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Umschuldung light = großer Quatsch

Ich kann die Begeisterung der deutschen Presse über das geplante Reprofiling der griechischen Staatsschulden – zum Beispiel in der FTD oder in der Süddeutschen – nicht nachvollziehen. Eine Verlängerung der Anleihelaufzeiten ist zumindest aus Sicht der Ratingagenturen wohl ein Kreditereignis (wenn es auch keine CDS-Kontrakte auslösen dürfte). Denn die Investoren erhalten nicht zum vereinbarten Zeitpunkt das vereinbarte Geld. Europa fängt sich also das ganze Bündel von Risiken ein, das mit einem solchen Ereignis verbunden ist, insbesondere die Gefahr der Ansteckung anderer Staaten.

Mehr noch: Erneut schiebt die Politik Risiken auf die Bilanz der Europäische Zentralbank. Denn die EZB akzeptiert, wie es sich für eine Zentralbank gehört, griechische Staatsanleihen als Sicherheit bei ihren Refinanzierungsgeschäften. Die Notenbank müsste also wenn Griechenland umschuldet die Mindestanforderungen an die Sicherheiten noch weiter aufweichen. Damit würde sie wohl endgültig ihr Mandat überschreiten und sich noch weiter in Richtung monetäre Staatsfinanzierung begeben. Eine Zentralbank ist dazu da, Liquidität bereitzustellen. Es ist nicht ihre Aufgabe, Solvenzprobleme zu lösen, das kann nur die Finanzpolitik.

Wenn die EZB die Anleihen aber nicht mehr annähme, würde sie Griechenland de facto von der Refinanzierung abzuschneiden – mit gravierenden Folgen für die griechischen Banken. Und wenn die Anleihen eines Mitgliedsstaat einer Währungsunion nicht einmal mehr von der eigenen Zentralbank akzeptiert werden, kann man den Euro auch gleich abschaffen, beziehungsweise den Griechen den Austritt nahelegen.

Eine Umschuldung light ist also mit erheblichen Kosten verbunden – und sie bringt wenig. Wenn die griechischen Schulden jetzt nicht tragfähig sind, dann sind sie es natürlich auch nicht, wenn die Laufzeiten der Anleihen um fünf Jahre verlängert werden. Genau so sehen das die Finanzmärkte und deshalb tut sich bei den griechischen Spreads wenig.

Freuen wird sich allein Frank Schäffler von der FDP, der jetzt überall erzählen kann, er habe die Beteiligung der Gläubiger durchgesetzt. Es ist wirklich dramatisch, wie wenig Ahnung eine Wirtschaftspartei von Wirtschaft hat. Die einzige Logik der Umschuldung light ist eine politische – sie sichert möglicherweise die Zustimmung des Bundestag, falls ein neues Rettungspaket nötig wird. Es ist traurig, dass unter den Abgeordneten heutzutage Symbolpolitik mehr zählt als  Sachargumente. Vielleicht war das mit der Philosophenherrschaft doch keine so schlechte Idee.

Ganz oder gar nicht, so kann die Lösung nur heißen. Entweder Griechenland wird zum Bankrottfall erklärt und so umgeschuldet, dass es als solvent gelten kann. Das bedeutet ein Schuldenschnitt in der Größenordnung von 50 bis 70 Prozent und ein neues Hilfspaket, um die Banken in Griechenland und im Rest Europas zu sanieren. Das wäre riskant, aber immerhin wäre das Problem dann gelöst.  Oder die EU setzt darauf, dass Griechenland solvent bleiben kann. Durch zusätzliche Anstrengungen der Griechen niedrigere Zinsen, neue Hilfspaket – und ja: Transfers.

Auf die Hoffnungen des IWF auf enorme Privatisierungserlöse sollte man dabei wenig geben. Entweder ein Unternehmen im Staatsbesitz ist rentabel, dann generiert es Erträge und die Privatisierung bringt den Staat um die zukünftigen Erträge. Oder es ist Schrott, aber dann wird sich auch kein vernünftiger Preis erzielen lassen. Wie immer ist der Barwert entscheidend – das sollten die IWF-Ökonomen eigentlich wissen.

