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Selbstgerechte Bilanz unserer Wetten 2011

War das eine Freude gestern! Nach einem Jahr trafen sich die drei Hirten (Lucas Zeise, Dieter Wermuth und ich) an gewohnter Stelle wieder und beugten ihre Häupter über die Wetten für das nun abgelaufene Jahr. Und siehe da: Wir waren grandios! Lagen wir falsch, dann meist nur, weil unsere Prognosen der Zeit voraus sind! Zwar fällt die Bilanz zugegebenermaßen am Ende bescheidener aus, als das Triumphgeheule vermuten lässt. Wichtig in diesem schwierigen Jahr war uns jedoch, dass die Peilung stimmte. Das Säckchen Asche, das ich vor einem Jahr noch dabei hatte, brauchten wir dieses Mal nicht. Weiter„Selbstgerechte Bilanz unserer Wetten 2011“

 

Anleger wollen Sicherheit, aber auch Cash Flow

Traditionelle Anlagen wie Bundesanleihen oder US Treasuries, die bisher in jedes gut sortierte Portefeuille gehörten und vor allem auch bei Versicherungen und Pensionskassen beliebt waren, sind inzwischen sehr teuer geworden. Angesichts von Renditen von weniger als zwei Prozent bieten sie noch nicht einmal mehr einen Ausgleich für die Geldentwertung. Das zeigt, welche Panik an den Rentenmärkten herrscht, wie sehr die Anleger auf Sicherheit bedacht sind. Es zeichnet sich nämlich noch nicht ab, ob, wann und wie die globale Finanzkrise überwunden werden kann. Den Wirtschaftspolitikern fehlt ein überzeugendes Konzept – übrigens auch den Ökonomen – und es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu Entwicklungen wie in Japan kommt. Dort liegen die Aktienkurse nur bei einem Fünftel der Werte, die sie bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten erreicht hatten, und die zehnjährigen Bondrenditen sind auf 0,98 Prozent gefallen. In der Schweiz sind sie sogar auf 0,65 Prozent abgestürzt. Deutsche Bundespapiere im Laufzeitenbereich bis etwa ein Jahr haben derweil negative Zinsen!

Aktien von Unternehmen, die aufgrund ihrer Marktstellung aller Voraussicht nach immer in der Lage sein werden, eine auskömmliche Dividende zu zahlen, haben sich daher zu konservativen Alternativen gemausert. Auch viele Unternehmensanleihen gehören jetzt in diese Kategorie. Anleihen von Banken allerdings noch nicht, ebenso wenig wie Bankaktien. Die Bankenkrise ist nämlich noch keineswegs ausgestanden. Es besteht offenbar noch ein erheblicher Abschreibungsbedarf: Bei vielen multinationalen Instituten liegen die Aktienkurse bei weniger als der Hälfte der Buchwerte!

Insgesamt ist der Ausblick für die Weltwirtschaft nicht so negativ, wie es scheinen könnte, wenn man nur die Nachrichten aus den OECD-Ländern verfolgt. China, dessen nominales BIP vermutlich bereits im Jahr 2018 das der USA erreicht haben dürfte, expandiert weiterhin kräftig, ebenso wie die Mehrzahl der Schwellenländer. Sie sind allesamt finanziell sehr gesund und haben beim BIP pro Kopf noch einen gewaltigen Aufholbedarf. Sie dürften auch im schwierigen Jahr 2012 noch mit einer Rate von 4,5 Prozent zulegen. Das wiederum dürfte verhindern, dass die Rohstoffpreise noch einmal so einbrechen wie im Jahr 2008.

Auch Deutschland hat bisher keine Probleme. Da es keine Blasen gab, die hätten platzen können, gibt es auch keinen Grund, forciert Schulden abzubauen und Ausgaben einzuschränken. Die niedrigen Zinsen und der schwache Euro sind genau das, was das Land braucht. Jetzt müssten nur noch die Löhne kräftiger steigen – dann wäre unsere Wirtschaft doch glatt die Konjunkturlokomotive Europas und es wäre nicht so schlimm, wenn in den anderen Ländern des Euroraums eine pro-zyklische Finanzpolitik betrieben wird. Es wäre fast zu schön!

Eine ausführliche Analyse der wirtschaftlichen Lage nach fast viereinhalb Jahren Finanzkrise und der Risiken und Aussichten für Aktien, Bonds, Rohstoffe und Wechselkurse finden Sie in meinem neusten Investment Outlook:

Wermuth’s Investment Outlook – January 2012*) (pdf, 302 KB)

*) Den Investment Outlook von Dieter Wermuth in englischer Sprache gibt es einmal im Monat und er wird zunächst kostenlos auf Herdentrieb zum Herunterladen bereitgestellt. (ur)

 

