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Sparen und investieren mit Hans-Werner Sinn

… bevor ich mich in den Pfingsturlaub verabschiede und weil die Debatte ja weitergehen muss: Gustav Horn und Fabian Lindner haben in der FTD argumentiert, Hans-Werner Sinn mache in seiner Argumentation zu den Leistungsbilanzen einen Denkfehler. Olaf Storbeck sieht es im Handelsblatt ähnlich und Frank Lübberding ist mit anderer Stoßrichtung auch on the case.
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Warum es eine sanfte Umschuldung in einer Währungsunion nicht gibt

Es mangelt bekanntlich nicht an Vorschlägen, wie eine Umschuldung in Griechenland zu organisieren sei. Manche fordern den radikalen Schnitt jetzt und heute, andere eine Verlängerung von Laufzeiten. Viele der Schlauberger, die jetzt mit solchen Empfehlungen hausieren gehen, berücksichtigen allerdings nicht die Besonderheiten in einer Währungsunion. Konkret: Die Auswirkungen einer Umschuldung auf die Refinanzierung griechischer Banken. Weiter„Warum es eine sanfte Umschuldung in einer Währungsunion nicht gibt“

 

Das Biest M3

Interessantes Interview in der FAZ mit Otmar Issing zur monetären Analyse.

Mittlerweile erkennen aber wieder viele Ökonomen, dass monetäre Analysen wichtig sind. Das ist eine Grunderkenntnis aus der monetären Geschichte, die man vergessen hatte. Der Wind beginnt sich zu drehen.

Ich glaube auch, dass es ein Fehler wäre, sich in der Geldpolitik alleine auf den Output-Gap zu verlassen – damit bekommt man vielleicht die Inflation in den Griff, aber nicht die Finanzstabilität, und die sollte Teil des Zielsystems einer Zentralbank sein, wobei man sich über die richtigen Instrumente natürlich noch unterhalten müsste. Insofern sind monetären Größen, ich denke dabei aber eher an Kredit als an Geld, natürlich wichtig.

Was mich an den Monetaristen immer gestört hat, ist dass die monetäre Analyse als Legitimation für Zinserhöhungen verstanden wurde,  häufig wegen ihrer Komplexität und den selten eindeutigen Ergebnissen sogar als eine Art Freibrief: Wenn man aus welchen Gründen auch immer die Zinsen anheben will, lässt sich das monetär schon irgendwie rechtfertigen. So jetzt auch Issing.

Wenn die monetäre Analyse starke Zuwächse der Geld- und Kreditmengen und damit Gefahren für Preisblasen an den Vermögensmärkten anzeigt, eine Güterpreisinflation aber erst langfristig droht, sollte die Zentralbank ihren Leitzins früher erhöhen, als sie es alleine mit Blick auf das Güterpreisniveau täte.

Es trüge zur Glaubwürdigkeit der Anhänger der monetären Säule bei, wenn sie diese auch einmal benutzten, um Zinssenkungen zu begründen.

 

Ein bisschen insolvent?

Die Debatte über die Umschuldung light gewinnt an Fahrt, nicht nur in der Politik, sondern auch in den Blogs. Kantoos hält eine Umschuldung für sinnvoll, würde nur noch weiter gehen und fordert einen Brady-Plan für Europa, Frank Lübberding warnt vor einem Regime-Change durch die Insolvenz eines Mitgliedsstaat in einer Währungsunion, Henry Kaspar äußert in den Kommentaren die Ansicht, ich habe von Anfang an völlig falsch gelegen.

Ich räume hiermit ganz ehrlich ein: Ich weiß nicht, ob Griechenland solvent ist. Oder Irland. Oder Portugal. Solvenz lässt sich nur schwer messen.  Was ich aber weiß ist, dass es möglich ist, diese Staaten solvent zu halten: Durch Anpassungsprogramme und zur Not eben durch Transfers. Im Staatskontext ist Solvenz ein politischer und kein ökonomischer Begriff. Es geht viel mehr um Zahlungsbereitschaft (in Deutschland und in Griechenland) als um Zahlungsfähigkeit.

