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Charles Darwin: Die Entstehung der Arten

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Darwins Entstehung der Arten
Welche Arten es ins nächste Zeitalter schaffen? Das entscheiden Zeit, die Eigenschaften der jeweiligen Arten und die herrschenden Anforderungen ans Überleben. © Eric Schumacher

Die natürliche Auslese

Man kann sich die natürliche Auslese, die Darwin beschreibt, recht einfach an einem sehr groben Modell erklären.  Denken wir uns einen Spielzeugeimer, durch dessen Öffnungen im Deckel Kinder Bauklötze in einen Eimer werfen (s. Abb. oben). Löcher und Bauklötze sind verschieden geformt, so dass nur der passende Bauklotz durch je eines der Löcher im Deckel passt. Kein Rechteck passt durch ein dreieckiges Loch, kein Dreieck durch ein kreisrundes. In unserem Modell symbolisieren die Klötze die spezifischen Eigenschaften der Arten, wie sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte der Erde bestehen. Die Löcher symbolisieren hingegen die vorherrschenden Lebensbedingungen zum nächsten Zeitpunkt in der Erdgeschichte: die Zusammensetzung der Luft beispielsweise, oder die Dichte der Atmosphäre. Auch die Anwesenheit oder Abwesenheit von Fressfeinden oder die vorhandene Nahrung können dazu gehören. In unserem Modell nun steht das Kind, das die Klötze durch den Deckel in den Eimer wirft, ausschließlich für die fortschreitende Zeit. Ist ein Bauklotz erfolgreich im Eimer platziert, hat er das nächste Zeitalter erreicht.

Stellen wir uns vor, der Deckel hätte sechs verschiedene Öffnungen: eine ist dreieckig, eine quadratisch, eine achteckig, eine fünfeckig, eine rund und eine hat die Form eines Trapez. Unter den Bauklötzen gibt es aber nur die Grundflächen Dreieck, Quadrat und Rechteck.Die Zeit schreitet voran. In unserem Modell heißt das: Das Kind steckt die Klötze in den Eimer. Was passt?

Dreieck und Quadrat. Alle Rechtecke passen nicht durch die Löcher im Deckel. Evolutionsbiologisch gesprochen: Die Eigenschaft „Rechteck“ erfüllt nicht die Anforderungen, die im neuen Zeitalter an das Leben gestellt sind. Oder in den Worten der Biologie: Rechtecke können in diesem Zeitalter schwerer überleben oder sich nur schwer fortpflanzen, weil die Erde zu warm, zu kalt, zu trocken, zufällig überflutet ist, oder weil einfach gerade keine Katze anwesend ist, die die Zahl der natürlichen Fressfeinde der Art mit der Eigenschaft „Rechteck“ verringert. Mithin müssen die Rechtecke aussterben oder zumindest weniger werden. Sie sind nicht fit, nicht angepasst.

Evolution im Modell

In unserem vereinfachten Modell sind alle Rechteckklötze ab jetzt verloren. Das Kind schüttet den Eimer wieder aus und holt die Dreiecke und Quadrate wieder heraus. Jahrmillionen vergehen, das Kind spielt weiter. Die Klötze mutieren rein zufällig: Manche zerbrechen oder quellen durch Feuchtigkeit auf. Irgendwann werden sie so zu Dreiecken, Quadraten und Achtecken. Die Achtecke sind mutierte Quadrate. Und siehe da: Auch die Achtecke passen durch eine Öffnung im Deckel, dürfen überleben und sich fortpflanzen.

Eimer auskippen, viele Jahre vergehen lassen: Drittes Zeitalter. Wieder räumt das Kind ein. Die Bauklötze mit der Grundfläche Dreieck sind zu Bauklötzen mit der Grundfläche Sechseck mutiert, aber sie haben auch eine zweite Mutation, nämlich die Trapeze entwickelt – rein zufällig. Nun nimmt das Kind einen Deckel, den es vorher nicht verwendet hat. Der Deckel hat kein Loch für Sechsecke, dafür für Quadrat, Achteck, Kreis und Trapez. Die Folge: Diesesmal sterben, vereinfacht gesprochen, die Sechsecke aus – auch rein zufällig, weil es unter den neuen Bedingungen keinen Platz mehr für sie gibt. Dafür überlebt ihre Mutation, das Trapez. Im Eimer landen Trapeze, Achtecke und Quadrate.

Und die Fünfecken? Richtig: Die gibt es noch gar nicht. Vielleicht werden sie nie entstehen, obwohl die Bedingungen für sie ideal wären: Das Loch im Deckel ist ja da.

  • Kleine Anwendungsaufgabe: Was müsste passieren, damit Fünfecke entstehen?
  • Unten finden Sie einen Link zur Schrift von Darwin. „Über die Entstehung der Arten“ ist sehr leicht lesbar und besonders interessant für Leser, die das Modell am konkreten biologischen Zusammenhang nachvollziehen möchten.

Charles Darwin: Weitere Aufgaben und Materialien

Wie schon die Philosophie der Aufklärung ist auch die Philosophie des 19. Jahrhunderts eng verknüpft mit der Entwicklung der Naturwissenschaften. So kamen zum Beispiel bei Baumaßnahmen oder im immer tiefer gehenden Bergbau interessante Dinge zutage, die das Weltbild der Menschen nachhaltig verändern sollten. Einen ähnlichen Fund – eine fossile Zypresse – hat man im Jahr 2011 ebenfalls im Tagebau Garzweiler gemacht.

  • Überlegen Sie, was Sie aus dem Fund der Zypresse über die Entstehung der Welt schließen können. Versetzen Sie sich dazu in die Perspektive eines Menschen, für den die biblische Schöpfungsgeschichte bedeutsam war.

Darwin selbst hat in seiner „Evolution of the Species“ nichts über Dinosaurier geschrieben, aber es ist wahrscheinlich, dass ihm einige Funde bekannt waren. In den Jahrzehnten vor Erscheinen seiner Schriften waren Dinosaurierknochen gefunden worden.

Das Philosophische Quartett zum Thema Sozialdarwinismus (Quelle: YouTube)

Darwin, Charles – Über die Entstehung der Arten (Quelle: textlog.de)

Planet Wissen zum Thema Evolutionsforschung in sechs Teilen:

2. Teil 3. Teil 4. Teil 5. Teil 6. Teil

Planet Wissen zu Darwin:

Das Philosophische Quartett zum Thema Sozialdarwinismus:

ZEIT Wissen: „Der Mensch ist noch nicht fertig„.
Wird die Evolution weitergehen? Und was ist ihr Ziel? Lange glaubten wir, wir seien so optimal gelungen, dass es an uns nichts mehr zu verbessern gebe. Ein Irrtum.

Charles Darwin: Biografische Daten

Charles Darwin (1809 – 1882): Evolutionstheoretiker, Naturforscher und Philosoph.

Tabellarischer Lebenslauf (Quelle: zeno.org)

Ausführlicherer Artikel zur Biografie (Quelle: www.welt.de)

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Friedrich Nietzsche: Es denkt

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Friedrich Nietzsche Philosophie
Friedrich Nietzsche: Fotografie aus dem Jahr 1882 © Hulton Archive/Getty Images

Es denkt

  • Nachdem Sie sich im obenstehenden Video mit dem Libet-Experiment vertraut gemacht haben, erörtern Sie: Die elektronischen Regungen im Gehirn entstehen 100 Millisekunden bevor die Probandin das Gefühl hat: Jetzt möchte ich den Knopf drücken. Was bedeutet das für unsere Vorstellung von einem wirklich existierenden „Ich“?

