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Mehr als eine Legende

Madonna rebelliert gegen die Verhaltensauflagen für alternde Musiker. Auf keinem Album spürt man ihre Widersprüche so stark wie auf „Rebel Heart“.

© Jim Dyson/WireImage
© Jim Dyson/WireImage

Es gibt einen Grund, warum Madonna Miley Cyrus verehrt und Lady Gaga bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Abklatsch ihrer selbst degradiert – es geht dabei nicht um Konkurrenzangst, sondern um die Demarkationslinie zwischen der Unsterblichkeit popkultureller, teils geschmackloser Rebellion und gut verkäuflichem Schrott. Wenn Miley Cyrus auf einem Hot Dog durch ihr Publikum fliegt, hat das einen größeren künstlerischen Mehrwert als das Rilke-Tattoo auf Lady Gagas Innenarm – der Hot Dog ist eine Geste, die durch die Unwahrscheinlichkeit ihres Zustandekommens überzeugt, das Rilke-Tattoo nur dekoratives Imponiergehabe, das niemandem wehtut und in ein paar Jahren vergessen sein wird. Weiter„Mehr als eine Legende“

 

Pegida ist kein Kochkurs und Kopenhagen nicht weit

Terror und Antisemitismus rücken immer näher. Wie lebt es sich als Jüdin in Berlin? Soll man womöglich der Einladung Netanjahus folgen?

„Hast du Angst?“

Hat man mich in den letzten Tagen gefragt. „Hast du jetzt mehr Angst als früher? Versteckst du dich? Bleibst du mehr zu Hause? Holst du deine Kinder immer und überall ab?“

Ich habe trotzig geantwortet: „Nein! Ich habe keine Angst. Und du?“

Dann habe ich möglichst schnell das Thema gewechselt.

Vielleicht hätte ich antworten sollen: „Ich will keine Angst haben. Und schon gar nicht, weil ich Jüdin bin. Ich will nicht, denn Angst essen Seele auf, das hat schon der olle Fassbinder gewusst.“

Ganz ehrlich, ganz im Vertrauen, ganz heimlich: Natürlich habe ich Angst. Aber jeder vernünftige Mensch hat jetzt Angst, ob Jude, Nichtjude oder Atheist. Weiter„Pegida ist kein Kochkurs und Kopenhagen nicht weit“

 

Die Freiheit ist dem Menschen zumutbar

Den Bürger entmündigen zu wollen, ehe er Schaden anrichtet, ist voraufklärerisch und antidemokratisch. Eine Antwort auf Ann Cottens Schelte des Liberalismus

© AFP/Getty Images/Montage: ZEIT ONLINE
© AFP/Getty Images/Montage: ZEIT ONLINE

Klar, den Liberalismus muss man nicht mögen. Man muss sich nicht einmal mit ihm beschäftigen. Wenn man allerdings öffentlich gegen ihn zu Felde zieht, dann sollte man sich nicht allein auf Ressentiments verlassen. Anders gesagt: Die Freiheit ist dem Menschen zumutbar – mit Wasser können wir dann immer noch kochen. Ann Cotten verspürt ein Unbehagen ob einer Welt, in der die Entscheidungsvielfalt im Alltäglichen nicht mehr befreit, sondern überfordert, ambivalente Verhaltensweisen aus dem zugrundeliegenden Menschenbild herausretuschiert wurden und die Gerechtigkeit nicht immer zur Stelle ist, wenn man sie braucht. Als teils dafür verantwortliche, teils davon profitierende Geisteshaltung sieht sie den Liberalismus. Nun ja, welchen eigentlich genau?

In ihrem Beitrag rennt Ann Cotten gegen ein Liberalismusbild an, das ein Potpourri teils aus dem Neoliberalismus einer Margaret Thatcher und der Chicago Boys, teils aus einem Liberalismus des 18. Jahrhunderts, teils aus einem fiktionalen Wild-West-Liberalismus ist, der gleich ganz auf staatliche Rahmenrichtlinien verzichtet. Zuordnen kann sie das alles leider nicht. Das ist etwa so überzeugend, als werfe man den Sozialdemokraten einen Turbo-Revisionismus im Erfurter Programm von 1891 vor, wenn man eigentlich Gerhard Schröders Agenda 2010 kritisieren will. Irgendwo, weit entfernt in Raum und Zeit, gibt es da einen Zusammenhang, aber dort ist auch alles mit allem verbunden. Auf der Suche nach dem Sinn, Freiheit und Scientology in einen Topf zu werfen, gebe ich schließlich auf. Steile Thesen klingen zwar oft gut, aber eine Steilheit, die 90 Grad übersteigt, tendiert dazu, wieder flach zu werden. Weiter„Die Freiheit ist dem Menschen zumutbar“

 

Mit den Schiffen kommt die Angst

Warum verspüren wir Ressentiments gegen Menschen, die zur Flucht gezwungen sind? Womöglich, weil eine schmerzliche Migrationserfahrung unser eigenes Leben beeinflusst.