Die Frage ist also, ob wir politisch eine Solvenzlösung der Insolvenzlösung vorziehen. Darüber kann man lange streiten. Ich glaube aber, dass der jetzt gewählte Weg – ein bisschen insolvent – nicht weiter führt. Er schafft nur jede Menge Probleme (Ansteckungsgefahr, denn wie Kantoos schreibt wird die Umschuldung light an den Märkten als Vorstufe einer harten Umschuldung aufgefasst, der Damm wäre gebrochen) und löst überhaupt nichts.

Natürlich wäre auch ein harter Schuldenschnitt mit einer enormen Ansteckungsgefahr verbunden und enorme Transfers nötig machen, um das Bankensystem über Wasser zu halten. Aber wenigsten bestünde die Hoffnung, dass am Ende die griechischen Staatsschulden niedriger sind und das Land dadurch wieder solvent wird. Ich persönlich würde lieber ein neues Hilfspaket auflegen und Transfers organisieren – aber wie auch immer: Jetzt riskiert man viel und erreicht gar nichts.

Die uneingeschränkte Begeisterung von Kantoos  für die Brady-Bonds teile ich nicht. Nach meinem Kenntnisstand ist die Literatur da nicht so eindeutig und in vielerlei Hinsicht unterscheidet sich eine Umschuldung in einer Währungsunion von einer Umschuldung in einem vollsouveränen Staat.

Das gilt im Übrigen auch für die Rolle der Zentralbank. Wenn die argentinische Zentralbank minderwertige argentinische Staatsanleihen als Pfand akzeptiert, dann ist das eine Sache. Wenn die EZB minderwertige griechische Anleihen als Pfand akzeptiert, dann ist damit ein Risikotransfer verbunden – von Deutschland nach Griechenland. Ich bin wie gesagt nicht per se gegen Transfers, aber sie sollten über die Fiskalpolitik organisiert werden. Darum geht es meines Erachtens auch der EZB, nicht um die paar Anleihen in ihrem Portfolio. Die Notenbank muss von der Solvenzhypothese ausgehen, sonst muss sie den Stecker ziehen.

 

Umschuldung light = großer Quatsch

Ich kann die Begeisterung der deutschen Presse über das geplante Reprofiling der griechischen Staatsschulden – zum Beispiel in der FTD oder in der Süddeutschen – nicht nachvollziehen. Eine Verlängerung der Anleihelaufzeiten ist zumindest aus Sicht der Ratingagenturen wohl ein Kreditereignis (wenn es auch keine CDS-Kontrakte auslösen dürfte). Denn die Investoren erhalten nicht zum vereinbarten Zeitpunkt das vereinbarte Geld. Europa fängt sich also das ganze Bündel von Risiken ein, das mit einem solchen Ereignis verbunden ist, insbesondere die Gefahr der Ansteckung anderer Staaten.

Mehr noch: Erneut schiebt die Politik Risiken auf die Bilanz der Europäische Zentralbank. Denn die EZB akzeptiert, wie es sich für eine Zentralbank gehört, griechische Staatsanleihen als Sicherheit bei ihren Refinanzierungsgeschäften. Die Notenbank müsste also wenn Griechenland umschuldet die Mindestanforderungen an die Sicherheiten noch weiter aufweichen. Damit würde sie wohl endgültig ihr Mandat überschreiten und sich noch weiter in Richtung monetäre Staatsfinanzierung begeben. Eine Zentralbank ist dazu da, Liquidität bereitzustellen. Es ist nicht ihre Aufgabe, Solvenzprobleme zu lösen, das kann nur die Finanzpolitik.

Wenn die EZB die Anleihen aber nicht mehr annähme, würde sie Griechenland de facto von der Refinanzierung abzuschneiden – mit gravierenden Folgen für die griechischen Banken. Und wenn die Anleihen eines Mitgliedsstaat einer Währungsunion nicht einmal mehr von der eigenen Zentralbank akzeptiert werden, kann man den Euro auch gleich abschaffen, beziehungsweise den Griechen den Austritt nahelegen.

Eine Umschuldung light ist also mit erheblichen Kosten verbunden – und sie bringt wenig. Wenn die griechischen Schulden jetzt nicht tragfähig sind, dann sind sie es natürlich auch nicht, wenn die Laufzeiten der Anleihen um fünf Jahre verlängert werden. Genau so sehen das die Finanzmärkte und deshalb tut sich bei den griechischen Spreads wenig.