Wer das Dossier zur Philosophie der Aufklärung gelesen hat, wird vielleicht bei der kartesischen Frage nach der letzten Wahrheit hängen geblieben sein. Dabei ging es darum, was rein methodisch alles in Zweifel gezogen werden könnte: Alle Sinneswahrnehmungen, sagt Descartes, damit auch die Wahrnehmungen unseres eigenen Körpers, könnten getrübt und falsch sein. Was bleibt ist nach Descartes die als cogito ergo sum bekannte Gewissheit: „Ich denke, also bin ich“, die gemäß seiner Auffassung notwendig wahr sein muss. Denn ohne dass ich denke, kann der Gedanke, dass ich eben dies (oder etwas anderes) denke, nicht wahr sein. Anschließend an Descartes kann man die Frage stellen: Kann es sein, dass das „Ich“ bei „Ich denke“ noch weiter zerlegt werden muss?

Im Wissen um das Libet-Experiment sieht es wohl genau danach aus. Denn offenbar ist das Bewusstsein unserer selbst gar nicht in der Lage, unsere Handlungen zu bestimmen. Was aber, wenn wir das Denken als eine unserer Handlungen einordnen? Sind wir dann noch in der Lage, unser Denken gemäß der Vernunft selbständig zu verfassen? Oder sind unsere Gedanken vielleicht doch vorgegeben, und zwar durch physische Prozesse in unserem Gehirn, die wir letztlich als „Denken“ und als „Ich“ bezeichnen, die aber in Wirklichkeit von dem Organ Gehirn verursacht werden, ohne dass wir einen Einfluss auf sie hätten?

Die Folgen wären weitreichend. Wir müssten davon ausgehen, dass wir selbst nicht Herr unserer Gedanken sind. Mithin könnten wir nicht mehr selbst sagen „Ich denke“. Stattdessen müssten wir dieses Denken, was auch immer es wäre, einer Funktion unseres Gehirns zuschreiben, so dass das Denken einfach passiert. „Es denkt“, schlägt Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse als alternative Formulierung vor (Absatz 16). Vielleicht aber hat Nietzsche damit recht. Er war nicht der erste, der derart radikale Thesen über das „Ich“ verfasste: Ein Bündel von Wahrnehmungen, mehr nicht, sei der Geist, sagte bereits David Hume Jahre vor ihm.

Nietzsche: Die Sprache und die Wahrheit

  • Aufgabe zum Vorphilosophieren: Erörtern Sie, was der folgende Textauszug über Wahrheit aussagen kann.

„Wir reden von einer Schlange: Die Bezeichnung trifft nichts als das Sichwinden, könnte also auch dem Wurme zukommen. Welche willkürlichen Abgrenzungen, welche Einseitigen Bevorzugungen bald der bald jener Eigenschaften eines Dinges! Die verschiedenen Sprachen nebeneinander gestellt zeigen, dass es bei den Worten nie auf die Wahrheit, nie auf einen adäquaten Ausdruck ankommt. Denn sonst gäbe es nicht so viele Sprachen. […] Was also ist Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken: Die Wahrheiten sind Illusionen, über die man vergessen hat, dass sie welche sind […]“ – zitiert aus F. Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne.

Können wir die Welt mit unserer Sprache wahrheitsgemäß beschreiben? Zunächst einmal sollten wir dazu überlegen, was wir als Wahrheit bezeichnen. Ein Beispiel: „Ein Buch liegt neben mir“ ist ein Satz, der entweder wahr oder falsch ist. Wir nehmen an, dass der Satz nicht wahr ist, wenn neben mir kein Buch liegt. Jemand könnte diese Aussage („Neben mir liegt kein Buch“) treffen, ohne dass es für sie eine Grundlage gibt. Dann könnte der Satz sich zwar zufällig als zutreffend erweisen. Jedoch würden wir nicht behaupten, es handle sich um Wissen, denn es könnte ja genau so gut auch nur zufällig so sein, wie beschrieben. So ergibt sich eine klassische Definition von Wissen: Es ist gerechtfertigte, wahre Meinung.

Beleuchten wir jedoch den Wahrheitswert sprachlicher Äußerungen mit einem anderen Beispiel: „Neben mir liegt eine Bremse auf dem Tisch“. Nun wird es etwas schwieriger. Denke ich an ein Insekt, oder denke ich an eine Vorrichtung, die bewegliche Dinge anhalten lässt? Das müsste ich Ihnen mitteilen, damit Sie den Wahrheitswert der Aussage beurteilen können. Erst wenn wir uns über unsere Sprachverwendung unterhalten hätten, könnten wir hier weiter urteilen. Und vielleicht wäre sogar eine Sprache denkbar, in der es für eines der beiden Dinge keinen Begriff gibt, der unser deutsches Wort „Bremse“ beschreibt.

Ein vielzitiertes Beispiel ist, dass es in manchen Sprachen mehrere verschiedene Begriffe für verschiedene Arten von Schnee gibt. Wie sollten wir, als Außenstehende, über die Wahrheit solcher Sätze urteilen? Und was, wenn die Begriffe der anderen Sprache und unserer Sprache möglicherweise in einer Weise entgegengesetzt sind, nach der die Begriffe in einer anderen Sprache nicht wahr sein können?

Ludwig Wittgenstein führt in seiner Theorie der Sprachspiele ein weiteres populäres Beispiel an. Er verwendet im Gedankenexperiment den Begriff „Käfer“ für den unbekannten Inhalt einer Schachtel:

„Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir „Käfer“ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schauen; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. Da könnte es ja sein, dass Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja man könnte sich vorstellen, dass sich ein solches Ding fortwährend veränderte. Aber wenn nun das Wort „Käfer“ dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? So wäre er nicht der der Bezeichnung des Dings.“ [Quelle: Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. (1953) § 293.]

Wittgenstein bringt dieses Gedankenexperiment im Kontext seiner Überlegungen zum Schmerz und wie man sich sprachlich darauf bezieht. Jeder hat nur seine eigenen Schmerzen, der Zugang der anderen zu dem Schmerz einer Person ist indirekt.

  • Diskutieren Sie: Sind Schmerzen wie die Käfer in der Box? Jeder könnte andere Schmerzen haben, sie könnten sich fortwährend ändern? (Diese Aufgabe stammt aus Joachim Eberhardts Gedankenexperiment-Lexikon.)

Weitere Materialien zu Nietzsche:

BBC-Biografie zu Nietzsche (Quelle: YouTube)

Sternstunde Philosophie: Friedrich Nietzsche: Das Leben bejahen, Schweizer Radio und Fernsehen (Quelle: srf)

BR Alpha: Denker des Abendlandes –  Schopenhauer und Nietzsche (Quelle: BR)

Friedrich Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im Außermoralischen Sinne: Ein Kerngedanke kurz erklärt (Quelle: YouTube)

Was ist wahr? Überblick zu aktuellen Wahrheitstheorien (Quelle: www.gawagai.de)

Friedrich Nietzsche: Biografische Daten

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900), Philosoph, betrachtete sich als Psychologe. In seiner Philosophie war er stark beeinflusst von der Philosophie Schopenhauers. Hauptwerke umfassen Also sprach Zarathustra, Zur Genealogie der Moral, Die fröhliche Wissenschaft, Menschliches, Allzumenschliches, Der Antichrist.

