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Die Wahrheit über die Steuerlast der oberen 50 Prozent

Die oberen 50 Prozent bezahlen 95 Prozent der Steuer – so schrieb die BILD gestern auf der ersten Seite und löste damit einen Debatte über eine vermeintliche Steuerungerechtigkeit bei den Beziehern hoher Einkommen aus. Aber stimmt das denn auch? Die Antwort lautet ganz klar: Nein – und das sollte jedem klar sein, der sich ein wenig mit der Materie befasst hat. Aber wie viel Prozent bezahlen denn die Reichen dann nun?

Das lässt sich leider nicht einfach so ausrechnen, weil die Daten nicht alle zugänglich sind. Aber zum Glück gibt es ja das RWI. Die Essener Forscher haben sich in einer umfangreichen Studie aus dem Jahr 2011 angeschaut, wer die Lasten in diesem Staat trägt. Ergebnis:

  1. Die oberen 50 Prozent bezahlen bei der Einkommensteuer tatsächlich 95 Prozent
  2. Das ist aber nicht die einzige Steuerart. Bei den wichtigsten indirekten Steuern – Mehrwertsteuer, KfZ-Steuer und Energiesteuer – liegt der Anteil der oberen 50 Prozent der Haushalte bei 69 Prozent.

Jetzt geht es weiter. Das gesamte Steueraufkommen bei aus der Lohn- und Einkommensteuer belief sich im vergangenen Jahr auf 186 Milliarden Euro. Das Aufkommen aus der Umsatzsteuer (ohne Einfuhrumsatzsteuer) sowie  Mehrwertsteuer und KfZ-Steuer beläuft sich auf 189 Milliarden Euro. Macht insgesamt 375 Milliarden Euro.

Das bedeutet: Die oberen 50 Prozent bezahlen insgesamt 81 Prozent des Steueraufkommens.

Der Rechengang: 95 Prozent von 186 Milliarden ergibt 176 Milliarden und 69 Prozent von 189 Milliarden ergibt 130 Milliarden. Das macht zusammen 306 Milliarden Euro. Und das sind 81 Prozent von 375 Milliarden Euro. (streng genommen ist eine Aggregation problematisch aus Gründen des Datenmaterials aber es geht hier ja um eine Näherung). Nicht einbezogen habe ich die Sozialabgaben, aber das Bild dürfte sich nicht wesentlich ändern.

Ist das viel oder wenig? Es klingt zunächst nach einem sehr großen Wert. Aber: Es kommt ja darauf an, in welcher Relation die Steuerbelastung zum Einkommen steht. Wenn – ein Extremfall – die Armen kein Geld verdienen, können sie auch keinen Beitrag zur Finanzierung des Staates leisten. Die oberen 50 Prozent vereinigten nun rund 80 Prozent des Gesamteinkommens auf sich. Man könnte also sagen, dass 80 Prozent der Einkommen auch 80 Prozent der Steuerlast tragen. Klingt irgendwie nicht so, als würden die Reichen geschröpft.

 

Deutsche Ökonomen: Es reicht!!!

Deutschlands Ökonomen beklagen sich wieder einmal. Irgendeine Politik der Europäischen Zentralbank ist hochgefährlich und bedroht die Zukunft unserer Kinder und deshalb haben 136 Volkswirte einen Aufruf unterzeichnet.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Kein Wunder, es gibt in diesen Tagen ständig irgendwelche Aufrufe von irgendwelchen Ökonomen für oder gegen irgendetwas – die Bankenunion, die EZB, die Euro-Rettung. Am Anfang war das noch amüsant, aber jetzt nervt es nur noch. So reagiert denn der Anti-EZB-Aufruf auf einen Pro-EZB-Aufruf, der vor einigen Wochen veröffentlicht war. Das muss man nicht verstehen.

Die deutsche Volkswirtschaftslehre macht sich durch derlei Aktionen lächerlich. Sie verstärken das Bild einer Wissenschaft, deren Aussagen beliebig sind und deren Vertreter ihre Weltanschauung irgendwie in die Zeitungen bringen wollen – und die dabei glauben, auf die Masse komme es an.

Denn nicht darauf, wer die besseren Argumente hat, kommt es jetzt an, sondern darauf, wer mehr Unterzeichner hat. Und der neueste Aufruf setzt sogar noch eines obendrauf, indem er behauptet, die Stimmen der Unterzeichner zählten besonders viel, weil sie in irgendwelchen Unterausschüssen des Vereins für Socialpolitik sitzen. Die Grenze zur Peinlichkeit, sie ist nicht mehr weit.

Liebe Ökonomen: Forschen Sie, lehren Sie, melden Sie sich zu Wort in Interviews oder in Gastbeiträgen – gerne auch mit kontroversen Thesen. Aber machen Sie Schluss mit diesen Aufrufen. Und weil es ja auf die Anreize ankommt, schlage ich den Journalistenkollegen folgendes vor: Ab sofort für vier Wochen keine Interviews mehr mit Ökonomen, die sich an solchen Aufrufen beteiligen. Vielleicht gelingt es so, diesen Unsinn zu stoppen.

Initiator des neuesten Aufrufs ist übrigens Roland Vaubel. Das war der, dem Jens Weidmann zu pragmatisch war.

Update: Um das noch einmal klarzustellen: Es geht nicht darum, Debatten zu verhindern. Man soll die EZB kritisieren, auch die Bankenunion, auch den Euro wenn man als Ökonom Gründe dafür hat. Wogegen ich mich wehre ist das Format dieser Kritik. Die Aufruferitis. Die ist eines Wissenschaftlers unwürdig.

