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158. Prozesstag – V-Mann aus Bayern sagt aus

Am Mittwoch ist der bayerische Rechtsextremist Kai D. nach München geladen. Der 50-Jährige lieferte als V-Mann Informationen an den Verfassungsschutz – und er war nicht nur in seiner Heimat aktiv: In Thüringen pflegte er Kontakt zu Tino Brandt, dem Gründer des Thüringer Heimatschutzes und ebenfalls V-Mann. D. betrieb Server, auf denen um die Jahrtausendwende das rechtsextreme Thule-Netz zur Verfügung gestellt wurde, ein Forum für Neonazis. Insbesondere die Anwälte der Nebenklage erhoffen sich von ihm Informationen über die Aktivitäten Tino Brandts, in dessen Organisation sich das spätere NSU-Trio radikalisierte.

Außerdem geladen ist ein Beamter des Bundeskriminalamts. Dieser sagt zu Vernehmungen von Zeugen aus der rechten Szene aus.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

157. Prozesstag – Brandts V-Mann-Führer erneut Zeuge

Zum zweiten Mal ist der ehemalige Thüringer Verfassungsschützer Norbert Wießner am Dienstag als Zeuge geladen. Wießner war V-Mann-Führer des Neonazis Tino Brandt, der neben seiner Tätigkeit als Rädelsführer der rechten Szene Informationen an den Verfassungsschutz lieferte.

Bei seiner ersten Aussage im März hatte Wießner Brandt als zuverlässige Quelle beschrieben, die jedoch bei Fragen zum Aufenthaltsort des 1998 untergetauchten NSU-Trios versagte. Der Verfassungsschützer versuchte im Jahr 2000 auch, die Abschaltung von Brandt als V-Mann zu verhindern. 2001 wurde der Spitzel enttarnt. Wießners zuvor geplante Vernehmung im Oktober war ausgefallen, weil Richter Manfred Götzl erkrankte.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Rechtsextrem und gewalttätig – der Liebling des Verfassungsschutzes

Im NSU-Prozess sagt der V-Mann Piatto aus, der deutliche Hinweise auf die untergetauchten NSU-Terroristen ungenutzt geliefert hatte. Um an seine Tipps zu kommen, scheute sich der Verfassungsschutz nicht, einem verurteilten Gewalttäter zu helfen.

Die Aussage des früheren V-Manns Piatto hätte eine der denkwürdigsten im NSU-Prozess werden können, wäre es nach dem brandenburgischen Verfassungsschutz gegangen. Der Rechtsextreme wäre per Videoübertragung befragt worden, dabei hätte er hinter einer Schattenwand gesessen oder mit falscher Nase und Bart verkleidet in die Kamera gesprochen. Womöglich hätte ein elektronischer Filter seine Sprache auf die Stimmlage eines Schlumpfes hochreguliert. Zum Schutz seiner Identität wäre zusätzlich die Öffentlichkeit während der Aussage ausgeschlossen worden.

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Zschäpe-Anwälte spielen auf Risiko

Beate Zschäpes erster Anwalt sollte im NSU-Prozess als Entlastungszeuge aussagen. Doch nun scheint klarer als zuvor, dass die Angeklagte ihr Wohnhaus in Zwickau angezündet hat.

Am Mittag des 8. November 2011 stolpert eine ausgezehrte Frau Mitte 30 in eine Jenaer Anwaltskanzlei. Sie ist müde, hat Hunger und war beinahe vor eine Straßenbahn gelaufen. Es ist das Ende einer viertägigen Flucht: Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe ist mit dem Zug kreuz und quer durch Deutschland gefahren, ohne Ziel. Nun will sie sich in ihrer Geburtsstadt der Polizei stellen. Sie sucht Hilfe bei dem Rechtsanwalt Gerald Liebtrau.

Am 154. Verhandlungstag ist Liebtrau als Zeuge geladen. Er war Zschäpes erster Rechtsbeistand, bevor das Mandat eine gute Woche später ihr heutiger Verteidiger Wolfgang Heer übernahm. Zschäpe suchte die Kanzlei offenbar spontan auf: Sie sei einfach hereingekommen und habe um ein Gespräch gebeten, erzählt der hagere Mann mit der Halbglatze. Viel Zeit hatte er nicht, kurz darauf musste er zu einem Termin ins Gericht. Gegen 13 Uhr gingen sie gemeinsam zur nächsten Polizeiinspektion.

