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Anleger sind verwirrt

Die Wirtschaftsnachrichten verbessern sich zusehends. Nicht nur in Deutschland, auch im Rest der Welt wächst das reale Sozialprodukt wieder. Da die Arbeitslosigkeit aber noch steigt und die Inflation wegen der nach wie vor sehr niedrigen Kapazitätsauslastung auf absehbare Zeit kein Problem darstellt, dürfte die Wirtschaftspolitik ihren sehr expansiven Kurs beibehalten.

Anleihen profitieren von niedrigen Notenbankzinsen und erfreulichen Inflationsaussichten, Aktien wiederum von der konjunkturellen Erholung, steigender Produktivität – und ebenfalls von den Zinsen. Das gilt auch für Unternehmensanleihen, deren Renditevorsprung gegenüber Staatsanleihen inzwischen kaum größer ist als vor der Lehman-Pleite. Bei Rohstoffen gibt es einen neuen Boom, der offenbar nicht zuletzt durch eine Flucht aus dem Papiergeld in die Sachwerte befeuert wird.

Aber wie geht es weiter? Die Risiken sind nicht verschwunden und für die Anleger gibt es zur Zeit zwei gleichermaßen plausible Szenarien: Entweder befinden wir uns auf dem Weg in die Deflation und langjährige Stagnation nach japanischem Muster, vor allem weil der Abbau von Schulden überall höchste Priorität hat – dafür sprechen vor allem die rekordniedrigen Anleiherenditen -, oder es geht in Richtung südamerikanische Hyperinflation, verursacht durch übermäßige Staatsdefizite und die Überschwemmung der Märkte mit Liquidität und abzulesen an den festen Aktienmärkten und Rohstoffpreisen.

Noch bin ich mir sicher, dass wir es erst mal mit Deflation zu tun haben. Aus dem vielen umherschwappenden Geld wird nicht automatisch Inflation. Selbst im boomenden China lag der BIP-Deflator zuletzt weit im negativen Bereich (-3,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr).

Ausführliches zu den Risiken für die Weltwirtschaft und den Aussichten für Aktien, Bonds und Rohstoffe in meinem neusten Investment Outlook:

Wermuth’s Investment Outlook – November 2009*) (pdf, 225 KB)

*) Den Investment Outlook von Dieter Wermuth in englischer Sprache gibt es einmal im Monat und er wird zunächst kostenlos auf Herdentrieb zum Herunterladen bereitgestellt. (ur)

 

Es kommt alles viel schlimmer – die Wachstumswette für 2010

Ist der HERDENTRIEB jetzt erwachsen? Wie viele Prä-Internet-Jahre zählt eigentlich ein Jahr online? Fünf? Dann hätten wir es geschafft. Seit vier Jahren ist dieses Blog am Start. Und da alles mit der famosen Wachstumswette für 2006 begann, wird jeder Geburtstag wieder mit einer Wachstumswette aus meiner Feder gefeiert. Soviel Tradition muss sein, auch im schnelllebigen Netz. Aber zunächst mal Dank an Sie und Euch Kommentatoren und Leser! Was wäre der HERDENTRIEB ohne die ökonomischen Debatten, die in Deutschland ihresgleichen suchen.

Aber jetzt zur Wette: Ich bin pessimistisch, habe das verdammte Gefühl, dass zurzeit überall viel zu viel Optimismus herrscht. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Krise sich so einfach in Wohlgefallen auflöst. Dafür ist das System zu sehr krank. Ich rechne noch mal mit einem ordentlichen Rückschlag bei Banken und am Kapitalmarkt. Woher soll das Wachstum in der Realwirtschaft kommen, außer von Konjunkturpaketen, die langsam auslaufen und noch nicht groß erneuert worden sind? Einzige Ausnahme ist wohl die „grande emprunt“ des Monsieur Sarkozy. Sensationell! Vive la France, kann ich da nur sagen.