 

Warum ich Hans-Werner Sinn kritisiere

Mein letzter Beitrag hat einige Aufmerksamkeit erregt. Ein Kommentator fragte, wie ich es mir anmaßen könne, „einen der renommiertesten Ökonomen des Landes“ widerlegen zu wollen. Ich halte Sinn tatsächlich für einen großen Ökonomen. Wenn das ein Argument wäre,  dann hätte ich allerdings meinen Beruf verfehlt. Es ist die Aufgabe des Journalismus, die Mächtigen zu kontrollieren. Und auch Ökonomen können mächtig sein. Ich kritisiere übrigens auch Schlussfolgerungen der G20 oder Regierungserklärungen oder Geschäftspläne der Deutschen Bank – wenn ich glaube, dass sie kritikwürdig sind.

Und weil es ziemlich durcheinandergeht, hier noch einmal eine Zusammenfassung dessen, was ich behaupte – und was ich nicht behaupte.

1. Ich behaupte NICHT, dass durch die Refinanzierungsgeschäfte der EZB keine Risiken für die Bilanz der Zentralbank entstehen. Natürlich steigt das Ausfallrisiko, wenn die Sicherheitsanforderungen gesenkt werden, wie es geschehen ist. Aber das hat mit den nationalen Target 2 Salden, um die es hier geht, nicht viel zu tun.

2. Ich behaupte NICHT, dass die deutschen Nettokapitalexporte nichts mit der Investitionsschwäche der vergangenen Jahre zu tun haben. Ich glaube in der Tat, dass diese These, die Sinn vertritt, falsch ist. Denn ich finde empirisch keinen Beleg dafür, dass Restriktionen beim Kapitalangebot die Investitionstätigkeit beeinflusst haben sollen. Und mir ist nicht klar, wie man erklären will, dass es jetzt wieder besser läuft, wo ja immer noch Kapital abfließt, denn Deutschland hat immer noch einen Leistungsbilanzüberschuss. Zudem habe ich Zweifel an der theoretischen Position, wonach es einen ex ante fixen Topf von Ersparnissen gibt, um den die Länder konkurrieren (sondern begreife die Ersparnis als ex post entstehend und die Absatzchancen als Determinante der Investitionsentwicklung). Das war aber der Inhalt meines ersten Beitrags. Im zweiten ging es um ein anderes Thema.

3. Es ging um die von Sinn aufgestellte These, wonach in Deutschland weniger Kredite ausgegeben werden können, weil über Target von der Bundesbank Zentralbankliquidität in die PIGS-Staaten abflösse, die dann in Deutschland fehle. Oder, wie es Sinn für den Fall Irland formuliert.

Die Bundesbank verzichtet auf eine innerdeutsche Kreditvergabe zugunsten einer Kreditvergabe über die irische Notenbank.

Einmal davon abgesehen, dass man besser nicht das Beispiel Irland wählen sollte, um die Finanzierung von Leistungsbilanzdefiziten durch die EZB anzuprangern, weil Irland inzwischen einen Leistungsbilanzüberschuss hat – unter bestimmten Annahmen (unter anderem eine strikte Geldmengensteuerung durch die Zentralbank) kann es dazu möglicherweise sogar so kommen. In der geldpolitischen Praxis der EZB nicht. Hierzu die Bundesbank:

Fließen beispielsweise einer über die Bundesbank an TARGET2 teilnehmenden Bank Gelder aus dem Ausland zu, führt dies bei der Bundesbank zu Verbindlichkeiten gegenüber dieser Bank (…). Im Gegenzug entsteht eine Forderung der Bundesbank in gleicher Höhe gegenüber der sendenden nationalen Zentralbank. Diese wiederum belastet das Konto der sendenden Geschäftsbank. Dies erfordert ein ausreichendes Guthaben an Zentralbankgeld der sendenden Bank. Zentralbankguthaben werden primär durch die geldpolitischen Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems bereitgestellt.

In den Jahren vor der Finanzkrise haben sich die grenzüberschreitenden Zahlungen Deutschlands weitgehend ausgeglichen. (…) Dies änderte sich in der Finanzkrise. Während deutschen Banken (…) weiter Gelder aus dem Ausland zuflossen, waren sie krisenbedingt weniger bereit und teilweise auch nicht in der Lage, diese am Interbankenmarkt an ausländische Institute auszuleihen. Statt dessen führten sie – jedenfalls im Aggregat – nach und nach ihre Refinanzierungsgeschäfte bei der Bundesbank zurück. Lag beispielsweise das auf deutsche Institute entfallende Refinanzierungsvolumen Anfang 2007 noch bei 250 Mrd €, so ist diese Position bis Ende 2010 auf 103 Mrd € zurückgegangen Umgekehrt erhalten Banken in einer Reihe anderer EWU-Länder seitdem verstärkt Zentralbankgeld über das Eurosystem.

