Einer Rollstuhlfahrerin helfen, eine öffentliche, behindertengerechte Toilette aufzusuchen – kein Problem? Von wegen. Unser Alltag würdigt einzelne immer noch herab.
„Mit dem Unsichtbarmachen von Individualität und Vielfalt, mit der Repression von Differenzen, mit dem Erfinden von Normen und Codes, die manche ein- und andere ausschließen, beginnen jene Mechanismen von Exklusion, die aus manchen Menschen weniger wertvolle, weniger schutzwürdige Menschen machen“, sagt Friedenspreisträgerin Carolin Emcke. Neulich war’s eine Erfahrung unbedingter Singularität, die mich fürchten und ehrfürchtig werden ließ: der Besuch einer öffentlichen Behindertentoilette. Wer einen körperlich eingeschränkten Menschen pflegt, kennt diese Situation allzu gut und empfindet meine Schilderungen hoffentlich nicht als Zumutung, denn naiv sind sie allemal. Weiter„Die Verletzung beginnt schon an der Toilettentür“
Nach den Anschlägen von Nizza ist klar: Ein sicheres Europa ist Vergangenheit. Polizei- oder Militärpräsenz ändern daran nichts. Was wir ändern müssen, ist unser Denken.
Eigentlich wollte ich einen Text über Brüssel schreiben und wie es sich so anfühlt in Brüssel zu sein, nachdem Brüssel passiert ist. Ich schrieb also diesen Text. Ich schrieb von meiner Ankunft am Flughafen. Ich schrieb vom Militär und der nicht mehr existierenden Empfangshalle. Breit gebaute, schwer bewaffnete Soldaten standen dort, anstelle der mit Luftballons und Namensschildern ausgestatteten Wartenden. Keine aufgeregten und fröhlichen Gesichter, nur grimmige Minen. Ich schrieb von den Panzern, die vor den Flughäfen und Bahnhöfen in Belgien stehen. Davon, dass an jeder noch so unwichtigen Ecke plötzliche eine Gruppe mit Soldaten auftaucht, man aber nie weiß, was sie dort eigentlich verhindern sollen. Weiter„Mit der Unsicherheit leben“
Noch immer ist geschlechtliche Diversität keine Selbstverständlichkeit. ‚Homosexuelles Schreiben‘ bleibt deshalb ein politischer Akt. Ein Vorbild dafür: Pasolini
Nicht erst seit dem Attentat von Orlando wissen wir, dass die Diversität der Gegenwart längst nicht so selbstverständlich wahr- und angenommen wird, wie wir das gern hätten. In Russland werden Gesetze gegen „homosexuelle Propaganda“ erlassen, in Belgrad wird der CSD Jahr für Jahr gewalttätig attackiert. Das traditionell katholische Spanien hingegen ermöglicht seit 2005 (als weltweit drittes Land) homosexuellen Paaren Ehe und Adoption. Während Irland nach einem Volksentscheid 2015 die Ehe für Schwule und Lesben geöffnet hat, lehnte die slowenische Bevölkerung im selben Jahr in einem Referendum das von der eigenen Regierung initiierte neue liberale Eherecht ab. Welche Rolle kann Literatur in diesen gesellschaftlichen Zusammenhängen spielen? Kann es ihre Aufgabe sein, in Debatten und Identitätspolitiken einzugreifen? Gibt es womöglich gar einen eigenen homosexuellen Stil? Das Festival „Empfindlichkeiten“ im Literarischen Colloquium Berlin widmet sich von heute bis Samstag den verschiedenen Facetten im Zusammenspiel von Homosexualitäten und Literatur. Ein Statement aus der literarischen Werkstatt von Gunther Geltinger veröffentlichen wir an dieser Stelle vorab.
Keine Sinnfragen stellen, lieber an der Ertüchtigung arbeiten. Laufbänder und Gewichte stehen rund um die Uhr bereit. Statt in Kirchen büßen wir heute in Fitness-Studios.
Unter Putin gelangt Stalin zu immer neuen Ehren. Vorbehaltlos wird er sogar im Museum gefeiert. Warum verschreibt das heutige Russland sich wieder diesem Mann?
Im Dezember 2015 eröffnete im russischen Pensa ein Stalinzentrum. Das Zentrum sollte, so die frappierende Erklärung der Gründer, „Praktiken aus der Stalinzeit popularisieren und aktualisieren, die heute noch aktuell sind“. Bereits im September 2015 wurde in der Siedlung Schelanger (Republik Mari El) ein überlebensgroßes Stalinstandbild enthüllt. Russische Kommunisten erklärten, das Interesse an der Person des ambivalenten Herrschers habe seit dem Rückgang der Industrieproduktion und der Verhängung der westlichen Sanktionen zugenommen. Weiter„Er nun wieder“
In Zeiten von Orbán hört man viel Besorgniserregendes aus Ungarn. Unser Autor hat auf seinem Spaziergang durch Budapest dennoch Schönes und Erstaunliches entdeckt.