Tabellarische Biografie (Quelle: dhm.de)

Ausführliche Biografie (Quelle: deutsche-biografie.de)

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Karl Marx und die Industrialisierung

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Karl Marx Philosophie
Französische Demonstranten tragen ein großes Banner mit einem Bild von Karl Marx. © Steve Eason/Hulton Archive/Getty Images

Das Denken von Marx und Engels ist eng verbunden mit der Idee, dass es geschichtliche Notwendigkeiten geben muss. Diese Idee findet sich auch schon bei Hegels These zum objektiven Geist. Marx und Engels sehen das Ende der Geschichte allerdings noch nicht erreicht. Im Kommunistischen Manifest formulieren sie, dass es eines Tages notwendig zu Aufständen des Proletariats kommen muss:

„Das Proletariat macht verschiedene Entwicklungsstufen durch. Sein Kampf gegen die Bourgeoisie beginnt mit seiner Existenz.“ (Quelle: Das Kommunistische Manifest, 470 ff)

Um das nachzuvollziehen, ist es sinnvoll, sich in die Jahre zurückzuversetzen, in denen die Industrie in Deutschland aufblühte. Kaum eine Gegend bietet sich dazu so gut an wie das Ruhrgebiet und der Bergisch-Märkische Raum, aus dem auch Engels selbst stammte. Besonders in Wuppertal sind viele historische Fabrikgebäude aus der Zeit von Marx und Engels erhalten geblieben. Auf der im Folgenden verlinkten Seite finden sich einige Bilder aus Wuppertal-Wichlinghausen, Bild 10 zeigt eine Fabrik aus dem Jahr 1824.

Friedrich Engels‘ Großvater war selbst Industrieller. Zwei seiner Arbeiterwohnhäuser in der Wittensteinstraße, ganz in der Nähe des Bahnhofes Barmen, stehen heute noch. Später erbaute Mietshäuer zeugen von dem Wirtschaftswachstum in Wuppertal. Und auch auf dieser Abbildung aus dem Jahr 1887 lassen sich die Veränderungen im Stadtteil Barmen erkennen:

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Barmen, 1870. Bild von August von Wille, †1887

Im 19. und 20. Jahrhundert entwickelte sich der Ruhrkohlebergbau rasant. Die ersten, sehr oberflächennahen Flöze hatte man schon lange zuvor abgebaut, wie zum Beispiel in Wetter. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatten die Zechenbetreiber bereits erkannt, dass sie leistungsfähigere Infrastruktur für den Transport der Kohle benötigten und die ersten Pferdebahnen entwickelt.

Dieses Bild stammt aus der Frühzeit der Industrialisierung in Deutschland:

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Mechanische Werkstätten Harkort & Co. Bild von Alfred Rethel, †1859

Zwei Aufgaben zum Vorphilosophieren:

  • Erörtern Sie, wie die technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der damaligen Zeit auf die Menschen gewirkt haben müssen.
  • Erörtern Sie, welche Möglichkeiten der Entlohnung sich in Fabrikarbeit ergeben und wie diese Möglichkeiten der Entlohnung sich von den althergebrachten Weisen des Handels unterschieden.

Welche Möglichkeiten hat ein Fabrikbesitzer, seine Arbeiter zu entlohnen? Der Arbeiter braucht Mittel, die sein Überleben sicherstellen, er muss wohnen, essen und sich stärken. Die Produkte aus der Fabrik können dazu nicht dienen: die Holz- und Stahlprodukte eignen sich nicht zur Ernährung. Und auch der Fabrikbesitzer selbst hat kein Interesse daran, Lebensmittel vorrätig zu halten. Seit der frühen Neuzeit,  mit zunehmender Industrialisierung wird daher die Entlohnung in Geld der Standard. Das Gegenstück dazu ist die Arbeit, die der Arbeiter anbietet – auf dem Arbeitsmarkt. Wie früher der Landwirt seine Ware auf den Markt getragen hat, tut dies nun der Arbeiter, aber statt der Ware, kann er nur seine Arbeit bieten. Mit dem Geld, das er verdient, kann er auf dem Warenmarkt seine Lebensmittel kaufen. Somit ist Geld die Voraussetzung dafür, dass Arbeitsteilung funktionieren kann.

Derjenige, der in seinem Unternehmen Geld und Arbeit bündelt, muss in einer kapitalistischen Wirtschaft das Geld in neue Maschinen und neue Produkte investieren, um auf dem Markt bestehen zu können und nicht unterzugehen. Investitionen ermöglichen ihm also das Überleben im Konkurrenzkampf. Damit ist Kapital im Prinzip nichts anderes als zuvor erwirtschaftetes Geld, das zum Verdienen von noch mehr Geld in Maschinen oder andere Hilfsmittel investiert wird. In Das Kapital nennt Marx dies „Geldheckendes Geld“. Da der Industrielle jedoch nicht alleine auf dem Markt ist, muss er natürlich zusehen, dass die Produktion seiner Waren möglichst günstig abläuft. Darum stellt sich die Frage: Wie viel soll er dem Arbeiter zahlen?

Durch die Konkurrenz entstehen immer neue Techniken und immer größere Betriebe. Wenige Jahre später sah es in Wuppertal so aus wie hier am Beispiel des berühmten Bayerwerk.

 

Marx und Hegel Pottery Class
© Juliette Lasserre/Getty Images

Marx und Hegel: Entäußerte Arbeit

Haben wir nicht mit Hegel gelernt, dass der Mensch sich durch Arbeit als selbständiges Subjekt seiner Tätigkeit erkennt? Hegel, so würde Marx antworten, hat ein anderes Bild der Arbeit vor Augen. Das Ding, das der Knecht bei Hegel bearbeitet, ist am Ende ein fertiges Produkt, zumindest soweit, dass der Mensch die eigene Tätigkeit an ihm nachvollziehen kann. Der Knecht hat das Ding maßgeblich selbst bearbeitet. In der industriellen Massenfertigung ist das anders.

  • Aufgabe: Versetzen Sie sich in die Lage eines Arbeiters, der sein Leben lang nur eines der Holzstückchen herstellt, wie sie in diesem Video bei 1:39 zu sehen sind:
  • Gruppenaufgabe: Die TeilnehmerInnen stellen in wenigen, dafür aber großen Gruppen zunächst einfache Gegenstände aus Papier her, wie zum Beispiel Schiffchen oder Hüte. Die Gruppen stehen in Konkurrenz um die Stückzahl. Das heißt, sie sollen möglichst viele Hüte oder Schiffchen in möglichst wenig Zeit produzieren. Nach einer Weile werden sie mit großer Wahrscheinlichkeit beginnen, die Arbeit aufzuteilen, und zwar in einzelne Arbeitsschritte. Hier ist die Geduld des Lehrers gefragt: Die SchülerInnen werden nach einiger Zeit frustriert oder gelangweilt sein, vielleicht beginnen sie auch, Fehler zu machen. In meinem Versuch kam es sogar zum Streik. Es sollte ein Unterrichtsgespräch angeschlossen werden, warum dies der Fall war.

