Der heilende Urin des Propheten

Keine Satire: Erst kam die Still-Fatwa (die Mann und Frau das Zusammenarbeiten in einem Raum erlaubt, wenn die Frau ihn stillt und somit zum „Milchbruder“ macht), dann die Urin-Fatwa. Das Trinken des Urins des Propheten, erklärte einer der höchsten Theologen Ägyptens, sei ein Segen.
Wer braucht da noch Mohammed-Karikaturen? Die Theologie erledigt das Geschäft der Verhöhnung des islamischen Glaubens ganz alleine.
Man fragt sich fast, ob man so etwas überhaupt noch berichten soll.
Aber die Welle von durchgeknallten theologischen Gutachten, die derzeit in Ägypten für Aufruhr sorgt, steht für etwas: die totale Verwirrung und Selbst-Delegitimierung der höchsten theologischen Autorität des sunnitischen Islams, der Al-Azhar-Universität.
Die peinliche Fatwa des ägyptischen Grossmuftis Ali Gomaa, über die sich die arabische Öffentlichkeit erregt, steht für den erschreckenden Zustand der amtlichen islamischen Theologie. Das wirft die Frage für den interreligiösen Dialog auf: Mit wem soll man eigentlich reden, wenn hohe Amtsträger sich so diskreditieren?

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Ali Gomaa

Es ist eigentlich gar keine neue Fatwa, über die sich die arabische Presse jetzt mokiert. Vor sechs Jahren wurde die Meinung, die Körperausscheidungen des Propheten seien „rein“ gewesen und könnten denjenigen reinigen, der sie aufnimmt, in einem Buch des Muftis vertreten. Das Buch über „Religion und Leben“ mußte der Mufti jetzt aus dem Handel nehmen lassen.
Der Streit um die alberne Fatwa hat einen ernsten theologischen Hintergrund. Mohammed ist – in deutlicher Absetzung zu dem Jesus der Christen – ein Mensch mit ganz normalen menschnlichen Attributen (wenn auch ein außergewöhnlicher Mensch, ein Vorbild, ja der ideale Mensch überhaupt). Der Mufti macht ihn zu einem Heiligen, zu einem Gott-Menschen, und das ist ziemlich nahe an der Häresie.

Ali Gomaa war zuletzt durch seine Hymen-Fatwa aufgefallen, die die Rekonstruktion des Jungfernhäutchens gutgeheissen hatte, um den jungen Frauen zu ermöglichen , trotz vorehelichen Geschlechtsverkehrs islamisch korrekt in die Ehe zu gehen. Er hatte sich auch gegen Genitalverstümmelungen ausgesprochen. Er war auch unter den 38 islamischen Theologen, die dem Papst nach der Regensburger Rede antworteten.
Ali Gomaa ist einer der wenigen hohen Würdenträger des Islam, die sich klar gegen Terrorismus aussprechen. Er hat das kürzlich erst in London auf Einladung der britischen Regierung getan.

 

Die Pilgerreise als politisches Instrument?

Aussenminister Steinmeier trifft im Nahen Osten auf lauter Akteure, die es aus purer Not mit Pragmatismus versuchen wollen

Riad, 8. Mai
Wer in die Geburtskirche zu Bethlehem will, muss sich klein machen. Die winzige Pforte wurde einst von den Kreuzfahrern verkleinert, um die Basilika besser verteidigen zu können. Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier passt gebückt so gerade noch durch – und schon hat seine siebte Nahost-Reise ein passendes Bild: Wer sich in die religiös aufgeladenen Konflikte dieses Teils der Welt einmischen will, übt sich besser gleich in Demut.

