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Das Vertrauen verteidigen

Der Glaube daran, dass andere Menschen uns freundlich gesinnt sind, ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Was tut man, wenn dieser Kitt brüchig wird?

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© Carsten Koall/Getty Images

Vor Jahren las ich einen Artikel über eine Studie, die mir der ungewöhnlichen Kombination ihrer Themen wegen in Erinnerung blieb. Es ging um Konsumsteigerung – und um Vertrauen. Man hatte Paare gebildet und jeweils einem der Probanden eine nennenswerte Summe Geld zur Verfügung gestellt. Er durfte frei entscheiden, wie viel dieses Geldes er seinem Partner übergab, damit dieser es anlegte. Der so erwirtschaftete Gewinn sollte geteilt werden. Weiter„Das Vertrauen verteidigen“

 

Im Bus immer hinten sitzen

Verändert der Terror unseren Alltag? Wird der Ausnahmezustand zur Normalität? Gedanken über die Anschläge von Brüssel und israelische Verhältnisse in Europa.

Brüssel: Im Bus immer hinten sitzen
Französischer Soldat am Pariser Flughafen Charles de Gaulle nach den Anschlägen in Brüssel (© Reuters/Philippe Wojazer)

Als in der Silvesternacht die Terrorwarnung für den Münchner Hauptbahnhof herausgegeben wurde, stand ich gerade mit einem Glas Sekt auf einem Münchner Dach und hatte keinerlei Angst. München, dachte ich, also jetzt hier, bei uns, dachte ich, und dann schrieb ich der Familie eine Nachricht, alles ist gut, sind nicht im Zentrum, und dann dachte ich noch, kalt ist es, kalt, aber so gehörte es sich ja für die Silvesternacht. Später wunderte ich mich noch, wie sich so viele in jener Silvesternacht in München wunderten, dass das Feuerwerk heuer, wie man hier sagt, so mickrig ausfiel, der Terror, ach ja. Das dachte ich mit dieser gewissen Überheblichkeit, mit der man diese Dinge denkt und mit der man andere beobachtet, die ihrer Familie immer wieder ihr Wohlergehen versichern, wenn man eine Zeitlang in Israel gelebt hat, wo die Angst vor dem Terror zum Alltag verkommt. Dieselbe Überheblichkeit mischte sich in die Ruhe, mit der ich überlegte, wie man denn am Besten nach Hause käme im Fall einer Terrorwarnung, zu Fuß, mit dem Auto, oder gar nicht, hier übernachten, und zu Hause hatte ich auch nicht das Gefühl von „endlich daheim“. Ich doch nicht, ich habe in Israel gelebt. Weiter„Im Bus immer hinten sitzen“

 

Die Folgen können tödlich sein

Vor Jahren glaubten wir, den Rechtsradikalismus überwunden zu haben. Nun müssen wir den Riss erkennen, der unser Land durchzieht. Er könnte nicht bedrohlicher sein.

© Tobias Schwarz/Getty Images
© Tobias Schwarz/Getty Images

Ein Haarriss ist eine potenziell wachsende statische Materialschwäche. Besonders gefährlich sind solche Risse, wenn sie sich unbemerkt vergrößern, um dann in einer plötzlichen Kettenreaktion zu eruptiven örtlichen Absprengungen und Stabilitätsversagen zu führen. Diese können in der Folge tödlich sein.

Immer wieder frage ich mich, wann das begonnen hat, wann wir es haben einreißen lassen; und warum es mich so unruhig macht, keinen Anfang zu finden, nicht zu wissen, ob und wann sich da irgendwo ein einzelner Haarriss in uns gebildet und unerbittlich weitergeschoben, immer tiefer gebohrt hat – bis nun täglich etwas von diesem Land absprengt. Bis Politiker fordern dürfen, mitten in Europa auf hundeelende Familien zu schießen. Und es damit zweistellig in die Länderparlamente schaffen, und zu Anne Will ins Studio. Bis Menschen sich im Netz ganz offen gegenseitig ins Gas wünschen. Oder johlend und klatschend dabeistehen, wenn Notunterkünfte in Flammen aufgehen. Weiter„Die Folgen können tödlich sein“

 

FDP, das neue Bullerbü

Die FDP feiert die vergangenen Landtagswahlen als Wiederauferstehung. Die Liberalen inszenieren sich nun als Stimme der Vernunft, die Ordnung ins Chaos bringt. 

FDP-Bossong

Im lauschigen Innenhof des Thomas-Dehler-Hauses ziehen zwei Herren mit magentafarbenem Einstecktüchern an ihren Zigaretten. Drinnen laufen die Hochrechnungen zum dritten Mal, alles scheint bereits sicher: Baden-Württemberg 7-8 Prozent, Rheinland-Pfalz 6 Prozent, Sachsen-Anhalt 5 Prozent. Die FDP ist drin, die FDP ist wieder da. Alles, könnte man meinen, ist wieder wie früher, die FDP aus ihrer außerparlamentarischen Opposition zurückgekehrt, ein Stück alte BRD vor dem endgültigen Verschwinden gerettet. Weiter„FDP, das neue Bullerbü“

 

Fertig, fertiger, am fertigsten

Eine goldene Erziehungsregel besagt: Beherberge keine Kinder, die längst ausgezogen sind. Natürlich kommen sie doch immer wieder. Allseitige Überforderung ist garantiert.

