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Kaugummi in den Ohren

Zu den trotzigen Klängen der Band Combat 77 liegen sich Punks und Skinheads in den Armen. Ihr Debütalbum »100% Oi!« erfindet den Klang der Straße nicht neu, lebt aber von erfrischenden Melodien.

100% Oi! heißt das Debütalbum von Combat 77. Titel und Bandname fassen in Wort und Zahl zusammen, worum es geht: um Punkrock. Wie Kaugummi klebt der raue Klang ihrer britischen Vorbilder Cock Sparrer, Vice Squad und The Adicts an den schweren Stiefeln der fünf Musiker aus Hannover und Hildesheim. Im Bandlogo hat er sich fest im Profil der Sohlen verklebt. Doch Kaugummis können nicht nur hartnäckig kleben, sie können auch erfrischen.

Der Begriff Oi! wird auf die britische Band Cockney Rejects zurückgeführt, die ihre Straßenpunk-Lieder nicht mit dem im Punk gängigen »One, two, three, four…« einzählte, sondern mit »Oi! Oi! Oi!«. »Oi!« bedeutet soviel wie »Hey!«, was im Londoner Cockney-Dialekt ausgesprochen eben wie »Oi!« klingt. In den frühen achtziger Jahren erlebte dieses Genre eine kurze Blütezeit, über die Jahre wurde Oi! von Punk- und Skinheadbands immer wieder neu belebt. Nun also von Combat 77. Und wie: 100% Oi! ist ein melodiöses Bekenntnis zum Klang der Straße und feiert die Zusammengehörigkeit. Die Band zelebriert ein fröhlich-trotziges »Wir gehören zusammen« und feiert ein Fest für Punks, Skinheads und andere Außenseiter. Bei ihren Konzerten liegen sich die Anhänger unterschiedlicher Szenen in den Armen – ganz friedlich.

Ihre Texte bewegen sich zwischen Banalem und Kapitalismuskritik. Sie drehen sich um den Alltag, um Arbeitslosigkeit und die Zeit, in der die Musiker jung waren. Anders als bei den meisten Oi!-Bands singt bei Combat 77 eine Frau. Ab und zu bilden ihre Kollegen den grölenden Männerchor, das hat immerhin Unterhaltungswert und ist bei Auftritten nett anzusehen. Die Herren mühen sich an den Instrumenten, während die Sängerin lässig mit den Stiefeln wippt.

»Pop stars on MTV, brainwashed society (…) Entertainment is so dumb. Audiences blind and numb, they swallow everything the media tell them to. We don’t want your pop star shit. We don’t wanna be part of it«, heißt es in dem nach der Band benannten Lied Combat 77. Die fünf Musiker zwischen 20 und 40 Jahren begreifen ihre Musik als Gegenentwurf zum Mainstream. Rebellenmusik sterbe niemals, da sind sie sich sicher. Nebenbei spielen sie in anderen Bands, sie arbeiten und studieren. Dass sie die ganze Sache humorvoll angehen, beweist spätestens das letzte Stück des Albums, die Alberei Punky Chips Ahoy.

Auf 100% Oi hört sich nicht alles neu an, das meiste lässt sich aber prima mitsingen – Kaugummi kauend, mit einer Flasche Bier in der Hand.

»100% Oi!« von Combat 77 ist als LP und CD erschienen bei Sunny Bastards.

Weitere Beiträge aus der Kategorie PUNK
The Exploited: »Troops Of Tomorrow« (Captain Oi! 1982)
Captain Planet: »Wasser kommt, Wasser geht« (Unterm Durchschnitt 2008)
Turbo A.C.’s: »Live To Win« (Bitzcore 2007)
The Monsters: »The Worst of Garage Punk Vol. 1« (Voodoorhythm 2007)
Matula: »Kuddel« (Zeitstrafe 2007)

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Brüll drei Worte zum Pogo

Über die Jahre (30): Anfang der achtziger Jahre brachte die schottische Band The Exploited den Irokesenschnitt in den Punk. Ihr Album „Troops Of Tomorrow“ vertonte die Wut einer Generation

The Exploited Troops Of Tomorrow

Wenn Wattie Buchan gerade keinen seiner Texte brüllt, kümmert er sich um sein Piercing in der Unterlippe. Seine Zunge tastet und richtet, was er da tut, weiß man nicht. Immer wieder spuckt er auf den Boden, sein Irokesenschnitt leuchtet rot. Seine Band The Exploited knüppelt sich derweil durch die Stücke. Die Aufpasser vor der Bühne in Hannovers Scum-Club interessiert das alles nicht, sie starren böse in die Menge. Da nur ein paar Millimeter Platz zwischen ihnen und dem Publikum sind, wippen die Besucher zögerlich mit den Füßen, keiner wagt den Pogo. Erst als Wattie Buchan die Aufpasser an die Seite schickt, wird wild getanzt. Beim letzten Stück stürmen ein paar Leute auf die Bühne und schreien ins Mikrofon. Den Text von Sex And Violence können sie alle auswendig, er besteht nur aus drei Wörtern.