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Steinmeier in der Geburtskirche zu Bethlehem, links Kholoud Daibes, die Tourismusministerin der palästinensischen Einheitsregierung

Auf dem Platz vor der Geburtskirche haben sich ein paar erregte Demonstranten unter einem Plakat versammelt, auf dem in Arabisch und Englisch zu lesen steht, wer die Stadtverwaltung Bethlehems boykottiere, sei in der Geburtsstadt Jesu nicht willkommen. Der Bürgermeister der Stadt hatte vergeblich auf einen Händedruck des Aussenministers vor der Kirche gehofft. Er steht der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) nahe, die der EU als Terrororganisation gilt. Der verweigerte Händedruck wird in arabischen Medien empört zum „Boykott“ aufgeblasen.
Boykott? In Wahrheit versucht Steinmeier, jenen Teilen der palästinensischen Regierung aus der Isolation herauszuhelfen, die für einen Gewaltverzicht und die Anerkennung Israels stehen. Angela Merkel hatte bei ihrem Besuch vor einem Monat noch jeden Kontakt mit der nationalen Einheitsregierung aus Fatah und Hamas gemieden. Steinmeier trifft als erster Emissär der Bundesregierung mit moderaten Regierungsmitgliedern zusammen – mit dem parteilosen Finanzminister Fajad, der ebenfalls parteilosen Tourismus-Ministerin Daibes, dem Informationsminister Barghouti, dem Aussenminister Amr und schließlich mit dem Präsidenten Mahmud Abbas.

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Das unfertige Arafat-Mausoleum in der Mukata (palästinenischer Regierungssitz in Ramallah)

Hinter diesem vorsichtigen Politikwechsel der Europäer – Steinmeier vertritt hier auch die Rastpräsidentschaft – steht die Einsicht, dass politische Isolation am Ende den islamistischen Radikalen in Hamas und Fatah hilft, weil sie die Handlungsmöglichkeiten von Mahmud Abbas einschränkt. Mit dem Finanzminister Fajad werde derzeit darüber verhandelt, so Steinmeier, die EU-Finanzhilfen an die Palästinenser wieder für Investitionen und öffentliche Gehälter freizugeben. Nach dem Hamas-Triumph bei den letzten Wahlen hatte Europa sich auf humanitäre Hilfe beschränkt. Steinmeier ist gekommen, um eine hilflose Politik zu beenden, die das wachsende Elend in den palästinensischen Gebieten alimentiert und gleichzeitig die Regierung politisch schwächt.
Steinmeier trifft Fajad in Bethlehem, im traumhaft schönen, aber menschenleeren Hotel Jacir Palace. Es liegt nur wenige Schritte von dem Sperrwall entfernt, der die palästinensischen Gebiete einschließt. Hier mit der gesamten Delegation zu übernachten – statt wie üblich in Jerusalem – , ist ganz ohne große Worte eine bewegende Geste für die zunehmend verelendenden Bewohner der Westbank. Die gespielte Aufregung um den Bürgermeister ist denn auch schnell vergessen. Dass der deutsche Aussenminister in dem Geister-Hotel absteigt – 6 Prozent Auslastung sind hier sonst üblich -, als wäre es schlichte Normalität, wird ihm so schnell nicht vergessen werden.
Denn Normalität ist in dieser leicht entflammbaren Region ein knappes Gut.

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Steinmeier vor der Mukata mit dem palästinensischen Aussenminister Ziad Abu Amr (rechts aussen)