Was genau Liebtrau und seine Mandantin besprachen, ist ein Geheimnis. Der Anwalt ist auf Antrag von Zschäpes heutigen Verteidigern vorgeladen worden. Ihnen geht es um genau einen Satz. Und nur für diesen hat Zschäpe Liebtrau von seiner Schweigepflicht entbunden.

Gesucht wurde die Hauptangeklagte damals, weil sie vier Tage vor dem Gespräch die Zwickauer Wohnung in Brand gesetzt haben soll, in der sie mit ihren Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gelebt hatte. Im selben Haus wohnte die gebrechliche Rentnerin Charlotte E., damals 89 Jahre alt. Weil sie durch den Brand in Lebensgefahr geriet, ist Zschäpe zusätzlich wegen versuchten Mordes angeklagt.

Ihre Verteidiger sind der Ansicht, Zschäpe habe vor ihrer Flucht aus dem Haus bei E. geklingelt, um sie vor dem Feuer zu warnen. Tatsächlich sagte die Frau später bei der Polizei aus, sie habe an dem Tag ein Klingeln gehört. Weil sie an einer Krücke ging, sei sie jedoch erst viel zu spät zur Tür gekommen. Mittlerweile lebt sie in einem Zwickauer Pflegeheim und leidet an Demenz. Ein Versuch, E. im Dezember vergangenen Jahres per Videoschaltung zu befragen, scheiterte. Auch die Vernehmung durch einen Amtsrichter im Mai hatte keinen Erfolg.

Hätte die Greisin wertvolle Informationen liefern können, wenn sie schon früher von einem Richter befragt worden wäre? Sind so möglicherweise entlastende Umstände für Zschäpe unter den Tisch gefallen? Ihre Anwälte glauben, die Mandantin sei in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden. Dazu beriefen sie sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention.

Zschäpe hat ihren Ex-Verteidiger von der Schweigepflicht entbunden, um der Frage nach dem Klingeln nachzugehen. Doch Nebenklagevertreter versuchen, tiefer bei dem Zeugen Liebetrau zu bohren. Beharrlich verhindern ihre jetzigen Rechtsbeistände Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm die Fragen. Es folgt ein ermüdendes Gezerre um die Grenzen der Schweigepflicht.

Interessant ist, dass Zschäpe offenbar sofort klar war, dass ein Klingeln bei der Nachbarin für ihre Schuld von Bedeutung sein könnte. Denn sie sprach Liebtrau nach dessen Schilderung schon beim ersten Kontakt darauf an: „Im Gespräch ging es auch darum, dass sie, bevor sie in Zwickau das Haus verlassen hat, bei ihrer Nachbarin geklingelt hat. Und die war nicht da, zumindest gab es keine Reaktion“, erzählt er. Schließlich habe Zschäpe ihn gebeten, eine Befragung von Frau E. zu beantragen. Der Anwalt indes war von den Schilderungen seiner Mandantin zunächst überrollt – er konnte nicht ahnen, wen er vor sich hatte. Nach Details erkundigte er sich nicht.

Sagte Zschäpe ihrem Verteidiger damals die Wahrheit, so wollte sie wohl wirklich versuchen, die alte Frau vor einem Tod in den Flammen zu bewahren. Das ist der Punkt, um den es ihren heutigen Anwälten geht. Doch aus der Wohnung gerettet wurde Frau E. nicht von Zschäpe, sondern ihren zwei Nichten, die gegenüber wohnten. Zschäpe machte sich unterdessen auf den Weg zum Bahnhof. Ein Klingeln – das erscheint bestenfalls als halbherziger Versuch, das Schlimmste zu verhindern.

Oberstaatsanwältin Anette Greger will von Liebtrau wissen, ob Zschäpe ihre Handlung „in Zusammenhang zu dem Brandereignis“ brachte. In jedem Fall habe sie zuvor geklingelt, sagt Liebtrau, „ob es zehn Minuten oder eine Stunde vor dem Brand war, hat sie nicht gesagt“.