The Exploited haben sich im Jahr 1980 in Edinburgh gegründet, sie gehören zur zweiten Generation des britischen Punk. Im folgenden Jahr veröffentlichen der Sänger Wattie Buchan, der Gitarrist John Duncan, der Bassist Gary McCormack und der Schlagzeuger Andrew Campbell ihr Debütalbum Punk’s Not Dead. Es klingt hart, schnell und wütend. Anders als die Sex Pistols, The Clash und viele andere Bands der ersten Punk-Generation haben The Exploited nichts mit Mode und Kunsthochschulen zu tun – sie kommen von der rauen Straße.

Im Jahr 1982 erscheint das zweite Studio-Album, Troops Of Tomorrow. Es gilt als eine ihrer wichtigsten Veröffentlichungen. Professioneller produziert als das Debüt, ausgereifter und dennoch ungeschliffen, transportiert es die Wut junger Menschen aus der Arbeiterklasse. Es spiegelt die politische Situation im Großbritannien der Thatcher-Ära, thematisiert den Kalten Krieg und die hohe Arbeitslosigkeit. Eine Vertonung dieser Zeit, ein Wutausbruch eines Milieus, das dafür keine klügeren Worte fand oder finden wollte.

So aggressiv die Musik und der Gesang sind, so simpel sind viele der Texte, nicht nur auf diesem Album. Die gebrüllten Worte sind kaum verstehen, die Botschaften kommen meist trotzdem an. Mit seinem harten schottischen Akzent schreit Wattie Buchan gegen den Kapitalismus und die Obrigkeitshörigen, gegen die Armee und den Falkland-Krieg. Die damalige Premierministerin Margaret Thatcher nennt er eine „fucking cunt“, er schimpft auf die Polizei und die USA. Im Lied Alternative befindet er, die Armee sei keine Alternative zur Arbeitslosigkeit – als ehemaliger Berufssoldat spricht er aus Erfahrung. Das Titelstück ist eine Coverversion der britischen Punk-Band The Vibrators. Andrew Campbell verlässt The Exploited vor den Aufnahmen, auch seine Nachfolger Danny Heatley und Steve Roberts trommeln nur für kurze Zeit. Auf dem folgenden Album ist von der ursprünglichen Besetzung nur noch Wattie Buchan übrig: Er wurde zum Kern der Band. Über die Jahre kommen und gehen viele Musiker, der raue Klang bleibt.

Die Nietenlederjacken und das Logo der Band – ein brüllender Totenschädel mit Irokesenschnitt – prägen die Szene. Es heißt, The Exploited brachten eine neue Frisur in den Punk. Dennoch sind sie in den meisten Abhandlungen über das Genre nur eine Randnotiz. Sie sind umstritten, zu stumpf das Auftreten, die Musik zu nah an Oi! und dem Arbeiterklassen-Mob. Vielen Punks klingen ihre Alben zu sehr nach Metal.

Wattie Buchan sagt stets, man solle für sich einstehen und für das, woran man glaubt. In seinem Fall sind das Punk, Anarchie und Chaos. Noch heute ist er ein Rüpel mit einer Vorliebe für Schimpfwörter und ohne Sinn fürs politische Korrekte. Man muss das nicht mögen. Aber Exploited sind eben Exploited: Ihre Lieder sind eingängig, stumpf – und manchmal richtig gut.

„Troops Of Tomorrow“ von The Exploited ist im Jahr 1982 erschienen und über Captain Oi! erhältlich.

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(29) Low: „Christmas“ (1999)
(28) Nena: „Nena“ (1983)
(27) Curtis Mayfield: „Back To The World“ (1973)
(26) Codeine: „The White Birch“ (1994)
(25) The Smiths: „The Queen Is Dead“ (1986)
(24) Young Marble Giants: „Colossal Youth“ (1980)

Hier finden Sie eine Liste aller in der Serie erschienenen Beiträge.

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Whiskey, Bier und keine Füller

Auch wenn dieses Lob gegen die zehn Gebote der Musikkritik verstößt: „Wasser kommt Wasser geht“ von Captain Planet ist die beste deutsche Punkplatte seit Langem.

Vorgestern Abend in der Wunderbar, Westerstede. Mehr schlecht als recht mühen sich zwei lokale Bands auf der winzigen Bühne ab. Die eine macht Hardrock, die andere hat gar keinen Stil. Ob man die hier kenne, frage ich meinen Stehtisch-Nachbarn. Hier in der Gegend schon, sonst eher nicht. „Aber die andere Band, die noch spielt, ist ziemlich bekannt, die kommen sogar aus Hamburg oder so.“ Sogar. In der niedersächsischen Provinz steht Hamburg für Qualität.

Die andere Band heißt Captain Planet und macht Punk mit deutschen Texten. Und Bekanntheit ist relativ. Vor zwei Jahren haben sie eine Vinylsingle mit vier Liedern veröffentlicht, Unterm Pflaster der Strand. Die erste Auflage von rund 600 Stück ist mittlerweile vergriffen, es wurde eine zweite gepresst. Sie spielen in kleinen Läden, die sind meistens voll. Auch in der Wunderbar drängen sich 60, 70 Leute zwischen Bar und Bühne. Vorne wird getanzt und mitgesungen, hinten trinkt man Whiskey und Jever vom Fass. Ein einzelner Punk im Publikum entspricht dem Klischee.