Doch diesmal ist untergründig eine merkwürdige neue Dynamik der Vernunft am Werk. Steinmeier trifft auf lauter Akteure, die so tief in ihren selbstgeschaffenen Krisen stecken, dass sie schon aus reiner Not dem Pragmatismus eine Chance geben müssen. Darum klingen seine mantramässig wiederholten Appelle, man dürfe „den Gesprächsfaden nicht abreissen lassen“, man müsse „das historische Momentum nutzen“, man solle „den Annäherungsprozess konstruktiv begleiten“, keineswegs hohl.
Gerade die offensichtliche Zerbrechlichkeit der beiden Regierungen in Ramallah und Jerusalem macht Fortschritte im Friedensprozess für sie unverzichtbar. Sowohl Abbas wie auch Ehud Olmert und seine Aussenministerin Zipi Livni brauchen dringend Erfolge, um den berechtigten Verdacht zu widerlegen, dass sie nicht mehr handlungsfähig sind.
Das Leitmotiv dieser Reise ist pragmatische Vernunft aus eingesehener Schwäche – von Scharm-El-Scheich in Ägypten über Palästina und Israel bis nach Riad in Saudi Arabien: Bei der Irak-Konferenz konnte Steinmeier eine bescheiden gewordene Condi Rice erleben, die sich nun auf einmal rühmte, in Scharm-El-Scheich 30 Minuten lang „produktiv“ mit dem syrischen Ausseminister Moallem über die Verbesserung der Sicherheit im Irak geredet zu haben. Seine eigene Syrienreise war vor wenigen Monaten von den Amerikanern noch als verrückte Idee abgetan worden. Steinmeier verkniff sich in Scharm-El-Scheich jedes Zeichen der Genugtuung.
Die arabischen Staaten sagen nicht nur Irak bei der Konferenz einen weitgehenden Schuldenerlass zu. Sie haben jetzt auch ihre Nahost-Friedensinitiative wiederbelebt, die fünf Jahre auf Eis lag. Beides nicht nur aus Idealismus: Sie stützen die Maliki-Regierung im Irak und den Präsidenten Abbas nicht zuletzt, weil sie sonst im Irak von den Iranern und in Palästina von der Hamas an den Rand gedrängt zu werden fürchten.
An den zwei vollgepackten Tagen, die Steinmeier in Israel verbringt, gibt es erste Zeichen dafür, dass die paradoxe Dynamik aus Schwäche tatsächlich wirkt. Die innenpolitisch angeschlagene Livni bekräftigt, sie werde noch in dieser Woche nach Ägypten fahren, um die Chancen einer Wiederbelebung des arabischen Friedensplans auszuloten. Und Abbas’ Sicherheitskräfte schliessen einen Waffenschmuggler-Tunnel an der Grenze Gaza-Ägypten. Damit erfüllen sie eine der Forderungen des neuen amerikanischen Plans zur Wiederbelebung des Friedensprozesses, der just während Steinmeiers Reise bekannt wird.
Das „Benchmarks“- Papier aus dem Aussenministerium setzt beiden Seiten einen klaren Zeitplan: Die Palästinenser müssen in Gaza gegen Waffenschmuggel und Raketenbeschuss vorgehen, die Israelis sollen dafür Blockaden und Checkpoints im Westjordanland entfernen und Reiseerleichterungen gewähren.
Zwischen den diplomatischen Kernterminen ist Steinmeier einen ganzen Tag fern der politischen Entscheidungszentren im Heiligen Land unterwegs. Eine Reporterin der katholischen Nachrichtenagentur will wissen, ob dies etwa eine getarnte Pilgerreise sei. Die Frage ist nicht unberechtigt: Steinmeier besucht nach der Geburtskirche auch noch die Brotvermehrungskirche, die Synagoge von Kapernaum und ein katholisches Pilgerheim am See Genezareth. Schließlich fährt er mit einem historischen Boot auf dem See, an dessen Ufern sich wesentliche Teile des Evangeliums zugetragen haben. Nein, gibt er dort lachend zu verstehen, er habe nicht vor, „die Pilgerreise als politisches Instrument“ zu rehabilitieren.

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Pilgerprogramm zwischen Religion, Geopolitik und Ökologie: Steinmeier auf dem See Genezareth

Auf dem See Genezareth läßt er sich denn auch nicht über das Evangelium vom Gang Jesu über das Wasser aufklären, sondern über Wasserknappheit als politischen Faktor in Zeiten globaler Erwärmung. Die kommenden Konflikte werden hier nicht nur um Glauben und Land geführt werden, sondern immer mehr auch um die Ressource Wasser. Steinmeiers Pilgerprogramm ist also eine Exkursion in die untrennbare Verschlingung von Religion, Geopolitik und Ökologie im Heiligen Land.
Pathetische Reden über den Dialog der Religionen liegen dem trockenen Protestanten Steinmeier nicht. Er hat, statt Reden zu halten, lauter Orte ausgesucht, an denen die Politisierung der Religion sich als Fluch erwiesen hat – und an denen es doch auch Beispiele für die „gelebte Aussöhnung“ gibt. So etwa in der evangelischen Schule Talitha Kumi in Beit Jala westlich von Bethlehem, wo Christen und Muslime, Mädchen und Jungen trotz allem zusammen lernen.

