Lesezeichen
 

125. Prozesstag – Aliasgeber Matthias D. und Böhnhardts Bruder

Für das untergetauchte NSU-Trio war Matthias D. ein unschätzbarer Helfer: Er lieh den dreien seine Identität, mit der sie unerkannt ein bürgerliches Leben führen konnten. Auf seinen Namen mieteten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mehrere Wohnungen, auch bei der letzten Unterkunft in der Zwickauer Frühlingsstraße stand sein Name auf dem Klingelschild. Für die heikle Aufgabe hatte ihn offenbar der Mitangeklagte André E. gewonnen. Am Mittwoch ist D. als Zeuge geladen.

Weil gegen ihn ein Ermittlungsverfahren läuft, wird er sehr wahrscheinlich die Aussage verweigern – anders als bei der Polizei: Im Anschluss ist ein Beamter geladen, der D. nach Auffliegen des NSU im November 2011 vernommen hatte.

Zuletzt tritt als Zeuge Jan Böhnhardt auf, Bruder des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt. Von ihm werden Erkenntnisse zum Werdegang des Rechtsextremisten erwartet. Jan Böhnhardt hat mittlerweile selbst eine Familie gegründet, er hatte den Erkenntnissen zufolge nie Kontakte ins rechte Milieu.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Ein Anwalt im Netzwerk der Rechten

Der Anwalt Thomas Jauch soll Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach ihrer Flucht beraten haben. Vor Gericht mauert er – doch Unterstützern des Trios ging er offenbar fleißig zur Hand.

Wer in Mitteldeutschland lebt und sich zur rechtsextremen Szene bekennt, der stolpert früher oder später über den Namen Thomas Jauch. Denn viele, die sich für die sogenannte nationale Sache einsetzen, kommen früher oder später mit dem Gesetz in Konflikt – und können sich darauf verlassen, in Jauch einen Anwalt zu finden, der die Verteidigung eines Rechtsradikalen nicht aus Gewissensgründen ablehnt.

Jauch tritt beruflich regelmäßig vor Gericht auf. Am 124. Verhandlungstag des NSU-Prozesses nimmt er hingegen als Zeuge Platz. Der 54-Jährige ist ein drahtiger Mann mit grimmigem Gesichtsausdruck. Vor sich auf den Tisch legt er ein Buch mit dem Titel „Gesamtes Strafrecht“. Er betreibt seine Kanzlei im sachsen-anhaltinischen Weißenfels. Man kann nur darüber rätseln, wie viele rechts eingestellte Kameraden dort schon ein- und ausgegangen sind. Fest steht allerdings: Etliche von ihnen hatten Kontakte zum Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Und mindestens einmal waren die drei auch selbst dort.

Gericht und Nebenkläger wüssten gerne mehr über ein solches Gespräch. Das Problem ist nur, dass Jauch sich als Anwalt auf den Paragrafen 53 der Strafprozessordnung berufen kann, der ihm ein Schweigerecht über seine beruflichen Kontakte einräumt. Und dass er auch klug genug ist, den Paragrafen zu nutzen.

Beantragt hatte Jauchs Ladung der Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer. Dass es das Treffen von Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos mit Jauch gab, ist unumstritten: 1998, als die drei nach einem Bombenfund in einer Garage untergetaucht waren, wandten sie sich an den Szeneverteidiger. Dabei sollen 800 Mark Vorschuss gezahlt worden sein. Beate Zschäpe, vermerkte Jauch in einem Schreiben an die Polizei, sei bereit, zu den Vorwürfen auszusagen, wenn der Anwalt zuvor Akteneinsicht erhalte.

Vor Gericht gibt es am Dienstag keine neuen Informationen. „Die Angeklagte und die Verstorbenen waren nur einmal bei mir. Sonst hatte ich keinen Kontakt“, sagt Jauch, als ihn Richter Manfred Götzl befragt. Was damals besprochen wurde – Anwaltsgeheimnis. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl geht schon diese dürre Äußerung zu weit: Den Zeugen überhaupt danach zu Fragen sei „eine Anstiftung zum Verrat von Privatgeheimnissen“. Tatsächlich lässt die Aussage zumindest eine Schlussfolgerung zu: Wenn das Treffen Jauchs Recht auf Geheimhaltung unterlag, dürfte er das Trio beraten haben. Und wenn Zschäpe wirklich zur Aussage bereit war, wollte sie womöglich aus der Gruppe aussteigen, bevor es zum ersten Mord kam. Doch letzteres ist nur eine Vermutung.