Betrachten wir die industrielle Massenproduktion mit ihren riesigen Hochöfen, Walzwerken und Gruben, wie Marx sie kennen gelernt hat. Das Verhältnis von Arbeit und Mensch ist hier ein anderes. Denn die Arbeit, die in das Werkstück geht, ist für den Arbeiter, nennen wir ihn Peter, und für den Kapitalisten in erster Linie als Arbeitszeit wichtig. Das Werkstück wird produziert – wenn nicht durch Peter, dann durch einen anderen. Die eigene Arbeit am Werkstück ist austauschbar und Peter ist ein Anhängsel des gesamten arbeitsteiligen Produktionsprozesses, der auch ohne ihn sehr gut funktionieren würde. Das heißt: Die eigentliche persönliche Arbeit, wie sie Peter als Person in das Werkstück steckt, ist völlig irrelevant. Wichtig ist nur, dass sich irgendein Arbeiter X über eine Zeit X mit dem Werkstück befasst. Denn die Zeit, die für die Produktion verwendet wird, macht den Wert des Gegenstandes für den Kapitalisten und für den Abnehmer aus.

Dadurch kehrt sich das Verhältnis um: Polemisch formuliert Marx in den Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten, dass der Arbeiter nun auch Knecht ist, aber nicht – wie bei Hegel – Knecht des Herrn, sondern des Werkstücks. An dem Werkstück zeigt sich für den Arbeiter nicht mehr, ob er gut oder schlecht gearbeitet hat. „Das Produkt der Arbeit ist die Vergegenständlichung der Arbeit“: Der Arbeiter bearbeitet den Gegenstand im Rahmen der Vorschriften in einer festgelegten Zeit. Fertig, nächster Gegenstand. Die Arbeitskraft ist in den Gegenstand geflossen und fort. Alles, was der Arbeiter erkennen könnte, wenn er sich den Gegenstand anschaut, ist, dass er den Gegenstand bearbeitet hat. Dazu kommt es aber nicht, weil die Gegenstände im Warenfluss weitergereicht werden müssen. In diesem Warenfluss ist es egal, wer an dem Gegenstand gearbeitet hat, es zählt nur, dass lange genug gearbeitet wurde. Damit ist der Arbeiter „entwirklicht“, weil er als Person austauschbar und ersetzbar ist. Darüber hinaus wird in der Entlohnung zu Marx‘ Zeit wenig Wert darauf gelegt, wie gut der Arbeiter vom Lohn leben kann.

Eine Darstellung der Uniformität des austauschbaren Maschinenbedieners findet sich auch in Fritz Langs Metropolis bei Minute 15:36:

Aufs Groteskeste überspitzt erkennt man die Entfremdung der Produktion im Film über die „hochqualifizierte Marzipankartoffel“ von Loriot. Besonders die Szenen ab 2:40 sind eindringlich:

Karl Marx: Weitere Materialien

Schweizer Radio und Fernsehen: Sternstunde Philosophie zur Tragfähigkeit Marxscher Theorien

ZDF-Dokumentation: „Karl Marx und der Klassenkampf“

 

Marxsche Krisenkaraoke aus dem SRF. Teil 1 und Teil 2

Meschugge mit Marx: Kapital (Quelle: 3sat)

Meschugge mit Marx: Arbeit (Quelle: 3sat)

Meschugge mit Marx: Warenfetisch (Quelle: 3sat)

Meschugge mit Marx: Produktionsmittel (Quelle: 3sat)

Die Zeit der Industrialisierung im Dossier auf ZEIT für die Schule

 

In Englischer Sprache:

Dokumentation über den Beginn der Industriellen Revolution (gut verständlich):

Die Rolle der Eisenbahn und das neue Denken bei Transportfragen:

Karl Marx und Friedrich Engels: Biografische Daten

Karl Marx (1818 – 1883), Philosoph und Ökonom, geboren in Trier. Friedrich Engels (1820 – 1895), Ökonom, Philosoph, Herausgeber und Journalist.

Biografie über Karl Marx. (Quelle: deutsche-biographie.de). Tabellarische Biografie (Quelle: zeno.org).

Biografie über Friedrich Engels. (Quelle: deutsche-biographie.de). Tabellarische Biografie (Quelle: dhm.de).

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Georg W. F. Hegel: Subjekt-Objekt-Dialektik

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Hegels Subjekt-Objekt-Dialektik für Einsteiger
© Juliette Lasserre/Getty Images

Herr, Knecht und Arbeit

  • Nehmen Sie sich zehn Minuten Zeit und setzen Sie sich mit etwas Knete an einen Tisch. Alternativ können Sie auch einen Stift und ein Blatt verwenden. Sie brauchen keine weiteren Werkstoffe oder Gegenstände. Beschäftigen Sie sich mit dem, was vor Ihnen liegt.

Vielleicht haben Sie in den vergangenen Minuten etwas zu Papier gebracht oder geknetet. In diesem Fall überlegen Sie sich: Was haben Sie da produziert? Woraus besteht es? Warum haben Sie genau dies produziert und nichts anderes? Anders ausgedrückt: Was sagt das Produzierte über Sie aus?

Überlegen Sie nun: Wie stehen Sie im Verhältnis zum produzierten Ding?
Diskutieren Sie diese Frage mit anderen Lesern.

Möglicherweise halten Sie die Feststellung für trivial, dafür dürfte sie aber unmittelbar einsichtig erscheinen: Als Sie gerade etwas produziert haben, waren Sie Subjekt und Ihr Werkstück war das Objekt Ihres Handelns. Nun können Sie sich zurücklehnen und auf das Werkstück blicken. An ihm erkennen Sie die investierte Arbeit und können feststellen, dass Sie selbst diese Arbeit investiert haben.

Wenn Sie Ihre Aufgabe erfolgreich erledigt haben, sieht so vielleicht Ihre Arbeit aus. © Science & Society Picture/Getty Images
Wenn Sie Ihre Aufgabe erfolgreich erledigt haben, sieht so vielleicht Ihre Arbeit aus.
© Science & Society Picture/Getty Images

Dies ist eine Seite der Dialektik von Herr und Knecht: Der Knecht erkennt sich erst durch seine Arbeit als selbstständig, also wenn er etwas anderes als von sich verschieden setzt. Dazu muss er etwas mit dem Gegenstand tun, also ihn bearbeiten. In einem sehr weiten Sinne könnte das heißen: Ich denke über etwas nach – daran erkenne ich, wie ich über den Gegenstand denke. So erkenne ich mich als selbständiges Subjekt. Oder ich arbeite, dadurch erkenne ich, dass ich es bin, der gearbeitet hat. Dieser Gedanke aus der Phänomenologie des Geistes von Hegel ist ein Baustein für viele spätere philosophische Positionen. Er taucht auf in der Soziologie, bei den französischen Existenzialisten und bei Adornos Definition von Aufklärung.

Ein Originalauszug der Kernstelle des Textes von Hegel beschreibt die Arbeit des Knechts auf Seite 52:  „Die Arbeit hingegen ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, oder sie bildet. Die negative Beziehung auf den Gegenstand wird zur Form desselben, und zu einem Bleibenden; weil eben dem Arbeitenden der Gegenstand Selbständigkeit hat. Diese negative Mitte oder das formierende Tun ist zugleich die Einzelnheit oder das reine Fürsichsein des Bewußtseins, welches nun in der Arbeit außer es in das Element des Bleibens tritt; das arbeitende Bewußtsein kommt also hierdurch zur Anschauung des selbstständigen Seins als seiner selbst.“

Hegel belässt es nicht ausschließlich bei der Dialektik von Arbeitendem und Gegenstand, also Subjekt und Objekt. Er erweitert zusätzlich zur Subjekt-Objekt-Dialektik das Szenario um zwei Rollen: Derjenige, der arbeitet, hat in Hegels Gedankenexperiment die Rolle des Knechts und arbeitet auf Anweisung eines Herrn. Diesem Herrn stellt sich das Produkt der knechtischen Arbeit nicht als Arbeitsgegenstand dar. Denn in dem Moment, in dem der Knecht am Ding arbeitet, muss der Herr dies nicht tun. Folglich kann der Herr das Produkt nur nutzen. Der Knecht jedoch hat sich in der Arbeit seine Selbständigkeit als Subjekt gegenüber dem Ding, dem Objekt, zur Anschauung gebracht. Diese Möglichkeit entgeht dem Herrn, da er ja nicht am Ding arbeitet. Während der Herr also passiv bleibt und lediglich konsumiert, hat der Knecht die Möglichkeit, sich selbst als ein Arbeitstätiger zu erkennen.

