Andreas R. lernte den späteren Rechtsextremen Uwe Mundlos in seiner Schulzeit kennen – und verfolgte dessen Verwandlung zum Rechtsextremen. Seine Aussage passt zur Anklage im NSU-Fall.
Kurz nach dem Mauerfall, 1989, fahren zwei Jungs aus Jena per Anhalter ins fränkische Städtchen Kronach. Mit dem Begrüßungsgeld für DDR-Bürger in der Tasche gehen Andreas R. und sein Freund einkaufen. Andreas R. wundert sich, was der sich als erstes holt: ein Klappmesser. Es ist ein Zeichen für die Radikalisierung, die der Kumpel gerade durchmacht. Der Name des Begleiters: Uwe Mundlos.
Andreas R., heute 41 Jahre alt, ist als Zeuge in den Münchner NSU-Prozess geladen, weil er in seiner Jugend der beste Freund von Mundlos war – der später zum Rechtsextremen wurde und als Mitglied des NSU für zehn Morde und zwei Bombenanschläge verantwortlich sein soll. Zehn Jahre gingen die beiden zusammen auf die Oberschule. Sie unternahmen Radtouren, sprengten Haarsprayflaschen oder hingen einfach ab. Mit einem weiteren Freund, Alexander H., bildeten sie eine kleine Clique – die auseinander brach, als sich Uwe neue Freunde suchte.
Ende der siebziger Jahre trafen sich R. und Mundlos in der ersten Klasse, sie wohnten nur 100 Meter voneinander entfernt. Der Freund war „eher so pazifistisch unterwegs“, erinnert er sich, trug lange Haare und selbstgestrickte Pullis. Auch bestätigt R., was schon andere Wegbegleiter zu Protokoll gegeben hatten: dass Mundlos wie seine Eltern ein kritischer Denker war, der das SED-Regime nicht ohne weiteres akzeptierte. Außerdem sei Mundlos „naturschlau“, in der Schule gut in den meisten Fächern. Der junge Mann hätte Student werden können, nur habe ihm der Ehrgeiz gefehlt, mehr aus sich zu machen.
Doch Mundlos veränderte sich. Seine Familie zog um in den Stadtteil Winzerla, ein berüchtigtes Viertel. „Er wurde immer rechter“, bemerkt R. Er schor sich die Haare kurz, trug gut geputzte Springerstiefel und hing mit neuen Leuten ab. Darunter auch Beate Zschäpe, die R. ebenfalls kennenlernte. Sie sei selbstbewusst gewesen, aber simpel gestrickt – und, wie der Zeuge mehrfach betont – Männerbekanntschaften gegenüber aufgeschlossen. Auch mit Mundlos ging sie eine Beziehung ein. Als R. von ihrem Liebesleben erzählt, setzt die Hauptangeklagte ein pikiertes Lächeln auf. Manchmal schüttelt sie den Kopf.
Mundlos hing mit ihr im Treppenhaus seines Plattenbaus ab, auch andere Gestalten mit Bomberjacken standen dabei. Wenn R. dabei war, hörte er selten Diskussionen über Politik. Doch später kamen Parolen hinzu. Auf einem Klassenausflug in das Konzentrationslager Buchenwald habe Mundlos angesichts der Verbrennungsöfen gesagt: „Jetzt ist denen schön warm.“
So zeichnet der Zeuge das Bild eines jungen Mannes, den niemand davon abhalten konnte, in der rechten Szene aufzugehen. Es sind deutliche, plastische Erinnerungen, die R. im Gerichtssaal wiedergibt – obwohl die gemeinsame Zeit zwei Jahrzehnte zurückliegt. Er sei ein Beispiel dafür, „wozu das menschliche Gedächtnis in der Lage ist, wenn man versucht, sich zu erinnern“, merkt der Nebenklageanwalt Eberhard Reinecke an. Denn Zeugen, die in der rechten Szene aktiv sind, berufen sich immer wieder auf Gedächtnislücken.
Zudem habe Mundlos schon zu DDR-Zeiten viel über die linksextreme Terrorgruppe RAF erzählt. Er kannte „viele Details, die man als uninteressierter Jugendlicher nicht wusste“ – zum Beispiel zum Thema Untertauchen. Er habe gewusst, wie man einer Rasterfahndung entgehen könne, indem man weder Bankkonto noch Versicherung unterhält. So verhielt sich später auch der NSU: Mietverträge, Konten und Mitgliedschaften waren auf die Namen von Strohmännern eingetragen.
Gewalttätig war Mundlos offenbar nicht – anders als sein späterer Komplize Uwe Böhnhardt, den viele Zeugen als extrem aggressiv beschrieben. Prügeleien habe er mit Mundlos nicht erlebt, allenfalls Schubsereien. Er selber will nicht daran beteiligt gewesen sein. Das änderte aber nichts daran, dass Mundlos mit seinen alten Freunden nichts mehr anfangen konnte. Seine rechte Clique brüstete sich damit, linke Jugendliche durch die Stadt zu jagen und Vietnamesen auf dem Schwarzmarkt Zigaretten abzupressen. Auch Zschäpe und ihr damaliger Freund Matthias R. machten mit bei kleinkriminellen Aktionen.
Ein letztes Mal sah der Zeuge Mundlos um das Jahr 1993 herum. Da hatten sich beide längst auseinandergelebt. Der Rechtsextreme machte eine Lehre bei Carl Zeiss, der Zeuge bei einer anderen Firma. Heute lebt er in München. Damals liefen sich beide noch einmal über den Weg. Uwe erzählte, er wolle zu einer Veranstaltung für Rudolf Heß fahren, er müsse nur noch zwei Verfolger vom Verfassungsschutz abschütteln.
R. kannte auch die Lieblingsfernsehsendung von Uwe. „Den Rosaroten Panther fand er damals schon ganz toll.“ Mundlos habe auswendig die ironischen Verse zitieren können, die in der Trickfilmserie als Kommentar liefen, sie hätten zu seinem Sprachgebrauch gehört. Nach dem 4. November 2011, als Mundlos und Böhnhardt sich in Eisenach erschossen, verschickte laut Anklage Beate Zschäpe ein Dutzend DVDs an Zeitungen, Parteien und andere Einrichtungen. Darin wurden die Morde und Anschläge aufgeführt, die heute dem NSU zugeschrieben werden. Zusammengeschnitten ist der Film aus mehreren Folgen des Rosaroten Panthers.