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Steinmeier in der evangelischen Mädchenschule „Talitha Kumi“ („Mädchen steh auf“) in der Westbank bei Beit Jalla

In der Basilika bei Kapernaum, in der das Wunder der Brotvermehrung verehrt wird, erläutert Pater Jeremias Marseille dem Aussenminister, dies sei ein multireligiöser Ort des Durchgangs gewesen, auf dem die erschöpften Reisenden, die aus den Wüsten Mesopotamiens ans Mittelmeer kamen, Kühle, Ruhe und Erfrischung gefunden hätten. Für ihn, so der Pater, sei damit auch die Atmosphäre des Evangeliums beschrieben. Das hat Steinmeier offenbar gefallen. Im Besucherbuch ist nachher zu lesen, er sei gerne zum „Ruhen und Rasten gekommen“. Und am Ende sagt er gar, „dass ein wenig christliche Zuversicht auch für unser Geschäft notwendig ist“.

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Der Aussenminister beim Ausstrahlen christlicher Zuversicht in Kapernaum. Alle Fotos: Lau

Wie wahr das ist, zeigt sich noch am gleichen Tag: Hamas läßt verlauten, man werde alles daran setzen, dass der amerikanische Benchmarks- Plan niemals implementiert werden könne. Drei Kassam-Raketen aus Gaza schlagen auf israelischem Gebiet ein.

 

Ägyptischer Blogger: Warum ich weiter für die Freiheit kämpfe

Der wegen Beleidigung des Islams (und des ägyptischen Präsidenten) zu vier Jahren haft verurteilte ägyptische Blogger Kareem Amer spricht in diesem Interview über die Gründe für seine Verfolgung durch die Al-Azhar Universität.
Er sagt auch, dass er („bis zum Ende“) weiter für die Meinungsfreiheit in Ägypten eintreten wird.
Kareem Amer hat die Praxis der Al-Azhar, männliche und weibliche Studenten zu separieren, „Geschlechterapartheid“ genannt.
Er hat die Kungelei der Universitätsführung mit dem ägyptischen Regime angeprangert.
Und er hat unerschrocken darauf beharrt, an der Universität frei denken und seine Meinung äussern zu dürfen.
Das hat der Universität gereicht, um ihn unschädlich machen zu wollen.
Kareems Anwältin berichtet unterdessen, dass ihr Versuch, in Berufung zu gehen, systematisch vereitelt wird.
Hier das INTERVIEW, das im letzten Sommer, bereits Monate vor der Verhaftung, aufgezeichnet wurde. Ein Dokument des Mutes und einer erstaunlichen intellektuellen Klarheit:

 

Ägyptischer Blogger in Einzelhaft – aus Angst vor einem Mordanschlag

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Abdul Karim Nabil Suleiman, genannt Karim Amer

Die große ägyptische Wochenzeitung Al-Ahram nimmt sich des Falles von Karim Amer an. Der zu vier Jahren Haft verurteilte Blogger sitze derzeit in Einzelhaft, so das Blatt. Er habe dies selbst gewünscht, aus Angst davor, von einem Mitgefangenen ermordet zu werden.

Sein eigener Vater, ein streng gläubiger Salafist, hat seine Verurteilung begrüßt. Er habe „westliche Ansichten übernommen, die ihn von der Religion weggeführt haben“. Darum verdiene er „die schwerste Bestrafung als Atheist, der den Islam zurückgewiesen hat“. In anderen Worten: Dieser Vater möchte seinen Sohn tot sehen.

