kurz angerissen – dort an das gelassene Spiel von Maximo Park.

Joe und Louis Carnall, Tom Rowley und Joe Green sind Milburn, die Vergleiche kümmern sie wenig. „Nur eine Frage ist uns wichtig: Ist es ein guter Song?“, sagt Sänger Joe Carnall. Eine Frage, die sich beim Durchhören ihres ersten Albums Well Well Well beinahe durchgängig mit Ja beantworten lässt. Die vier Musiker sind zwischen 18 und 20 Jahren alt und spielen seit fünf Jahren zusammen, sie kommen aus Sheffield. Ja, genau wie die Arctic Monkeys, mit denen sind sie auch befreundet, heißt es. Da droben im Norden spricht man ein drolliges Englisch. Something klingt wie summfinn, wrong wie rrrung, rough wie rrruff. Das U wird auch wie ein U ausgesprochen, und sie singen much von guns, fucking und fuss.

Aber was hat man mit kaum 20 zu erzählen? Milburn zumindest nicht zu viel von dem üblichen Liebes- und Herzschmerz-Tralala. Sondern zum Beispiel die belehrende Geschichte eines gestohlenen Mobiltelefons in What About Next Time?: „I try to say you’re doing wrong but you chose to ignore me.“ Was, wenn nächstes Mal etwas Schlimmes passiert? Ihre Beziehungsgeschichten stecken voller Sarkasmus, „Things get broken, things come clear / If you wanted to leave so much then why are you still here?“ (Cheshire Cat Smile). Hier und da spielen sie auf Klassiker an, in What You Could’ve Won zitieren sie Ignorance Is Bliss von den Ramones, „You kick me into touch and I fall / I fall to the floor / And all I wanted was a kiss / All I wanted was a chance tonight / But yeah your ignorance was bliss / Your ignorance was paradise“.

Ihre erste Single Send In The Boys handelt von einer Entführung, ein bisschen simpel, aber na ja. „He had her down in the cellar with a knife at her throat / he wouldn’t let her go oh no.“ Das Musikvideo zu dem Stück illustriert die Geschichte, ein gut geschminktes Mädchen sitzt in einem Keller, die Band musiziert in einem anderen, Polizisten jagen den Entführer und – wer hat’s geahnt? – verhaften am Ende die Musiker. Ach ja, die sehen natürlich die ganze Zeit sehr gut aus. Kurz nach der Veröffentlichung wurden sie gefragt, wie sie sich ihren Erfolg erklären: „In unserem Musikvideo kommen Pistolen vor“, guns, mit u.

Manchmal könnten sie ruhig ein bisschen mehr Humor vertragen. In Showroom besingen sie einen Menschen, der ihnen auf die Nerven geht: „And it makes me laugh, he’s trying so hard to pretend / Acting oh so original when he’s simply following the trends“, haha, Eigentor.

„Well Well Well“ von Milburn ist als CD erschienen bei Mercury/Universal

Hören Sie hier „Send In The Boys“

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Im Gedränge der Klänge

Isis aus Los Angeles lieben die Melodien, die Anspielungen und die Abwechslung. Leider wird auf „In the Absence Of Truth“ zu viel gebrüllt

Isis - Absence Of Truth

Ein paar Sekunden ist nichts zu hören, dann erhebt sich eine sanfte Harmonie. Ein Schlagzeug bollert hinein in düstere Flächen aus synthetischen Klängen. Hallbelegte Töne der elektrischen Gitarre tauchen auf, wie kleine Lichtblitze im Nebel. Das Schlagzeug wird hektisch, doch das scheint nur so.

Immer lauter grummelt der Bass aus dem Hintergrund nach vorne, der Synthesizernebel verdichtet sich. Minutenlang fügen Isis Schicht um Schicht hinzu, ein Brei entsteht. Im dichten Gedränge der Klänge kaum mehr wahrnehmbare Disharmonien schleichen sich ein, ganz so, als würde eine Explosion vorbereitet.

Wieder falsch. Nach einer Ewigkeit halten sie inne, entrümpeln das Stück. Der Takt wird gewechselt, die Tonart, die Stimmung. Aaron Turner singt langgezogene Worte in den frisch gewaschenen Klangteppich. Seine Stimme kommt von hinten, eine schöne Melodie. Die Harmonien erinnern an den Rock der siebziger Jahre und an Marillion und Porcupine Tree.

Später wird die Gitarre dann nachdrücklich, Aaron Turner singt sich hoch ins Hymnische. Der Bass grunzt Heavy-Metal-Muster. Plötzlich rutscht die Stimme anderthalb Oktaven ab und ist nur noch als kehliges Geschrei zu vernehmen. „Die!“ – Stirb! kann das nur heißen, was einem da entgegengebrüllt wird. Auch wenn man ihn die ganze Zeit eigentlich erwartet hat, so recht passen mag der plötzliche Ausbruch nicht in das kaum aggressive Wrist Of Kings.