© Marco Di Lauro/Getty Images/Montage: ZEIT ONLINE
© Marco Di Lauro/Getty Images/Montage: ZEIT ONLINE

Manchmal macht die deutsche Sprache mir Angst.

Etwa mit dem Wort ‚Geisterschiff‘. Es scheint so viel davon auszusprechen, was geschehen kann, wenn wir nicht lernen, mit Menschen, die Rettung bei uns suchen, angemessen umzugehen.

Aber von vorn. Ich habe keine Angst vor den Flüchtlingen auf herrenlos im Mittelmeer treibenden, übervollen Schiffen. Um sie fürchte ich. Stelle mir vor, wie man sie an Bord brachte, betrog. Versuche, wenigstens ansatzweise zu verstehen, welche Leben sie führten – und was sie auf den Weg brachte. Traurig über ihre Not und ihre Verzweiflung, spüre ich etwas von ihrer Angst da auf dem Meer. Im Nirgendwo. Ich bewundere ihren Mut. Weiter„Mit den Schiffen kommt die Angst“

 

Es saugt. Es atmet. Es stöhnt.

Die europäische Krise reicht bis an den eigenen Arbeitsplatz. Um das zu merken, muss man nur die Verordnungen zum Arbeitsschutz lesen. Dann nimmt der Irrsinn seinen Lauf.

© Photocase.de/Thomas K./Montage: ZEIT ONLINE
© Photocase.de/Thomas K./Montage: ZEIT ONLINE

Europa, Krise und kein Ende. In Griechenland hat sich jetzt eine linksradikale Partei mit einer rechtspopulistischen zusammengetan, um gemeinsam gegen das EU-Spardiktat zu rebellieren. In Italien muss der linksdemokratische Premierminister Matteo Renzi mit niemand Geringerem als Silvio Berlusconi paktieren, um das Land durch die nötigen Reformen zu treiben. In Spanien, in Portugal, in… ach, lassen wir das. Besonders gut sieht es da auch nicht aus.

Nun aber Deutschland. Land der Ideen, Land der Dichter und Denker, der Agenda 2010 und des funktionierenden Arbeitsmarktes. Doch auch Deutschland hat Probleme und die finden sich, ebenso wie in Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und… ach, lassen wird das, sie finden sich an den Arbeitsplätzen.

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Wer das Vaterland schützt, schwitzt nicht

Gerade spielten sie noch mit Moslem-Schädeln in Afghanistan. Und was machen sie heute?  Unseren Kolumnisten treiben Kriegsheimkehrer um. Das Fax der Woche

Was macht Oberst Klein? Das ist der Mann, der den Tod bestellte, und die Amerikaner bombten Mann und Kind und Maus am Boden. Verjährt ein Kriegsverbrecher? Der Mann wurde vor einiger Zeit befördert, er bekommt mehr Geld. Was macht er im Hinterland, zählt er die trüben Tage, klopfen ihm die Getreuen auf die Schulter, hat er eine Gattin, die ihm die blassrote Strieme küßt, das Mal, das das Schweißband des Kriegermützchens hinterläßt? Was macht der Bürger Klein, der Stolz der Nachbarn, starrt er in den Nachbargarten, und zählt die Blätter auf dem Rasen, ist er ob der Pflichtvergessenheit verdrossen? Weiter„Wer das Vaterland schützt, schwitzt nicht“

 

Freiheit vom Liberalismus!

Das Gerede von der Freiheit hat dasselbe Problem wie die französische Revolution und Scientology (und die meisten Religionen): Seine Anhänger sind entweder Betrüger oder naiv. Ich schreibe in der Hoffnung, dass letztere überwiegen – sonst hätte es gar keinen Sinn zu schreiben.

