Mit angeblich exklusiven Informationen zum NSU wollte sich ein Neonazi Hafterleichterungen erschleichen. Im Münchner Prozess stellt sich heraus: Alles war erlogen.
Wenn man einen Skinhead malen müsste, er sähe aus wie Bernd T.: rasierter Schädel, T-Shirt unter der Bomberjacke, die olivgrüne Hose steckt in schwarzen Springerstiefeln. Passend dazu ist die Stimme des 40-Jährigen ein militärisches Bellen. Gleich zu Beginn seiner Aussage im Münchner NSU-Prozess blafft er den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl an. Götzl sagt, es gehe um T.s Verhältnis zu Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, den Mitgliedern der Terrorzelle NSU. T.s Antwort ist harsch: „Kann ich keine Angaben zu machen!“
Damit löst er die erste von vielen Irritationen dieses Tages aus. Denn gegenüber Ermittlern hatte er sich zuvor gebrüstet, er sei Mundlos und Böhnhardt mehrfach begegnet. Zudem will er gewusst haben, dass diese sich während des Mords an dem Kasseler Halit Yozgat am 6. April 2006 in der Stadt aufgehalten hätten, er habe sagen können, wie sie dorthin gelangt seien und wo sie übernachtet hätten. Wäre dies wahr, hätte T. ein wichtiges Puzzleteil zur Aufklärung der NSU-Morde beitragen können.
Doch offenbar sind es bloße Schaumschlägereien eines einflussreichen Neonazis. T. ist eine Führungsfigur der rechtsextremen Szene in Hessen. Er gründete in Kassel die Vereinigung Sturm 18, eine neonazistische Kameradschaft. Auftritte vor Gericht kennt er normalerweise in der Rolle des Angeklagten: 1993 prügelte er einen Obdachlosen zu Tode und wurde zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Es folgten weitere Gewaltdelikte und Haftstrafen. Demnächst steht ihm ein weiterer Gefängnisaufenthalt bevor, weil er seine schwangere Freundin im vergangenen Sommer in den Bauch getreten hatte.
Als der NSU im November 2011 aufflog, hatte T. im hessischen Hünfeld eine Haftstrafe bis zum Januar 2014 abzusitzen. Gerade unter den rechten Gefangenen verbreitete sich die Nachricht vom terroristischen Trio schnell. Gut einen Monat später schrieb T. einen Brief an das hessische Landeskriminalamt, in dem er die verlockenden Informationen ankündigte. „Das war aus einem Spaß heraus. Ich wollte gucken, was passiert“, sagt T. heute.
Über seine Motivation ließ er allerdings keine Zweifel aufkommen: Er forderte, früher entlassen zu werden oder in den Genuss von Annehmlichkeiten hinter Gittern zu kommen.
Kurzzeitig hatte er die volle Aufmerksamkeit der Ermittler. Er bekam Besuch vom Landeskriminalamt, vom Bundeskriminalamt, vom Staatsanwalt. Er fütterte seine Gesprächspartner mit Informationen: Angeblich habe T. Mundlos und Böhnhardt 2006 in der Zeit vor dem Mord am Bahnhof in Kassel abgeholt und sei mit ihnen zum Konzert einer Rechtsrock-Band gefahren. Ein andermal will er sie auf einer Garagenfeier in Zwickau getroffen haben, wo sein Bruder lebte. Und schließlich habe er gewusst, dass die beiden kurz vor der Tat im ICE nach Kassel gereist waren.
„Völliger Blödsinn“, so nennt T. heute den Inhalt des Protokolls, das die Beamten nach der Vernehmung geschrieben hatten. Nichts davon habe er gesagt. Er sieht die Geschichte als erledigt an: „Man sagte mir, gegen mich wird ermittelt, darum will ich keine Angaben machen.“ Richter Götzl entgegnete, dass er von Ermittlungen nichts wisse. Es hilft nichts: „Dann kann ich mich an nichts erinnern“, antwortete der Zeuge.
Bekannt ist, dass mehrere Gefängnisinsassen nach dem Bekanntwerden des NSU Informationen anboten. In der Regel wurden sie enttarnt. T.s Version klang anfänglich jedoch so überzeugend, dass der Nebenklageanwalt von Familie Yozgat, Thomas Bliwier, in zwei Anträgen die Ladung des Neonazis forderte – trotz aller Zweifel und Unstimmigkeiten. „Das war aus hafttaktischen Gründen“, sagt T. Mit anderen Worten: Er hatte den Ermittlern eine reine Lügengeschichte aufgetischt. Da er dennoch keine Hafterleichterungen bekam, gab es keinen Grund mehr, die Geschichte noch einmal zu erzählen – und sich wegen einer Falschaussage strafbar zu machen.
Denkbar ist indes auch, dass T. erst vor Gericht zu lügen begann. Am Ende seiner Vernehmung im Gefängnis sagte er, dass er nicht in einem Verfahren aussagen wolle, „da ich ansonsten mit Repressalien rechnen müsste“. Doch von dieser Behauptung will T. nichts mehr wissen. Außerdem: Wer will sich mit einem Neonazi-Anführer anlegen?
Die Frage der Glaubwürdigkeit stellte sich für die BKA-Ermittler nur kurz. Sie befragten alte Freunde von T., seine Exfrau, Kameraden aus der Szene. Niemand bestätigte, dass Mundlos und Böhnhardt jemals mit T. zusammengetroffen wären. Die Aussagen anderer Zeugen „begründen erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben“, notierte ein Kommissar im Anschluss.
Vielleicht waren die Ermittler auch deshalb so misstrauisch, weil die Polizei während der NSU-Serie mit zehn Morden oft genug falschen Spuren gefolgt war. Zeuge T. ist es jedenfalls nicht peinlich, sich zu der Lüge zu bekennen: Er habe den Sozialdienst in der Justizvollzugsanstalt täuschen wollen, der Empfehlungen für eine vorzeitige Entlassung abgibt. „Denen habe ich vorgespielt, dass ich aus der Szene aussteigen will.“