So ähnlich ist es bei fast jedem Stück auf Isis‘ viertem Album In The Absence Of Truth. Die Musik ist eher sphärisch als hart, die Gitarren und der gedroschene Bass treten nur selten aus dem Klangnebel hervor. Die Stimme ist meist leise, das Schlagzeug trocken und hallfrei. Früher oder später packt es den Sänger dann aber, und er zerbrüllt die ansonsten so melodiösen Klanggebilde mit unverständlicher Lyrik. Zu schade!

Wenn man sich Mühe gibt, kann man es ignorieren. Man sollte es tun, denn die Stücke stecken voller Ideen und Referenzen. Not In Rivers, But In Drops macht Anleihen bei The Cures düsterem Album Pornography, der Bass scheppert böse. Da wirkt eine Kraft, die ohne stählerne Härte auskommt, die auch ohne Lautstärke funktioniert und ohne kreischende Instrumente, die in den Vordergrund drängen. Over Root And Thorn baut auf einem sich für achteinhalb Minuten stetig wiederholenden Gitarrenmuster auf, langsam, düster und melodiös. Aber nie langweilig. Und aus der Selbstversunkenheit von Holy Tears hört man Pink Floyd heraus.

Parallel zu In The Absence Of Truth erscheint ein Minialbum für die In The Fishtank-Serie des niederländischen Labels Konkurrent. Zu hören sind drei Stücke, die Isis gemeinsam mit der schottischen Band Aerogramme aufgenommen haben. Da wird nicht gebrüllt.

„In The Absence Of Truth“ von Isis ist als CD erschienen bei Ipecac und wird als Doppel-LP Ende Januar bei Robotic Empire erscheinen

Hören Sie hier „Dulcinea“

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Doktor Grübel und Mister Tanz

Mouse On Mars und Sid Le Rock machen elektronische Musik und wildern bei Rock und Techno. Auf ihren neuen Platten „Varcharz“ und „Keep It Simple, Stupid“ erforschen sie ganz verschiedene Bereiche des Genres, trotzdem gehören sie zusammen – wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Mouse On Mars - Varcharz

Tagsüber suchen mich Mouse On Mars heim. Seit einem Jahrzehnt leuchten sie mit hellen Scheinwerfern die dunklen Ecken der Elektronik aus. Diesmal stehen dort – hoppla – alte Rockgitarren neben den Rechnern.

Mouse On Mars kommen aus Düsseldorf und sind kompliziert: Für jede intellektuelle Spielerei sind sie zu haben, ihre Musik geht nie den direkten Weg, ihre Alben und Stücke tragen erklärungsbedürftige Namen. Ihr Klang ist greifbar und rhythmusorientiert, gleichzeitig durchzogen von Brüchen und Uneindeutigkeiten. Zum Nebenbeihören ist das nichts.

Der Albumtitel Varcharz, heißt es im Waschzettel zur Platte, bedeute „Wortschatz“. Ein Schelm, wer zuerst an „War-Charts“ dachte. Ähnlich mehrdeutig wirkt die Musik: Rhythmen kommen einem entgegen. Kaum schwingt man die Hüften im Takt, scheint alles zusammenzubrechen, von überallher kommen Dissonanzen, Brüche, Pausen, Klangflächen. Nur wer weitertanzt, merkt, dass der Takt nie ganz weg war.

Keine zehn Sekunden halten Mouse On Mars eine Idee durch. Man höre sich nur einmal das erste Stück des Albums an, Chartnok. Es beginnt mit Klängen von Kinderspielzeug, sofort fahren hektische Breakbeats dazwischen, Hämmer scheppern auf Eisen. Eben wundert man sich noch darüber, dass der Synthesizer mit lächerlich viel Hall belegt ist, da läuft plötzlich alles rückwärts. Ein gitarrenähnlicher Klang brazelt dazwischen und lässt Boxen und Rippenfelle erzittern. Oder Düül: Ist das ein quietschendes Bett, was den Rhythmus vorgibt? Billigste Synthesizerorgeln pinseln kitschige Klangfarben an eine Metallgitarrenwand. Denen ist wohl nichts peinlich. Fantastisch!

Sid Le Rock - Keep It Simple Stupid

Die Nacht dann gehört Sid Le Rock. Keep It Simple, Stupid ist sein zweites Album, und der Titel zeigt, wo es langgeht: geradeaus. Fast schon dreist in Richtung Club kalkuliert nehmen seine Klänge den kürzesten Weg von der Magengrube ins Tanzbein. Tiefe Basstöne geben hypnotische Rhythmen vor, auf die er poppige Melodien pflanzt.