Bleiben wir jedoch noch bei der Subjekt-Objekt-Dialektik im ersten Sinne. Wir können die Dialektik auf die Gestaltung des eigenen Lebens und die eigene Identität übertragen:

  • Erörtern Sie: Ab wann kann ich überhaupt davon sprechen, Bestimmer über mein eigenes Leben zu sein?
  • Der Autor dieses Textes hatte Ihnen zu Beginn einen Arbeitsauftrag gegeben. Überlegen Sie im Sinne der Herr-Knecht-Dialektik, wer von Ihnen nun der Selbständigere mit Bezug auf die Knetleistung ist.

Loriots Kosakenzipfel

  • „Jodelschnepfe! Winselstute!“: Bei späteren Autoren tritt der Entwurf des eigenen Lebens als „Objekt“ der Arbeit auf. Betrachten Sie das Video von Loriot und erörtern Sie: Welche Personen können sich als Subjekt ihres Handelns verstehen? Woran erkennen wir dies?
    Diskutieren Sie diese Fragen im Kommentarbereich.

Weitere Materialien zu Hegel:

  • Hegel: Einführung in sein Denken (Quelle: youtube.de)
  • Marx und die Hegelsche Dialektik (Quelle: youtube.de)

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Biografische Daten

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831), Philosoph, einer der wichtigsten deutschen Idealisten.

Tabellarische Biografie (Quelle: Zeno.org)

Ausführliche Biografie (Quelle: deutsche-biographie.de)

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Einführung in die Philosophie der Moderne

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Die Philosophie der Moderne sucht Antworten auf neue Fragen
Die Industrialisierung verändert die Gesellschaften radikal. Die Philosophie steht vor vielen neuen, schwierigen Fragen. © Ed Jones/AFP/Getty Images

Jena 1808. Um die Universitätsstadt tobt der Kampf der Truppen Napoleons gegen die preußischen und sächsischen Heere. Ein junger Philosoph erlebt den Einmarsch der Napoleonischen Truppen mit. Er begeistert sich für Napoleon. Der französische Feldherr personifiziert in seinen Augen den Anbruch einer neuen Epoche vernunftgeleiteter Staatlichkeit. Er wird Napoleon daher als „Weltseele zu Pferde“ bezeichnen. Der Philosoph heißt Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Seine These zur Weltseele wird Europa lange beschäftigen. Ihr zugrunde liegt eine Frage, die von der Aufklärung inspiriert ist: Wohin kann sich eine vernünftige Gesellschaft entwickeln?

Neue Technologien bringen neue ethische Fragen mit sich

Versetzen wir uns gedanklich ins Deutschland des beginnenden 19. Jahrhunderts. Das Heilige Römische Reich zerfällt. Die kommenden Jahre werden viele Umbrüche bringen. Die Bayern importieren die Dampflokomotive aus England, ausgehend von den Tälern der Ruhr bricht im Deutschland der Revolution von 1848 eine neue, privatwirtschaftliche Revolution aus. Überall entstehen Fabriken, die immer mehr Güter produzieren und verbrauchen. Das erfordert immer mehr Arbeitskraft. Die Lebensbedingungen des kleinen Mannes verändern sich zum Schlechten. Wer früher Bauer war, ist nun Teil eines Arbeiterheeres, das zwischen Schloten und rußgeschwärzten Mietskasernen sein Dasein fristet. Die Technik ermöglicht es: Nie zuvor hat man in so tiefen Schächten Grubenwasser abpumpen können, nie war man in der Lage, Güter so schnell und billig auf dem Landwege zu versenden. Die Vermassung und Technisierung von Gütern und Produktionswegen verändern den Alltag. Das wirft neue ethische Fragen auf, die es in den vergangenen Jahrhunderten nicht gegeben hat.

Auch in den empirischen Wissenschaften und der Philosophie verändert sich vieles. Die Autorität der Kirche hatte in den Jahren der Aufklärung bereits erheblich an Wirkmächtigkeit verloren. Darwins Erkenntnisse hatten die Schöpfungsgeschichte der Kirche widerlegt. Und es gab neue Kriterien dafür, was eine gute Handlung sei, die ohne Offenbarung auskamen und sich stattdessen auf die Vernunft beriefen. Die neuen Vorstellungen entlehnten sich dem Utilitarismus und Kants Idee einer vernunftgemäßen Ethik. Die Philosophen der Moderne suchen nun nach neuen Antworten auf ihre Fragen und finden sie. In der fernöstlichen Philosophie, wie es bei Schopenhauer der Fall ist. In der Natur und ihrer endlosen Bewegung des Überlebens des Mächtigeren, wie es Nietzsche zuspitzt. In der Unausweichlichkeit einer proletarischen Revolution, wie Marx und Engels sie vorhersagen. Später, im zwanzigsten Jahrhundert, kommen auch existenzialistische Ansätze hinzu, die den eigenen Lebensentwurf zum höchsten Ziel erklären. Kurz: Man will, man muss sich neu orientieren.

Führt die Aufklärung zwangsläufig in die Katastrophe?

Letztlich finden die Errungenschaften des Industriezeitalters in zwei Weltkriegen auch auf den Schlachtfeldern und in den Konzentrationslagern Einsatz: bei der massenweisen Vernichtung von Menschenleben, an der Front und im Lager. Zeitzeugen sind entsetzt. Welche „Weltseele“ und welcher „objektive Geist“, die Hegel noch gesehen hatte, könnten dahinter noch stehen? Oder, konkreter formuliert: Führt die Aufklärung in letzter Konsequenz vielleicht zwangsläufig in die Katastrophe?

Es entsteht für einige moderne Denker im 20. Jahrhundert eine grundlegende Frage. Wenn die moralisch schlechten Entwicklungen der vergangenen Jahrhunderte – die Kolonialisierung zum Beispiel, bei der die Europäer versuchten, anderen Völkern ihre Ansichten und ihre Kultur aufzuzwingen – Teil eines Systems waren, das zur Katastrophe führte: Wer hat denn dann eigentlich noch recht? Müssen wir nicht vielmehr der Weltsicht anderer Völker die gleiche Gültigkeit einräumen wie den abendländischen Wissenschaften? Und können wir überhaupt noch davon ausgehen, dass die Vernunft und damit die Wissenschaften uns weiterbringen?

Bringen die Wissenschaften uns gesellschaftlich weiter?

Wenn wir diesen letzten Gedanken akzeptieren, ergibt sich jedoch ein Problem, was die Wahrheit angeht. Denn wenn wir mit dem Zeitgeist viele Wahrheiten zugleich einräumen, geraten wir in Dilemmata. Dies geschieht dann, wenn sich die verschiedenen Wahrheiten widersprechen, wie Paul Boghossian zeigt.

