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Wirf es weg!

Es passiert ja nicht oft, aber endlich sind sich mal alle einig: Wegschmeißen ist das neue Shoppen. Hurra.

© Jon Tyson/unsplash

Wirf es weg, sagen die einen. Endlich mal ausmisten, sagen die anderen. Hach, danach fühlt man sich so befreit, sagen alle. Man ist sich einig: Der Krempel ist der Feind. Er steht auf einer Stufe mit zu viel Körperfett und ist somit ein Garant für ein erfolgloses, suboptimales Leben. Wer an dieser Stelle widerspricht, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Messie. Auf jeden Fall aber ein Individualist. Wer seinem Kram lieber behält als wegwirft, begibt sich meinungsmäßig in die totale Isolation.

Alle anderen begeben sich auf den direkten Weg ins Glück. Ein Weg, der erst frei ist, wenn nichts mehr herumliegt. Ein Glück, das nicht besonders originell beschrieben wird: Übersicht, Ordnung, Platz. Okay. Und dann? Weiter„Wirf es weg!“

 

Sind Künstler die besseren Menschen?

Als Kind schlich ich mich heimlich in die Kulisse der Bukarester Oper. Hier lernte ich, wie Kunst uns zu empathischen Wesen macht. Gilt das umso mehr für die Künstler?

© Peter Lewicki/Unsplash

Ich öffnete die Tür und wusste gleich, dass ich nicht hineindurfte, aber ich trat dennoch ein, schritt durch dieses Dunkel, worin ich erst nach und nach die Dinge wahrnehmen konnte, den Tisch da, die Stühle dahinter, die Kleiderständer. Ich vernahm die Atemzüge der Künstler, die zum Licht eilten, zur Bühne. Weiter„Sind Künstler die besseren Menschen?“

 

Die Nähe von Müll und Moral

Aus dem Abfall einer Zivilisation lassen sich deren Lebensumstände herauslesen. Was verrät der Müll auf unseren Straßen über den Zustand unserer heutigen Gesellschaft?

26.06.2016, Fontanestrasse © Michael Disqué und Unbekannt

Im vergangenen Jahr lebte ich, probeweise sozusagen, in einer der saubersten und ordentlichsten Städte, die ich in meinem Leben je betreten habe. Die Ordnung und Sauberkeit in dieser Stadt waren so umfassend, dass sie mir immer wieder neu auffielen. Sie wurden nie zu etwas Selbstverständlichem für mich, das durch seine Selbstverständlichkeit aus der alltäglichen Wahrnehmung verschwunden wäre. Weiter„Die Nähe von Müll und Moral“

 

„Was gibt’s Neues an der Front?“

Unsere Autorin ist Schriftstellerin und nebenher Fußpflegerin in Marzahn. Dass hier nur alte DDR-Bonzen leben, ist ein Klischee. Aber manchmal trifft sie doch einen.

© Sean Gallup/Getty Images

Dieser Text ist Teil unserer Miniserie „Fußpflege in Marzahn“. Alle Folgen finden Sie hier.

Noch immer geistert ein uraltes Vorurteil durch die Köpfe: In der Ostberliner Plattenbausiedlung Marzahn, heißt es, tummeln sich lauter ehemalige DDR-Bonzen und SED-Funktionäre. Das trifft nicht zu, wofür ich, allerspätestens seit ich als Fußpflegerin in Marzahn arbeite, meine Hand ins Feuer lege. Ich betreue die Füße von Maurern, Fleischern, Chemiefacharbeitern, Schneiderinnen, Verkäuferinnen, Krankenschwestern. Eine Elektronikfacharbeiterin ist dabei, eine Rinderzüchterin, eine Tankwartin. Fast alle meine Kunden sind Rentner, manche erst seit Kurzem, manche schon seit langer Zeit. Weiter„„Was gibt’s Neues an der Front?““

 

Erinnerungen, die. Zuhause, das.

Als meine Familie nach Deutschland auswanderte, ließen wir alles zurück. Auch die Sprache. Lange blieb die Angst: Dass man mir ansieht, anhört, anriecht, dass ich anders bin.

Migration und Sprache - Erinnerungen, die. Zuhause, das.
© Reinhard Krull/EyeEm / Getty Images

Zug, der: Schlafwaggons, die Liegen blau. Blaues Plastik, aus dem durch Risse und Löcher der Schaumstoff drängt. Ich habe noch nicht gelernt, mich zu ekeln, und später werde ich es auf eine pubertäre Weise tun: rebellisch und drastisch. Bei der Sauberkeit von Hotelbetten bin ich pingeliger als jeder, mit dem ich jemals verreiste. Weiter„Erinnerungen, die. Zuhause, das.“

 

Nach der Hölle kommt nichts mehr

Ja, die Pubertät in Österreich, was für eine Naturgewalt! Voller Todessehnsucht, Übermut und Sinnlosigkeit. Davor gab es leider nur eine Rettung.

