Das Münchner Oberlandesgericht hat sich am Mittwoch im NSU-Prozess mit einem ungewöhnlichen Beweis beschäftigt: den Tätowierungen des Mitangeklagten André E., der mehrerer Hilfeleistungen für die Terrorzelle beschuldigt wird. Ein Ermittler des Bundeskriminalamts erklärte mögliche Bedeutungen der Runen, die E. sich auf Arme, Nacken und Bauch hat stechen lassen. Zu lesen sind auf der Haut unter anderem das Wort „Stolz“, die NS-Parole „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ sowie ein rechtsextremer Zahlencode. Über seine Gesinnung verraten die Tattoos also möglicherweise mehr als der schweigende Angeklagte selbst.
Im NSU-Prozess verfestigt sich der Eindruck, dass das Gericht bald sein Urteil sprechen will. Anzeichen dafür konzentrierten sich am 232. Verhandlungstag, an dem viel vorgelesen wurde. Richter Manfred Götzl verlas die Entscheidungen des Strafsenats über zwölf Anträge der Nebenklage, in denen neue Ermittlungen oder die Ladung weiterer Zeugen gefordert wurden. Alle Anträge wurden abgelehnt. „Offenbar wissen die Richter nach 28 Monaten Beweisaufnahme genug, um über die fünf Angeklagten urteilen zu können“, merkt Frank Jansen vom Tagesspiegel an. Den Opferanwälten sei klar, dass das Urteil bald komme, auch wenn ihrer Meinung nach noch nicht genug Aufklärungsarbeit geleistet wurde.
Das Material ist offensichtlich hochbrisant – schließlich ließ das Brandenburger Innenministerium den Inhalt eines Aktenordners für geheim erklären, den das Oberlandesgericht aus den Händen eines V-Mann-Führers beschlagnahmt hatte. Nun könnte die Behörde jedoch einlenken: Nach Druck aus der Linken-Fraktion im Landtag soll eine Freigabe der Akte geprüft werden, berichtet der Tagesspiegel. In der Akte geht es um den rechtsextremen Informanten Carsten Sz. alias Piatto. Dessen früherer Betreuer vom Verfassungsschutz hatte den Ordner zu seiner Aussage im Juli mitgebracht.
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Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 30. September 2015.
Am Montag, 28. September, gibt es keine Berichte in den deutschen oder englischsprachigen Onlinemedien.
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Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 29. September 2015.
Zwei Tage DNA-Analyse liegen hinter den Beteiligten im NSU-Prozess. In dieser Zeit sagte der Gutachter Carsten Proff vom Bundeskriminalamt aus, der etliche Gegenstände aus dem Besitz der Zwickauer Terrorgruppe untersucht hatte. Dazu gehörten auch Waffen, an denen sich ausschließlich genetische Spuren von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt fanden, jedoch nicht von Beate Zschäpe. Proff präsentierte keine Bewertung seiner Ergebnisse, „aber für das Urteil könnten seine Ausführungen von großem Wert sein“, kommentiert Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung.
Bisher hatte sich der NSU-Prozess fast nur mit Zeugen beschäftigt – am Mittwoch kamen nun „harte“ Beweise dazu: Der Forensiker Carsten Proff vom Bundeskriminalamt stellte eine Analyse von DNA-Spuren vor, die an Gegenständen aus dem Besitz des NSU hafteten. Weil Proff Hunderte Asservate untersucht hatte, wird seine Aussage wohl mehrere Tage dauern. Die Erkenntnisse des ersten Tags „stärken in weiten Teilen die Annahmen der Bundesanwaltschaft“, schreibt Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk. Sie waren zwar in weiten Teilen bereits bekannt, sind nun aber offiziell in den Prozess eingeführt.
Seit zwei Jahren sitzt André E. schweigend auf der Anklagebank im NSU-Prozess – genauso wie die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Zu ihr wie auch zu ihren Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten E. und seine Frau ein sehr enges Verhältnis. Belege dafür lieferte der 229. Prozesstag. So geht aus einem Parkschein, der bei Mundlos und Böhnhardt gefunden wurde, hervor, dass sie E. nach einem schweren Sturz im Krankenhaus besucht hatten, wie Wiebke Ramm auf Spiegel Online berichtet.
Auch am Dienstag, 22. September, gibt es keine Berichte in den deutschen oder englischsprachigen Onlinemedien.
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Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 23. September 2015.
Nach vier geplatzten Ladungen trat am Mittwoch erstmals der frühere Neonazi Tom T. in den Zeugenstand – und brachte reichlich Erkenntnisse über die Anfangszeit des NSU im Jena der neunziger Jahre mit. Allerdings erinnerte er sich dabei an weit weniger als bei einer Vernehmung des Bundeskriminalamts vor zwei Jahren. Der 38-Jährige „skizziert ein, wenn auch lückenhaftes, Bild von der rechten Clique, aus der die Terrorzelle hervorging“, bilanziert Frank Jansen vom Tagesspiegel. Allerdings konnte sich der Zeuge beispielsweise nicht an die Texte erinnern, die er für seine damalige Rechtsrock-Band geschrieben hatte.
In zwei Vernehmungen hatte der Thüringer Neonazi Marcel D. bestritten, als V-Mann tätig gewesen zu sein. Diese Behauptung wurde nun widerlegt. Am 227. Prozesstag bestätigte sein Quellenführer beim thüringischen Verfassungsschutz: D. war unter dem Decknamen Hagel tätig und lieferte von 1997 bis 2000 Informationen. Zu dieser Zusammenarbeit berichtete der Beamte Jürgen Z. Details, die kein gutes Licht auf den Geheimdienst werfen. Zum Beispiel, dass die Thüringer Behörde D. auch Spenden erstattete, die dieser an rechtsextreme Organisationen zahlte. „Kann es sein, dass so eine Landesbehörde genau die verfassungsfeindlichen Gruppen sponsert, die es zu beobachten hat?“, fragt Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk. Antworten darauf habe der Zeuge nicht gegeben.