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„Mehr Vertrauen in Marktprozesse“

Das ist der Titel, den die fünf Sachverständigen ihrem neuen Gutachten gegeben haben. Haben sie schon vergessen, dass die große Rezession der vergangenen Jahre dadurch ausgelöst wurde, dass den Marktprozessen bei Immobilien und Banken freier Lauf gewährt wurde? Wir haben gelernt, dass Vertrauen gut ist, dass es ohne Kontrolle aber nicht geht, jedenfalls da, wo es kreditgetrieben zu Fehlallokationen, Vermögensblasen und Crashs kommen kann, die die ganze Volkswirtschaft in einen Abwärtsstrudel ziehen. Klar, in vielen Bereichen wäre mehr Markt wünschenswert, etwa in der Landwirtschaft, bei den freien Berufen (Notaren, Maklern, Architekten, Taxifahrern, Rechtsanwälten), auch bei der Energiewende, aber lakonisch zu erklären, dass wir mehr Vertrauen in die Marktprozesse haben sollten, kann ja wohl nicht ernst gemeint sein. Märkte übertreiben oft in die eine oder andere Richtung und produzieren nicht immer einen Zustand, in dem gleichzeitig Vollbeschäftigung und stabile Preise herrschen. Weiter„„Mehr Vertrauen in Marktprozesse““

 

EZB auf einem gefährlichen Pfad – Eine Replik von Hans-Werner Sinn

Mark Schieritz hat am Dienstag hier im HERDENTRIEB argumentiert, dass die Aufregung über den Ankauf von sogenannten Asset Backed Securities (ABS) durch die Europäische Zentralbank übertrieben ist. Der Präsident der Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, erklärt in einer Replik, warum die EZB aus seiner Sicht einen gefährlichen Weg beschreitet.

Hier die Replik von Hans-Werner Sinn: Weiter„EZB auf einem gefährlichen Pfad – Eine Replik von Hans-Werner Sinn“

 

Die Mär von der EZB als Bad Bank

Die halbe Republik scheint sich einig zu sein: Indem sie nun Asset Backed Securities (ABS) kauft, mutiert die Europäische Zentralbank zur Mülldeponie für Bilanzschrott. „Die EZB wird damit vollends zu einer Bail-out-Behörde und einer Bad Bank Europas“, formuliert Hans-Werner Sinn, Jürgen Stark jammert, die Notenbank nehme „unkalkulierbare Risiken“ auf ihre Bilanz, und Bernd Lucke von der AfD empört sich, diese Papiere hätten „die Finanzkrise ausgelöst“.

Haben sie nicht. Und auch sonst liegen die Kritiker – wie schon bei ihrer Vorhersage einer drohenden Inflation – schwer daneben. Die Finanzkrise ausgelöst haben wenn überhaupt dann amerikanische ABS, weil dort Schrotthypotheken verbrieft wurden. In Europa war das nicht der Fall. Deshalb sind die Ausfallraten – Yves Mersch hat daran erinnert – auf dieser Seite des Atlantiks erheblich niedriger, wie auch diese Tabelle von Fitch zeigt. Weiter„Die Mär von der EZB als Bad Bank“

 

Warum die EZB immer noch kein Bilanzziel hat

In der formalen Logik unterscheidet man zwischen einer positiven und einer normativen Aussage. Eine positive Aussage beschreibt einen Vorgang, eine normative bewertet ihn. Aus meiner Sicht berührt diese Unterscheidung den Kern der heutigen Sitzung der EZB.

Im zweiten Absatz des Einführungsstatements steht der folgende Satz:

Together with the series of targeted longer-term refinancing operations to be conducted until June 2016, these asset purchases will have a sizeable impact on our balance sheet, which is expected to move towards the dimensions it had at the beginning of 2012.

Draghi hat betont, dass der gesamte Governing Council hinter dieser Aussage steht. Die meisten Marktteilnehmer haben daraus abgeleitet, dass der GC ein Bilanzziel für die EZB abgesegnet hat. Das wäre ein großer Erfolg für Draghi und es würde bedeuteten, dass es mit einem gewissen Automatismus zu Quantitative Easing kommt, wenn das Ziel – wie wiederum der Markt erwartet – nicht erreicht wird mit den bisherigen Maßnahmen.

