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Die Bundesbank ist immer für eine Überraschung gut

Aus der Stellungnahme der deutschen Notenbank im Finanzausschuss:

 Die regulären marktlichen Anpassungsprozesse sollten dabei freilich nicht behindert werden. (…) Deutschland dürfte in diesem Szenario künftig in der EWU eher überdurchschnittliche Inflationsraten aufweisen, wobei die Geldpolitik dafür zu sorgen hat, dass die Inflation im Aggregat der EWU dem Stabilitätsziel entspricht und die Inflationserwartungen fest verankert bleiben.

Im Klartext: Wenn die Inflationsrate in Deutschland über die zwei Prozent geht, dann wird die Bundesbank das tolerieren, solange das Stabilitätsziel der EZB nicht verfehlt wird. Diese Aussage ist sehr wichtig. Denn gerade in der angelsächsischen Welt wurde vermutet, die Bundesbanker würden die EZB mit Blick auf die öffentliche Debatte zu Zinserhöhungen zwingen (oder mit ihren neuen makroprudenziellen Instrumenten gegensteuern), auch wenn das europäische Inflationsziel noch nicht ausgereizt ist.

Hintergrund ist natürlich, dass die Teuerung in der Peripherie deutlich sinken wird, weshalb Deutschland  im Sinne der Stabilität des Gesamtsystems stärker inflationieren sollte, um die Anpassungsprozesse zu erleichtern.

Ich beobachte ganz grundsätzlich, dass viele angelsächsische Analysten die Flexibilität der deutschen Politik unterschätzen. Deutsche Währungs- und Finanzpolitiker müssen in der innenpolitischen Debatte den Harten geben. Das wird von der Bevölkerung erwartet. Und ganz sicher ist der politische Mainstream in Deutschland dogmatischer als in Frankreich oder den USA – und aus meiner Sicht häufig auch zu dogmatisch.

Aber die Deutschen sind nicht dumm. Dazu passen auch die Aussagen von Wolfgang Schäuble, wonach die Löhne hierzulande nach Jahren der Lohnmoderation jetzt wieder stärker steigen sollen, um die Ungleichgewichte abzubauen.

Ich bin gespannt, was die FAZ morgen schreibt.

 

 

Marktteilnehmer haben nichts gegen Hollande

Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird – das ist heute früh die Reaktion der Märkte auf das Ergebnis der französischen Wahlen. Das Programm von François Hollande hätte Angst und Schrecken auslösen können, hat es aber nicht. Weder die Pläne, den Grenzsteuersatz auf 75 Prozent anzuheben, das Rentenalter zu senken statt zu erhöhen, die Europäische Investitionsbank zu deutlich mehr Ausgaben (und de facto zur massiven Emission von Euro-Bonds) zu animieren noch, das Mandat der EZB um einen Wachstumsauftrag zu ergänzen, haben die Anleger wirklich beunruhigt.

Der Euro ist gegenüber Freitag nur ein bisschen schwächer (1,3023 Dollar), von Panik also keine Spur. Die französischen Aktienkurse sind zwar heute um knapp ein Prozent gesunken, aber das war weniger als der Rückgang der deutschen und erst recht der asiatischen Kurse. Am Rentenmarkt Eurolands hält die Hausse an, weil sich an den pessimistischen Wachstumsprognosen nichts geändert hat und nach wie vor mit sinkenden Inflationsraten gerechnet wird. Das könnte mit dem kollabierenden Ölpreis zu tun haben. Überraschend ist, dass der französische Markt für Staatsanleihen im Augenblick, Wahlergebnis hin oder her, besser läuft als der deutsche. Im Zehnjahresbereich ist die Rendite um fünf Basispunkte auf 2,77 Prozent gesunken, während die der Bundesanleihen nur um einen Basispunkt auf 1,58 Prozent (!!) gefallen ist. Weiter„Marktteilnehmer haben nichts gegen Hollande“

 

Werden die Sparer durch TARGET enteignet?

Seit Ausbruch der Debatte sind die TARGETianer auf der Suche nach Opfern der anschwellenden Zahlungsverkehrssalden. Erst vermutete man sie unter den deutschen Banken, denen angeblich der Kredit verwehrt wurde – und nachdem sich das als nicht zutreffend erwiesen hat, sollen jetzt angeblich die hiesigen Sparer unter TARGET leiden.