Für seine Unwilligkeit zu reden bekommt Szeneanwalt Jauch Rückendeckung von den Verteidigern Zschäpes und des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Immer wieder verfällt die Verhandlung in ein geduldszehrendes Spiel, in dem die Rechtsbeistände eine Frage beanstanden, schließlich einen offiziellen Beschluss aller Richter verlangen und am Ende unterliegen. Gerade den Nebenklägern wollen sie es nicht leicht machen.

Dennoch entfaltet sich nach und nach das rechtsextreme Netzwerk, das Jauch besonders in Thüringen zu nutzen wusste. Belegt ist, dass darin auch die Mitangeklagten Carsten S. und Holger G. eine Rolle spielten: An G. schickte Jauch einmal einen Scheck mit einer Gebührenrückzahlung. Wahrscheinlich hatte er das Geld für seinen Kumpel André K. vorgestreckt, ein Zeuge, der schon mehrmals im Prozess aussagen musste. Carsten S. hatte Jauch im Jahr 2002 zweimal Geld überwiesen. Wofür, daran kann sich der Anwalt angeblich nicht mehr erinnern.

Doch die Unterstützung für die Kameraden ging möglicherweise über juristische Dienstleistungen hinaus, wie Nebenklagebeistand Scharmer in seiner Befragung herausschält. So soll Jauch in den Jahren um die Jahrtausendwende ein Grundstück in seinem Heimatort Lützen an Gesinnungsgenossen vermietet haben, auf dem Rechtsrockkonzerte abgehalten wurden. Dabei sollen Spenden für das untergetauchte Trio gesammelt worden sein. „Das wird von manchen behauptet. Ich war nicht zugegen“, entgegnet der Zeuge.

Auch soll er Bewohner einer Art Nazi-WG in Jena unterstützt haben, in der der Mitangeklagte Ralf Wohlleben zeitweise gewohnt hatte – das sogenannte Braune Haus. „Ist das ein Haus, das braun angestrichen ist?“, fragt Jauch und lässt es sich von Scharmer ganz genau erklären. „Es geht doch! Damit bin ich befasst“, patzt er schließlich.

„Warum sind Sie so gereizt? Wenn Sie meinen, dass Sie das Verfahren beurteilen können, hätte ich auch noch ein paar Fragen an Sie“, geht Götzl dazwischen. Er will nicht riskieren, dass der Hardliner mit Spitzfindigkeiten das Gericht vorführt.

Der Gescholtene sucht sich eine andere Gelegenheit zur Profilierung. Scharmer fragt ihn, ob er mit dem Verfassungsschutz oder dem Militärischen Abschirmdienst zusammengearbeitet habe. „Mir fehlte es an der erforderlichen Verschlagenheit und Verlogenheit“, gibt Jauch zurück. Zumindest aus seiner Gesinnung macht er kein Geheimnis.

 

124. Prozesstag – Anwalt Thomas Jauch sagt aus

Nachdem das NSU-Trio 1998 in den Untergrund geflüchtet war, holte es sich juristischen Rat: Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ließen sich von dem Rechtsanwalt Thomas Jauch aus Weißenfels in Sachsen-Anhalt beraten. Jauch tritt am Dienstag in den Zeugenstand. Der Jurist gilt als Szeneanwalt. Dem Antrag einer Nebenklageanwältin zufolge könnte er umfangreiche Kenntnisse über das Trio und seine Verbindungen gewonnen haben. Demnach beantragte er bei Gericht Akteneinsicht für die als Bombenbauer gesuchte Gruppe. Den Anstoß, zu einem Anwalt zu gehen, gaben offenbar die Eltern von Böhnhardt.

Weiterhin sind drei Zeugen geladen, die zum Banküberfall vom 4. November in Eisenach aussagen. Ihre Angaben halfen damals, das Wohnmobil zu finden, in dem Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt geflüchtet waren. In dem Fahrzeug begingen sie Selbstmord.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

123. Prozesstag – Frau des Angeklagten Ralf Wohlleben

Die Ehefrau des Angeklagten Ralf Wohlleben, Jaqueline Wohlleben, tritt am Donnerstag in den Zeugenstand. Zu erwarten ist allerdings, dass sie die Aussage verweigern wird, da sie nicht gegen ihren Mann aussagen muss. Ihre im Mai angesetzte Vernehmung war verschoben worden, weil Beate Zschäpe erkrankt war. Ralf Wohlleben ist der Beihilfe zum Mord angeklagt, weil er dem NSU-Trio eine Pistole beschafft haben soll.