Drückte Zschäpe auf den Klingelknopf ihrer Nachbarin, dann tat sie es zu einem Zeitpunkt, als noch kein anderer ahnte, dass das Haus in Flammen aufgehen würde. „Dieses Klingeln zu diesem Zeitpunkt kann nur von Frau Zschäpe sein“, sagt denn auch ihr Anwalt Wolfgang Stahl. Damit hat die Verteidigung Zschäpe als Brandstifterin praktisch anerkannt – mit der Maßgabe, dass sie sich nicht des versuchten Mordes schuldig gemacht hat. Doch ob das Gericht dem zweiten Teil dieser These folgt, muss sich zeigen. Heer, Stahl und Sturm gehen ein hohes Risiko ein.

 

154. Prozesstag – Zschäpes erster Anwalt sagt aus

Am Donnerstag tritt der Anwalt Gerald Liebtrau aus Jena in den Zeugenstand. Bei ihm meldete sich Beate Zschäpe nach ihrer chaotischen Flucht durch Deutschland am 8. November 2011. In seiner Begleitung stellte sie sich anschließend bei der Polizei.

Befragt wird Liebtrau allerdings nicht zu allen Details des Mandantenverhältnisses, das er später an den Verteidiger Wolfgang Heer aus Köln abgab, sondern nur zu einem Aspekt: der Zeugin Charlotte E., die in der Nachbarwohnung des NSU-Trios in Zwickau wohnte, als Zschäpe das Haus mutmaßlich in Brand steckte. Zschäpes heutige Verteidiger sind der Ansicht, dass die 92-jährige E. entlastende Angaben für ihre Mandantin machen könne.

Sie habe demnach versucht, die alte Nachbarin vor dem Feuer zu warnen, indem sie bei ihr klingelte. Vernehmungen der dementen Frau brachten weder im Dezember 2013 noch im vergangenen Mai Erkenntnisse. Fraglich ist, ob E. zu einem früheren Zeitpunkt verwertbare Informationen hätte liefern können. Liebtrau hatte den Verteidigern zufolge direkt nach Zschäpes Festnahme beantragt, die Zeugin zu befragen.

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153. Prozesstag – Als Zschäpe und Wohlleben zur Polizei mussten

1997 wurde Uwe Böhnhardt wegen mehrerer Delikte zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Als Zeugen sagten damals auch Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben aus, die heute im NSU-Prozess auf der Anklagebank sitzen. Am Mittwoch sagen drei Polizisten aus, die Zschäpe und Wohlleben im Jahr 1996 vernommen hatten. Dabei ging es eine Puppe, die Böhnhardt zusammen mit einer Bombenattrappe an einer Autobahnbrücke angebracht haben soll. Die Vernehmung der Ermittler soll einen Einblick in die Ideologie geben, der die Angeklagten damals anhingen.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

152. Prozesstag – Zeugin zu Waffenschmuggel und Bezüge nach Baden-Württemberg

Die Prozesswoche beginnt mit der Zeugin Sitta I., von der sich das Gericht Angaben zum Waffenschmuggel der NSU-Pistole Ceska 83 erhofft. I. war in den neunziger Jahren die Lebensgefährtin des Schweizers Hans-Ulrich M., der die Waffe aus seinem Heimatland in die Bundesrepublik gebracht haben soll. Bei einer Vernehmung im Jahr 1996 belastete sie den Zeugen Enrico T., der ebenfalls in den Transport eingebunden gewesen sein soll. I. sagte damals aus, T. habe einen sogenannten Schießkugelschreiber besessen – den hatte er mutmaßlich von M. erhalten.

Im Anschluss ist eine Ermittlerin des baden-württembergischen Landeskriminalamts geladen. Auf einen Beweisantrag von Nebenklageanwälten hin soll sie Angaben zu Bezügen des NSU nach Baden-Württemberg machen. Dort ermordeten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 2007 mutmaßlich die Polizistin Michèle Kiesewetter.