Die deutschen Banken haben also in der Tat weniger Geld von der EZB aufgenommen, aber nicht, weil sie nicht konnten, sondern weil sie nicht MUSSTEN. Denn ihnen ist massiv Liquidität aus dem Ausland über den Geldmarkt zugeflossen. Das wiederum passt zu der von mir erwähnten empirischen Beobachtung, dass ich keine Bank kenne, die wegen des Mangels an Zentralbankliquidität ihre Kredite an den Privatsektor einschränken musste. Bei Vollzuteilung, wie wir sie derzeit haben, kann das ohnehin nicht passieren. Die großzügige Geldpolitik der EZB mag viele Probleme mit sich bringen, definitiv behindert sie nicht die Kreditvergabe in Deutschland. Eine gute Analyse des Problems mit einer ähnlichen Schlussfolgerung wie meiner findet sich auch im Irish Economy Blog.

Meine Vermutung ist, dass Sinn nicht ausreichend berücksichtigt, dass Geld im Sinne von M3 in einem modernen Finanzsystem nicht von der Zentralbank, sondern von der Geschäftsbank geschöpft wird, nämlich im Akt der Kreditvergabe. Aber das ist zugegebenermaßen Spekulation.

4. Ich behaupte NICHT, dass der Euro eine gute Sache ist. Ich bin der Überzeugung, dass es ein historischer Fehler wäre, ihn aufzugeben, aber das war nicht Thema meines Beitrags.

PS: Um es deutlich zu sagen. Für alle Punkte, die hier angesprochen sind, ist Target 2 irrelevant. Die Target 2 Debatte ist ein Kartenhaus – hoffen, wir, dass es bald zusammenkracht.


 

Die Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Folge II)

Der zweite Teil meiner kleinen Reihe hat sich etwas verzögert, was unter anderem daran liegt, dass ich diesmal versuche, ein moving target zu treffen. Es geht um Sinns Ausführungen zum Thema Target 2. Dies ist ein längerer Beitrag, der mit dem Urteil enden wird, dass Hans-Werner Sinn eine Art Carl Schmitt der Ökonomie ist: Die oder Wir. Wenn es den Iren oder den Portugiesen gut geht, geht es uns schlecht – und umgekehrt. So gesehen wäre das Hilfsprogramm für Portugal also falsch. So denken viele in Deutschland, so einfach ist die Sache aber nicht. Weiter„Die Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Folge II)“

 

Was will uns Roland Vaubel sagen?

Bis jetzt dachte ich, man könne Roland Vaubel, seines Zeichens Professor für politische Ökonomie in Mannheim, einfach ignorieren. Aber er wird richtig gefährlich (Quelle Handelsblatt).

Ein „Euromantiker“ ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nach Ansicht von Roland Vaubel, Professor für Politische Ökonomie an der Uni Mannheim.  Vaubel begründet seine herbe Kritik damit, dass der Minister sich nicht um die Ratschläge seines Wissenschaftlichen Beirats schere, der ihn vor schädlichen Folgen von zu großzügigen Krediten an einzelne Euro-Staaten gewarnt habe.

„Der Fehlanreiz wäre geringer, wenn der Schuldnerstaat die verbürgten Hilfskredite, ob sie nun zur Finanzierung frischer Defizite oder zur Ablösung von Altschulden dienen, nur zu einem merklich höheren Zinssatz erhalten würde.“ Griechenland zum Beispiel könne sich auch nach Verabschiedung der ihm auferlegten Reformen „nicht am Markt zu so günstigen Bedingungen verschulden wie beim europäischen Bail-out-Fonds.“

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Schäuble hat versagt, weil die Zinsen des Rettungsfonds niedriger sind als die Marktzinsen. Aber was wäre denn, wenn die Zinsen genau so hoch wären wie die Marktzinsen? Genau, dann bräuchte man auch keinen Rettungsfonds. Denn der existiert ja, weil die Märkte zu hohe Zinsen verlangen (im Idealfall sind diese Zinsen zu hoch, weil die Märkte überschießen, ein eigentlich solventes Land hat ein Liquiditätsproblem, im nicht so idealen Fall ist das Land insolvent und erhält einen Transfer).

