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Zerstören können wir uns nur selbst

Der Terror wollte die Stadt ins Herz treffen. Geht man heute durch Paris, spürt man aber eines: den Willen, sich das eigene Lebensgefühl nicht nehmen zu lassen.

© Bertrand Guay/Getty Images
© Bertrand Guay/Getty Images

Paris und Umgebung im Frühjahr: Das dritte Jahr in Folge darf ich es nun erleben, für jeweils zehn Tage, der Anlass sind Schreibworkshops im Deutschunterricht an hiesigen Schulen. Es handelt sich also um Reisen von der Art, die mir am liebsten ist – weil ich nicht nur als Tourist unterwegs bin, sondern mir einbilden kann, zumindest für die kurze Dauer fast ein Teil des normalen Lebens hier zu sein. Ich fahre an die collèges und lycées, mit Metro und RER wie ein Berufspendler, bei schönem Wetter auch mit einem Vélib’-Fahrrad; ich bin in den Klassen und unterrichte; eine Freundin überlässt mir, solange ich hier bin, ihre winzige Wohnung im 20. Arrondissement. In der Stadt, in der die Ausflugsschiffe auf der Seine schon heute Catherine Deneuve heißen. Weiter„Zerstören können wir uns nur selbst“

 

Die Elefantenrutsche, die große Gebärerin

Auf Spielplätzen lässt sich so gut wie alles über das Leben lernen: Wer ohne Angst rutscht, hatte eine einfache Geburt. Und Hangelbögen? Verschaffen Erlösung.

© Jochen Schmidt
© Jochen Schmidt

Habe ich früher auf Reisen Bildungslücken schließen wollen oder Lebensmittel essen, die man bei uns nicht kannte, so interessieren mich inzwischen immer mehr die örtlichen Spielplätze, wobei ich hier in Osteuropa aufregendere Entdeckungen mache, da dort vieles noch erhalten ist, was bei uns nicht mehr der Norm entsprechen würde. Weiter„Die Elefantenrutsche, die große Gebärerin“

 

„Die blauen Meereswellen allein, das genügt oft nicht“

Was hat die Serie Captain Future, mit der eine ganze Generation in eine hoffnungssatte Zukunft flog, mit deutschem Schlager gemeinsam? Den Komponisten Christian Bruhn.

  © Peter Kneffel/dpa

© Peter Kneffel/dpa

Mit dem Beginn der großen Ferien änderte sich mein Leben im Oberpfälzer Oberviechtach jedes Jahr aufs Neue von heute auf morgen komplett. Plötzlich hatten die Tage ihre Taktung verloren. Die Uhrzeiten, auf die ich sonst genauestens achtete (spätestens um sieben aufgestanden sein!, spätestens um zehn vor acht im Klassenzimmer sein!, spätestens um neun im Bett sein!, und so weiter), besaßen mit einem Mal keinerlei Bedeutung mehr. Stattdessen schob sich nach und nach eine andere Ordnung in den Vordergrund, wurden Wörter wichtig, die mir im restlichen Jahr ziemlich egal waren, „Einkaufen“ und „Kochen“ beispielsweise; damit verknüpft: „Metzgerei“. Weiter„„Die blauen Meereswellen allein, das genügt oft nicht““

 

Das Vertrauen verteidigen

Der Glaube daran, dass andere Menschen uns freundlich gesinnt sind, ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Was tut man, wenn dieser Kitt brüchig wird?

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© Carsten Koall/Getty Images

Vor Jahren las ich einen Artikel über eine Studie, die mir der ungewöhnlichen Kombination ihrer Themen wegen in Erinnerung blieb. Es ging um Konsumsteigerung – und um Vertrauen. Man hatte Paare gebildet und jeweils einem der Probanden eine nennenswerte Summe Geld zur Verfügung gestellt. Er durfte frei entscheiden, wie viel dieses Geldes er seinem Partner übergab, damit dieser es anlegte. Der so erwirtschaftete Gewinn sollte geteilt werden. Weiter„Das Vertrauen verteidigen“

 

Im Bus immer hinten sitzen

Verändert der Terror unseren Alltag? Wird der Ausnahmezustand zur Normalität? Gedanken über die Anschläge von Brüssel und israelische Verhältnisse in Europa.

Brüssel: Im Bus immer hinten sitzen
Französischer Soldat am Pariser Flughafen Charles de Gaulle nach den Anschlägen in Brüssel (© Reuters/Philippe Wojazer)

Als in der Silvesternacht die Terrorwarnung für den Münchner Hauptbahnhof herausgegeben wurde, stand ich gerade mit einem Glas Sekt auf einem Münchner Dach und hatte keinerlei Angst. München, dachte ich, also jetzt hier, bei uns, dachte ich, und dann schrieb ich der Familie eine Nachricht, alles ist gut, sind nicht im Zentrum, und dann dachte ich noch, kalt ist es, kalt, aber so gehörte es sich ja für die Silvesternacht. Später wunderte ich mich noch, wie sich so viele in jener Silvesternacht in München wunderten, dass das Feuerwerk heuer, wie man hier sagt, so mickrig ausfiel, der Terror, ach ja. Das dachte ich mit dieser gewissen Überheblichkeit, mit der man diese Dinge denkt und mit der man andere beobachtet, die ihrer Familie immer wieder ihr Wohlergehen versichern, wenn man eine Zeitlang in Israel gelebt hat, wo die Angst vor dem Terror zum Alltag verkommt. Dieselbe Überheblichkeit mischte sich in die Ruhe, mit der ich überlegte, wie man denn am Besten nach Hause käme im Fall einer Terrorwarnung, zu Fuß, mit dem Auto, oder gar nicht, hier übernachten, und zu Hause hatte ich auch nicht das Gefühl von „endlich daheim“. Ich doch nicht, ich habe in Israel gelebt. Weiter„Im Bus immer hinten sitzen“

 

Die Folgen können tödlich sein

Vor Jahren glaubten wir, den Rechtsradikalismus überwunden zu haben. Nun müssen wir den Riss erkennen, der unser Land durchzieht. Er könnte nicht bedrohlicher sein.