Freuen wird sich allein Frank Schäffler von der FDP, der jetzt überall erzählen kann, er habe die Beteiligung der Gläubiger durchgesetzt. Es ist wirklich dramatisch, wie wenig Ahnung eine Wirtschaftspartei von Wirtschaft hat. Die einzige Logik der Umschuldung light ist eine politische – sie sichert möglicherweise die Zustimmung des Bundestag, falls ein neues Rettungspaket nötig wird. Es ist traurig, dass unter den Abgeordneten heutzutage Symbolpolitik mehr zählt als  Sachargumente. Vielleicht war das mit der Philosophenherrschaft doch keine so schlechte Idee.

Ganz oder gar nicht, so kann die Lösung nur heißen. Entweder Griechenland wird zum Bankrottfall erklärt und so umgeschuldet, dass es als solvent gelten kann. Das bedeutet ein Schuldenschnitt in der Größenordnung von 50 bis 70 Prozent und ein neues Hilfspaket, um die Banken in Griechenland und im Rest Europas zu sanieren. Das wäre riskant, aber immerhin wäre das Problem dann gelöst.  Oder die EU setzt darauf, dass Griechenland solvent bleiben kann. Durch zusätzliche Anstrengungen der Griechen niedrigere Zinsen, neue Hilfspaket – und ja: Transfers.

Auf die Hoffnungen des IWF auf enorme Privatisierungserlöse sollte man dabei wenig geben. Entweder ein Unternehmen im Staatsbesitz ist rentabel, dann generiert es Erträge und die Privatisierung bringt den Staat um die zukünftigen Erträge. Oder es ist Schrott, aber dann wird sich auch kein vernünftiger Preis erzielen lassen. Wie immer ist der Barwert entscheidend – das sollten die IWF-Ökonomen eigentlich wissen.

 

Warum ich Hans-Werner Sinn kritisiere

Mein letzter Beitrag hat einige Aufmerksamkeit erregt. Ein Kommentator fragte, wie ich es mir anmaßen könne, „einen der renommiertesten Ökonomen des Landes“ widerlegen zu wollen. Ich halte Sinn tatsächlich für einen großen Ökonomen. Wenn das ein Argument wäre,  dann hätte ich allerdings meinen Beruf verfehlt. Es ist die Aufgabe des Journalismus, die Mächtigen zu kontrollieren. Und auch Ökonomen können mächtig sein. Ich kritisiere übrigens auch Schlussfolgerungen der G20 oder Regierungserklärungen oder Geschäftspläne der Deutschen Bank – wenn ich glaube, dass sie kritikwürdig sind.

Und weil es ziemlich durcheinandergeht, hier noch einmal eine Zusammenfassung dessen, was ich behaupte – und was ich nicht behaupte.

1. Ich behaupte NICHT, dass durch die Refinanzierungsgeschäfte der EZB keine Risiken für die Bilanz der Zentralbank entstehen. Natürlich steigt das Ausfallrisiko, wenn die Sicherheitsanforderungen gesenkt werden, wie es geschehen ist. Aber das hat mit den nationalen Target 2 Salden, um die es hier geht, nicht viel zu tun.

2. Ich behaupte NICHT, dass die deutschen Nettokapitalexporte nichts mit der Investitionsschwäche der vergangenen Jahre zu tun haben. Ich glaube in der Tat, dass diese These, die Sinn vertritt, falsch ist. Denn ich finde empirisch keinen Beleg dafür, dass Restriktionen beim Kapitalangebot die Investitionstätigkeit beeinflusst haben sollen. Und mir ist nicht klar, wie man erklären will, dass es jetzt wieder besser läuft, wo ja immer noch Kapital abfließt, denn Deutschland hat immer noch einen Leistungsbilanzüberschuss. Zudem habe ich Zweifel an der theoretischen Position, wonach es einen ex ante fixen Topf von Ersparnissen gibt, um den die Länder konkurrieren (sondern begreife die Ersparnis als ex post entstehend und die Absatzchancen als Determinante der Investitionsentwicklung). Das war aber der Inhalt meines ersten Beitrags. Im zweiten ging es um ein anderes Thema.