© Shannon Stapleton/Reuters Pictures
© Shannon Stapleton/Reuters Pictures

Wann immer ich nachts wach werde, mein Sohn David ist auch wach. Mal schaut er neue amerikanische Serien, mal liest er in historischen Magazinen oder verfolgt die Nachrichten auf Spiegel online. Da würde ich auch nicht mehr schlafen können. Er sagt, er leide an einer schweren Form von Schlaflosigkeit, ich bin mir da nicht so sicher. Morgens schläft er umso länger, schaut träge auf sein iPhone und schläft weiter. Weiter„Fertig, fertiger, am fertigsten“

 

Unsere neue Arschlochkultur

Vor Jahren konnte man mit Songs über menschenverachtendes Verhalten Erfolg haben – als Pose und Spiel mit der Konsenskultur. Heute scheint Hass eine Tugend zu sein.

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© John Macdougall/Getty Images

Als das Jahrtausend noch ganz jung war und trotzdem schon eklig werden konnte, hielt sich ein Song namens Es ist geil, ein Arschloch zu sein neun Wochen lang an der Spitze der deutschen Singlecharts. Dargeboten wurde er von einem Ex-Polizisten und Big-Brother-Kandidaten namens Christian Möllmann. Bereits im Container hatte sich Christian (alias „der Nominator“) nach Kräften unsympathisch gegeben, sein Lied reichte dazu das Motto nach. Und gewiss rieb sich da ein Texter die Hände, zählte es doch zu den wenigen Dingen, die im Jahr 2000 noch nicht gemacht worden waren, die Wörter „geil“ und „Arschloch“ gemeinsam im Titel einer Mainstream-Nummer unterzubringen. Und natürlich fiel diese Art, die Rolle des Fieslings abzufeiern, unter die seinerzeit modische schmierige Ironie (oder Pseudoironie); es wäre unfair, das nicht zu erwähnen. Weiter„Unsere neue Arschlochkultur“

 

Der Tag, an dem ich meinen Friseur verlor

Über Flüchtlinge wird immer kontroverser debattiert. Was wir dabei übersehen: Auch das Gespräch mit Ausländern, die schon lange hier leben, wird dadurch schwierig.

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Carsten Koall/Getty Images

Jetzt habe ich auch noch meinen Friseur verloren. Es ist der Endpunkt eines schwierig verlaufenden Jahres und hat indirekt mit den Flüchtlingen zu tun. Ich habe das neulich auch L. erzählt, der darüber aber nicht besonders überrascht war. Mein türkischer Friseur pflegt nämlich das Schneiden der Haare mit einer Flamme zu beenden, die er schnell und gekonnt nacheinander an beide Ohren hält. Etwas, was kein deutscher Friseur und schon mal gar keine deutsche Friseurin zustande bringt, glaubt L. Weiter„Der Tag, an dem ich meinen Friseur verlor“

 

Der „anständige“ Ausländer hat ja nichts zu befürchten

Die Schweiz entscheidet heute, ob kriminelle Ausländer ohne Einzelfallprüfung abgeschoben werden dürfen. Was als kriminell gilt, bleibt vage. Zählt auch Biertrinken dazu?

 

© Arnd Wiegmann/Reuters
© Arnd Wiegmann/Reuters

Was mir an der aktuellen Wahlwerbung der Schweizerischen Volkspartei am meisten Angst macht, ist der Hinweis, anständige Ausländer hätten nichts zu befürchten. Ich halte mich zwar nicht für unanständig, aber Anstand ist, nach meinem Empfinden, ein sehr vager Begriff, und ich bin mir nicht sicher, ob die Anhänger einer Partei, die auch schon mit dem Slogan „Kosovaren schlitzen Schweizer auf“ geworben hat, unter Anstand etwas Ähnliches verstehen wie ich. Weiter„Der „anständige“ Ausländer hat ja nichts zu befürchten“

 

Teilen macht gefälligst Spaß

Auch wenn die Kleinen jammern: An bestimmten Erziehungsregeln ist einfach nicht zu rütteln. Aber was passiert, wenn diese Maximen plötzlich auch für Erwachsene gelten?

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Sean Gallup/Getty Images

Neulich saß ich auf einer Bank im Park und telefonierte, als ein Mann, ungefähr in meinem Alter, mir mein Handy wegnehmen wollte. Ich zeterte und schrie, weil ich mein Handy nicht hergeben wollte, aber als meine Frau zufällig in diesem Moment von ihrer Massagestunde zurückkam, redete sie auf mich ein: „Warum gibst du dem Mann denn nicht dein Handy? Der will doch auch mal telefonieren. Du kriegst es ja hinterher gleich wieder. Du kannst doch dein Handy den ganzen Tag alleine benutzen. Teilen macht Spaß.“ Weiter„Teilen macht gefälligst Spaß“

 

Europa am Küchentisch

Auch die Europäer tragen Mitverantwortung für die Zustände in dieser Welt. Spätestens jetzt ist der Moment gekommen, in dem wir handeln müssen. Ein fiktives Privatgespräch

„Komm“, sagte er, „lass uns das Thema wechseln. Ich will mich nicht streiten. Nicht auch noch mit Dir – jedenfalls nicht jetzt!“

„Na gut. Und stattdessen?“, erwiderte sie. „Soll ich Dir was Gruseliges aus meiner Kindheit erzählen?“

„Du weißt doch, was ich meine… Ich finde es eine Zumutung. Jetzt soll ich diejenigen verteidigen müssen, die seit Jahr und Tag das Falsche tun, nur weil sie seit September vergleichsweise menschlich handeln?“

„Du meinst Merkel?“

„Sie trägt doch Mitschuld an dem ganzen Dilemma. Wenn sie…“

„Jetzt fängst du auch schon so an… Ohne sie…“ Weiter„Europa am Küchentisch“