Auch Sid Le Rock baut in seine Stücke harzige Gitarrenklänge ein. Sie klingen so künstlich und verzerrt, dass sie eigentlich echt sein müssen. Rock’n’Roll Parking Lot basiert auf einem blechernen Gitarrenmuster, das minutenlang durchgehalten wird. Trois Pistole drängt voran, als untermalte es eine stundenlange Verfolgungsfahrt entlang kalifornischer Strände. Sid Le Rock kann auch weniger laut und kreischig: Naked vibriert seelenvoll, im Hintergrund stöhnt einer „Baby, Baby, Baby, Baby, Baby, Baby, Baby …“, das karg instrumentierte Stück extrahiert die Essenz des Soul.

Die Mittel von Mouse On Mars und Sid Le Rock sind gar nicht so verschieden: tiefe Basstöne, verzerrte Gitarren, Hall und billige Elektroklänge. Aber im Herangehen unterscheiden sie sich deutlich: Wo Mouse On Mars noch nachdenken, ist Sid Le Rock längst am Ziel. Wo Sid Le Rock den Wohlklang sucht, haben Mouse On Mars ihn längst gefunden und sezieren ihn bereits. Wo Sid Le Rock den Bass pünktlich auf die Eins legt, halten Mouse On Mars einen halben Takt inne und behalten ihn dann doch für sich, erst mal. Wo Mouse On Mars synkopisch stottern und Breakbeats einstreuen, legt Sid Le Rock eine dezente Spur zu samtenem Soul und eine weniger dezente zu hemmungsloser Partylaune.

Will man einfach nur tanzen, ist Sid Le Rock eine gute Wahl. Wer dabei gerne nachdenkt und die Herausforderung sucht, ist mit Mouse On Mars gut beraten. Wer sich nicht gerne auf den Schwitzboden begibt, der wird Sid Le Rock hassen. Am besten hat man beide Platten.

„Varcharz“ von Mouse On Mars ist als CD erschienen bei Ipecac und als limitierte LP bei Sonig; „Keep It Simple, Stupid“ von Sid Le Rock ist als CD erschienen bei Ladomat 2000.

Hören Sie hier „Düül“ von Mouse On Mars und „Es scheppert wie Def Leppard“ von Sid Le Rock

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Passiert da noch was?

Die Early Day Miners machen ruhige, melancholische Gitarrenmusik. Ihr neues Album „Offshore“ besteht aus sechs Variationen eines Stückes. Das ist unterhaltsam,­ wenn man genau hinhört

Cover Early Day Miners

„Sag mal…“. Meine Freundin steht im Türrahmen und sieht mich wütend an. Dann schaut sie hinüber zum CD-Spieler, in dem sich Offshore dreht, das neue Album der Early Day Miners.
„Hat die CD einen Sprung?“
„Das soll so.“
„Aha.“

Sie schaut auf die Digitalanzeige, auf der inzwischen die vierte Minute des ersten Stücks, Land Of The Pale Saints, heruntertickt.
„Passiert da auch noch was?“
Das Schlagzeug hält stoisch den Rhythmus, der Bass grollt und zwei Gitarren schraddeln immergleiche Akkorde. Wie in einer Zeitschleife, neun Minuten lang.
„Nein, erst im nächsten Stück“, antworte ich zögernd.
Meine Freundin seufzt: „Oh, wie langweilig.“
Ist es nicht.

Die sechs Stücke des Albums sind Variationen eines älteren Liedes mit dem Namen Offshore. Jedes kreist um einen Aspekt des Ursprungsstücks, um ein Gitarrenriff, einen Rhythmus, eine Textzeile, einen Basslauf. Hier und da greift die Band Spielereien auf, die damals nicht hineinpassten. Das Album Offshore sei der „Director’s Cut“, die lange Version des alten Liedes, sagt Sänger und Schreiber Daniel Burto. Nahtlos sind die Stücke aneinander gefügt.

Shoegaze nennt man ihre Musik, weil die Musiker auf ihre Schuhe und die vielen Effektpedale starren und ansonsten dastehen, wie in den Boden gerammt. Ihre Musik hat andere Strukturen, als Pop- oder Rocksongs: keine Strophe, keinen Refrain, sondern zittrige Klangwände aus Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug.