Ich bin ausnahmsweise ganz bei Weidmann

So sehr mich der Kurs von Bundesbank und Bundesregierung in der Euro-Krise auch aufregen, den jüngsten Äußerungen Jens Weidmanns zur deutschen Konjunktur stimme ich zu. Der Bundesbankpräsident warnt vor zu viel Schwarzmalerei. Ich habe lange gebraucht, mich zu entscheiden, ob ich für 2012 den Optimisten oder Pessimisten geben soll. Das Hadern ist der eine Grund, warum die jährliche Wachstumswette, mit der der HERDENTRIEB im November 2005 startete, sechs Wochen länger als üblich auf sich warten ließ. Der andere: Die vergangenen fünf Monate waren anstrengend, der neue Job und das Pendlerleben zwischen Frankfurt und Berlin mit allerlei organisatorischen Herausforderungen.
Anyway. Hier kommt meine siebte Wachstumswette. Und nachdem die des vergangenen Jahres mal wieder ganz hervorragend war, gehe ich voller overconfidence gegen den Mainstream. Weiter„Ich bin ausnahmsweise ganz bei Weidmann“

 

Treffer und Fehlschläge

Wie immer um diese Jahreszeit ziehe ich mich für einige Wochen zum Familienbesuch auf die Südhalbkugel zurück. Eine gute Gelegenheit also, das Jahr Revue passieren zu lassen und die wichtigsten Thesen in meinen Beiträgen einem kurzen Realitätscheck zu unterziehen.

Der größte Patzer war sicherlich die Einschätzung, Griechenland habe nur ein Liquiditäts-, aber kein Solvenzproblem. Daneben lag ich auch mit der These, die Krise werde sich durch die Errichtung des EFSF beruhigen. Auch die Bankenrettung sehe ich heute etwas differenzierter und meine Begeisterung für die Rationalität der Politik als Korrektiv für die Irrationalität der Märkte ist auch ein wenig gewichen.

Berechtigt erscheint hingegen die Warnung vor der Ansteckungsgefahr durch die Gläubigerbeteiligung und vor den Folgen Bankenrekapitalisierung. Auch die Kritik an der Target-2-Debatte war wohl nicht ganz daneben, schließlich hat Hans-Werner Sinn einige der zentralen Einwände übernommen (unter anderem das Argument, dass die zunehmende Inanspruchnahme von Zentralbankliquidität in der Peripherie nicht zu einer Kreditverknappung in Deutschland führt). Eine ziemliche Punktlandung war die Wachstumsprognose für Deutschland von drei Prozent aus dem Dezember 2010. Und von der Inflation ist bislang auch nichts zu sehen.

In diesem Sinne: Frohes Fest!

 

Woher kommt die Liquidität

Die EZB hat in ihrem neuesten Finanzstabilitätsbericht ein interessantes Kapitel zum Thema Liquidität. Interessant ist er, weil vielerorts die mechanistische Vorstellung anzutreffen ist, Liquidität sei etwas, das allein die Zentralbank über ihre geldpolitischen Operationen bereitstellt. Deshalb ist immer wieder zu lesen, die Notenbank pumpe zu viel Geld – gemeint ist damit in der Regel Zentralbankgeld oder Geldbasis – in den Markt und  sorge damit für allerlei Verwerfungen.

So ist es aber nicht. Weiter„Woher kommt die Liquidität“

 

Hartz IV für die USA?

Patrick Bernau wirft eine interessante Frage auf: Die USA haben offensichtlich ein Problem mit ihrem Arbeitsmarkt und ihrer Exportstärke und sie bilden mit den Chinesen eine Art Währungsunion, in der das Instrument der Währungsabwertung nur begrenzt zur Verfügung steht. In einer ähnlichen Lage befanden sich die Deutschen – und jetzt läuft es ja wieder ganz gut. Da liegt es doch nahe, den Amerikanern einmal Peter Hartz vorbei zu schicken, damit der die Löhne zwischen New York und Los Angeles einmal richtig drückt, auf das sich die Handelsbilanz umdreht.

Nun ist bekanntlich – zurückhaltend formuliert – umstritten, welchen Anteil die Agenda 2010 am aktuellen Aufschwung hat und die Arbeitsmarktgesetze der USA sind nicht für ihre Rigidität bekannt. Philip Pilkington weist zudem auf die deflationären Risiken einer solchen Strategie hin. Doch selbst wenn man diese Probleme ausklammert, ist fraglich, ob den Amerikanern Lohnzurückhaltung wirklich zu empfehlen wäre.

Diese Grafik der OECD zeigt die Quartalsveränderungsraten der Lohnstückkosten, von 1980 bis heute. Wir sehen in Deutschland den bekannten Anstieg im Zuge der Wiedervereinigung. Die Lohnzurückhaltung in den vergangenen Jahren mag übertrieben gewesen sein, sie war aber zum Teil nötig, um die Exzesse zu korrigieren.

Der entscheidende Punkt ist, dass die Amerikaner keinen vergleichbaren Anstieg hatten. Deshalb ist fraglich, ob ihnen eine Niedriglohnstrategie zu empfehlen wäre.

 

Glaubt die Kanzlerin, was sie sagt?