Nach Angaben von Al-Ahram ist der Fall vor allen Dingen von den lokalen Polizeibehörden in Alexandira, Karims Heimatstadt, vorangetrieben worden. Die staatlichen Sicherheitsorgane  hätten den Fall zuerst nur widerwillig an sich genommen. Es waren lokale Richter und Polizisten, die zu radikalem Vorgehen gegen den Blogger drängten.

Das Gericht handelte – so Karims Anwalt  Ahmed Seif El-Islam Hammad – im Gefühl, durch die Volksmeinung gedeckt zu sein. Eine Annahme, die sich im Gericht bestätigte. Dort waren fast ausschließlich empörte Gegner Karims anwesend, deren einzige Sorge die Höhe der Strafe war, selbst bevor der Angeklagte überhaupt für schuldig befunden worden war.

Al-Ahram zitiert einen Medizinstudenten der Al-Azhar – an der auch Karim studiert hatte -, der das Urteil viel zu gering findet und sich wünscht, das man an dem Blogger ein „Exempel statuiert“.

Fast ausschließlich Mitblogger sind es, die Karim Amer zur Seite springen und sich für ihn einsetzen. Die Intellektuellen und die großen Zeitungen befinden sich in einem Zustand der Angststarre. Das Gesetz, nach dem der Blogger verurteilt wurde, ist das gleiche, das auch immer wieder gegen Journalisten angewendet wurde.

Was die staatsnahe Al-Ahram nicht sagt, ist der wahre Grund für die Bestrafung Karims: Er hatte 2005 beschrieben, wie ein von Islamisten aufgehetzter Mob auf koptische Christen losging. Und er hatte sich nicht gescheut, die Brutalität und Inhumanität des anti-christlichen Mobs auf eine extremistische Islam-Auslegung zurückzuführen, die in Ägypten immer mehr Raum greift.

Indem der ägyptische Staat ihn bestraft, kann er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Er kann kritische Stimmen aus dem liberalen Lager einschüchtern – und er kann sich dabei zugleich als Verteidiger des Islams aufspielen und vergessen machen, dass das Mubarak-Regime zur Zeit auch mit äußerster Härte gegen die Muslimbruderschaft vorgeht.
p.s.: Dies ist die Selbstdarstellung Karims auf seinem Blog, das immer noch online ist:

I am down to earth Law student; I look forward to help humanity against all form of discriminations. I am currently studying Law in Al Azhar University. I am looking forward to open up my own human rights activists Law firm, which will include other lawyers who share the same views. Our main goal is to defend the rights of Muslim and Arabic women against all form of discrimination and to stop violent crimes committed on a daily basis in these countries.

 

Ägyptische Feministin wird von Al-Azhar-Universität verklagt

Langsam wird klar, warum Ägyptens berühmteste Autorin ihr Land verlassen hat:

Nawal El-Saadawi muss nach einer Apostasie-Anschuldigung nun auch noch mit einer Klage der Kairoer Al-Azhar-Universität rechnen, die sie der „Blasphemie“ beschuldigt.

(Ein erster Post hier.)
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Nawal El-Saadawi und ihr Mann, Sherif Hetata


Diese neue Entwicklung erklärt, warum Nawal El-Saadawi sich derzeit im Ausland aufhält – was von manchen Beobachtern in Ägypten bereits als Exil betrachtet wird. El-Saadawi hat diese Deutung zurückgewiesen, allerdings zugegeben, das derzeitige politische Klima in Ägypten sei ihr unerträglich.
Der Scheich der Al-Azhar, Mohammed Sayyed Tantawi (höchste theologische Autorität im sunnitischen Islam), hat sein Placet gegeben, dass die Universität gegen die Autorin Klage erheben soll. Gegenstand der Klage ist El Saadawis neues Stück mit dem Titel „Gott tritt auf dem Gipfeltreffen zurück“.
Saadawi kommentierte aus Brüssel, dies sei die „Rache der Al-Azhar“, die lange schon gegen sie als Frau und Freidenkerin intrigiere: „Seit wann sind religiöse Führer für die Theaterkritik zuständig?“

Das Stück, das nun zum Stein des Anstosses wurde, war erst Ende 2006 veröffentlicht worden,  zeitgleich mit einem neuen Teil der Autobiografie der 75jährigen.