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Der schweigende Szene-Bruder

Ein Verteidiger erkämpft im NSU-Prozess für einen Zeugen das Recht zu schweigen. So muss das Gericht wohl auf Informationen über den Mitangeklagten Ralf Wohlleben verzichten.

Gedächtnislücken – auf diese berufen sich Zeugen aus dem rechten Spektrum im NSU-Prozess immer wieder, wenn sie unangenehme Themen in ihrer Aussage umschiffen wollen. Thomas G. aus dem thüringischen Altenburg spielte hingegen schon bei seiner Aussage im Juli mit offenen Karten: Er werde nicht verraten, ob er Mitglied in der rechtsextremen Organisation Hammerskins sei, sagte er bei seiner zweiten Vernehmung. Das verbiete ihm sein „Wertegefüge“. Auch, als Richter Manfred Götzl ihm für sein Schweigen ein Ordnungsgeld androhte, blieb er dabei.

Das Gericht befragte G. am 151. Prozesstag nun ein weiteres Mal. Es erhofft sich von ihm Aussagen über die Gesinnung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Dieser soll für den NSU die Mordwaffe Ceska 83 organisiert haben und in Jena die rechtsextremen Strukturen aufgebaut haben – gemeinsam mit seinem Freund G. Der Zeuge könnte wohl auch Informationen liefern, in welchen Netzwerken sich Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vor ihrem Untertauchen 1998 bewegten – doch dazu ist aus ihm wenig herauszubekommen. Als G. vom Gericht nun ein weiteres Mal befragt wurde, kam es zum juristischen Showdown. Sieger war letztlich der Zeuge – und ein Verteidiger.

Als G. in den Münchner Gerichtssaal kommt, hat er einen Anwalt an seiner Seite, einen sogenannten Zeugenbeistand. „Dann wollen wir jetzt auf die Fragen zurückkommen, wo Sie nicht geantwortet haben“, sagt Richter Manfred Götzl.

In diesen Fragen ging es um seine angebliche Mitgliedschaft bei den Hammerskins, einer in den USA entstandenen Organisation. Beitreten darf nicht jeder: Weiß muss man sein, männlich und über 18 Jahre alt. Eine lange Probezeit muss man bestehen. Nur, wer geeignet scheint, darf sich dem elitären Zirkel anschließen, der für eine Vorherrschaft weißer Menschen und einen Rassenkrieg eintritt. Die wichtigste Auflage ist allerdings: Kein Mitglied darf über die Hammerskins sprechen.

Schweigegelübde allerdings interessieren einen Richter wenig. Prozessbeobachter hatten damit gerechnet, dass G. diesmal das angedrohte Ordnungsgeld aufgebrummt bekomme. Doch zuvor springt Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke G. zur Seite: Er weist darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft Dresden im Jahr 2002 wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitglieder ostdeutscher Hammerskins aufgenommen hatte. Niemand muss vor Gericht Angaben machen, wenn in derselben Angelegenheit gegen ihn ermittelt wird, das besagt Paragraph 55 der Strafprozessordnung.

Der Einwand ist erstaunlich – denn G. wollte ja nicht aussagen, weil er sich nicht selbst belasten wollte, sondern weil es ihm sein Ehrgefühl verbiete. Das hält Richter Götzl dem Zeugen vor. „Also, dann berufe ich mich auf diesen Paragraphen 55“, ergänzt dieser schnell.

Klemkes Kniff mit der Strafprozessordnung wirkt dennoch aussichtslos: Das Verfahren wurde 2006 eingestellt, G. war damals überhaupt nicht betroffen und das Netzwerk gilt mittlerweile als aufgelöst.

Klemke hatte in der Vergangenheit häufig eine Lanze gebrochen für Zeugen aus dem rechten Spektrum, mehrmals forderte er vom Gericht, ihnen einen Zeugenbeistand zur Seite zu stellen – mit Erfolg. Im Fall G. schoss der Verteidiger aber an allen drei Vernehmungstagen weit über sein übliches Engagement hinaus.