3. Es ging um die von Sinn aufgestellte These, wonach in Deutschland weniger Kredite ausgegeben werden können, weil über Target von der Bundesbank Zentralbankliquidität in die PIGS-Staaten abflösse, die dann in Deutschland fehle. Oder, wie es Sinn für den Fall Irland formuliert.

Die Bundesbank verzichtet auf eine innerdeutsche Kreditvergabe zugunsten einer Kreditvergabe über die irische Notenbank.

Einmal davon abgesehen, dass man besser nicht das Beispiel Irland wählen sollte, um die Finanzierung von Leistungsbilanzdefiziten durch die EZB anzuprangern, weil Irland inzwischen einen Leistungsbilanzüberschuss hat – unter bestimmten Annahmen (unter anderem eine strikte Geldmengensteuerung durch die Zentralbank) kann es dazu möglicherweise sogar so kommen. In der geldpolitischen Praxis der EZB nicht. Hierzu die Bundesbank:

Fließen beispielsweise einer über die Bundesbank an TARGET2 teilnehmenden Bank Gelder aus dem Ausland zu, führt dies bei der Bundesbank zu Verbindlichkeiten gegenüber dieser Bank (…). Im Gegenzug entsteht eine Forderung der Bundesbank in gleicher Höhe gegenüber der sendenden nationalen Zentralbank. Diese wiederum belastet das Konto der sendenden Geschäftsbank. Dies erfordert ein ausreichendes Guthaben an Zentralbankgeld der sendenden Bank. Zentralbankguthaben werden primär durch die geldpolitischen Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems bereitgestellt.

In den Jahren vor der Finanzkrise haben sich die grenzüberschreitenden Zahlungen Deutschlands weitgehend ausgeglichen. (…) Dies änderte sich in der Finanzkrise. Während deutschen Banken (…) weiter Gelder aus dem Ausland zuflossen, waren sie krisenbedingt weniger bereit und teilweise auch nicht in der Lage, diese am Interbankenmarkt an ausländische Institute auszuleihen. Statt dessen führten sie – jedenfalls im Aggregat – nach und nach ihre Refinanzierungsgeschäfte bei der Bundesbank zurück. Lag beispielsweise das auf deutsche Institute entfallende Refinanzierungsvolumen Anfang 2007 noch bei 250 Mrd €, so ist diese Position bis Ende 2010 auf 103 Mrd € zurückgegangen Umgekehrt erhalten Banken in einer Reihe anderer EWU-Länder seitdem verstärkt Zentralbankgeld über das Eurosystem.

Die deutschen Banken haben also in der Tat weniger Geld von der EZB aufgenommen, aber nicht, weil sie nicht konnten, sondern weil sie nicht MUSSTEN. Denn ihnen ist massiv Liquidität aus dem Ausland über den Geldmarkt zugeflossen. Das wiederum passt zu der von mir erwähnten empirischen Beobachtung, dass ich keine Bank kenne, die wegen des Mangels an Zentralbankliquidität ihre Kredite an den Privatsektor einschränken musste. Bei Vollzuteilung, wie wir sie derzeit haben, kann das ohnehin nicht passieren. Die großzügige Geldpolitik der EZB mag viele Probleme mit sich bringen, definitiv behindert sie nicht die Kreditvergabe in Deutschland. Eine gute Analyse des Problems mit einer ähnlichen Schlussfolgerung wie meiner findet sich auch im Irish Economy Blog.

Meine Vermutung ist, dass Sinn nicht ausreichend berücksichtigt, dass Geld im Sinne von M3 in einem modernen Finanzsystem nicht von der Zentralbank, sondern von der Geschäftsbank geschöpft wird, nämlich im Akt der Kreditvergabe. Aber das ist zugegebenermaßen Spekulation.

4. Ich behaupte NICHT, dass der Euro eine gute Sache ist. Ich bin der Überzeugung, dass es ein historischer Fehler wäre, ihn aufzugeben, aber das war nicht Thema meines Beitrags.

PS: Um es deutlich zu sagen. Für alle Punkte, die hier angesprochen sind, ist Target 2 irrelevant. Die Target 2 Debatte ist ein Kartenhaus – hoffen, wir, dass es bald zusammenkracht.