Und wo bitte ist der Fehlanreiz? Ist irgendeines der Länder gerne unter den Schirm geschlüpft? Nach dem Motto: Kommt und rettet uns, wir beugen uns gerne dem Diktat aus Brüssel? Ich erinnere mich, dass die EU an Portugal lange zerren musste. Man kann lange über das Für und Wider des Rettungsfonds diskutieren – aber so?

 

Die Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Folge I)

Hans-Werner Sinn begleitet mich nun schon fast mein ganzes Berufsleben. Ich halte ihn für einen sehr klugen Ökonomen, er stellt sich seinen Gegnern mit offenem Visier, er ist originell und er hat sein Institut im Griff. Das kann man von den wenigsten deutschen Wirtschaftswissenschaftlern behaupten – ob links oder rechts. Doch irgend etwas scheint ihn dazu zu bewegen, in regelmäßigen Abständen Thesen aufzustellen, die – nun ja – gewagt sind.

Da war die Sache mit der Basarökonomie, wonach die deutschen Exporterfolge kein Indiz für die Wettbewerbsfähigkeit seien, weil hierzulande nur zusammengeschraubt würde, was in Osteuropa hergestellt wurde. Es ist ziemlich still geworden um diese These. Da war der Versuch, den Wechselkurs des Euro auf die Bargeldeinführung zurückzuführen.

Auch in die Debatte um den Euro hat sich Sinn eingemischt – und weil über seine Ansichten oft und gerne und in der Regel unkritisch berichtet wird, nehme ich mir die Freiheit, in einer losen Folge einige von ihnen einem Realitätscheck zu unterziehen. Heute soll es um Kapitalströme gehen.

Sinn argumentiert, dass es den Deutschen lange Zeit schlecht ging, weil das Kapital wegen der starren Arbeitsmärkte hierzulande und der Aussicht auf satte Renditen in Griechenland und anderswo flüchtete.

Es war nämlich nicht gesund, dass in den letzten Jahren so viel Kapital aus Deutschland in die Länder der südwestlichen Peripherie und nach Amerika abgeflossen war. Das Kapital hätte auch hier investiert werden können. Deutschland hatte von 1995 an über 14 Jahre im Schnitt die niedrigste gesamtwirtschaftliche Nettoinvestitionsquote aller OECD-Länder. Wir haben im letzten Jahrzehnt von unseren Ersparnissen nur ein Drittel zu Hause investiert.

Dann passieren zwei Dinge: Gerhard Schröder reformierte die Arbeitsmärkte, und die Investoren verbrannten sich die Finger im Ausland. Jetzt komme das Geld zurück und deshalb gehe es uns gut.

Viele deutsche Kapitalanleger werden ihr Geld nicht mehr wiedersehen. Dies veranlasst sie, umzudenken. Die Zinsabstände steigen wieder, und das Sparkapital wird wieder verstärkt zu Hause angelegt.

Fertig ist die Erzählung, die es politstrategisch erlaubt, Agenda-Reformen zu feiern und gegen die Euro-Rettungspakete zu sein, was ihr in gewissen Kreisen zu Popularität verhilft.

Es gibt eine Reihe von Einwänden dagegen, ich beschränke mich auf einen: Deutschland ist immer noch Nettokapitalexporteur, wie diese Grafik zeigt. Allein im vierten Quartal 2010 haben wir mehr als 30 Milliarden Euro verloren. Das Geld kommt also nicht zurück. Wenn Sinns These stimmt, dann hätte es uns 2002/2003 richtig gut gehen müssen, da war der Saldo in der Leistungsbilanz erheblich geringer.

Und auch die Sache mit den Investitionen ist komplizierter, als es Sinn beschreibt. Ja, die Deutschen haben in den vergangenen Jahren wenig investiert. Aber das lag nicht an starren Arbeitsmärkten oder einem Mangel an Kapital für die Unternehmensfinanzierung, sondern vor allem daran, dass sich der Staat zurückgehalten hat und es keinen Immobilienboom gab. Die Unternehmen hierzulande – und auf die kommt es im Sinne eines nachhaltigen Aufschwungs an – haben nicht weniger Geld ausgegeben als im Rest Europas. Aus dem Herbstgutachten der Kommission, jeweils für die Jahre 2002 bis 2006, Veränderung zum Vorjahr in Prozent:

Germany Euro-Area
Investment in Construction: -2,0 +1,6
Investment in Equipment: +2,8 +2,4
Public Investment: +1,5 +2,5

Fazit: Es gibt viele Gründe für den Aufschwung, mit den Kapitalströmen hat er wenig zu tun, abgesehen vielleicht von der ein oder anderen Regung am Immobilienmarkt.