Beide Veröffentlichungen hatte El-Saadawis Verlag (offenbar schon unter Druck der Islamisten)  Ende Januar von der Kairoer Buchmesse entfernen lassen. Alle Exemplare der beiden Bücher wurden vernichtet.
Die Al-Azhar hatte bereits 2004 ein Buch von El-Saadawi zum Verbot empfohlen.

 

„Wir haben abgeschworen“ – Ex-Muslime bilden „Zentralrat“

In Berlin hat sich heute der „Zentralrat der Ex-Muslime“ vorgestellt. Das ist natürlich eine Anspielung auf den „Zentralrat der Muslime„.
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Mina Ahadi und Arzu Toker erklärten vor der Bundespressekonferenz die Ziele ihres Vereins. Aber ist es wirklich ein Verein? Es handelt sich doch wohl eher um eine Aktion als um ein Bündnis auf Dauer. Denn wozu brauchen Menschen, die nicht repräsentiert werden wollen, einen Verein? Das ist doch geradezu widersinnig.

Nicht ganz, denn die „Ex-Muslime“ haben eine wunde Stelle im deutschen Integrations- und Islamdiskurs gefunden – und legen den Finger hinein. „Die Muslime“ als homogene Gruppe werden durch unseren Integrationsdiskurs erst konstruiert. Und dabei werden viele Menschen subsumiert, die nicht dazu gehören wollen (oder religiös völlig indifferent sind).
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Mina Ahadi (links) und Arzu Toker

Die beiden Frauen – Ahadi ursprünglich aus dem Iran, Toker aus der Türkei – sind nicht einverstanden damit, dass die bekannten Muslimverbände in Anspruch nehmen, für die ca. 3,5 Millionen Menschen zu sprechen, die selbst (oder deren Eltern) aus islamisch geprägten Ländern nach Deutschland gekommen sind.
Alle diese Menschen nämlich werden mittlerweile zu „deutschen Muslimen“ hochgerechnet – und der Staat nimmt die existierenden Muslim-Verbände als deren Sprecher an.
Die beiden Frauen nehmen nun aber für sich das Recht heraus, keine Muslime zu sein, obwohl „der Islam“ ihnen dies als Apostasie auslege.
„Für mich gelten der Koran und die Hadithen nicht“, sagte Arzu Toker in Berlin. „Ich erkläre hiermit, dass ich aus dem Islam austrete. Diese Verbände können also nicht für mich sprechen.“
Mina Ahadi, die schon im Iran gegen das Mullah-Regime gekämpft hatte, gab ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, wie sie heute in der deutschen Öffentlichkeit umstandslos als Muslima etikettiert werde: „Ich habe im Iran Frauendemonstrationen gegen die Kopftuchpflicht organisiert. Ich habe ein Komitee gegen Steinigungen gegründet. Und wenn ich in Deutschland im Fernsehen interviewt werde, steht da plötzlich unter meinem Bild die Zeile ‚Mina Ahadi, muslimische Frau‘. Meine Freunde haben mich ganz besorgt angerufen: ‚Was ist denn mit dir los, bist du fromm geworden?'“

Besonders der Karikaturenstreit habe sie davon überzeugt, dass die Ex-Muslime eine Stimme bräuchten: „Da sprach im Fernsehen ein Mann mit Bart und sagte: ‚Eine Milliarde Muslime sind beleidigt!‘ Ich war nicht beleidigt. Auch meine Freunde im Iran haben über die Karikaturen gelacht. Und in Ägypten waren sie in einer Zeitung zu sehen gewesen, ohne dass sich jemand aufgeregt hätte – bis die Islamisten die Sache hockzukochen begannen.“