Ich halte diese Interpretation für nicht korrekt. Der Satz gibt lediglich wieder, die allgemeine Erwartung sei, dass sich die Bilanz der EZB in der entsprechenden Weise entwickle. Er sagt nicht, was passieren wird, wenn diese Erwartung sich nicht erfüllt. Konkret: Wenn die Bilanz die Zielgröße nicht erreicht.

Zwar heißt es an anderer Stelle:

Should it become necessary to further address risks of too prolonged a period of low inflation, the Governing Council is unanimous in its commitment to using additional unconventional instruments within its mandate.

Aber zwischen dieser Aussage und dem Bilanzziel gibt es keine klare Verbindung: Es ist keineswegs klar, dass eine Verfehlung des Bilanzziels schon eine hinreichende Voraussetzung für neue Maßnahmen ist.

Mit anderen Worten: Die Aussage, Draghi habe den GC auf ein Bilanzziel eingeschworen, erscheint mit falsch. Ich denke, die Formulierung versucht zu kaschieren, dass es eben keine Einigkeit gibt, wie man mit der Bilanz umgeht. Das ist unter Kommunikationsgesichtspunkten nicht unklug, aber ich denke wenn sich die ersten nationalen Gouverneure äußern, wird die Fassade zerbröseln.

 

Hans-Werner Sinn will mehr Inflation

Wir kennen Hans-Werner Sinn als Großkritiker jeder Form einer expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die wahlweise die Sparer enteignet oder den deutschen Steuerzahler schröpft.

Nun bin dank Makrointelligenz auf ein sehr interessantes Papier von Sinn aus dem Jahr 2000 gestoßen. Darin plädiert er auf Basis einer Balassa-Samuelson-Analyse dafür, dass die EZB eine Inflationsrate von mindestens 2,5 Prozent anpeilen sollte, um Deflation zu verhindern. Weiter„Hans-Werner Sinn will mehr Inflation“

 

Wer soll die Banken beaufsichtigen?

Ich war heute auf einer sehr interessanten Konferenz des Financial Risk and Stability Networks zur Bankenunion in Berlin. Es ging dort unter anderem um die Frage möglicher Interessenkonflikte zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht und der institutionellen Konsequenzen daraus.

Die Existenz von Zielkonflikten wurde von niemandem geleugnet – aber was das Institutionelle angeht hat Jeromin Zettelmeyer aus dem Wirtschaftsministerium einen wichtigen und mir neuen Punkt gemacht. Weiter„Wer soll die Banken beaufsichtigen?“

 

Marktteilnehmer wünschen expansivere Finanzpolitik

Niemand weiß, was Gott will, und niemand weiß, was die Märkte wollen. Paul Krugman hat kürzlich in der New York Times auf diese Analogie hingewiesen: Die Kreuzritter glaubten zu wissen, dass der liebe Gott von ihnen die Eroberung der heiligen Stätten des Morgenlandes verlange, während jemand wie Alan Greenspan glaubte, die Märkte hätten Angst vor galopierender Inflation und staatlichen Haushaltsdefiziten und würden daher von der Fed höhere Leitzinsen fordern. Umso erstaunter und geradezu genervt war er, dass weder die Inflationsraten noch die Marktzinsen das taten, was er von ihnen erwartete. Wenn politische Kreuzritter unserer Tage behaupten, sie wüssten, was die Märkte wollen, haben sie nach Krugmans Eindruck nur ihr eigenes Wollen im Sinn. In Wirklichkeit hätten sie, wie Alan Greenspan, ebenso wenig eine Ahnung vom Willen des Marktes, wie schon tausend Jahre vor ihnen die Kreuzritter von den Plänen Gottes. Weiter„Marktteilnehmer wünschen expansivere Finanzpolitik“

 

Als man im Sachverständigenrat auf Buchhaltung setzte

Bei Recherchen bin ich auf ein Gutachten des Sachverständigenrats aus dem Jahr 1964 gestoßen. Dort geht es – wie heute – um die Problematik wachsender Ersparnisüberschüsse der inländischen Sektoren.  Heute scheint die Mehrheit der deutschen Ökonomen ja zu glauben, alle könnten zugleich sparen, deshalb soll auch der Staat einen ausgeglichenen Haushalt anstreben.