Update: Gerade gemerkt: Die Zahlen zum Public Investment sind Anteile am Bruttoinlandsprodukt, nicht Veränderungsraten. Ändert aber nichts an der Aussage.

 

Deutschlands Parlamentarier und der Euro – ein Trauerspiel

Wer die deutsche Debatte um den neuen Rettungsfonds verfolgt, muss an der Demokratie zweifeln – zumindest an der Fähigkeit ihrer höchsten Repräsentanten, das Verständnis für die Vorgänge in einer modernen Volkswirtschaft auch nur annähernd aufzubringen.

Jetzt streitet also der Bundestag darüber, in wie vielen Schritten und wann Deutschland seine Kapitaleinlage in den ESM – rund 22 Milliarden Euro – leistet. Und wir bekommen zu hören, dass nun, da echtes Kapital fließe und nicht nur Garantien gegeben würden, endlich klar sei, dass die Rettung des Euro etwas koste.

Humbug. Wie der Fonds finanziert wird, ob über Garantien oder Cash, ist völlig egal. Jedem am Kapitalmarkt aufgenommenen Euro, den der Bundesfinanzminister nach Luxemburg überweist, steht eine Forderung in gleicher Höhe gegenüber. Das ist alles Volksvermögen, liebe Abgeordnete, egal wo es liegt. Entscheidend für die Gewinn- und Verlustrechnung ist, ob die Kredite, die der ESM vergibt, ausfallen oder nicht. Nur, wenn sie nicht zurückbezahlt werden, hat der deutsche Steuerzahler einen Schaden.

Und ja, der Bund bezahlt Zinsen, wenn er sich das Geld leiht. Aber der ESM wird das Geld anlegen, es ist unwahrscheinlich, dass Klaus Regling 80 Milliarden unter seine Matratze steckt, und – ganz genau – dafür Zinsen kassiert. Die kann er wieder ausschütten.

Man kann und sollte sich lange und trefflich darüber streiten, ob Europa eine Rettungsfonds braucht oder nicht. Ob Staatspleiten besser sind, als Liquiditätshilfen. Doch was die Abgeordneten aller Fraktionen derzeit abziehen, ist billigstes Buhlen um euroskeptische Wähler und nur noch peinlich.

Je länger ich dieses Spiel beobachte, desto mehr steigt mein Respekt vor Angela Merkel. Mit diesen Chaoten überhaupt eine kohärente Position in Brüssel vertreten zu können – das ist schon eine Leistung.

 

Size matters, sagt die BIZ

Welche Banken sind gefährlich für das Finanzsystem und müssen deshalb besonders streng überwacht werden? In den internationalen Gremien wird derzeit an einer Liste der Probleminstitute – mit dem schönen Kürzel GSIFIs oder globally systemically important financial institutions – gearbeitet. Dazu werden Indikatoren benötigt, und so wird heftig darüber gestritten, wie Systemrelevanz zu messen sei. Die Liste soll noch im ersten Halbjahr stehen.

Die BIZ hat sich – von der Öffentlichkeit nach meine Beobachtung bislang weit gehend unbemerkt – in ihrem letzten Quartalsbericht ein paar Gedanken gemacht. Das Ergebnis dürfte Josef Ackermann, Jamie Dimon und den anderen Chefs der globalen Megabanken wenig Freude bereiten.

We find that bank size is a reliable proxy of systemic importance, regardless of the perspective chosen. Interbank lending or borrowing provides additional useful information for some measures but not for others. This result is not surprising as it is fully in line with the economic logic underlying each measurement approach.

Die Größe also ist offenbar die entscheidende Variable. Woraus sich der Schluss ziehen lässt, dass besonders große Banken entweder streng reguliert werden müssen oder gleich in ihre Einzelteile zerlegt werden sollten. Ackermann argumentiert bekanntlich, dass die Größe für die Systemrelevanz nicht so wichtig sei:

Es wäre ein Fehler, zusätzliche Anforderungen nur an einfachen Kriterien wie der Größe festzumachen.