 

So wird das nichts, Mario Draghi

Mario Draghi hat am Donnerstag auf seiner monatlichen Pressekonferenz bekanntlich erneut versprochen, die Zinsen niedrig zu halten. Das Problem ist nur, dass das den Zinsen egal war, sie sind nämlich gestiegen. Wieder einmal. Zehnjährige deutsche Staatsanleihen rentieren jetzt über zwei Prozent und in Portugal geht es ebenfalls rasant aufwärts.

bundyield

Nun muss man unterscheiden: Wenn die Zinsen steigen, weil die Wirtschaft besser läuft, dann ist das nicht weiter schlimm. Es scheint mir aber so zu sein, dass zumindest die EZB einen Anstieg in der derzeitigen Konjunkturlage für nicht angemessen hält. Und tatsächlich ist die Erholung noch sehr schwach und eine Rücknahme des Stimulus wäre gefährlich.

Deshalb versucht sie es mit dem Versprechen und malt die konjunkturelle Lage schwärzer als sie es eigentlich ist. Das funktioniert aber nicht. Gut möglich, dass Draghi zu härteren Methoden greifen muss, wenn er einen Zinsanstieg wirklich verhindern will.

 

Braucht Griechenland einen Schuldenschnitt?

In einem Artikel für die Printausgabe der ZEIT befasse ich mich noch einmal mit der Lage in Griechenland. Die Horrorzahlen über die Staatsverschuldung dort sind bekannt. Nach der jüngsten Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF wird die Verschuldung in diesem Jahr stolze 175,5 Prozent des BIP betragen.

Ich bin wie so viele Experten der Meinung, dass es ohne einen Schuldenschnitt im Sinne einer Reduzierung des Barwerts der Forderungen – sei es durch eine Verringerung der Zinsen und eine Verlängerung der Laufzeiten oder eine Verringerung des Nominalwerts – nicht gehen wird.

Was mir aber in der Debatte bisher nicht ausreichend beachtet zu sein scheint ist, wie sehr sich die schon vereinbarten Zinssenkungen und Laufzeitverlängerungen auf die Schuldentragfähigkeit auswirken.
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Timothy Garton Ash und die Inflationslüge

Ich bin ein großer Fan von Timothy Garton Ash, deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass er in seinem neuen Essay über Deutschland in der New York Review of Books die Inflationslüge zitiert.

They are also obsessed with the danger of inflation. One poll found that Germans fear inflation more than they fear getting cancer. The shadow of history again: in this case, the trauma of two dramatic inflations, after the first and after the second world war. Yet as the economic policy correspondent of the liberal weekly Die Zeit argues in a spirited polemic, they misunderstand both the past—it was deflation, not inflation, that immediately preceded Hitler’s rise to power—and the present reality of that danger.

Der Aufsatz ist sehr lesenswert.

 

Wollen Sie uns verschaukeln, Peer Steinbrück?

Wer nach Gründen für das Elend der SPD sucht, findet sie in diesem Interview mit dem Wall Street Journal.

Er als Kanzler würde wohl großzügiger gegenüber den Krisenländern sein, signalisierte der frühere Bundesfinanzminister. Steinbrück sprach sich dafür aus, den Staaten notfalls mehr Zeit zur Budgetkonsolidierung zu geben, und ihnen mit wachstumsfördernden Maßnahmen unter die Arme zu greifen.

Das klingt nach Kurswechsel, nach neuer Politik, denkt man und liest interessiert weiter.

„Wir brauchen einen wirtschaftlichen Stimulus, von mir aus nennen Sie es einen Marshallplan B, insbesondere mit Blick auf die Jugendarbeitslosigkeit“, verlangte er. Das Geld für solche zusätzlichen Maßnahmen könne aus bestehenden EU-Fonds und von einer Finanztransaktionssteuer kommen.

Der Marshallplan wird also finanziert aus einer Finanztransaktionssteuer die mangels eines europäischen Konsens nicht kommen wird, und Geldern, die bereits ausgegeben wurden. Mit anderen Worten: Auch Steinbrück will nicht mehr Geld ausgeben. Diese Position kann man ja einnehmen – doch dann soll man nicht so tun, als wolle man etwas anderes als die Kanzlerin und mit Pauken und Trompeten einen Kurswechsel ankündigen. Das ist das Grundproblem der SPD: Sie bietet in Wahrheit keine Alternative, aber sie gibt vor, eine zu haben.

Ich finde, solche Interviews beleidigen die Intelligenz der Wähler und ich hoffe, jemand sagt das dem Kandidaten.

 

Yellen vs Summers

Die Debatte über die Nachfolge von Ben Bernanke ist in vollem Gang und Larry Summer und Janet Yellen sind die Top-Kandidaten. Die FT berichtet über kritische Aussagen von Larry Summers über die Politik des Quantitative Easings

… the people who have discussed policy with him say Mr Summers regards fiscal policy as a more effective tool than monetary policy. 

Das hat bei den Anhängern einer aktivistischen Makropolitik – zu denen ich auch gehöre – regelrechte Abwehrreflexe ausgelöst und Yellen Sympathiepunkte gebracht. Einmal abgesehen, dass fast jeder sympathischer ist als Larry Summers und Yellen in der Tat eine exzellente Kandidaten wäre: Summers hat Recht.
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