Angela Merkel heute im Bundestag (via Spiegel Online):

„Auf den Tag genau 20 Jahre nach Maastricht haben wie wieder eine zentrale Weichenstellung vorgenommen“, so Merkel. Mit den Beschlüssen des Gipfels sei es gelungen, die Konstruktionsfehler bei der Schaffung der Währungsunion zu beheben. Die Krise habe schonungslos eben diese Fehler in der Vergangenheit offengelegt.

Es gab im Wesentlichen drei Konstruktionsfehler der Währungsunion:

  1. Die Haushaltsregeln sind nicht bindend.
  2. Es gibt keine Koordination der Wirtschaftspolitik und der Bankenregulierung, so dass sich dramatische Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen und spekulative Blasen herausbilden konnten.
  3. Es gibt keine Ausgleichsmechanismus im Fall asymmetrischer Schocks – weder bei Liquiditätsproblemen noch bei Solvenzproblemen einzelner Staaten.

Welchen dieser Konstruktionsfehler bitte behebt der Gipfelbeschluss?

Zu 1) Die rechtliche Basis der neuen Regeln ist vollkommen unklar, für sich genommen werden sie niemanden zum Schuldenverzicht bewegen.

Zu 2) Das – viel dramatischere – Problem der Leistungsbilanzungleichgewichte wird nicht einmal erwähnt. Zur Erinnerung: Die Griechen haben es überzogen, Spanien und Irland hatten immer alle Schuldenregeln eingehalten. Dort ist nicht die Staatsverschuldung, sondern die Privatsektorverschuldung das Problem.

Zu 3) Ob die Rettungstöpfe ausreichen, um zu verhindern, dass die Zinsen in den Mitgliedsstaaten außer Kontrolle geraten, ist vollkommen unklar. Die Bundesbank blockiert die zusätzlichen Mittel für den IWF, der EFSF könnte bei einer Ratingabstufung Frankreichs außer Kraft gesetzt werden, der ESM ist nicht groß genug. Und die Europäische Zentralbank weigert sich beharrlich, in die Lücke zu springen.

Dazu kommt, dass die Sparmaßnahmen die Staaten der Peripherie in eine langjährige Rezession stürzen dürften – ohne die Aussicht auf einen rettenden Weltwirtschaftsboom, mit dem sich Deutschland aus der Krise befreite.

Das Problem ist noch nicht einmal richtig beschrieben. Geschweige denn gelöst.

 

Steuern hoch oder Ausgaben runter?

Patrick Bernau widmet sich der Frage nach der richtigen Konsolidierungsstrategie und wiederholt das Mantra konservativer Ökonomen: Ausgaben kürzen ist besser – also wachstumsfreundlicher – als Steuern anzuheben:

Wer jetzt trotzdem nach Steuererhöhungen ruft, um den Staatshaushalt zu sanieren – der lese die Studie von Alberto Alesina und Silvia Ardagna: Die beiden haben kürzlich abermals Hinweise darauf gefunden, dass Steuererhöhungen die Staatshaushalte nicht dauerhaft in Ordnung bringen.

Diese Aussage ist höchst problematisch.

Der IWF hat sich die Frage Ausgabenkürzung vs Steuererhöhunhen in seiner inzwischen legendären Konsolidierungsstudie vorgenommen – in der Alesina im Übrigen nicht gut wegkommt – und kommt dabei zu höchst interessanten Ergebnissen:

Thus, it appears that the difference in monetary policy responses accounts for much of the difference in output performance.

Steuererhöhungen sind also nicht inhärent wachstumsfreundlicher als Ausgabenkürzungen. Die Reaktion der Geldpolitik ist entscheidend. Und warum reagiert sie, wie sie reagiert?

These results are consistent with the notion that central banks view spending-based deficit cuts more favorably, possibly because they interpret them as a signal of a stronger commitment to fiscal discipline, and are therefore more willing to provide monetary stimulus following spending-based adjustments.

Mit anderen Worten: Die Zentralbanken sind eher bereit, die Zinsen zu senken, wenn der Staat Ausgaben kürzt statt Steuern zu erhöhen. Das aber ist keine ökonomische, sondern eine politische Begründung. Letztlich läuft es darauf hinaus: Zentralbanker sind in der Regel konservative Menschen und als solche haben sie eine Vorliebe für weniger Staatsausgaben – obwohl sie damit ihr Mandat verletzen, denn sie sind nicht für Finanzpolitik zuständig.

Das Problem lässt sich aber einfach lösen: Durch die Wahl der richtigen Zentralbanker. Die ehrliche Antwort von Alesina et al auf die Frage Steuern erhöhen vs Ausgaben senken müsste also lauten: Ökonomisch irrelevant, abhängig von politischen Präferenzen. Manche Leute – ich gehöre dazu – leben gerne in großzügigen Wohlfahrtsstaaten, die durch hohe Steuern finanziert werden. Andere bevorzugen den Nachtwächterstaat und wollen möglichst wenig Steuern bezahlen. Beide Positionen sind legitim. Nicht legitim aber ist, wenn es Ökonomen nicht um der Erkenntnis willen forschen, sondern um Weltanschauungen zu rechtfertigen.