Zudem sind zwei Polizisten geladen. Einer berichtet dem Senat von der Vernehmung des Zeugen Thomas S., der andere macht Angaben zu den Ermittlungen nach dem Mord an Mehmet Kubasik in Dortmund 2006. Damals war eine Zeugin vernommen worden, die auf der Straße zwei Rechtsradikale erkannt haben will – dabei könnte es sich um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehandelt haben.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

122. Prozesstag – Enrico T. erneut im Zeugenstand

Am Mittwoch muss erneut der als NSU-Unterstützer verdächtige Enrico T. aussagen. In seiner ersten Befragung Ende April hatte T. auf viele Fragen geantwortet, er könne sich nicht erinnern. Der Zeuge soll am Schmuggel der Mordpistole Ceska 83 beteiligt sein, mit der neun Menschen erschossen wurden. Den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zufolge stellte er den Kontakt zwischen einem Schweizer und einem Thüringer Mittelsmann her, die sich auf einen Waffenkauf einigten.

T. war vor Kurzem in die Schlagzeilen geraten, weil er in Verdacht steht, im Jahr 1993 einen neunjährigen Jungen ermordet zu haben. Die Staatsanwaltschaft Gera betonte allerdings, es laufe kein Ermittlungsverfahren gegen T.
Weiterhin ist ein Kommissar geladen, der Angaben zur Vernehmung eines Zeugen macht.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

121. Prozesstag – Thüringer Neonazi-Kopf Thomas G.

Der Dienstag ist ausschließlich einem Zeugen gewidmet: dem Thüringer Rechtsextremisten Thomas G. Der 35-Jährige gilt als Neonazi-Anführer und ist in der rechten Szene bestens vernetzt. So führte ihn das Landesamt für Verfassungsschutz als Mitglied der radikalen Organisation Hammerskins, zudem engagierte sich G. seit einer Haftstrafe in der mittlerweile verbotenen Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene.

Von seiner Aussage erhofft sich das Gericht Informationen über die Nazi-Netzwerke, in denen sich der NSU radikalisierte – dazu gehört auch der Thüringer Heimatschutz, den G.s Bekannter Tino Brandt gegründet hatte.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Wer brachte die Bombe in den Lebensmittelladen?

Die Schmerzen, die die junge Deutsch-Iranerin Mashia M. nach einem Bombenangriff von rechtsextremen Terroristen durchlitt, kann niemand nachfühlen. Im Saal A101 des Münchner Oberlandesgerichts lassen sie sich zumindest erahnen. Auf den Leinwänden erscheinen Fotos der damals 19-Jährigen, die im Januar 2001 eine Stollendose im Geschäft ihres Vaters geöffnet hatte – darin befand sich eine Kartusche mit Schwarzpulver, die explodierte. Das Opfer wurde in eine Klinik für Schwerstverbrannte gebracht.

Die Bilder, die der Gutachter Oliver Peschel zeigt, sind ein Zeugnis des Hasses. Das Gesicht der Verletzten ist kaum zu erkennen – die Augen sind zugeschwollen, die Haut mit Blut verschmiert und von Rußpartikeln bedeckt. Im Mund steckt ein Schlauch, durch den sie künstlich beatmet wird. Hätte sich M. nicht kurz vor der Explosion zufällig unter einen Tisch gebückt, hätte sie „nicht mit dem Leben vereinbare“ Verletzungen erlitten, sagt Peschel. Beinahe hätte M. zu den Mordopfern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gehört.

Keine Ähnlichkeit mit Mundlos oder Böhnhardt

Der Anschlag ereignete sich in einem Lebensmittelladen in der Kölner Probsteigasse, den die Familie betrieb. Gut einen Monat zuvor hatte dort ein Mann einen Weidenkorb mit der Dose hinterlassen und nie wieder abgeholt. Irgendwann siegte die Neugier über den Inhalt bei Mashia M. Sie selbst hatte bereits Anfang Juni ausgesagt, zudem ihre Eltern und ihre Schwester.