Nach einer langen Mittagspause folgt schließlich die Überraschung: Götzl verkündet, dass G. doch ein Aussageverweigerungsrecht zusteht. Würde er bestätigen, Mitglied der Hammerskins zu sein, könnte er „damit die Einleitung eines Strafverfahrens begründen“.

Eine Folge die zwar denkbar ist – doch aufgrund der schwer durchschaubaren Strukturen aus Kameradschaften und Brüderschaften im rechten Milieu ziemlich unwahrscheinlich. Fürchtet Götzl, dass sein Urteil durch eine Revision angreifbar wird? Fehler durch die falsche Behandlung eines Zeugen will sich der Richter nicht erlauben. G. darf deswegen sein Geheimnis hüten – ohne Angst vor Strafen. Und Anwalt Klemke kann einen Sieg verbuchen.

Am Nachmittag wird offenbar, dass sich auch der Angeklagte André E. auf G.s Zeugenaussage vorbereitet haben könnte. Nebenklageanwalt Yavuz Narin weist das Gericht darauf hin, dass E. unter seiner Lederweste einen Pullover trägt, auf dem die Worte „Brüder schweigen“ aufgedruckt sind. Dabei handle es sich um einen alternativen Namen der rassistischen US-Organisation The Order, die in den achtziger Jahren einen Radiomoderator ermordete. Die Gruppe, sagt Narin, würde von den Hammerskins „geradezu verehrt“. Es ist nicht das erste Mal, dass E. mit seiner Kleidung provoziert: Im Mai war er in einem Pulli erschienen, auf dem zwei Sturmgewehre abgebildet waren.

Der Anwalt glaubt, E. wolle G. mit der Aufschrift an sein Schweigegelübde gegenüber den Hammerskins erinnern – auch er gilt als ein Verfechter des Rassenkriegs. Zur Beweissicherung fotografieren Justizbeamte E. in einer Prozesspause. Tatsächlich steht auf dem Kleidungsstück die Losung „Brüder schweigen“ in Frakturschrift. Und etwas kleiner darunter: „Bis in den Tod.“

 

151. Prozesstag – Ordnungsgeld für Thomas G.?

Am Donnerstag kommt es zur Autoritätsprobe für das Gericht: Richter Manfred Götzl muss, um konsequent zu sein, ein Ordnungsgeld gegen den Zeugen Thomas G. verhängen. G. war bereits zweimal im Prozess und weigerte sich dabei, über seine Verbindungen zur rechtsextremem Organisation Hammerskins auszusagen. Neben einer Geldstrafe kommt unter Umständen auch eine Ordnungshaft in Frage.

Der 35-Jährige gilt als Neonazi-Anführer und ist in der rechten Szene bestens vernetzt. Er gab an, keinen Kontakt zum NSU-Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gepflegt zu haben. Er habe jedoch Ralf Wohlleben gekannt.

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Der Zeuge mit dem „Bums“

Im NSU-Prozess tritt ein schmallippiger Zeuge auf. Jan W. verweigerte die Aussage. Er soll der Terrorzelle eine Waffe besorgt haben. Einen entscheidenden Hinweis von ihm hatte die Polizei ignoriert.

Es war eine drastische Szene, die ein Zeuge vor einigen Monaten Ermittlern des Bundeskriminalamts schilderte: Am Rande eines Gerichtsverfahrens in Berlin kurz nach der Jahrtausendwende hätten die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihrem Bekannten Jan W. eine Knarre an den Kopf gehalten. Er solle „aufpassen, wem er was erzähle“, hätten sie ihm gedroht. W. war damals Produzent der bekannten Rechtsrock-Band Landser. Deren Mitglieder wurden bei dem Prozess als Volksverhetzer verurteilt.

Die Drohung mit der Pistole wirkt wie eine sehr spezielle Art von Mundlos und Böhnhardt, ihrem Kameraden Danke zu sagen. Denn der soll dem Trio aus den beiden Männern und Beate Zschäpe im Jahr 1998 eine Waffe besorgt oder das zumindest versucht haben. Sie könnte bei einem der 15 Raubüberfälle zum Einsatz gekommen sein, mit denen der NSU seinen Lebensunterhalt im Untergrund verdiente.