Die vier amerikanischen Musiker schlafwandeln in ihren Melodien. Wer ihnen folgen will, muss geduldig sein. Dann entdeckt man, wie fein ihre Lieder perforiert sind, wie viele kleine Ideen in ihnen stecken. Hier vorne ein Fiepen, da hinten ein Vibraphon, um die Ecke lauert eine Rückkopplung, schließlich hört man nur noch das hypnotische Züngeln aus dem Synthesizer – ehe sie zu der Melodie zurückkehren, auf der alle Lieder des Albums basieren.

„Singt der auch mal?“, fragt meine Freundin, die neben ihren Klassenarbeitskorrekturen und Unterrichtsvorbereitungen weder Zeit noch Geduld findet für derartige musikalische Entdeckungsreisen. Immerhin hat sie sich nun hingesetzt.
„Ja“, sage ich. „Aber selten.“

Die meisten Stücke sind instrumental. Wenn Daniel Burton etwas singt, sind es meist lose Sätze, Versatzstücke aus dem alten Song. Wie in Deserter. Dringlich klingt es, wenn er „Everything you chase is empty without faith“ säuselt. In Return Of The Native überlässt er der Folksängerin Amy Webber den Gesang: „I’m losing you to your desires / In hotel rooms with ocean views“, heißt es dort, während das Lied zu einer psychedelischen Country-Nummer wird.

Meine Freundin steht auf. Eine halbe Stunde ist vergangen. Die letzten Töne sind gerade aus den Lautsprechern gedrungen.
„Ich wollte dir vorhin sagen, du sollst leiser machen.“
Pause.
„Aber irgendwie habe ich es vergessen.“

„Offshore“ von den Early Day Miners ist als LP und CD erschienen bei Secretly Canadian

Hören Sie hier „Deserter“

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Züge rumpeln durchs Zimmer

Über die Jahre (14): „Tago Mago“ zeigt die Krautrockband Can 1971 auf ihrem Höhepunkt. Der Weitblick dieser Platte ist fünfunddreißig Jahre nach ihrer Veröffentlichung erstaunlich

Cover Can

Wenige große Erfinder im Jazz und im Rock’n’Roll kamen in den Siebziger Jahren aus Deutschland. Sonst kulturell gerne vorneweg, entwickelte sich hierzulande wenig an Jugendkultur, Typen wie Peter Kraus waren Klone amerikanischer und britischer Vorbilder. Das mag an der Verstörung und kulturellen Orientierungslosigkeit liegen, die dem Zweiten Weltkrieg folgte.

Eine Ausnahme war der Krautrock. Mit ihm entstand eine dem Jazz und Rock’n’Roll zwar verwandte, aber doch unabhängige Ästhetik. Bands aus Deutschland fanden im Krautrock eine eigene Sprache. Die Improvisationslust des Jazz und die Durchschlagskraft des Rock verbanden sie mit elektronischen Klangexperimenten, die Stücke – oft Sessions genannt – wurden länger und länger. Die Psychedelik folgte dem Hippietum.

Als einflussreichste Krautrockband gelten Can. Was sie von anderen Krautrockgruppen abhob, war die Qualität ihrer Komposition und das Zusammenspiel sehr unterschiedlicher Charaktere. Ihren guten Ruf verdanken sie nicht zuletzt dem Album Tago Mago von 1971. Präzise wie ein Uhrwerk treibt Jaki Liebezeit die Platte mit hypnotischer Repetition an, er ist die Rolex unter den Schlagzeugern. Holger Czukay führt mit seinem Bass sowohl den Rhythmus als auch die Melodie. Die Rhythmusarbeit auf dieser Platte nimmt viele Aspekte moderner Tanzmusik vorweg.

Gitarrist Michael Karoli und Irmin Schmidt am elektrischen Piano fügen sich in das Klangbild. Wenn sie doch einmal ein Solo spielen, dann ist es auf den Punkt. Erstmalig an den Aufnahmen beteiligt ist der japanische Sänger Damo Suzuki. Czukay und Liebezeit hatten ihn entdeckt, als er in München auf der Straße musizierte. Seine Stimme ist die perfekte Ergänzung zu den Klang- und Rhythmuskaskaden der Band.

Seite 3 des Doppelalbums, das Stück Aumgn, kann man getrost vergessen. Hier wird die Band zu sehr von ihrer Begeisterung für die Technik getrieben. Die Musik verliert sich in Hallschwaden, ohne dass sich ein Zauber einstellte.

Sei’s drum. Stücke wie das achtzehnminütige Halleluwah und Paperhouse rumpeln wie Züge durchs Zimmer und zeigen, wie sich Improvisation mit Komposition und der Detailverliebtheit des Studioschnitts verbinden lassen. Der Weitblick dieser Platte ist fünfunddreißig Jahre nach ihrer Veröffentlichung erstaunlich. Bereits das Cover ist sagenhaft. Tago Mago zeigt Can auf ihrem Höhepunkt.