 

Die Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Folge II)

Der zweite Teil meiner kleinen Reihe hat sich etwas verzögert, was unter anderem daran liegt, dass ich diesmal versuche, ein moving target zu treffen. Es geht um Sinns Ausführungen zum Thema Target 2. Dies ist ein längerer Beitrag, der mit dem Urteil enden wird, dass Hans-Werner Sinn eine Art Carl Schmitt der Ökonomie ist: Die oder Wir. Wenn es den Iren oder den Portugiesen gut geht, geht es uns schlecht – und umgekehrt. So gesehen wäre das Hilfsprogramm für Portugal also falsch. So denken viele in Deutschland, so einfach ist die Sache aber nicht. Weiter„Die Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Folge II)“

 

Die Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Folge I)

Hans-Werner Sinn begleitet mich nun schon fast mein ganzes Berufsleben. Ich halte ihn für einen sehr klugen Ökonomen, er stellt sich seinen Gegnern mit offenem Visier, er ist originell und er hat sein Institut im Griff. Das kann man von den wenigsten deutschen Wirtschaftswissenschaftlern behaupten – ob links oder rechts. Doch irgend etwas scheint ihn dazu zu bewegen, in regelmäßigen Abständen Thesen aufzustellen, die – nun ja – gewagt sind.

Da war die Sache mit der Basarökonomie, wonach die deutschen Exporterfolge kein Indiz für die Wettbewerbsfähigkeit seien, weil hierzulande nur zusammengeschraubt würde, was in Osteuropa hergestellt wurde. Es ist ziemlich still geworden um diese These. Da war der Versuch, den Wechselkurs des Euro auf die Bargeldeinführung zurückzuführen.

Auch in die Debatte um den Euro hat sich Sinn eingemischt – und weil über seine Ansichten oft und gerne und in der Regel unkritisch berichtet wird, nehme ich mir die Freiheit, in einer losen Folge einige von ihnen einem Realitätscheck zu unterziehen. Heute soll es um Kapitalströme gehen.

Sinn argumentiert, dass es den Deutschen lange Zeit schlecht ging, weil das Kapital wegen der starren Arbeitsmärkte hierzulande und der Aussicht auf satte Renditen in Griechenland und anderswo flüchtete.

Es war nämlich nicht gesund, dass in den letzten Jahren so viel Kapital aus Deutschland in die Länder der südwestlichen Peripherie und nach Amerika abgeflossen war. Das Kapital hätte auch hier investiert werden können. Deutschland hatte von 1995 an über 14 Jahre im Schnitt die niedrigste gesamtwirtschaftliche Nettoinvestitionsquote aller OECD-Länder. Wir haben im letzten Jahrzehnt von unseren Ersparnissen nur ein Drittel zu Hause investiert.

Dann passieren zwei Dinge: Gerhard Schröder reformierte die Arbeitsmärkte, und die Investoren verbrannten sich die Finger im Ausland. Jetzt komme das Geld zurück und deshalb gehe es uns gut.

Viele deutsche Kapitalanleger werden ihr Geld nicht mehr wiedersehen. Dies veranlasst sie, umzudenken. Die Zinsabstände steigen wieder, und das Sparkapital wird wieder verstärkt zu Hause angelegt.

Fertig ist die Erzählung, die es politstrategisch erlaubt, Agenda-Reformen zu feiern und gegen die Euro-Rettungspakete zu sein, was ihr in gewissen Kreisen zu Popularität verhilft.

Es gibt eine Reihe von Einwänden dagegen, ich beschränke mich auf einen: Deutschland ist immer noch Nettokapitalexporteur, wie diese Grafik zeigt. Allein im vierten Quartal 2010 haben wir mehr als 30 Milliarden Euro verloren. Das Geld kommt also nicht zurück. Wenn Sinns These stimmt, dann hätte es uns 2002/2003 richtig gut gehen müssen, da war der Saldo in der Leistungsbilanz erheblich geringer.