Die vier Jungs auf der Bühne tun es nicht, Punk ist heute nicht mehr die Kombination aus Musik und Mode, die er in den späten Siebzigern war. Im Jahr 2007 ist man auch mit kurzen Haaren, T-Shirt, Jeans und Turnschuhen glaubwürdig. Der Schlagzeuger Sebastian Habenicht hat heute Geburtstag, die Band hat offensichtlich riesigen Spaß am Spiel und ist dem Publikum gegenüber ausgesprochen höflich. Vielleicht weil es der letzte Auftritt einer dreiwöchigen Tour durch die Republik ist, vielleicht aber auch, weil die Musiker so betrunken sind, dass sie sich überall wohlfühlen würden. Als einzige Band des Abends bringen sie wirklich Energie auf die Bühne.

Wasser kommt Wasser geht ist das erste Album von Captain Planet. Und auch, wenn dieses Lob gegen mindestens zwei der goldenen Gebote Volker Matzkes verstößt: Es ist die beste deutsche Punkplatte seit Langem. Keines der elf Stücke klingt unausgegoren oder kompromisshaft, all killer, no filler sagt man in England. Nicht dass der Deutschpunk daniederläge, viele großartige Platten entstanden in der letzten Zeit. Im Vergleich zu Wasser kommt Wasser geht haben sie aber alle ihre – kleinen – Schwächen. Captain Planets Texte sitzen besser als die von Turbostaat. Die Lieder sind noch druckvoller als Matulas fabelhaftes Debüt Kuddel, der Gesang ausgefeilter als der auf Duesenjaegers Schimmern, die Kompositionen sind feinsinniger als die von Antitainment oder Kommando Sonnenmilch. Auch die Produktion ist brillant.

Arne von Twistern schreibt und singt kluge Texte, stellenweise schreit der Gitarrist Benni Sturm im Hintergrund die zweite Stimme. Sebastian Habenicht und Marco Heckler bauen mit Schlagzeug und Bass ein stabiles Gerüst, auf dem die beiden anderen sicher turnen. Die Gitarre malt originelle Melodien, immer wieder gibt es Tempowechsel und Brüche. Arne von Twisterns Worte sitzen, das ist das Besondere. Keine Zeile wird verschleppt, nirgendwo holpert der Vers. Gereimt wird ohnehin nicht. „Heute Nacht hab’ ich die Welt verstanden“, ruft der Sänger, „und sie mich“. Seine Texte stecken voller Erinnerungen an vergangene Sommer, ans Unterwegssein, an Menschen und Orte. Er singt vom „Kopfkissen meiner Erinnerung“, das ist keine Metapher, sondern sehr greifbar.

Das Stück Ohne Worte trägt eine Beziehungskrise in den Wilden Westen: „Zwölf Uhr mittags, am Ende der Straße scheint der Mond.“ Statt der Pistole umklammert seine linke Hand eine Bierflasche. Sie schweigen sich an: „Sieben Minuten ohne Worte, tausend Kilometer von deinem Mund zu meinem Ohr.“ Einen Gewinner gibt es nicht.

Bei Hols Stöckchen bitte klingt die gesungene Melodie ein bisschen nach Nena: „Jetzt suchen sie schon mit dem Hubschrauber nach dir, jeder Lichtkegel am Himmel, der gilt dir.“ Aber das geht in Ordnung, denn wenn Nena ein Talent hat, dann sind es schließlich die Melodien.

Viele Texte entfalten etwas Poetisches, wenn man sie einfach nur mitliest …

„Zwischen Himmel und Alster
Ein schäumendes Meer
Ein Fußballplatz im Hinterhof
Das Geld in deiner Tasche
So gut behütet und dann doch gestohlen
Im falschen Moment das Richtige getan
Und umgekehrt
Ich geh nicht mehr nach draußen
Wenn es regnet.“

… heißt es in Auftauchen um Luft zu holen.

Ein Motiv zieht sich durch beinahe alle Lieder: Wasser kommt und geht, aber meistens ist es da. In Wespenstich rieselt der Regen durch das löchrige Dach, in Ohne Worte haben die Autos Tropfen auf den Scheiben. Auch in den meisten anderen Stücken regnet es. Immerhin zweimal scheint die Sonne, so ist das in Hamburg.

„Wasser kommt Wasser geht“ von Captain Planet ist als LP und CD erschienen bei Unterm Durchschnitt.

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Turbo A.C.’s: „Live To Win“ (Bitzcore 2007)
The Monsters: „The Worst of Garage Punk Vol. 1“ (Voodoorhythm 2007)
Matula: „Kuddel“ (Zeitstrafe 2007)
Gorilla Biscuits: „Start Today“ (Revelation Records 1989)
Düsenjäger: „Schimmern“ (Go-Kart Records 2006)

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