Aber in Deutschland? Weiter„Es kommt alles viel schlimmer – die Wachstumswette für 2010“

 

Industrieproduktion hebt ab – vom Kellerboden

Nur auf den ersten Blick waren die heutigen Zahlen für die Industrieproduktion vom September sensationell (+2,7% m/m), auf den zweiten Blick wird schnell klar, dass sie nun endlich, und auch nur teilweise, auf die Auftragseingänge reagiert haben, die bereits seit März im Aufwind sind: Deren Verlaufsrate betrug im Zeitraum Februar bis September 2009 real und saisonbereinigt nämlich nicht weniger als +34,6 Prozent, während die vergleichbare Zahl für die Produktion bei lediglich +12,0 Prozent lag. Weiter„Industrieproduktion hebt ab – vom Kellerboden“

 

Die Pferde saufen nicht

Noch nie war die Versorgung der Wirtschaft Eurolands mit Liquidität so großzügig wie zur Zeit. So sollte es angesichts der tiefen Rezession, der stagnierenden Verbraucherpreise und einer Pipeline, in der noch eine Menge an Deflationspotential steckt, natürlich auch sein. Im Juni dieses Jahres hatte die EZB in einer dramatischen Aktion das Gesamtvolumen der Refinanzierungsgeschäfte von €618 Mrd. auf €896 Mrd. in die Höhe getrieben, vor allem indem sie den Banken für ein Jahr so viel Liquidität zu 1 Prozent zur Verfügung stellte wie sie haben wollten, vorausgesetzt sie konnten Sicherheiten stellen. Die Qualitätsanforderungen an diese Papiere waren aber schon im Vorfeld deutlich abgesenkt worden, damit es in dieser Hinsicht erst gar nicht zu Engpässen kommen konnte. Weiter„Die Pferde saufen nicht“

 

China muss nicht aufwerten

Paul Krugman hat vor ein paar Tagen in seiner New York Times-Kolumne darüber geklagt, dass Chinas schlechtes Benehmen für den Rest der Welt eine immer größere Bedrohung darstellt („The Chinese Disconnect„). Im Ernst, er verwendet den Ausdruck „bad behavior“. Um was geht es? Wieder einmal um die zunehmend „bizarre“ Strategie, den Yuan gegenüber dem Dollar stabil zu halten. China hat laut Krugman wegen der zeitweise unbegrenzten Dollarkäufe wesentlich zu der amerikanische Immobilienblase beigetragen und war daher für die globale Finanzkrise mitverantwortlich. Jetzt droht noch schlimmeres Ungemach: Weil die chinesische Regierung trotz der neuen Dollarschwäche, vor allem gegenüber dem Euro, weiterhin am bilateralen Wechselkurs von 6,83 Yuan pro Dollar festhält und die eigene Währung damit im Gleichschritt mit dem Dollar abwertet, nehme China anderen Ländern Nachfrage weg, obwohl die ohnehin überall „deeply depressed“ ist. Es stiehlt anderen Ländern ihre Jobs. Amerika brauche eine schwache Währung, um endlich sein Defizit im Außenhandel abzubauen, aber China mit seinem gewaltigen Überschuss sowie Devisenreserven von $2.273 Mrd. brauche das nicht. Weiter„China muss nicht aufwerten“

 

China rettet die Welt

Dass die Aktienmärkte, ebenso wie die Rohstoffmärkte, weiter haussieren, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich im Fernen Osten ein Land weitgehend von der globalen Rezession abgekoppelt hat und kräftig wächst: Chinas Beitrag zum globalen BIP beträgt zwar „nur“ 8%, aber das reicht, die Exporte Deutschlands und Japans, selbst der USA, wieder in Fahrt zu bringen und die Stimmung zu verbessern. Die Rohstoffpreise werden zur Zeit fast gänzlich von Chinas Strategien dominiert. Im Übrigen halten die Notenbanken und die Finanzminister weltweit den Fuß fest auf dem Gaspedal. Die expansive Politik schlägt inzwischen sichtbar an: Im abgelaufenen dritten Quartal dürfte das globale BIP mit einer annualisierten Rate von 3 bis 4 Prozent zugenommen haben. Nach einem Rückgang um 1,1 Prozent in diesem Jahr, dem ersten Rückgang seit der Nachkriegszeit, dürfte es im nächsten wieder eine positive Zuwachsrate von 3,1 Prozent geben – sagt der Internationale Währungsfonds.

Die Kapazitätsauslastung bleibt aber global sehr niedrig, so dass vorläufig keine Inflationsgefahren drohen. Deflation ist nach wie vor ein Risiko. In China nimmt das reale BIP 2009 um vermutlich 8 1/2 Prozent zu, der BIP-Deflator, das breiteste Inflationsmaß, sinkt gleichzeitig um etwa 4 Prozent. Insgesamt dürften die Bondrenditen noch um Einiges fallen. Für den Euroraum kommt in dieser Hinsicht als positiver Faktor hinzu, dass der Dollar weiter abwerten dürfte. Der EZB wird nichts übrig bleiben als irgendwann im nächsten Jahr die Zinsen weiter zu senken – erst danach dürfte über Interventionen am Devisenmarkt nachgedacht werden.