Wenn die Islamverbände ein „Wort zum Freitag“ bekämen, so Arzu Toker, dann fordere sie hiermit ein „Wort zum Montag“ für Nichtreligiöse: „Da werde ich dann Nietzsche vorlesen.“

Die beiden Sprecherinnen der Initiative fürchten, dass die Islamverbände, die nur einen Bruchteil der so genannten Muslime vertreten, durch die Islam-Konferenz des Innenminister aufgewertet werden: „Wenn der sie einlädt, dann wird es schon in Ordnung sein, wird es heissen“, sagte Toker. Damit werde Kritik am Islam und an dem Islamverständnis der Verbände unterdrückt.

Die deutsche Öffentlichkeit solle sich nicht von der Kritik am Islam abhalten lassen durch jene Rassismus- und Islamophobievorwürfe, mit denen die organisierten Muslime schnell bei der Hand seien.
Der Islam sei frauen- und männerfeindlich, so Toker, weil er die Geschlechter als rein triebgesteuerte Wesen betrachte, die durch harsche Vorschriften getrennt gehalten werden müssten.
Die beiden Ex-Musliminnen sehen mit Sorge, dass der politische Islam in Form der Islamverbände vom deutschen Staat als Partner angesehen wird, mit dem man stellvertretend für „die Muslime“ spreche.
Religion müsse als reine Privatsache betrachtet werden – ebenso wie die Entscheidung, ohne Religion zu leben.

 

Ist Nawal El-Saadawi ins Exil gegangen? Ägyptischer Feministin droht offenbar Apostasie-Prozess

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Die ägyptische Autorin Nawal El-Saadawi

Foto: Ashraf Talaat

Die prominenteste Feministin der arabischen Welt, die Ägypterin Nawal El-Saadawi, musste sich kürzlich vor dem Generalstaatsanwalt in Kairo wegen „Apostasie“ verhören lassen.
Sie befindet sich derzeit auf Reisen. Sie war letzte Woche in Brüssel und wird in der kommenden Woche an der University of Michigan zu einem Gastvortrag erwartet.
In Ägypten geht derweil das Gerücht, es handele sich nicht nur um eine Vortragsreise, sondern um eine Flucht ins Exil auf Dauer.
So stellt die Autorin selbst die Geschehnisse dar:

A few days before I came to this conference, on 28 January 2007, I was interrogated in court, by the general prosecutor. A trial has been filed against me and my daughter (Dr. Mona Helmy who is a writer and a poet) accusing us of apostasy.
Why? Because she wrote an article in a weekly (Rosel Youssef 21 April 2006) demanding that the name of the mother should be respected and not ignored, and said that she will include both her mother’s and her father’s name when she signs her articles and books.

My crime is my writings, and my struggle against the patriarchal language in religion and politics, when I say that God is not male nor female, that God is a symbol of justice, freedom and love, as my peasant grandmother said to me more than 65 years ago.

Hier ein Interview vom letzten Mai, in dem sich der Konflikt ankündigt: Die Tochter hat offenbar durch das Tragen des Namens der Mutter die patriarchal-klerikale Machtstruktur herausgefordert. Und selbstverständlich ist auch Nawal El-Saadawi eine glühende Anti-Amerikanerin:

 

Ägyptischer Grossmufti: Rekonstruktion des Jungfernhäutchens ist islamisch erlaubt

Der ägyptische Grossmufti Ali Gomaa hat in der letzten Woche eine Fatwa zu einer in islamischen Ländern weit verbreiteten Praxis veröffentlicht: Der kosmetisch-chirurgischen Rekonstruktion des Hymens, mit der junge Frauen Jungfräulichkeit simulieren, wenn sie eine Ehe eingehen.