Das folgende Dossier beleuchtet die Entwicklung der Philosophie in den vergangenen 200 Jahre exemplarisch und soll weiter wachsen. Dabei kann es nicht umfassend alle Theorien erschöpfen. In erster Linie soll es zum Philosophieren anregen. Beispielhaft greift es die Entwicklung des Begriffs der Postmoderne auf. Sie können ausgehend vom Lyotard-Beitrag über die Verlinkungen seine Entwicklung zumindest zurück bis zu Nietzsche und Schopenhauer nachvollziehen. Das Dossier bedient sich der Originaltexte, aber auch Songs, Videos und anderer Medien. Denn nach Kant: Philosophie lässt sich nicht lernen, sehr wohl aber das Philosophieren.

Dossier: Philosophie der Moderne

1. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Subjekt-Objekt-Dialektik
2. Karl Marx und die Industrialisierung
3. Friedrich Nietzsche: Es denkt
4. Charles Darwin: Die Entstehung der Arten
5. Jean F. Lyotard: Das postmoderne Wissen
6. Paul Boghossian: Angst vor der Wahrheit

 

Einführung in die Philosophie der Aufklärung

Einführung in die Philosophie der Aufklärung
© Christof Stache/Getty Images

Die Einführung in die Philosophie der Aufklärung stellt Ihnen die wichtigsten Philosophen dieser Epoche vor. Nach Immanuel Kant meint Aufklärung im philosophischen Sinne einen Prozess, der sich nicht etwa auf eine Epoche beschränkt, sondern der immer wieder wiederholt werden muss. Die Aufklärung ist eine Aufforderung an jeden einzelnen, sich diskursiven Machtverhältnissen nicht unhinterfragt zu fügen, sondern sich immer wieder mündig zu machen, indem man sich mit ihnen befasst. [Zum Dossier]

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Adorno und Horkheimer: Kann Aufklärung scheitern?

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Horkheimer Adorno Dialektik der Aufklärung
© ZEIT ONLINE/Norbert Bayer

Es gab die historische Epoche der Aufklärung, aber es gab auch danach totalitäre Regime und Weltkriege. Wie kann das sein? Müssten nicht mündige Menschen, wie Immanuel Kant es in Zum Ewigen Frieden beschreibt, keinen Krieg wollen, besonders nach den neuen Gründen, die die Aufklärung aufgestellt hat, nämlich vernunftbegründete Bürger- und Menschenrechte?

Adorno und Horkheimer formulieren 1944 eine These dazu: Aufklärung hebelt sich selbst aus, schreiben sie in ihrer Dialektik der Aufklärung. Denn in der Epoche der Aufklärung entstand auch ein neues Wirtschaftssystem, eines, das auf Marktwert und Arbeitsteilung beruht, und das, so Adorno und Horkheimer, in einer Weise um sich greift, in der letztlich alles durch einen Marktwert, durch seine Qualität als Handelsgut betrachtet wird. Dazu kommt die Entwicklung der Einzelwissenschaften, die ebenfalls gemäß des Prinzips der Arbeitsteilung auf ihre jeweiligen Forschungsgegenstände konzentriert sind. Diese Vereinzelung der Arbeitsbereiche birgt ein Problem: Während beispielsweise ein Maschinenbauer im Rahmen seiner Einzelwissenschaft so aufgeklärt wie nur möglich agiert, bietet ihm diese Einzelwissenschaft nicht die Möglichkeit, sein eigenes Tun kritisch zu beleuchten. Dies führt zur Verabsolutierung des Gedankens des vernunftgeleiteten wissenschaftlichen Fortschritts. Beispielsweise in Form eines Technikfetischs: Die monumentalen technischen Großanlagen aus der Zeit des Nationalsozialismus sind Zeugnis für eine solche Entwicklung.

Zwar baut heutzutage niemand mehr so große Kanonen, aber Beispiele dafür, dass Technik als Selbstzweck verwendet wird, lassen sich einfach finden. Die überflüssige Powerpoint-Präsentation zu einem dünnen Referatsthema ließe sich anführen. Und vielleicht, so könnte man überlegen, werden sogar zwischenmenschliche Handlungen und Zuneigung in Form des gegenseitigen Markthandels gebracht, indem sie, durch die Anzahl der „Gefällt mir“-Klicks aufgewertet, zwischen Nutzerprofilen in sozialen Netzwerken hin-und hergeschoben werden. Die Rede vom Steigern des „Marktwertes“ einer Person spricht für sich. Neuerdings lässt sich Philosophie selbst in Magazinform – mit Sammelkarten – kaufen.

Adorno und Horkheimer: Aufgaben und Materialien zur Vertiefung

Die Behandlung der Dialektik der Aufklärung setzt voraus, dass Sie bereits ein wenig Vorwissen zum Themenfeld Aufklärung haben. Unsere Beiträge zur Literatur der Aufklärung und den Revolutionen im 18. und 19. Jahrhundert können hilfreich sein, ein Grundverständnis für das Thema zu bekommen. Wenn Sie so weit sind, können Sie mit einer freien Erörterung über den empfundenen Zustand der Gesellschaft einsteigen:

Etwas konkreter wird die Problematik der Verselbständigung der Einzelwissenschaften in Patrick Süskinds Das Parfüm erkennbar. Der Protagonist, Grenouille, steht hier sinnbildlich für einen Wissenschaftsbetrieb, der sich selbst als höchstes Ziel setzt und die Interessen der Menschheit übergeht.

  • Versuchen Sie, die Geschichte Grenouilles anhand der Filmvorschau kurz zusammenzufassen.
  • Beurteilen Sie: Ist Grenouille ein guter Wissenschaftler?

Zugang über das Moment Technikfetisch. Beispiel:

Eisenbahngeschütz „Dora“ (Quelle: foto.arcor-online.net)

Dora war eine Kanone der Wehrmacht, benötigte zwei parallele Gleise zum Fahren und wog 1.350 Tonnen. Das Geschütz wurde bei nur einem einzigen Angriff eingesetzt.

  • Benennen Sie: Welche Gefühle stellen sich beim Betrachten des Bildes ein?
  • Benennen Sie die einzelnen Elemente im Bild.
  • Was ist der Zweck eines solchen Geschützes?
  • Wie stellen Sie sich den Einsatz vor? Erörtern Sie: Was könnte die Motivation gewesen sein, ein solches Geschütz zu bauen? Erörtern Sie auch: Wie muss das Selbstbild eines Ingenieurs sein, um ein solches Geschütz zu entwerfen?
  • Diskutieren Sie: Würden Sie einen solchen Ingenieur als aufgeklärt bezeichnen?
  • „Es gibt kein aufgeklärtes Zeitalter, sondern nur ein Zeitalter der Aufklärung“. Entwickeln Sie ein Programm, um Aufklärung in der Gesellschaft zu sichern. Wie müssten Schule und Erziehung funktionieren?

Foxconn-Mitarbeiter streiken (Quelle: www.zeit.de)

„Wie Apple in China produzieren lässt“ (Quelle: www.youtube.com)

Die „Erziehung zur Mündigkeit“ ist, besonders durch den Beitrag „Erziehung nach Auschwitz“, zu einem Klassiker der Erziehungswissenschaften geworden. Aufbauend auf die Kritische Theorie entwickelte sich die kritische Erziehungswissenschaft. Die Interviews sind auch als Printausgabe bei Suhrkamp erschienen.