Leidtragende sind aus Sicht des ifo Instituts die Sparer der noch soliden Länder Europas, deren Vermögensanlage nun zur EZB umgelenkt wurde. Die marktgängigen Wertpapiere der Sparkassen, Banken und Lebensversicherer, durch die Ersparnisse dieser Länder normalerweise gedeckt sind, wurden ohne das Wissen oder die Zustimmung der Sparer in bloße Forderungen gegen die jeweiligen nationalen Zentralbanken verwandelt, die selbst wiederum nur durch Forderungen gegen die EZB und damit indirekt gegen die Zentralbanken Spaniens und Italiens gedeckt sind.

Zusammen mit Sebastian Dullien habe ich in einem Artikel auf VOX gezeigt, dass das Unsinn ist. Im Gegenteil: Die deutsche Sparer profitieren davon, dass die deutschen Banken ihr Kapital über TARGET zurück nach Hause holen konnten, wo es sicher ist. Gäbe es diese Möglichkeit nicht, wäre das hiesige Sparkapital längst im großen Stil vernichtet worden. Unsere Schlussfolgerung:

Thus, the liquidity provided by the ECB which is reflected in the TARGET system has made it possible for German banks to bring their money back home.Without the ECB’s intervention, the attempt to shed assets in the periphery would most likely have led to defaults in the banking sector and the wider economy, which would have eroded the value of these assets. German savers – whose money the banks ultimately manage –should therefore applaud the increase in the Bundesbank’s TARGET balance.

Man kann jetzt lange darüber streiten, ob das eine gerechte Lösung ist, klar ist aber: Die Sparer sind nicht das Opfer – genau wie die Banken.

 

 

Schäuble hat es kapiert

Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich die Meldungen zum Interview des Finanzministers im Focus gelesen habe:

„Es ist in Ordnung, wenn bei uns die Löhne aktuell stärker steigen als in allen anderen EU-Ländern“, sagte Schäuble in einem Interview mit dem „Focus“.“Diese Lohnsteigerungen tragen auch zum Abbau von Ungleichgewichten innerhalb Europas bei“, sagte Schäuble.

Es gibt noch Hoffnung.

 

Wo Rainer Hank richtig liegt – und wo nicht

In den Grundfragen der Wirtschaftspolitik werden Rainer Hank und ich wohl niemals zusammenkommen, aber das muss ja auch gar nicht sein, denn nur die Auseinandersetzung fördert Erkenntnis zutage. Nun also nimmt der geschätzte Kollege Anstoß an meinen Ausführungen über die Stagnation der Staatseinnahmequote und argumentiert wie folgt:

Hätte Schieritz länger auf der Seite der Bundesbank verweilt, hätte er gesehen, dass die stagnierenden Einnahmen den Ausgabenhunger des Staates nicht gemäßigt haben.

Der Leviathan lebt, so seine Schlussfolgerung und dazu zeigt er folgenden Chart:

Grafik: Hankbild

Das ist nun in der Tat sehr interessant, denn wie unschwer zu erkennen ist: Die Staatsausgaben gingen schon Mitte der siebziger Jahre im Trend wieder zurück, wurden durch die Wiedervereinigung zwischenzeitlich in die Höhe getrieben, und fielen dann wieder ab. Heute sind sie wieder da, wo sie vor 30 Jahren waren. Genauer gesagt lagen sie 2010 bei 46,6 Prozent des BIP und 1980 bei 46,9 Prozent.

Deshalb ist mir nicht ganz klar, was Hank beweisen will. Das wir das mit dem Mauerfall besser hätten sein lassen sollen? Ich jedenfalls kann auch auf diesem Bild keinen Leviathan im Sinne einer ausufernden Staatstätigkeit erkennen.

Man kann natürlich argumentieren, schon damals in den Siebzigern sei Deutschland nicht mehr zu retten gewesen. Diese Meinung teile ich nicht, aber das Argument ist valide. Nicht valide allerdings ist es, den Eindruck zu erwecken, da werde irgendetwas „immer schlimmer“ oder es spitze sich eine Situation zu.

Nein, dieser Staat ist heute so gefräßig wie vor dreißig Jahren und das kann man gut oder schlecht finden, wie es nun einmal ist mit normativen Fragen. Aber es gibt nichts, was außer Kontrolle gerät und einen positiven Handlungsdruck erzeugt.