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Scheich Ali Gomaa, Grossmufti von Ägypten

Der Mufti ist die höchste islamische Autorität in Ägypten.

Gemäß dem Mufti sind diese Operationen halal, also religiös erlaubt. Das klingt auf den ersten Blick frauenfeindlich – denn die chirurgische Industrie verdient schließlich an dem verlogenen patriarchalischen Jungfrauenkult.

Das Gutachten des Muftis hat aber auch eine andere Pointe: Er erklärt damit die Jungfräulichkeit der Frauen für ihre Privatsache und gibt ihnen die Erlaubnis, Männern, die unbedingt einen Beweis haben wollen, etwas vorzumachen. Er spricht umgekehrt den Männern eigentlich das Recht ab, von ihren Bräuten in dieser Frage Aufrichtigkeit zu verlangen.

Er gibt den Frauen das Recht, sich mit allen Mitteln gegen die patriarchalischen Zumutungen der ägyptischen Gesellschaft zu schützen. Der Mufti findet Unterstützung bei dem Al-Azhar-Scheich Khaled El-Gindy: Jeder Mann, der sich um die Jungfräulichkeit seiner Frau Sorgen mache, solle erst einmal selbst einen Beweis für seine eigene Reinheit bringen.
Gomaa geht sogar so weit zu sagen, eine verheiratete Frau, die ihren Mann betrogen habe, müsse diesem nicht die Wahrheit sagen. Im religiösen Sinn sei es ausreichend, dass sie ihr Verhalten bereue und Gott um Verzeihung bitte. Sie muss das Recht haben, durch das Verschweigen eines Fremdgehens ihr Leben und ihr Heim zu schützen.

„Ehrenmorde“ sind im ländlichen Ägypten keine Seltenheit – bei Ehebruch, aber auch bei Verlust der Jungfräulichkeit.

Die Fatwa hat in Ägypten eine kontroverse Debatte ausgelöst. Ali Gomaa hat sich kürzlich bereits in Fragen der Genitalbeschneidung sehr fortschrittlich geäußert.

Allerdings muss man den Begriff des Fortschritts hier doch sehr relativieren: Denn am Ende wird hier nicht die aufrichtige Liebe zwischen Gleichberechtigten vertreten, sondern die Doppelmoral sanktioniert – nur diesmal ein wenig mehr zum Nutzen der Frauen. Man ahnt, welches Unglück sich mit solchen Arrangements für beide Geschlechter verbindet.

 

Freiheit für Kareem Amer!

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Der ägyptische Blogger Abdel Karim Nabil Suleiman, bekannt als Kareem Amer, ist in Ägypten zu vier Jahren Haft verurteilt worden.
In seinem Blog hatte er Mubaraks Ägypten als eine „Diktatur“ bezeichnet. Ausserdem hatte er die Al-Azhar-Universität, an der er selbst Student war, beschuldigt, „die Hirne der Studenten zu verstopfen und sie in menschliche Bestien zu verwandeln, indem sie ihnen beibringt, es gebe keinen Platz für Unterschiede im Leben“.
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Kareem Amer

Er hatte die Al-Azhar, höchste Autorität im sunnitischen Islam, auch die „Schule des Terrors“ genannt. Im letzten Jahr war er zwangsweise exmatrikuliert worden.
Das Urteil setzt sich aus drei Jahren für die „Beschimpfung des Islams“ und einem Jahr für die „Beleidigung des Präsidenten“ zusammen.
Daran sieht man, wie weit Ägypten schon auf dem Weg in die Theokratie ist. Wenn das Regime erst einmal gefallen ist, werden die Muslimbrüder gar nicht mehr viel verändern müssen.
Doch nun formiert sich auch eine Protestbewegung unter jungen Leuten und Mitbloggern, die die Tyrannei nicht hinnehmen wollen. Auf der Website Free Kareem! kann man sich über den Stand der Dinge und Möglichkeiten des Protests auf dem laufenden halten.
Wir werden weiter berichten. Einen früheren Post siehe hier.