Teil 2 – Teil 3 – Teil 4 –Teil 5

Geduldiges, sehr persönliches und theoretisches Portrait des Philosophen und Soziologen aus dem Jahr 1989.

Theodor W. Adorno und Max Horkheimer: Biografische Daten

Theodor W. Adorno (1903 – 1969), einer der wichtigsten Vertreter der kritischen Theorie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Max Horkheimer (1895 – 1973), nach dem Krieg Wieder-Errichter des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt und Rektor der dortigen Universität, Mitgründer der Kritischen Theorie.

Biografie über Theodor W. Adorno (Quelle: www.classic.uni-graz.at). Kurzbiografie (Quelle: www.hdg.de)

Ausführliche Biografie über Max Horkheimer (Englisch) (Quelle: plato.stanford.edu). Kurzbiografie (Quelle: www.hdg.de)

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Diskussion: Leben wir in einem Zeitalter der Aufklärung?

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Etwas konkreter wird die Problematik der Verselbständigung der Einzelwissenschaften in Patrick Süskinds Das Parfüm erkennbar. Der Protagonist, Grenouille, steht hier sinnbildlich für einen Wissenschaftsbetrieb, der sich selbst als höchstes Ziel setzt und die Interessen der Menschheit übergeht.

  • Versuchen Sie, die Geschichte Grenouilles anhand der Filmvorschau kurz zusammenzufassen.
  • Beurteilen Sie: Ist Grenouille ein guter Wissenschaftler?

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Jean-Jacques Rousseau: Kommen die Schwierigkeiten erst durch die Kultur?

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Jean-Jacques Rousseau
Idealisiertes Portrait von Jean-Jacques Rousseau © Hulton Archiv/Getty Images

Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau greift den Gedanken vom Naturzustand gut einhundert Jahre nach Thomas Hobbes auf, kommt aber zu anderen Schlüssen: Die Probleme des Zusammenlebens der Menschen, so Rousseau, bestehen in einem reinen Naturzustand, wie ihn Hobbes beschreibt, noch nicht. Erst die Kultur bringe die Menschen in die Lage, Konflikte miteinander zu entwickeln. Im Gegensatz zu Thomas Hobbes sieht Jean-Jacques Rousseau den Staatsschluss nicht als ein zähneknirschendes Abtreten von Freiheiten an, um mit einem autoritären Staat das kleinere Übel als den Naturzustand zu erreichen. Bei Rousseau finden sich die edlen Wilden vielmehr freiwillig zu einem vertragsbasierten Staatsschluss zusammen, um ihre ganz individuelle Situation zu verbessern; der Vertragsschluss beruht daher seinerseits auf einem Gemeinwillen, der den Vertragspartnern zueigen ist. Allein der Vorschlag für ein solches Vertragswerk bedeutet in der damaligen Zeit natürlich ordentlich Sprengstoff. In einigen Ländern wird Rousseaus Buch Der Gesellschaftsvertrag oder die Grundsätze des Staatsrechtes verboten. Der Philosoph selber flüchtet aus Paris ins englische Exil. Er gilt heute mit seinen Schriften als einer der wichtigsten Vordenker und Wegbereiter der Französischen Revolution.

Der preisgekrönte Animationsfilm Balance von Christoph und Wolfgang Lauenbach illustriert, wie die Welt ins Ungleichgewicht gerät, während jeder für den eigenen Vorteil kämpft.

Jean-Jacques Rousseau: Ideen für weiteres Philosophieren

Jean-Jacques Rousseau: Biografische Daten

Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778), französischer Staatsphilosoph, gilt neben den Engländern Thomas Hobbes und John Locke zu den wichtigsten Vertragstheoretikern seiner Zeit. Seine Hauptwerke sind der Gesellschaftsvertrag (1762) und Émile (1762).

Ausführliche Biografie zu Jean-Jacques Rousseau(Quelle: www.historicum.net)

Tabellarische Biografie zu Rousseau(Quelle: www.zeno.org)

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Thomas Hobbes: Der Naturzustand des Menschen

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Thomas Hobbes' Naturzustand
Homo homini lupus est – der Mensch ist des Menschen Wolf: Das Zitat des römischen Komödiendichters Titus Maccius wurde durch Thomas Hobbes wieder bekannt. © Buyenlarge/Getty Images

Letztlich begründet durch den Englischen Bürgerkrieg 1642 und durch das Wegbrechen feudaler Strukturen entsteht ein Problem: Wie  kann man das Verhältnis von beiden, von Bürgern zueinander, aber auch von Staaten zueinander, denken? Thomas Hobbes veröffentlicht 1651 sein Hauptwerk Leviathan. In ihm versucht er ähnlich radikal wie Descartes von allen überkommenen Vorstellungen darüber, wie Staat und Bürger zueinander stehen, abzusehen. Dazu konstruiert er ein Gedankenexperiment: Der Naturzustand, ein hypothetischer Zustand, in dem die Menschen noch ohne Kultur leben, liefert ihm die Ausgangslage für eine Einschätzung der menschlichen Natur.

Für den Menschen im Naturzustand entwickelt er folgendes Argument: Der Mensch, sofern ihn keine Wirtschaft oder Autorität in kulturell bedingte Schranken verweist, ist in erster Linie an der Sicherung der eigenen Bedürfnisse interessiert. Dies kann zu Interessenkonflikten zwischen einzelnen Menschen führen, zum Beispiel, wenn zwei das Gleiche besitzen möchten. Doch wessen Konkurrenz hat ein Mensch zu befürchten? Prinzipiell, so Hobbes, die Konkurrenz aller einzelnen Mitmenschen. Denn alle sind gleich in ihrer Fähigkeit, den anderen zu besiegen. Ebenso ähneln sich die Bedürfnisse aller Menschen, eben weil alle Menschen gleich sind. Wie jedoch kann ich meine Bedürfnisbefriedigung sichern, wenn ich prinzipiell fürchten muss, auf Schritt und Tritt anderen zu begegnen, die mich betrügen, angreifen und besiegen oder sonstwie aus eigenem Interesse benachteiligen?

Die Lösung ist so einfach wie naheliegend: Indem ich selber betrüge, angreife oder benachteilige. In einem Zustand, in dem alle prinzipiell gleich sind, stehen diese Möglichkeiten jedem Einzelnen offen. So entsteht ein Krieg jedes Einzelnen gegen jeden Einzelnen. Aufgrund der Furcht und dem Argwohn, die uns allen gemein sind, sind wir alle versucht, Erstschläge gegen die anderen zu verüben. Durch die andauernde Konkurrenz wird das menschliche Zusammenleben zu einer Qual: Grund genug, wie Hobbes es nahelegt, seine Freiheit an einen starken Herrscher abzutreten, der durch einen Vertrag gerechtfertigt herrschen darf, um Ordnung zu schaffen.

Immerhin: Indem Hobbes annimmt, dass im Naturzustand alle Menschen gleich sind entwirft er eine Haltung, die die weithin vertretene Vorstellung vom Gottesgnadentum problematisiert. Später entsteht daraus die Vorstellung von Gleichheit als unveräußerlichem Gut. Bereits 1776 findet sich das Prinzip in den Grundrechten von Virginia, der ersten Staatsverfassung in Amerika: „Alle Menschen sind von Natur aus gleichermaßen frei und unabhängig und besitzen gewisse angeborene Rechte […]“, heißt es dort.