Mit meinem Kollegen David Wagner war ich für Lesungen und Gesprächsrunden nach Budapest eingeladen. Anlass war die Übersetzung unseres gemeinsamen Buchs Drüben und drüben – zwei deutsche Kindheiten, in dem wir von unseren einerseits so unterschiedlichen, andererseits aber auch wieder erstaunlich ähnlichen Kindheiten in den 1970ern und 1980ern in Andernach bei Bonn und in Ost-Berlin erzählen. Es war für mich ein bisschen überraschend, dass dieses Buch als Erstes ausgerechnet ins Ungarische übersetzt wurde, aber es passt natürlich gut, denn wir erzählen vom Alltag der deutschen Teilung und aus Ungarn kamen entscheidende Impulse für den Fall des Eisernen Vorhangs. Weiter„Das Denkmal für den alleinerziehenden Vater“
Nur die Siesta kann den Kontinent vor der grassierenden aggressiven Vertrottelung bewahren. Spanien soll sich zu diesem segensreichen Kulturgut bekennen, anstatt sich dafür zu schämen.
Haben Sie es auch gehört? Überall wird gerade das Ende der Siesta ausgerufen; Schockschwerenot! Verursacher der Hiobsbotschaft war Mariano Rajoy, auch das Stück Holz genannt, Spaniens amtierender Ministerpräsident und Vorsitzender einer zutiefst korrupten Partei. Rajoy hat … doch bleiben wir noch kurz bei seiner korrupten Partei. Der ist es soeben gelungen, bei den wegen Nichtzustandekommens einer Regierung wiederholten spanischen Parlamentswahlen abermals stärkste Kraft zu werden. Weiter„Mehr Siesta wagen!“
Es scheint, als hätten die Deutschen ein größeres Interesse am Brexit als die Briten selbst. Ist dieses Referendum mehr als ein Ja oder Nein zu Gurken- und Glühbirnenverordnungen?
Nahe der Tate Gallery werden am Sonntag Plakate und Sticker verteilt: I’M IN. Die Kampagnen für und gegen den Brexit, die nach dem Mord an der Parlamentarierin Jo Cox vorübergehend ausgesetzt worden waren, haben zumindest partiell wieder begonnen. Eine ganz Schar junger Leute läuft mit den Aufklebern auf ihren Kleidern durch die Museumsräume, es wirkt wie ein Bekenntnis zu Cox, die sich klar zur EU bekannt hatte und vermutlich genau deshalb Ziel des Attentats geworden war. Weiter„Brits don’t quit“
Was die enthemmte, volksverdummende Brexit-Rhetorik angerichtet hat, macht viele Briten fassungslos. Auch wenn der Mörder von Jo Cox psychisch gestört ist, bleibt seine Tat politisch.
Als ich am Donnerstagabend von Jo Cox‘ Tod hörte und erfuhr, dass sie einen Mann und zwei Kinder hinterlässt, musste ich an das Buch Trauer ist ein Ding mit Federn von Max Porter denken. Es schildert, wie ein Mann und seine beiden Söhne nach dem überraschenden Tod der Mutter trauern und versuchen, mit der neuen Lage zurechtzukommen. Ihre Leben sind auf immer verändert. Eine Krähe, rau, schwarz, brutal, Aasfresser, Allesfresser, riesig, zieht bei ihnen ein.
Porters Roman sagt radikale Taten gegen Andersdenkende (Politiker, weiblich) nicht voraus. Er hat mit dem Fall von Jo Cox nichts zu tun. Doch Trauer fühlte ich, wie mir angesichts der brutalen Tat in Birstall deutlich wurde, bereits seit Wochen. Weiter„Gegen den Brexit hilft nur Aufklärung“
Auch wenn man es für ein Klischee hält: Island ist einfach magisch. Grund dafür sind aber nicht die vielbeschworenen Trolle und Elfen. Das Geheimnis steckt woanders.
Ich glaube nicht an Trolle und nicht an Elfen. Es ist wichtig, das an dieser Stelle festzustellen, weil es so viele gab, die mir einen Glaubenswandel prophezeit haben: Wenn du aus Island zurück kommst, wirst du an Trolle und Elfen glauben, dieses Land wird dich verändern, und manche fügten hinzu: „du sowieso, du mit deiner Fantasie“, weil das irgendwie passt: Elfen und Trolle und Schriftsteller. Vielleicht war ich auch deshalb so fest entschlossen: Auf gar keinen Fall an Elfen und Trolle zu glauben, wenn ich zurückkehre von meinem sechswöchigen Aufenthalt in diesem Land als writer in residence. Noch so ein erbärmliches Klischee: Eine Schriftstellerin, die verzweifelt versucht, keinem Klischee über Schriftsteller zu entsprechen. Weiter„Einfach sagenhaft eben“