© Photofusion / Getty Images

Als Heranwachsender suchte ich wie jeder andere Sicherheit und Orientierung, etwas, an dem man sich festhalten kann. Zumal diese Zeit meines Lebens gepflastert war mit Toten, fast wie bei Django: Der Bauer nördlich unseres Hauses erhängte sich, als ich sechs war. Der Sohn des Bauern westlich unseres Hauses erschoss sich wenig später. Die Mutter eines Freundes sprang in die Güllegrube und tauchte nicht mehr auf. Der Sohn eines Freundes meines Vaters, eines Gendarms, erschoss sich mit dessen Waffe. Es war ganz schön was los! Weiter„Nach der Hölle kommt nichts mehr“

 

Unser neuer Lieblingskatalane

Deutschlands Öffentlichkeit hat Carles Puigdemont ins Herz geschlossen. Seine Geschichte ist aber keine eines heldenhaften Freiheitskampfs, sondern nur eine politisch-menschelnde Anekdote.


© Marrti Kainulainen/AFP/Getty Images

Seit Ostern hat Deutschland einen neuen Lieblingskatalanen. Das trifft sich gut, denn der alte, Pep Guardiola, ist nun auch schon wieder zwei Jahre weg und obendrein frisch aus der Champions-League geflogen. Mit ihm geht es also bergab.

Außerdem ist der neue Lieblingskatalane viel knuffiger. Guardiola war elegant und unnahbar. Er wirkte zwar südlich-leidenschaftlich, wie wir es lieben und beneiden, jedoch hinter einer rätselhaft spröden Fassade: eine Kombination, die uns anfänglich bestrickte und dann zunehmend verstörte.

Der Neue ist natürlich Carles Puigdemont. Nicht aus der Champions League geflogen, sondern ruhmreich aus einem Knast an der Waterkant entlassen und seither wie ein Popstar gefeiert. Nicht von allen, klar (manche schimpfen ihn einen Separatisten oder nässen sich vor Freude ein, wenn sie auf das grandiose Wortspiel „Putsch-Dämon“ gekommen sind), aber von erstaunlich vielen. Und selbst die, die ihn zu verachten behaupten, tun es mit einer Hingabe, wie nur frisch entfachte Hassliebe sie hervorbringen kann. Weiter„Unser neuer Lieblingskatalane“

 

Gebt uns, was uns zusteht!

Alleinerziehende Eltern sind noch immer schlechter gestellt. Wie kann es sein, dass im Jahr 2018 diese Ungerechtigkeit in der Politik kaum diskutiert wird?

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Als ich vor zwei Monaten den Vertrag zu meinem neuen Job unterschrieben hatte, machte ich mir einen Spaß, googelte im Internet „Brutto-Netto-Rechner“ und guckte, was ich am Ende des Monats in den unterschiedlichen Steuerklassen raushaben würde. Ich gab alle sechs Steuerklassen nacheinander ein. Als alleinerziehende Mutter – was ich bin – ist man in Steuerklasse 2. Als Single ohne Kinder ist man in Steuerklasse 1, und wenn man verheiratet ist – egal ob mit oder ohne Kinder – landet man als Hauptverdiener der „Familie“ in der Steuerklasse 3. Letzteres bezeichnet man als sogenanntes Ehegattensplitting. Der Hauptverdiener wird besser besteuert, der Zweitverdiener dafür schlechter.

Als alleinerziehende Mutter ist man ja per Definition der Hauptverdiener, weil es eben keine andere Person im Haushalt gibt, die die Familie ernähren könnte. Man sieht meine Tochter und mich nur leider nicht als Familie an. Ein Ehepaar ohne Kinder aber schon. Weiter„Gebt uns, was uns zusteht!“

 

Depression ist hier zu Hause

Die Frauenarztpraxis ist weiß und klinisch rein. Und sie riecht nach Scham und Verzweiflung. Es wird noch viele Bücher brauchen, damit Frauen ihre Körper anerkennen.

© Tim Kubach/plainpicture

Ich habe mir vorgenommen, mehr Bücher zu lesen. Um meine Motivation hochzuhalten, trage ich jedes gelesene Buch nummeriert in ein Notizheft ein. Der Einband des Notizheftes ist mit kleinen Eiffeltürmen gemustert. Bücher müssen bis zum Ende gelesen sein, sonst darf man sie nicht auflisten. Weiter„Depression ist hier zu Hause“

 

Dieser urkomische Terror

Die britische Komödie „The Death of Stalin“ darf in Russland nicht in die Kinos. In Belarus ist sie erlaubt. Das hat nicht mit unterschiedlichem Sinn für Humor zu tun.

Molotow (Michael Palin), Malenkow (Jeffrey Tambor), Wassili Stalin (Rupert Friend), Chruschtschow (Steve Buscemi) und Beria (Simon Russell Beale) in dem Film „The Death of Stalin“ (von links nach rechts) © 2017 Concorde Filmverleih GmbH

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Das Kulturministerium der Russischen Föderation hat den Verleih der britischen Komödie The Death of Stalin gestoppt, da sie „Informationen enthält, deren Verbreitung die Gesetzgebung der Russischen Föderation untersagt“. In Belarus wird der Film gezeigt, und das hat nicht allein mit dem unterschiedlichen Sinn für Humor zu tun. Weiter„Dieser urkomische Terror“