Wie es es aber nun mit den Schulden, denn zurecht weist Hank darauf hin, dass die Staatsverschuldung in der Tat steigt. Ich teile seine These, dass der Staat zu feige ist, sich das Geld bei den Bürgern und holen und deshalb lieber die Kapitalmärkte anzapft (die Unterschiede sind allerdings gar nicht so groß denn der deutsche Staat verschuldet sich ja zum großen Teil bei seinen eigenen Bürgern. Statt meine Steuern zu erhöhen, dreht er mit eben eine Staatsanleihe an und auch deren Zinsansprüche werden ja an die nächste Generation weiter gereicht. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Nur: Wenn die Staatsausgaben stagnieren und die Staatseinnahmen auf einem niedrigeren Niveau im wesentlichen auch, dann liegt es doch nahe, einfach ein paar Steuern zu erhöhen und alles ist wieder in Butter. Der Leviathan-Diskurs suggeriert ja, der Staat werde immer fetter und müsse dringend über die Ausgabenseite geschrumpft werden. So ist es aber offensichtlich nicht. Er ist nur falsch finanziert.

 

Die Renationalisierung der Geldpolitik

Ich hatte vor einiger Zeit bereits darüber geschrieben, dass die – an sich sehr sinnvollen – neuen makroprudentiellen Instrumente auf nationaler Ebene, wie sie jetzt in Deutschland per Gesetz eingeführt werden, bei nicht sachgerechter Anwendung zu einer Renationalisierung der Geldpolitik führen können. Warum? Weil die nationalen Behörden über Eigenkapitalvorschriften oder ähnliche Maßnahmen die Kontrolle über die Kreditvergabe zurückerobern.

Auch der Economist nimmt sich des Themas nun an:

But in the current climate there is also the danger that such regulations may be used in bigger economies to grab back power from the ECB. By reducing credit availability national central banks can contravene the euro zone’s wider monetary stance.

Aus meiner Sicht gibt es nur eine Lösung: Die nationalen Behörden müssen in kritischen Fällen ihre Maßnahmen von einer europäischen Institution genehmigen lassen, etwa dem ESRB. Damit bliebe die Flexibilität erhalten, national zu reagieren, ohne dass gesamteuropäische Ziele unterlaufen werden können.

 

Asmussens genialer Vorschlag

Zur Diskussion um die Bankenstützung auf europäischer Ebene habe ich gestern den folgenden (sonst online nicht kostenlos verfügbaren) Text für die ‘junge welt‘ geschrieben. Vielleicht interessiert er ja den einen oder anderen hier.

Der Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi ist ein heller Kopf. Zwei Tage, nachdem die Wähler in Frankreich ihre Unzufriedenheit mit der Politik ihres Präsidenten ausgedrückt hatten und die rechte, superrigorose Regierung in den Niederlandes geplatzt war, plädierte der EZB-Chef bei der üblichen Befragung vor dem EU-Parlament für einen „Wachstumspakt“, der den so erfolgreichen Fiskalpakt aufs Feinste ergänzen könne.

Noch schneller als Draghi ist freilich unser guter Bekannter Jörg Asmussen. Der noch relativ junge (Jahrgang 1966) Mann ist Anfang des Jahres aus dem einen Zentrum der Macht als Staatsekretär im Bundesfinanzministerium in das andere, das sechsköpfige Direktorium der EZB in Frankfurt aufgestiegen. Asmussen weiß schon vor Draghi, dass Wachstumsförderung politisch angezeigt ist, und er weiß auch, was das bedeutet: Bankenförderung. Weiter„Asmussens genialer Vorschlag“

 

Draghis Wachstumspakt – eine Mogelpackung?

Die große Neuigkeit heute war die Forderung von Mario Draghi nach einem Wachstumspakt während einer Anhörung im europäischen Parlament. Viele Medien haben das als Abkehr von der Austeritätspolitik beschrieben, doch das ist Unsinn. Nach allem was ich höre, fordert Draghi entschlossenere Strukturreformen und damit im wesentlichen more of the same.

Wer glaubt, dass Strukturreformen tatsächlich kurzfristig für Wachstum sorgen, der mag sich damit zufriedengeben – dass sich diejenigen, die unter einem Wachstumspakt eine Ankurbelung der Nachfrage verstehen (und das dürfte die Mehrheit sein) davon überzeugen lassen, ist aber unwahrscheinlich.

Es bleibt dabei: Wenn Draghi oder Merkel von Wachstumspolitik sprechen, dann meinen sie damit etwas ganz anderes als Hollande oder Lagarde. Und der Neuigkeitswert der Aussagen des EZB-Präsidenten geht gegen Null.