„Tago Mago“ von Can ist erhältlich bei Spoon Records

Hören Sie hier „Paperhouse“

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(13) Nico: „Chelsea Girl“ (1968)
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(9) Depeche Mode: „Violator“ (1990)
(8) Stevie Wonder: „Music Of My Mind“ (1972)
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(6) Cpt. Kirk &.: „Reformhölle“ (1992)
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(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
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Sägewerkpunks im Bibelgürtel

Huch, was ist das? Trompeten und Posaunen? Cursive haben das Cello in den Schrank gestellt und mischen auf „Happy Hollow“ Blechbläser in ihre verschrobene Gitarrenmusik. Ein wenig abenteuerlich klingt das schon

Cover Cursive

Ein Holzfällerhemd, Dreitagebart, nachlässig geschnittenes Haar, ein gewitztes Grinsen. Tim Kasher ist kein Hochglanzrocker, eher Sägewerkpunk. Seit zehn Jahren erfreut er mit seiner Band Cursive aus dem US-Bundesstaat Nebraska Liebhaber trauriger, dissonanter Lieder. Ein introspektives, zynisches Konzeptalbum widmete er der Misere seiner Scheidung. Auf der letzten Platte The Ugly Organ verarbeitete er die Probleme, die die Bekanntheit als Popstar mit sich bringt.

Von Tim Kashers Selbstkasteiungen ist auf Cursives neuem Album Happy Hollow nichts zu hören. Seine Texte nehmen sich dieses Mal die ländliche Tristesse des Bibelgürtels vor, die Staaten von Nebraska bis Virginia. Im ersten Stück Opening the Hymnal heißt es nun: „Welcome one and welcome all to our small town“. Sie unternehmen einen Rundgang durch diese amerikanische Kleinstadt, führen uns in Hinterhöfe, Schlafzimmer, Fabriken und Kirchen, zeigen uns die zerbrochenen Träume der Einwohner. Die von Dorothy zum Beispiel, die darauf wartet, dass ein Wirbelsturm ihr Haus einfach davonträgt in die Smaragdstadt, in der alles besser wird – ähnlich wie in dem Buch Der Zauberer von Oz.

Das Landleben Amerikas wird nicht glorifiziert, nicht die endlosen Weiten der Felder, der klare Sternenhimmel und der alte rote Pick-Up romantisch verklärt. Cursive erzählen von der Hoffnungslosigkeit, der religiösen Bigotterie und anderen Schrecken, die sich jenseits der Millionenstädte finden. Das verpacken sie in verschrobenen Rock. Aus den Gitarren brechen windschiefe Töne hervor. Laut und ungehalten, treibend und dissonant, umtanzen sie Tim Kashers gepressten, labilen Gesang.

Ein bestimmendes Element der letzten Alben fehlt, das Cello. Es verlieh den Liedern Eindringlichkeit. Ein großer Verlust. Doch was klingt da zwischendrin? Das sind Blechbläser! Ein Ensemble aus Saxofon, Trompete und Posaune schnarrt und quietscht wie ein manischer Spielmannszug. Die Einsätze sind rhythmisch und perkussiv und fahren Weckrufen gleich durch die Holzhäuschen von Happy Hollow, die sich auf der Albumhülle in Sepia ducken zwischen dörrendem Gestrüpp. Ehe Kasher allen Einwohnern „This City is killing us“ in die Gesichter brüllt. Die Kombination aus verzerrten Gitarren und Blechgebläse klingt bisweilen ein wenig abenteuerlich, stellenweise sogar anstrengend.

Was im Vergleich zu früheren Aufnahmen auch fehlt, ist das Dräuende, Mystische – das, was Cursive auf The Ugly Organ auszeichnete. Das liegt an der zuweilen fahrigen Struktur der Lieder. Hier klingt ein wenig rauchiger Stampfblues durch, wie in Dorothy Dreams Of Tornados, dort Gospel in Retreat!, aber selten zeigt sich die schroffe Gitarrenmusik, die so orchestral und schaurig klingen kann. Musik, die irgendwo eine leiernde Drehorgel hervorzauberte und trotzdem nicht überladen oder aufgesetzt klang.

Auf Happy Hollow lassen sich ab und zu auch noch Spuren dieser Brillanz finden. Man muss nur genau hinhören.

