Der Spiegel steigt diese Woche ganz groß auf das Thema financial repression ein und attackiert die Politik der EZB.
Viele Träume auf einen gesicherten Lebensabend zerstören die Dauer-Niedrigzinsen aber schon jetzt.
Ich halte diese Sichtweise für problematisch. Unser Bild vom Sparen ist geprägt von der Vorstellung, wir seien in der Situation in der Robinson auf seiner Insel war. Sparen ist die Ansammlung von Vorräten. Es bedeutet, die Kokosnuss nicht sofort aufzuessen, sondern sie für morgen aufzuheben. Geld kann man aber nicht essen. Seine Kaufkraft erlangt es dadurch, dass es zur Finanzierung produktiver Investitionen verwendet wird. Nur der dadurch entstehende Kapitalstock – im weiteren Sinn ausgebildete Arbeitskräfte, Straßen, Maschinen – ermöglicht die Verschiebung von Ressourcen in die Zukunft. Sparen im volkswirtschaftlichen Sinn ist die Bildung von Sachkapital.
Das bedeutet, dass das Einkommen der Rentner in 20 oder 30 Jahren davon abhängt, wie leistungsfähig die Wirtschaft in 20 oder 30 Jahren ist. Aus diesem Grund ist die Höhe des Zinsniveaus für sich genommen erst einmal irrelevant. Schädlich sind die niedrigen Zinsen, wenn sie zu einer Fehlallokation von Kapital oder sonstigen Verwerfungen führen. Nützlich sind sie, wenn sie zu einer Modernisierung des Kapitalstocks beitragen. Man kann also durchaus Argumente gegen das niedrige Zinsniveau vorbringen, aber es sind andere, als die, die in der Debatte über die Altersvorsorge gebraucht werden.
Aber leidet nicht jeder, der sein Geld sicher in deutschen Staatsanleihen anlegen will, unter dem niedrigen Zinsniveau? Ganz klar – aber jeder Euro, der dem Bürger fehlt, spart sich der Finanzminister, der weniger Geld für den Schuldendienst aufwenden muss. Der Punkt ist: Letztlich handelt es sich um eine Verteilungsfrage. Eine Änderung des Zinsniveaus stellt, die Effekte auf das gesamtwirtschaftliche Angebot und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage lasse ich jetzt einmal außen vor, eine Volkswirtschaft insgesamt nicht besser oder schlechter. Es stellt einige besser und andere schlechter. Und wenn das als störend empfunden wird, kann es im Rahmen kollektiven Handelns, sprich durch politische Entscheidungen, korrigiert werden. Zum Beispiel – ich phantasiere einmal – indem der Staat das gesparte Geld den Sparern zukommen lässt.
Die Betrachtung gilt natürlich streng genommen nur für eine geschlossene Volkswirtschaft. Nun ist Deutschland eine offene Volkswirtschaft und noch dazu ein Nettogläubiger mit enormen Auslandsforderungen. Eine Änderung des Zinsniveaus führt also auch zu einer Umverteilung zwischen einzelnen Ländern und kann damit in seinen Verteilungswirkungen nicht vollständig durch nationale Eingriffe kompensiert werden. Allerdings bringt der Status des Nettogläubigers auch mit sich, dass Deutschland ein Interesse an der Zahlungsfähigkeit seiner Schuldner hat. Wenn diese die niedrigen Zinsen erhalten, dann profitieren davon die deutschen Sparer: Sie bekommen zwar weniger Geld von der Bank, aber immerhin ist das Geld noch da und die Bank nicht pleite.
Ein Wort noch zum Begriff financial repression. Er wurde bekanntlich von Carmen Reinhart geprägt und geht zurück auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Staaten ihre Bürger dazu zwangen, niedrig verzinste Anleihen aufzukaufen. Der große Unterschied zu damals ist, dass es heute in den meisten Ländern der westlichen Welt einen freien Kapitalverkehr gibt. Wer also keine Lust auf Bundesanleihen hat, kann sich ja italienische oder spanische Papiere ins Depot holen. Klar, damit steigt auch das Risiko, aber es gibt kein Recht auf risikolose Rendite. Mit anderen Worten: Ich kann die Repression in der finanziellen Repression nicht erkennen.