1998, da waren Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gerade vor der Polizei geflüchtet, weil Fahnder in einer Garage von Beate Zschäpe Sprengstoff sichergestellt hatten. Mit dem bestens in der rechtsextremen Szene verdrahteten W. aus Chemnitz hatten sie einen der wertvollsten Helfer auf ihrer Seite. Auch nach dem Vorfall in Berlin hat W. die Terrorzelle nach Ansicht der Bundesanwaltschaft weiter unterstützt, gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren.

Jemand, der das neonazistische Netzwerk so gut kennt wie W., hätte eine Menge zu erzählen. Deswegen hat das Münchner Oberlandesgericht ihn am 150. Prozesstag als Zeuge geladen. Bei dem baumlangen, drahtigen W. lugt eine Tätowierung unter dem weißen Hemd hervor, als er sich an den Zeugentisch gegenüber von Richter Manfred Götzl setzt. Er sei 39 Jahre alt, Berufskraftfahrer und „Single, ledig, kinderlos, falls das noch kommt“, gibt er zu Protokoll. Damit ist sein Auftritt beendet. Wegen der Ermittlungen gegen ihn muss sich W. nicht vor Gericht äußern – und tut das auch nicht.

Hätte er sich doch anders entschieden, so wäre die Vernehmung wohl zum altbekannten Spiel mit Erinnerungslücken und ausweichenden Antworten geworden, das sich regelmäßig beobachten lässt, wenn Kameraden in den Zeugenstand treten. In seiner einzigen Befragung bei der Polizei bezeichnete sich W. als Aussteiger, „für die einen zu links und für die anderen zu rechts“. Rechtsrock-Musik habe er „einfach gerne gehört“.

Allerdings steht W. seit Langem unter Beobachtung der Geheimdienste – weshalb den Behörden längst vieles über ihn bekannt geworden ist. Der Brandenburger Verfassungsschutz notierte kurz nach dem Untertauchen des Trios über ihn, er „soll z. Zt. den Auftrag haben, für die drei flüchtigen sächsischen Rechtsextremisten (…) Waffen zu beschaffen“. Damit waren offenbar Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gemeint, die aus Thüringen zu Kameraden nach Sachsen geflohen waren. Der Verfassungsschutz hatte auch eine Vermutung, womit diese Waffen bezahlt werden sollten: aus Kassen der mittlerweile verbotenen Organisation Blood & Honour.

In dieser Skinhead-Vereinigung war W. eine Führungsfigur – was seine mutmaßliche Nähe zum NSU nicht wie einen Zufall erscheinen lässt: Immer wieder tauchen Hinweise auf Parallelen zwischen dem Netzwerk und der Terrorzelle auf. So schrieb Uwe Mundlos nach Verfassungsschutz-Erkenntnissen mehrere Artikel für die Zeitschrift White Supremacy, die sich als Sprachrohr von Blood & Honour darstellte. Als Herausgeber fungierte für mindestens eine Ausgabe des Hefts Jan W.

Als Leitwolf des rechten Geschwaders dürfte W. auch über die Möglichkeiten verfügt haben, den abgetauchten Kameraden mit schweren Kalibern zu helfen. Das legt eine SMS nahe, die W. im August 1998 an den Kameraden Carsten Sz. schickte. Inhalt war der Text „Hallo, was ist mit dem Bums“. Es liegt nahe, dass mit „Bums“ eine Waffe gemeint war. Die Polizei, die damals nach dem flüchtigen Trio suchte, war entsprechend elektrisiert – denn Carsten Sz. berichtete als V-Mann unter dem Decknamen „Piatto“ an den Verfassungsschutz, das Handy hatte ihm die Behörde gestellt.

Die Ermittler hätten sich also im Klaren sein müssen, dass sie an einer Quelle saßen, die dicht an den Untergetauchten dran war. Doch das vermochte ihren Eifer nicht anzufachen: Sie ließen die Spur links liegen. „Es erschließt sich nicht, weshalb die Zielfahndung hier nicht weiterermittelt hat“, befand denn auch der Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags in seinem Abschlussbericht. Mittlerweile hat W. das Recht, über seine Kontakte zu den späteren Terroristen zu schweigen.