„Happy Hollow“ von Cursive ist als LP und CD erschienen bei Saddle Creek

Hören Sie hier „Dorothy At Forty“

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Und dann ein tabuloses Gitarrensolo

Sport beherrschen viele Disziplinen. Auf ihrem zweiten Album „Aufstieg und Fall der Gruppe Sport“ überfliegen die Hamburger den Trümmerhaufen der Rockmusik

Cover Sport

Gerade mal zwei Alben in zehn Jahren Bandgeschichte. Da liegt der Verdacht nahe, das Metier der Gruppe Sport sei die Gemütlichkeit. Ein paar große Worte korrigieren diesen Eindruck schon im Eröffnungsstück: „Wir bauen Dinge, die noch niemand kennt. Kein Umbau, das hier geht ans Fundament. Und wenn es klappt, die Schwerkraft aufzuheben, wird Isaac Newton sich im Grab umdrehen.“ Den absoluten Anspruch flankiert eine Ladung tonnenschwerer Gitarrenriffs. Es scheint, als hätten Sport die Zeit genutzt, um Kraft zu sammeln. Jedenfalls besitzen sie davon jede Menge.

Das Trio pflegt einen liebevollen Umgang mit dem Trümmerhaufen des Grunge, dieses zotteligen Zombies der frühen neunziger Jahre. Während uns ausschließlich die entsetzlichen Frisuren der damaligen Protagonisten im Gedächtnis blieben, haben sich Sport der musikalischen Innovation von Bands wie Soundgarden erinnert. Doch die Schönheit des Strähnigen ist nur eine der Fährten, die dieses Album legt. Es versammelt zehn Lehrstücke darüber, was sich alles mit einem Lied anstellen lässt – textlich, musikalisch und in der Wechselwirkung beider Sphären.

An der Grenze zum Hörspiel bewegt sich etwa das Stück Wie Ameisen: Eine erfolglose Vorband muss erleben, wie erst die Hauptband das Publikum in Raserei versetzt. Der Stadionsprecher kündigt „the fantastic Gruppe Sport“ an, dann erklingt ein tabuloses Gitarrensolo, und Sänger Felix Müller mimt den überspannten Glamrocker. An anderer Stelle werden Flugkörper mit musikalischen Morsezeichen kontaktiert („S-P-O-R-T“). Man hört das Gas im Heißluftballon und das Klatschen der Hände, die sich von ihren Zwängen befreien. Dass Klangmalerei derart mitreißen kann, mag naturwissenschaftlich irrelevant sein – künstlerisch haben Sport hier ein ganz neues Ding gebaut.

Aufstieg und Fall der Gruppe Sport handelt von der Ambivalenz des Höhenrausches und vom Versprechen der Ebene. Es ist hübsch mit anzuhören, wie sich im melancholischen Sinkflug die klarsten Gedanken einstellen: „All die Bilder, all die Filme, all die Melodien, die uns andere Räume bilden – bloß Momente, die uns blasengleich umhüllen in der Nacht.“ Dazu schalten auch die Klänge einen Gang runter, kreisen eine Weile, sammeln sich neu. Sport beherrschen viele Disziplinen.

„Aufstieg und Fall der Gruppe Sport“ von Sport ist als CD und LP erschienen bei Strange Ways

Hören Sie hier „Die Hände“

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The Low Frequency In Stereo: „The Last Temptation Of… Volume 1“ (Rec90/Cargo 2006)

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Einfach Ideal

Über die Jahre (11): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: „Keine gute Frau“, das packende Debüt des Berliner Duos Sender Freie Rakete. Intelligente Texte, eine wahnsinnige Stimme und eingängige Melodien. Was kann man mehr erwarten?

Cover Sender Freie Rakete

Selten hat mich Musik so gepackt wie diese: Mitten im Berliner Spätfrühling erwischten mich Sender Freie Rakete, ein Duo aus der Spreestadt. So wie Musik heutzutage den Musikschreiber erwischt: ein Hinweis hier, ein Reinhören da. Täglich stochert man im digitalen Brei zwischen MySpace, PureVolume, Radioblogclub und BeSonic. Immer auf der Suche nach den Trüffeln, die einem die Werbe-Maschinerie der großen Plattenfirmen nicht präsentieren kann – weil sie die Künstler nicht unter Vertrag hat. Ich stolperte über das Lied Uncool, und war sofort gefangen. Keine Gute Frau musste her, ein Minialbum mit sechs Stücken, die damals noch einzige Veröffentlichung aus dem Jahr 2005.

Emma Berit Ott und Stefan Machalitzky sind die beiden Raketenmusiker. Sie singen auf Deutsch. Sie stellen viele Fragen – und geben gleich noch Antworten, ohne dabei in den Irrgarten der Banalitäten abzugleiten. „Ist es normal“, fragt die Sängerin, „dass ich alle Bands viel besser fand, als sie noch arm und unbekannter waren?“ Aufgrund des gewaltigen Drucks in ihrer Stimme wird sie oft mit Ideal-Sängerin Annette Humpe verglichen. Glatt und rau zugleich ist sie, rotzig frech und doch einfühlsam. Derweil flitzen Machalitzkys Finger gekonnt die Saiten hinauf und hinunter, spielen eingängige Linien, einfach, aber nie anspruchslos. Jedes Lied hinterlässt tiefe Spuren in meinen Gehörwindungen.