Und auch die Sache mit den Investitionen ist komplizierter, als es Sinn beschreibt. Ja, die Deutschen haben in den vergangenen Jahren wenig investiert. Aber das lag nicht an starren Arbeitsmärkten oder einem Mangel an Kapital für die Unternehmensfinanzierung, sondern vor allem daran, dass sich der Staat zurückgehalten hat und es keinen Immobilienboom gab. Die Unternehmen hierzulande – und auf die kommt es im Sinne eines nachhaltigen Aufschwungs an – haben nicht weniger Geld ausgegeben als im Rest Europas. Aus dem Herbstgutachten der Kommission, jeweils für die Jahre 2002 bis 2006, Veränderung zum Vorjahr in Prozent:

Germany Euro-Area
Investment in Construction: -2,0 +1,6
Investment in Equipment: +2,8 +2,4
Public Investment: +1,5 +2,5

Fazit: Es gibt viele Gründe für den Aufschwung, mit den Kapitalströmen hat er wenig zu tun, abgesehen vielleicht von der ein oder anderen Regung am Immobilienmarkt.

Update: Gerade gemerkt: Die Zahlen zum Public Investment sind Anteile am Bruttoinlandsprodukt, nicht Veränderungsraten. Ändert aber nichts an der Aussage.

 

Inflation wird bald zurückgehen

Gestern habe ich für 1,539 Euro den Liter getankt, und ich gehe davon aus, dass mir mein Stromversorger in Kürze die Preise um 20 Prozent oder so erhöhen wird. Ich sehe gerade, dass die von den Energierohstoffen getrieben Einfuhrpreise im Februar um 11,9 Prozent über ihrem Vorjahreswert lagen. Nicht nur das, sie steigen sogar immer rascher, nämlich mit einer annualisierten Rate von 17,1 Prozent in den vergangenen sechs Monaten. Da die Importe von Gütern und Dienstleistungen im vergangenen Quartal annualisiert 1062 Mrd. Euro betrugen, bei einem BIP von 2524 Mrd. Euro, könnten mich solche Zahlen erschrecken. Tun sie aber nicht. Ich glaube nicht, dass sich eine neue Inflationsmentalität breit macht. Weiter„Inflation wird bald zurückgehen“

 

Deutschlands Parlamentarier und der Euro – ein Trauerspiel

Wer die deutsche Debatte um den neuen Rettungsfonds verfolgt, muss an der Demokratie zweifeln – zumindest an der Fähigkeit ihrer höchsten Repräsentanten, das Verständnis für die Vorgänge in einer modernen Volkswirtschaft auch nur annähernd aufzubringen.

Jetzt streitet also der Bundestag darüber, in wie vielen Schritten und wann Deutschland seine Kapitaleinlage in den ESM – rund 22 Milliarden Euro – leistet. Und wir bekommen zu hören, dass nun, da echtes Kapital fließe und nicht nur Garantien gegeben würden, endlich klar sei, dass die Rettung des Euro etwas koste.

Humbug. Wie der Fonds finanziert wird, ob über Garantien oder Cash, ist völlig egal. Jedem am Kapitalmarkt aufgenommenen Euro, den der Bundesfinanzminister nach Luxemburg überweist, steht eine Forderung in gleicher Höhe gegenüber. Das ist alles Volksvermögen, liebe Abgeordnete, egal wo es liegt. Entscheidend für die Gewinn- und Verlustrechnung ist, ob die Kredite, die der ESM vergibt, ausfallen oder nicht. Nur, wenn sie nicht zurückbezahlt werden, hat der deutsche Steuerzahler einen Schaden.

Und ja, der Bund bezahlt Zinsen, wenn er sich das Geld leiht. Aber der ESM wird das Geld anlegen, es ist unwahrscheinlich, dass Klaus Regling 80 Milliarden unter seine Matratze steckt, und – ganz genau – dafür Zinsen kassiert. Die kann er wieder ausschütten.

Man kann und sollte sich lange und trefflich darüber streiten, ob Europa eine Rettungsfonds braucht oder nicht. Ob Staatspleiten besser sind, als Liquiditätshilfen. Doch was die Abgeordneten aller Fraktionen derzeit abziehen, ist billigstes Buhlen um euroskeptische Wähler und nur noch peinlich.

Je länger ich dieses Spiel beobachte, desto mehr steigt mein Respekt vor Angela Merkel. Mit diesen Chaoten überhaupt eine kohärente Position in Brüssel vertreten zu können – das ist schon eine Leistung.