Thomas Hobbes: Ideen für weiteres Philosophieren

Zur Heranführung an den Gedanken zum Naturzustand kann dieser Film dienen. Allerdings beinhaltet das Material die Schwierigkeit, dass die Figuren im Film stellenweise durch Körpersprache und Gestik kommunizieren, also ein Naturzustand im strengen Sinne nicht dargestellt wird. Hiermit ist bereits ein Problem für eine Rousseau-Erarbeitung angebahnt: Steht die Musiktruhe im Film nicht vielleicht schon für Kultur?

Aufgaben:

Bei einem Flugzeugabsturz strandet eine Gruppe Kinder auf einer verlassenen Insel. Nach einem Roman von William Golding

Aufgabe:

  • Beschreiben Sie die Dynamik, die sich unter den Jugendlichen auf der Insel entwickelt.

„Denker des Abendlandes“ über Locke und Hobbes (Quelle: www.youtube.com)

Willi Vossenkuhl und Harald Lesch im Gespräch über beide Philosophen. Besondere Stärke ist die Verortung der Philosophen in ihrem historischen Zusammenhang.

Thomas Hobbes: Biografische Daten

Thomas Hobbes (1588 – 1679), Mathematiker, Staatstheoretiker und Philosoph aus England, gilt als Begründer des aufgeklärten Absolutismus. Seine Hauptwerke sind De Cive und Leviathan. Thomas Hobbes gilt neben John Locke und Jean-Jacques Rousseau außerdem zu den bedeutendsten Vertragstheoretikern seiner Zeit.

Ausführliche Biografie zu Thomas Hobbes (Quelle: www.biography.com)

Kurzbiografie zu Thomas Hobbes (Quelle: www.zeno.org)

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Kurze Einführung in die Philosophie der Aufklärung

Aus unserer Serie: Einführung in die Philosophie

Einführung in die Philosophie der Aufklärung
Manche Philosophen der Aufklärung sahen in den Bergen ein Symbol für das Erhabene. © Christof Stache/Getty Images

Mit der Französischen Revolution leitet das 18. Jahrhundert Umbrüche ein, die das Leben in Europa fundamental verändern. Eine Machtverschiebung findet in der Gesellschaft statt, die von Aufklärungskünstlern, Literaten und Philosophen wort- und lehrreich begleitet wird. Das Bürgertum beendet die Herrschaft des Adels. Und zunächst einmal prägt Gewalt das Bild vom neuen Europa. Das aufbegehrende Bürgertum kennt mit den Adeligen keine Gnade. Unter dem Jubel der Massen werden selbst diejenigen noch enthauptet, die sich kampflos ergeben.

Doch auf die Gewalt folgt der Wandel: Noch im selben Jahr werden in den USA und in Frankreich Menschenrechte deklariert. Erste republikanische Verfassungen werden parlamentarisch abgestimmt. Das Bürgertum hat erreicht, wonach es so lange gestrebt hat: Selbstbestimmung. Individuelle Rechte. Die Macht, seine Geschicke zu lenken, oder zumindest doch: sie zu beeinflussen. In der Philosophie werden nun Modelle wie Staat und Gemeinschaft, aber auch Begriffe wie Bürger oder Individuum völlig neu diskutiert. Immanuel Kant fordert, der neue Staat möge sich von den feudalen Strukturen des Alten verabschieden. Stattdessen solle ihn ein Bürgerbild bestimmen, das nicht länger von der Willkür des Adels abhängig ist.

Der Schlüssel zu diesem Staat liegt für Kant in der Begabung eines jeden Menschen zur Vernunft. Schon 1784 – fünf Jahre vor der Revolution – fordert er in seinem Essay „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung“ von seinen Lesern: „Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Und er beschreibt den selbstständigen Verstandesgebrauch als die Möglichkeit jedes Menschen, sich aus einer Unmündigkeit zu befreien, die er als selbstverschuldet bezeichnet. Wer also von seinem Verstand nicht Gebrauch macht, meint Kant, der ist auch nicht mündig.

Aufklärung im philosophischen Sinne ist nach Kant ein Prozess, der sich nicht etwa auf eine Epoche beschränkt, sondern immer wieder stattfinden muss. Sie ist eine Aufforderung an jeden einzelnen, sich diskursiven Machtverhältnissen nicht unhinterfragt zu fügen, sondern sich immer wieder mündig zu machen, indem man sich mit ihnen befasst. In seinem achten Brief „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ bemerkt Schiller etwa zehn Jahre nach der französischen Revolution: „Der Geist der freien Untersuchung hat die Wahnbegriffe zerstreut, welche lange Zeit den Zugang zu der Wahrheit verwehrten“.

Vorbereitet wurden große Diskussionen der Philosophie der Aufklärung durch Philosophen wie den Franzosen René Descartes oder den Engländer Thomas Hobbes. 1641 zweifelt Descartes in einem Gedankenexperiment an, dass es irgendeinen sicher wahren Eindruck gibt, der uns durch unsere Sinne vermittelt wird. Seine radikale Skepsis führt ihn zu der Annahme, es gebe im Leben nur eines, das sicher sei: Nämlich, dass das Denken sich selbst beweist. Cogito ergo sum – ich denke, also bin ich: Landläufig ist seine Lehre heute unter diesem Satz bekannt.

Ähnlich radikal verfährt Thomas Hobbes im Jahr 1651 in seiner Schrift Leviathan; darin überlegt er: Was wäre das Ergebnis, wenn wir uns zur Begründung für unsere Staatsformen das wahre Wesen des Menschen vor Augen halten? Um sich dieses „wahre Wesen“ erschließen zu können, stellt sich Hobbes einen hypothetischen Naturzustand vor, in dem der Mensch sozusagen vor aller Kultur lebt. Mit diesem Gedanken arbeitet Jean-Jacques Rousseau später weiter.

Leicht sieht man: Sowohl Descartes als auch Hobbes, beide eigentlich vor-aufklärerische Philosophen, arbeiten mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, den man sich denken kann. Von hier ausgehend können ihre Nachfolger vieles völlig neu aufbauen. Es entsteht eine Dynamik in der Geschichte der Philosophie, die Ihresgleichen sucht. Im Dossier werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Philosophen der Zeit der Aufklärung und versuchen gleichzeitig, ihre Positionen didaktisch sinnvoll zu vernetzen.

Dossier: Philosophie der Aufklärung

1. John Locke: Empirismus und neues Bürgerrecht
2. René Descartes: Der methodische Zweifel
3. Immanuel Kant: Formen der Anschauung, eine neue Ethik und der Staatenbund
4. Thomas Hobbes: Wie ist der Mensch eigentlich von Natur aus?
5. Jean-Jacques Rousseau: Kommen die Schwierigkeiten nicht erst durch die Kultur?
6. Max Horkheimer / Theodor W. Adorno: Kann Aufklärung scheitern?
7. Weitere Materialien

 

Einführung in die Philosophie der Moderne

Einführung in die Philosophie der Moderne
© Christof Stache/Getty Images

Die Einführung in die Philosophie der Moderne behandelt die wichtigsten Fragen dieser Epoche. Die Industrialisierung verändert die Lebenswelt im 19. und im 20. Jahrhundert radikal. Die Philosophie steht vor vielen ethischen Fragen, die es in den vorherigen Jahrhunderten nicht gegeben hat. Angesichts des schwindenden Einflusses der Kirchen muss man sich neu orientieren.[Zum Dossier]

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