Vorbei sind offenbar die Zeiten, in denen der Wortschatz deutschsprachiger Rockbarden nicht größer sein durfte als der seiner Hörer. Die Texte von Emma Berit Ott sind gut und intelligent. Sie sind ironisch, die Doppeldeutigkeiten sind an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. „Meine voll emanzipierte Mutter denkt, ich spinne – weil sie merkt, ich will anders als sie sein.“

Sie verstehen sich auch auf die ruhigen Stücke. Bestes Beispiel: Wir sind drüber. Leise, einfühlsam – und doch nicht einfach nur ein Liebeslied. Sondern ein Stück über das Ende einer Beziehung. Immer wieder thematisieren sie die spannungsgeladenen Nebenwirkungen des Alltags. Dabei klingen sie wie eine zeitgemäße, rockige und zugleich intelligente Ausgabe von Ideal.

Solche Werke sind selten. Und noch seltener knüpfen Künstler nahtlos an diese an. Das 2006 erschienene zweite Minialbum Nadine ist leider Opfer dieser Regel.

„Keine gute Frau“ von Sender Freie Rakete ist im Eigenverlag veröffentlicht worden, es ist über die Website der Band und bei Finetunes erhältlich

Hören Sie hier „Uncool“

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Unentspannte Musik für unentspannte Typen

Über die Jahre (6): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: Das 1992 erschienene Album „Reformhölle“ der Hamburger Band Cpt. Kirk &., ein stilbildender Koloss voll schlecht gelaunter Lyrik und musikalischem Sturm und Drang

Cover Cpt. Kirk &

Ich bin Musiker. Die Reformhölle von Cpt. Kirk &. ist meine Lieblingsplatte. Keineswegs aber lege ich sie in besonders schönen Momenten auf, noch schwelge ich beim Hören in angenehmer Erinnerung. Für mich verbindet sich die Reformhölle weder mit der ersten Liebe noch mit einem schönen Urlaub oder sonst einer verklärten Episode. Sie war immer nur ein geliebter Feind. Alle paar Jahre habe ich sie zögernd aus dem Regal gezogen, den Kopfhörer aufgesetzt – und hätte sie 38 Minuten später am liebsten gegen die Wand gefeuert. Wieder einmal war ich der Reformhölle in meiner eigenen Musik nur hinterher gelaufen. Übrigens befinde ich mich in guter Gesellschaft: Manch unentspannter Musiker teilt meine Verzweiflung, und selbst Cpt. Kirk &. sind im mächtigen Schatten ihrer zweiten Platte weitgehend verstummt. Was das Album so unerreichbar macht? Weiß ich nicht, lass mich in Ruhe.

Vermutlich liegt das Geheimnis in Tobias Levins Gesang der flüssigen Nuancen. Gerade noch hat er in schmeichelndem Sing-Sang die falsche Sehnsucht nach behüteten Orten beschrieben, „wo Sonne und Mond scheint und wo Sonne den Mond nicht vertreibt“. Einen Moment später kippt die zerbrechliche Litanei mühelos in eine verbale Großattacke: „Schau, in allem was sich ändert, hat ein Kaufmann investiert.“ Levins hohe Stimme nimmt den Wechsel im Gleitflug, sie verwischt die Struktur und dehnt die Metren. Dazu spielt der Bass weite Bögen, und das Schlagzeug treibt sein eigenes, entfesseltes Spiel. Alles fließt.

Textlich gesehen ist Reformhölle poetisch verklausulierte Politik. Die Deutsche Einheit war erst wenige Jahre alt, und Levin schimpft auf neuen Nationalismus, auf Pseudofreiheit und die Selbstherrlichkeit des Kapitals: „Ohne Geld trifft hier die leergebeutete Welt auf reiches Gewissen“, heißt es in Kommt Alle Zugleich Nach D. Doch konkrete Beschwerden bilden die Ausnahme. Stattdessen hagelt es Zitate, Wortverdrehungen und kryptische Stabreime, die sich verquast lesen, doch begleitet von seiner Band ungeheuer elegant klingen.