Schauen wir doch, was man damals schrieb:

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Die öffentliche Hand soll also ein „Finanzierungsdefizit“ anstreben um die Ersparnis aufzusaugen und mit dem über Staatsanleihen aufgenommen Geld „Sachkapitalbildung des Staates“ betreiben. Heute würde man schreiben: Ein schuldenfinanziertes Investitionsprogramm auflegen.

In diesen Wochen feilen die Räte an ihrem neuen Gutachten – vielleicht lohnt es sich, ins Archiv zu schauen.

 

Euroland braucht Eurobonds

Öffentliche Defizite abzubauen ist Gift für die Konjunktur, solange es in der Wirtschaft gewaltige ungenutzte Reserven gibt. In der europäischen Währungsunion ist das der Fall: Die Arbeitslosenquote liegt bei 11,5 Prozent, und die Kapazitätsauslastung ist nach meiner Rechnung rund 13 Prozent niedriger als sie sein könnte. Niemand darf sich wundern, dass eine solche prozyklische Politik die Lage verschlimmert und das Risiko einer neuen Rezession zunimmt. Stagnation, abgelöst von Rezessionen ist inzwischen der Normalzustand geworden. Da hilft auch die expansive Geldpolitik nur begrenzt. Wer braucht noch den Euro, wenn die wirtschaftlichen Erfolge ausbleiben? Weiter„Euroland braucht Eurobonds“

 

Frankreich spart eben doch

Frankreich spart doch gar nicht – diese Einschätzung ist in Deutschland weit verbreitet und findet sich in fast jedem Artikel über die Franzosen. Schließlich wird das Land erneut die europäischen Defizitregeln reißen, und außerdem ist der Staathaushalt nach wie vor Jahr für Jahr im Minus und die Schuldenquote steigt.

Dieser Analyse basiert jedoch auf einem problematischen – um nicht zu sagen mangelhaftem – Verständnis des Sparvorgangs auf der Ebene eines Staates. Denn Sparen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Staat Maßnahmen ergreift, die den Haushalt entlasten. Das können Einnahmeerhöhungen sein oder Ausgabekürzungen.

Was passiert nun mit dem Etatdefizit? Es kommt darauf an. Es kann sich verringern, weil der Staat ja weniger ausgibt. Es kann sich aber auch erhöhen, nämlich wenn die Ausgabekürzung die Konjunktur einbrechen lässt. Denn dann können die durch das schwächere Wachstum bedingten zusätzlichen Ausgaben (etwa Arbeitslosenhilfe) oder geringeren Einnahmen (zum Beispiel bei den Steuern) den ursprünglichen Sparimpuls mehr als wettmachen und das Defizit insgesamt sogar steigen lassen.

Wie der Etat am Ende reagiert hängt von verschiedenen Faktoren ab, aber in jedem Fall lässt sich aus der Entwicklung des nominalen Defizits noch nicht ableiten, ob ein Staat spart oder nicht.

Deshalb wurde das Konzept des strukturellen oder konjunkturbereinigten Haushaltssaldos erfunden. Es misst die Veränderung des Etats unter Ausschluss konjunktureller Faktoren. Das strukturelle Defizit lässt sich leider nicht direkt beobachten, sondern muss mit Hilfe komplizierter und leider sehr unzuverlässiger Verfahren abgeleitet werden, doch wenn überhaupt dann ist die Veränderung dieser Größe ein Maß dafür, ob ein Land spart oder nicht.

Hier die entsprechenden Daten aus dem letzten WEO des Internationalen Währungsfonds.

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Siehe da: Das nominale Defizit steigt zwar, doch Frankreich reduziert sein strukturelles Defizit seit 2010 kontinuierlich. Frankreich spart also. Das kann man gut oder schlecht finden, doch man sollte es zur Kenntnis nehmen.