Wie bei jenen Sitzungsterminen lautet auch am 120. Verhandlungstag die Frage: Wer war der Mann mit dem Korb? Für die Bundesanwaltschaft steht die Antwort fest: Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt, die auch einen weiteren Anschlag in Köln begangen und zehn Menschen erschossen haben sollen. Schließlich übernahm der NSU in seinem Bekennervideo die Verantwortung für die Tat.

Viele Prozessbeteiligte haben an dieser Theorie aber mindestens Zweifel. Der Täter hatte damals das Geschäft betreten und mit dem Ladenbesitzer Djavad M. gesprochen, auch Mashias Schwester Mashid sah den Mann kurz. Später fertigten die Ermittler auf Grundlage der Angaben Phantombilder, die in weiten Teilen übereinstimmten: ein junger Mann mit ausgeprägten Wangenknochen und schulterlangen, blonden Haaren. Mundlos und Böhnhardt sah der Mensch auf dem Bild nicht einmal ansatzweise ähnlich.

Verdachtsmoment im Keim erstickt

Die These um einen Unterstützer vor Ort ließ die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage außen vor. Dabei gab es offenbar eine Spur, der die Ermittler nicht ernsthaft nachgingen – warum, wollen die Nebenklageanwältinnen Edith Lunnebach und Christina Clemm erfahren. Sie beantragen, die frühere Leiterin des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Mathilde Koller, als Zeugin zu laden. Denn die Mitarbeiter des Geheimdienstes konnten sich auf die Phantombilder durchaus einen Reim machen: Sie erkannten eine Ähnlichkeit mit dem Neonazi Johann H. aus Köln.

Der heute 47-Jährige war 2012 Mitglied der rechtsextremen Kameradschaft Walter Spangenberg, die im Mai desselben Jahres verboten wurde. Die Verfassungsschützer hatten für diese Erkenntnis ihre Fotokartei durchgesehen und eine „Überprüfung relevanter Personen der örtlichen neonazistischen Szene“ vorgenommen, wie es in einem Schreiben des Innenministeriums an den Generalbundesanwalt vom Februar 2012 heißt. Das unweigerliche Verdachtsmoment erstickte die Behörde jedoch im Keim: „Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung bestehen nicht“, schließt die Mitteilung.

Zu demselben Schluss kam kurz darauf dann auch eine Ermittlerin des Bundeskriminalamts, die nach dem Willen der Anwältinnen ebenfalls in München aussagen soll. Die Einschätzung überrascht, lieferten doch die Akten interessante Anhaltspunkte: H. war 1985 wegen eines Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz verurteilt worden. Zudem besaß er Waffen und war Mitglied einer Reservistengemeinschaft für Scharfschützen bei der Bundeswehr.

Bis heute vom Verfassungsschutz beobachtet

Das wäre ein Grund gewesen, dem Neonazi zumindest einen Besuch abzustatten. Doch dazu kam es nicht. Die Kölner Polizisten legten Djavad und Mashid M. ein Passfoto von H. vor, mit dem dieser einen Personalausweis beantragt hatte. Zuvor veränderten sie die Frisur auf dem Bild so, dass sie mit den Phantombildern übereinstimmte. Beide erkannten jedoch keine Ähnlichkeit mit dem Täter. Auch eine Ganzkörperaufnahme von H., betitelt mit der Aufschrift „Frühjahr 2002“, konnten sie nicht zuordnen. Damit war die Spur für die Ermittler erledigt.

Lunnebach und Clemm werfen den Kölnern nun unsaubere Arbeit vor: Das Passbild sei unscharf gewesen, dadurch ließen sich keinerlei Ähnlichkeiten mit „irgendeiner anderen Person“ feststellen. Tatsächlich räumt die BKA-Beamtin in einem weiteren Vermerk ein, Mashid M. hätte wegen der schlechten Bildqualität Johann H. nicht wiedererkennen können. Insbesondere aber machten die Polizisten Ermittlungen gegen H. einzig von der Einschätzung der Zeugen abhängig – deren Erinnerungen durch den Schock der Tat getrübt oder beeinflusst sein konnten.

Der Verdacht gegen H. gibt Anlass zu einem schaurigen Szenario: dass ein NSU-Mittäter unbehelligt von Ermittlern seiner Wege gehen kann. Bis heute beobachtet der Verfassungsschutz Johann H., weil er sich in der rechten Szene der Kölner Umgebung bewegt.