So breit aufgestellt das Wachstum der Weltwirtschaft zur Zeit ist, so wenig ist sicher, dass es ohne wirtschaftspolitische Krücken geht. Die Kreditvergabe ist schwach, die Banken haben noch gewaltigen Abschreibungsbedarf, die Arbeitslosigkeit steigt vermutlich noch um Einiges, und in vielen Ländern hat Sparen oberste Priorität, etwa in den USA, wo Haushalte und Banken mit Überschuldung und notleidenden Assets im Gefolge der geplatzten Immobilienblase zu kämpfen haben.

Daher: Eine neue Euphorie wird es nicht geben. Rückschläge, auch große, werden sich nicht vermeiden lassen. Aber für’s Erste bleibe ich dabei, dass die Aussichten sowohl für Aktien als auch für Anleihen nicht schlecht sind.

Ausführliches zur wirtschaftlichen Lage in den USA, Euroland, Japan, China und Russland sowie den Aussichten für Aktien, Bonds, Rohstoffe und Wechselkurse in meinem neusten Investment Outlook:

Wermuth’s Investment Outlook – October 2009*) (pdf, 239 KB)

*) Den Investment Outlook von Dieter Wermuth in englischer Sprache gibt es einmal im Monat und er wird zunächst kostenlos auf Herdentrieb zum Herunterladen bereitgestellt. (ur)

 

Von Steuern, Wachstum und Servietten

Groß hatten Liberale und Christsoziale vor der Wahl angekündigt, sie wollten auf jeden Fall die Steuern senken. Es müsse mal eine große „Steuerstrukturreform“ geben, bei der den gebeutelten Steuerzahlern endlich mehr Netto vom Brutto übrig bleiben sollte. Im Wahlkampf meinte Angela Merkel, dass niedrigere Steuersätzen – so paradox ist die Welt – zu höheren Steuereinnahmen führen würden. Wenn mehr Netto vom Brutto übrigbliebe, würde sich Leistung auch wieder lohnen, die Leute würden dann wieder mehr arbeiten, mehr verdienen und sogar mehr Steuern zahlen. Der Haushalt könnte sich dann von ganz allein konsolidieren. Weiter„Von Steuern, Wachstum und Servietten“

 

Sind CDS-Käufer Idioten?

Es gibt Dinge, die werde ich vermutlich nie verstehen. Ganz oben auf der Liste steht dabei das Geschäft mit CDS (Credit Default Swaps). In der aktuellen FTD erzählen uns Christine Mai, Tobias Bayer und David Oakley, dass wieder mehr solcher Kreditausfallversicherungen gekauft worden seien. Die Herren, Damen und Institutionen Anleger machten sich zunehmend Sorgen, dass Italien seine Anleihen nicht mehr bedienen könne. Aber auch Versicherungen auf einen Zahlungsausfall von Papieren des deutschen Zentralstaats würden munter gekauft und gehandelt. Brav berichten die Autoren, dass ein Hauptquell der Sorge sich aus den umfangreichen Stützungsoperationen dieser Staaten für die Banken ergebe, und weiter, dass ebensolche oder auch andere Banken mit dem Verkauf von CDS auf diese Länder den Versicherungsschutz für einen Zahlungsausfall übernähmen. Weiter„Sind CDS-Käufer Idioten?“

 

Bye, bye BIP oder: Wie misst man den sozialen Fortschritt?

Im Fernsehduell um die deutsche Kanzlerschaft wollte Frank Plasberg von den beiden Kandidaten wissen, welche Note sie Deutschland in Sachen sozialer Gerechtigkeit geben würden. Die Kanzlerin wollte sich nicht festlegen – wie es so ihre Art ist. Herr Steinmeier ließ sich aber nicht lange bitten und meinte, Deutschland verdiene in Sachen sozialer Gerechtigkeit die Note zwei oder besser. Nur würde die dumme Wirtschaftskrise das Land jetzt zurückwerfen und vielleicht auf die Note drei drücken.

Klar, wenn man soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Fortschritt allein am Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) abliest, wäre des Kanzlerkandidaten Benotung vielleicht zutreffend. Nur muss das BIP nicht unbedingt ein guter Indikator für soziale Gerechtigkeit und noch nicht mal für wirtschaftlichen Fortschritt sein. Weiter„Bye, bye BIP oder: Wie misst man den sozialen Fortschritt?“