© .marqs/photocase.de
© .marqs/photocase.de

Kollegin Nora Bossong schrieb also letztens in der Mitte ihres Berichts über eine Dreikönigsgesellschaft einige leidenschaftlich klingende Sätze über den Liberalismus. Unter anderem erwähnte sie die bekannte liberale Definition der zulässigen Freiheit: Man sei Liberale(r), „Wenn man daran glaubt, dass es besser ist, dem erwachsenen Menschen so viele Entscheidungen wie möglich selbst zu überlassen, solange sie nicht mit der Freiheit eines anderen in Konflikt geraten.“

Diese Formel ist, glaube ich, deswegen so beliebt, weil sie jedem, der sie liest, schmeichelt. Der Liberalismus traut jedem viel zu und erzeugt eine berauschende Gründungsatmosphäre. Yes, we can! Man bekommt Lust, sich verantwortungsvoll und erwachsen zu benehmen und fühlt sich dank diesem Zutrauen auch unendlich kompetent dazu. Weiter„Freiheit vom Liberalismus!“

 

Der Schmerz der Nachgeborenen

Ein junger Mann hinkt. Sein Vater war in Auschwitz. Wie hängt beides zusammen? Wir müssen begreifen, dass die Vergangenheit in unserer Gegenwart anwesend ist.

© Christopher Furlong/Getty Images
© Christopher Furlong/Getty Images/Montage: ZEIT ONLINE

Bis ins dritte oder vierte Glied suche Gott die Missetaten der Väter heim an den Kindern, heißt es im Alten Testament. Zu den Glaubensinhalten der Bibel mag man stehen wie man will, ein über lange Zeit zusammengetragenes Archiv menschlichen Erfahrungswissens, dargeboten in Geschichten, ist dieses Buch gewiss. Bis ins vierte Glied, sagen Psychologen heute, bis ins dritte. Dabei blicken sie auf beide Seiten, Opfer wie Täter. Auf beiden Seiten werden noch in den Lebensläufen der Enkel und ihrer Kinder Gefühle und Ängste wirksam, die aus den Leben der Großeltern stammen.

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Stehpinkler und andere Hackfressen

Alle drehen durch. Die Kellnerin hat Angst vor ihrem kurdischen Freund, der Kumpel dichtet Blödsinn über Muselmanen. Unserem Kolumnisten bleibt vor Schreck fast der Pfannkuchen im Hals stecken.

Siggi hat beim dritten Buch in Folge ein weinrotes Lesebändchen entdeckt. Er sagt: Ist weinrot billig? Gibt es hundert davon für ’n halben Euro? Und wo wir dabei sind, bist du ’n Moslem? … Bin ich … Aha! Wusste ich’s es doch … Wieso? Siggi sagt, man würde es mir ansehen, ich hätte eine Hackfresse wie ein Hamsterfresser. Ich lasse ihn stehen und mache meinen üblichen Gewaltmarsch ans Meer. Die Sturmwinde hatten das Wasser aus der Bucht herausgeweht, jetzt schwappt es wieder unterm Steg. Plötzlich steht Manni neben mir, reiner Zufall, er ging am Ufer spazieren und dachte nach. Worüber? Er hat kommende Woche einen Beschneidungstermin, und wegen der Ereignisse weiß er nicht so recht.

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IS NICH DIS WAT NICH IS

Wir fürchten den Blick der Fremden, weil wir uns durch ihn selbst sehen: übergewichtige, kleinliche, gefühlskalte Maden. Was hat die schmerzhafte Zehengicht Podagra eigentlich damit zu tun?

Eine Weile hab ich nicht aufgepasst, und plötzlich reden alle von Podagra, ich schlage also nach, was das noch mal genau ist. Es ist Zehengicht. Gicht ist, für die Jüngeren, Ungebildeteren unter uns, die das wie ich nicht ganz genau wissen, eine schmerzhafte Ablagerung von Harnsäure in den Gelenken und hängt mit der Niere zusammen. Die Ablagerung und Entzündung erfolgt meist in Anfällen. Vor einem solchen Anfall fühlen sich die Kranken häufig abgespannt; ihr Schlaf ist unruhig, ihre Verdauung gestört, der Appetit vermindert; sie klagen über Beengung, schwitzen stark und entleeren einen spärlichen, konzentrierten Harn. Der Anfall selbst stellt sich trotzdem unerwartet und plötzlich, meist nachts mit heftigen bohrenden und brennenden Schmerzen in dem ersten Gelenk der großen Zehe ein. Die Haut über dem Gelenk rötet sich, und letzteres schwillt an. Häufig besteht Fieber.

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