© Tobias Schwarz/Getty Images
© Tobias Schwarz/Getty Images

Ein Haarriss ist eine potenziell wachsende statische Materialschwäche. Besonders gefährlich sind solche Risse, wenn sie sich unbemerkt vergrößern, um dann in einer plötzlichen Kettenreaktion zu eruptiven örtlichen Absprengungen und Stabilitätsversagen zu führen. Diese können in der Folge tödlich sein.

Immer wieder frage ich mich, wann das begonnen hat, wann wir es haben einreißen lassen; und warum es mich so unruhig macht, keinen Anfang zu finden, nicht zu wissen, ob und wann sich da irgendwo ein einzelner Haarriss in uns gebildet und unerbittlich weitergeschoben, immer tiefer gebohrt hat – bis nun täglich etwas von diesem Land absprengt. Bis Politiker fordern dürfen, mitten in Europa auf hundeelende Familien zu schießen. Und es damit zweistellig in die Länderparlamente schaffen, und zu Anne Will ins Studio. Bis Menschen sich im Netz ganz offen gegenseitig ins Gas wünschen. Oder johlend und klatschend dabeistehen, wenn Notunterkünfte in Flammen aufgehen. Weiter„Die Folgen können tödlich sein“

 

Fertig, fertiger, am fertigsten

Eine goldene Erziehungsregel besagt: Beherberge keine Kinder, die längst ausgezogen sind. Natürlich kommen sie doch immer wieder. Allseitige Überforderung ist garantiert.

© Shannon Stapleton/Reuters Pictures
© Shannon Stapleton/Reuters Pictures

Wann immer ich nachts wach werde, mein Sohn David ist auch wach. Mal schaut er neue amerikanische Serien, mal liest er in historischen Magazinen oder verfolgt die Nachrichten auf Spiegel online. Da würde ich auch nicht mehr schlafen können. Er sagt, er leide an einer schweren Form von Schlaflosigkeit, ich bin mir da nicht so sicher. Morgens schläft er umso länger, schaut träge auf sein iPhone und schläft weiter. Weiter„Fertig, fertiger, am fertigsten“

 

Unsere neue Arschlochkultur

Vor Jahren konnte man mit Songs über menschenverachtendes Verhalten Erfolg haben – als Pose und Spiel mit der Konsenskultur. Heute scheint Hass eine Tugend zu sein.

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© John Macdougall/Getty Images

Als das Jahrtausend noch ganz jung war und trotzdem schon eklig werden konnte, hielt sich ein Song namens Es ist geil, ein Arschloch zu sein neun Wochen lang an der Spitze der deutschen Singlecharts. Dargeboten wurde er von einem Ex-Polizisten und Big-Brother-Kandidaten namens Christian Möllmann. Bereits im Container hatte sich Christian (alias „der Nominator“) nach Kräften unsympathisch gegeben, sein Lied reichte dazu das Motto nach. Und gewiss rieb sich da ein Texter die Hände, zählte es doch zu den wenigen Dingen, die im Jahr 2000 noch nicht gemacht worden waren, die Wörter „geil“ und „Arschloch“ gemeinsam im Titel einer Mainstream-Nummer unterzubringen. Und natürlich fiel diese Art, die Rolle des Fieslings abzufeiern, unter die seinerzeit modische schmierige Ironie (oder Pseudoironie); es wäre unfair, das nicht zu erwähnen. Weiter„Unsere neue Arschlochkultur“

 

Der Tag, an dem ich meinen Friseur verlor

Über Flüchtlinge wird immer kontroverser debattiert. Was wir dabei übersehen: Auch das Gespräch mit Ausländern, die schon lange hier leben, wird dadurch schwierig.

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Carsten Koall/Getty Images

Jetzt habe ich auch noch meinen Friseur verloren. Es ist der Endpunkt eines schwierig verlaufenden Jahres und hat indirekt mit den Flüchtlingen zu tun. Ich habe das neulich auch L. erzählt, der darüber aber nicht besonders überrascht war. Mein türkischer Friseur pflegt nämlich das Schneiden der Haare mit einer Flamme zu beenden, die er schnell und gekonnt nacheinander an beide Ohren hält. Etwas, was kein deutscher Friseur und schon mal gar keine deutsche Friseurin zustande bringt, glaubt L. Weiter„Der Tag, an dem ich meinen Friseur verlor“

 

Der „anständige“ Ausländer hat ja nichts zu befürchten

Die Schweiz entscheidet heute, ob kriminelle Ausländer ohne Einzelfallprüfung abgeschoben werden dürfen. Was als kriminell gilt, bleibt vage. Zählt auch Biertrinken dazu?

 

© Arnd Wiegmann/Reuters
© Arnd Wiegmann/Reuters

Was mir an der aktuellen Wahlwerbung der Schweizerischen Volkspartei am meisten Angst macht, ist der Hinweis, anständige Ausländer hätten nichts zu befürchten. Ich halte mich zwar nicht für unanständig, aber Anstand ist, nach meinem Empfinden, ein sehr vager Begriff, und ich bin mir nicht sicher, ob die Anhänger einer Partei, die auch schon mit dem Slogan „Kosovaren schlitzen Schweizer auf“ geworben hat, unter Anstand etwas Ähnliches verstehen wie ich. Weiter„Der „anständige“ Ausländer hat ja nichts zu befürchten“