Honi soit qui mal y pense.

 

Frisst uns der Sozialstaat auf?

Das Handelsblatt bringt heute einen Auszug aus dem neuen Buch von Gabor Steingart. These: Deutschland wird immer sozialer und kann sich seinen Wohlfahrtsstaat schon bald nicht mehr leisten.

Wahr ist, der Wohlfahrtsstaat verdreifachte seine Ausgaben in den vergangenen 25 Jahren, selbst in den vergangenen zehn Jahren konnte er sie noch um 20 Prozent steigern. (…) Die Kundschaft des deutschen Sozialstaats erfährt eine Fürsorglichkeit, wie wir sie sonst nur bei den Großfamilien der Urvölker antreffen, wo einer den anderen füttert.

Starke Worte – aber wie sieht die Realität aus? Hier also die deutsche Sozialstaatsquote:

Was sehen wir?

  • Die Sozialausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt (und nur diese Größe ist für die Tragfähigkeit entscheidend, nicht die absolute Zahl) sind etwa Anfang der siebziger Jahre deutlich gestiegen. Genauer gesagt von 20,9 Prozent im Jahr 1960 auf 28,8 Prozent im Jahr 1975. Und jetzt wird es interessant:
  • Danach gingen die Sozialausgaben im Trend wieder zurück – bis zur Wiedervereinigung, als sie wieder zulegten (aus nahe liegenden Gründen).
  • Seit 2003 fallen sie wieder – abgesehen von einem kleinen Ausreißer am aktuellen Rand, der durch die Krise bedingt sein dürfte und inzwischen wahrscheinlich schon wieder verschwunden ist. Wir waren vor der Krise, also im Jahr 2007, mit 29,2 Prozent in etwa auf dem Niveau von 1975.

Kurz und gut: Die These eines immer mehr Ressourcen vereinnahmenden Sozialstaats ist genau so falsch wie die eines radikalen Sozialabbaus. Der Sozialstaat ist im letzten Vierteljahrhundert bemerkenswert stabil geblieben – selbst externen Schocks wie die Wiedervereinigung führten nur zu einer temporären Ausweitung.

Es gibt also keinen Grund zur Panik. Wir können uns den Sozialstaat sehr wohl leisten. Wir müssen es nur wollen.

 

Deutschlands Lobbyisten – ein Haufen Weicheier?

Wolfgang Münchau heute in der FTD:

Ich bin daher sehr überrascht, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie sich zu denen gesellt, die eine Erweiterung der EFSF so heftig ablehnen, zumal gerade seine Mitglieder von der Wechselkursstabilität im Euro-Raum so sehr profitieren. Auch diese hoch bezahlten Lobbyisten haben versäumt, die Krise und ihre finanziellen Auswirkungen gründlich zu durchdenken. Auch sie haben nichts gelernt und nichts vergessen.

In der Tat: Deutschlands Lobbyisten gehören zu den schlechtesten auf der Welt. Die Aufgabe eines Interessenvertreters ist es, Interessen zu vertreten. Nicht die der Allgemeinheit, sondern die seiner Branche.

In Deutschland aber kämpfen die Wirtschaftsverbände nicht für ihre Klienten, sondern für gut klingende (aber häufig fragwürdige) ordnungspolitische Prinzipien. Der BDI beispielsweise ist traditionell gegen Konjunkturprogramme und gegen niedrige Zinsen – obwohl beides die Nachfrage nach den Produkten seiner Mitgliedsunternehmen steigern würde. In Japan und China kämpft die Exportindustrie für günstige Wechselkurse, in Deutschland für die Unabhängigkeit der Zentralbank. Es soll sogar im Verband der Automobilwirtschaft kritische Stimmen gegeben haben, als die Regierung auf dem Höhepunkt der Krise die Abwrackprämie einführte.

Wie gesagt, man kann darüber streiten, was volkswirtschaftlich gesehen sinnvoll ist. Mir wäre es lieber, man überließe das Gemeinwohl der Politik. Denn die hat zu entscheiden, welche Partikularinteressen berücksichtigt werden sollen und welche nicht. Das ist nicht Aufgabe der Lobbyisten. Sie müssen dafür sorgen, dass diese Interessen überhaupt artikuliert werden.