 

120. Prozesstag – Sachverständige zur Probsteigasse und alte Bekannte

Nach mehr als zwei Wochen Pause untersucht das Gericht im NSU-Prozess weiter den Fall des Anschlags in der Kölner Probsteigasse von 2001. Gehört werden die Sachverständigen Oliver Peschel, der ein Gutachten zum Gesundheitszustand des Opfers Mashia M. vorträgt, und Rüdiger Mölle vom bayerischen Landeskriminalamt, der den Fall aus kriminalistischer Sicht analysiert. Eine Polizistin sagt zudem als Zeugin aus.

Im Anschluss geht es noch einmal um die Anfänge des NSU: Der Zeuge Andreas K. soll Angaben dazu machen, wie das Trio sich Waffen beschaffte. Die Gruppe häufte über die Zeit ein Arsenal von 20 Pistolen und Gewehren an. Ebenfalls geladen ist Thomas B., ein Jugendfreund von Uwe Böhnhardt. B. beging damals gemeinsam mit Böhnhardt Straftaten. In Vernehmungen beschrieb er ihn als aggressiv.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Schweizer Zeuge bestreitet Waffentransport

Einer der Schweizer Zeugen im NSU-Prozess, Hans-Ulrich M., will mit dem Transport der NSU-Waffe Ceska 83 nichts zu tun gehabt haben. Bei einer Vernehmung im schweizerischen Thun betonte er, er habe die Pistole weder bestellt noch zu Gesicht bekommen, wie ZEIT ONLINE erfuhr. Mit der Ceska sollen später die meisten Morde des NSU verübt worden sein. Eine Infografik von ZEIT ONLINE zeichnet den Weg der Mordwaffe nach, die laut den bisherigen Ermittlungsergebnissen erstmals in der Schweiz auftauchte.

M. sagte aus, er habe in Kontakt mit dem Waffenhändler gestanden, der das Modell an den mutmaßlichen Mittelsmann Peter-Anton G. verkaufte. Mit G. sei er bis heute befreundet. Anders, als G. bei der Polizei ausgesagt hatte, will Hans-Ulrich M. den Freund jedoch nicht mit dem Kauf beauftragt haben.

An der nichtöffentlichen Vernehmung der Berner Staatsanwaltschaft nahmen Verteidiger der Angeklagten Beate Zschäpe, Carsten S. und Ralf Wohlleben teil, zudem ein Vertreter der Bundesanwaltschaft und mehrere Nebenklageanwälte. Für Mittwoch ist die Aussage von Peter-Anton G. geplant.

Die Staatsanwaltschaft vernimmt M. und G. im Rahmen der Amtshilfe, weil sie einer Ladung zum Prozess in München nicht nachgekommen waren. Als Schweizer Bürger sind sie dazu nicht verpflichtet. Die Bundesanwaltschaft wirft M. vor, die Ceska nach Deutschland gebracht zu haben. Dort gelangte sie über weitere Mittelsmänner offenbar an den Angeklagten Carsten S., der sie dann Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt brachte. Mit der Pistole sollen Mundlos und Böhnhardt neun Migranten erschossen haben.

 

Vernehmung unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Heute und morgen vernimmt die Staatsanwaltschaft des Schweizer Kantons Bern die Zeugen Peter Anton G. und Hans-Ulrich M. Die Schweizer Staatsbürger gelten als Mittelsmänner bei der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Menschen erschossen haben sollen. Über die beiden Zeugen und weitere Helfer soll die Pistole in die Hände des NSU gelangt sein.

Befragt werden G. und M. im Rathaussaal der Gemeinde Thun, die wenige Kilometer von Bern entfernt liegt. Beide waren zum NSU-Prozess nach München geladen, dort jedoch nicht erschienen. Die Vernehmung übernehmen nun die Schweizer im Rahmen der Amtshilfe, weil das Oberlandesgericht keine Handhabe hat, sie zur Aussage in Deutschland zu verpflichten. Prozessbeteiligte dürfen die Aussage verfolgen, Zuschauer und Journalisten haben jedoch keinen Zutritt, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft zu ZEIT ONLINE sagte.

Warum beide nicht zu ihrer Vernehmung in München gekommen waren, ist unklar. Falls ihnen bekannt war, zu welchem Zweck die Waffe eingesetzt werden sollte, hätten sie sich als Helfer beim Mord schuldig gemacht.