Die Stücke bersten vor Dringlichkeit. Sie sind überschäumender Undergroundrock, wie er nur von empfindsamen 20ern gespielt werden kann – aber mit reichem historischen Hintergrund: Vom Jazz ist die emanzipierte Rhythmusgruppe entliehen, im Gesang tauchen HipHop-Phrasierungen auf, manche Klavierpassage erinnert an die Minimal Music, dazu rauscht ein romantisches Melodienmeer. Dass die Musik in ihren tausend Details alle Rahmen sprengt, deutet schon das sechsfache Wechselcover an. Nichtsdestotrotz hat das kollektive Popgedächtnis diese Platte in den trüben Topf „Hamburger Schule“ geschmissen.

Tobias Levin hat in früher Blüte sein musikalisches Vermächtnis abgelegt. Bald darauf wechselte er die Seiten und produziert heute Bands im Hamburger Electric Avenue Studio – darunter manch eine, die seinem Meisterwerk weit hinterhertrabt.

„Reformhölle“ von Cpt. Kirk &. ist als LP und CD erhältlich bei What’s So Funny About

Hören Sie hier „Hotel Ruhe“

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Gemüse zum Mitschnippen

Über die Jahre (4): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: Das zweite Album der Mothers Of Invention. „Absolutely Free“ ist ein wilder Ritt voller Spott und Nonsens, Collagen und krächzenden Klängen. Typisch Frank Zappa eben

Cover Freak Out

Freak Out, das erste Album von Frank Zappas Mothers Of Invention öffnete 1966 viele Ohren. Die Nachfolgerin Absolutely Free dann füllte ein Zeug in den Schädel, das bis heute vorhält. Die Platte mit der ätzenden Schwarzweißhülle enthielt bereits vieles von dem, was später Frank Zappas Gesamtwerk ausmachen sollte: Gesellschaftskritik ebenso wie Spaß am Nonsens, außerdem ein Amalgam aus Rock’n Roll, R&B, Jazz, Doo-Wop-Sounds, Barmusik, zeitgenössischer E-Musik, seltsam transponierenden Gitarrensoli und polyphonen Stimmexperimenten.

Die damalige Besetzung erlaubte es, diese Multivalenz auszuspielen: Don Preston beispielsweise experimentierte atemberaubend mit dem Moog-Synthesizer. Die anderen Mothers auf Absolutely Free waren überwiegend wilde Kerle wie der Freejazzer Bunk Gardner oder der krächzende Bluesmann Jimmy Carl Black am Schlagzeug. Richtig gute Schlagzeuger, für die Zappa einen feinen Sinn hatte, sollten erst später zur Band stoßen. Nur wenige Musiker, die mit Zappa zusammenarbeiteten, leisteten auch danach noch Bedeutendes. Preston wurde zu einem bedeutenden Musikprogrammierer, der spätere Gitarrist Warren Cucurullo hatte mit Duran Duran Erfolg und der artistische Steve Vai, bei Zappa fungierte er in den Achzigern als stunt guitar, hatte solo Erfolg.

„Ladies & Gennelmen … the President of the United States!“ – so beginnt die LP, auf der es viel um Essbares geht, um Käse, Pflaumen und Gemüse, bis dann Call any Vegetable anhebt, wieder eine Collage, teil- und fieserweise zum Mitschnippen. Sie endet mit treffsicherem Musikspott auf die Beatles, später sollten Dylan, Sting und Johnny Cash drankommen. Die Collage Plastic People regte eine tschechische Band aus dem Umfeld von Václav Havel zur Namensgebung an: die Plastic People Of The Universe, deren Verhaftung im Jahre 1977 die Charta 77 nach sich zog.

Auf der Platte ertönt auch eine sich rapide beschleunigende Kurzmelodie, die ich seit dem ersten Hören immer wieder vor mich hinpfiff, nichtsahnend. Bis ich eines Tages in eine Radiosendung mit sinfonischer Musik hineinhörte – und da war die Melodie, mit Bläsergeschmetter, wenn auch ohne Zentrifuge: Gustav Holst, das Jupitermotiv aus den Planeten. So ging es mir immer mit Zappa: Viele Facetten seiner Sachen zeigten sich erst Jahre nach der ersten Begegnung. Etwa Brown Shoes Don’t Make It, die fiese Hymne auf doofe geile Teenager, in der es an einer Stelle sehr schwarzmusikalisch im Ethnoslang heißt: „Be a joik and go t’woik“, viermal hintereinander.

Nicht ein Jahr später folgte dann die ganz große Detonation: We’re Only In It For The Money, die mit der persiflierten Sgt.-Pepper-Hülle und den legendären Zeilen: „What’s the ugliest part of your body? Some say your nose, some say your toes. But I think it’s your mind, I think it’s your mind, woo woo.“

„Absolutely Free“ von den Mothers Of Invention ist als CD erhältlich bei Ryko

Hören Sie hier „Call Any Vegetable“

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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