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127. Prozesstag – V-Mann und Führungsfigur: Tino Brandt sagt aus

Gleich für drei Tage hintereinander ist der Zeuge Tino Brandt ab Dienstag zum NSU-Prozess geladen – denn sowohl das Gericht als auch die Anwälte der Nebenklage werden zahlreiche Fragen an ihn haben. Den Gerichtssaal wird er möglicherweise in Handschellen betreten: Wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch sitzt Brandt zurzeit in Untersuchungshaft.

Der Neonazi aus Rudolstadt war zu der Zeit dabei, als sich inmitten der Thüringer Naziszene eine militante Dreiergruppe formierte, die vor Gewalt nicht zurückschreckte: der NSU. Zumindest kurz nach dem Abtauchen des Trios im Jahr 1998 unterstützte Brandt die Kameraden, indem er gefälschte Pässe besorgen ließ. Möglich machte es Brandts Einfluss als Anführer des „Thüringer Heimatschutzes“, einem rechten Sammelbecken.

Im Geheimen pflegte er allerdings noch mehr Kontakte: Von 1994 bis 2001 war er als V-Mann „Otto“ Informant des Thüringer Verfassungsschutzes, bis er enttarnt wurde. Viele Prozesbeobachter hoffen daher, dass Brandt auch Informationen zur dubiosen Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex liefern kann.

Brandt war bereits im Februar nach München geladen gewesen, die Vernehmung fiel jedoch wegen eines Krankheitsfalls aus.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Das geistige Fundament der NSU-Morde? – Das Medienlog vom Montag, 14. Juli 2014

Eine rechtsextremistische Hetzschrift beschäftigt derzeit die Beteiligten im NSU-Prozess: Nebenklageanwälte haben beantragt, zwei Ausgaben einer Zeitschrift als Beweismittel einzuführen, die der Mitangeklagte André E. und sein Bruder Maik verfasst haben. Das Machwerk mit dem Titel The Aryan Law And Order war der Rundbrief einer Skinhead-Gruppe, die die beiden Brüder gegründet hatten, berichtet dpa-Autor Christoph Lemmer.

Demnach entstanden die Texte bei oder nach Treffen in Chemnitz, an denen auch die mutmaßlichen NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt teilnahmen. Die Opferanwälte wollen mit Vorlage der Zeitschrift beweisen, dass die Brüder halfen, „das geistige Fundament für die Serie der zehn NSU-Morde zu legen“.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 15. Juli 2014.

 

Zeuge klopft radikale Sprüche – Das Medienlog vom Freitag, 11. Juli 2014

Am Donnerstag besuchte die Vizepräsidentin des Bundestags, Claudia Roth, den NSU-Prozess – und hörte die radikalen Äußerungen des Zeugen Thomas G. aus Thüringen. Der Neonazi streitet ab, die NSU-Gruppe gekannt zu haben. Über seine angebliche Mitgliedschaft in der militanten Kameradschaft Hammerskins wollte er sich wie bei seinem ersten Gerichtstermin trotz Androhung eines Ordnungsgeldes nicht äußern. Stattdessen habe er die Vernehmung „als Plattform für übelste rassistische Propaganda missbraucht“, resümiert Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.

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Ein Nazi sieht sich als Märtyrer

Immer wieder haben mögliche NSU-Unterstützer im Prozess ihr Wissen verschleiert – zum Ärger von Opfervertretern. Der Thüringer Neonazi Thomas G. könnte nun erstmals für sein Schweigen bestraft werden.

Gleich zu Beginn seines zweiten Gerichtstermins kann Thomas G. noch mal jeden Zweifel über seine Gesinnung ausräumen. Richter Manfred Götzl fragt den Mann im Kapuzenpulli einer rechten Szenemarke, was er mit dem Begriff Volkstod verbindet. „Nationale Kreise verbinden damit, dass das deutsche Volk an Substanz ausstirbt, durch die niedrige Geburtenrate und den Zuzug von Ausländern“, setzt der Zeuge an.

Als dann noch das Wort „Ausländerrückführung“ fällt, stöhnt eine Frau auf den Zuschauerrängen: „Um Gottes Willen.“ Es ist Claudia Roth, die Vizepräsidentin des Bundestags, die als Zuschauerin den Prozesstag verfolgt. Kurz zuvor hatte sie in einer Pause vor Journalisten gesagt, man müsse den Migranten in Deutschland „das Gefühl geben, dass Deutschland ihre Heimat ist, in der sie sicher und ohne Angst leben können“.

Ein kühner Wunsch, solange Menschen wie Thomas G. ihre Hassgedanken verbreiten. Der 35-Jährige war bereits Anfang des Monats in den Zeugenstand getreten, weil er einer der am besten vernetzten Neonazis in Thüringen ist. Er gilt als Anführer und Gründer mehrerer radikaler Organisationen, aktiv gewesen sein soll er auch im Thüringer Heimatschutz. Dort trieben sich auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt herum, zudem der Mitangeklagte Ralf Wohlleben. G. bestritt allerdings, mit dem NSU-Trio Kontakt gehabt zu haben. Er will nur Ralf Wohlleben gekannt haben.

Von der Aussage rückt der Zeuge auch diesmal nicht ab. Überhaupt ist er alles andere als gesprächig, wenn es nicht um seine extreme Ideologie geht. Andere hatten mehr zu erzählen: „Es ging darum, das Volk zu überzeugen, dass unser System scheiße ist“ – so skizzierte seine frühere Freundin Mandy S. seinen Kampf gegen den Staat. G. kümmerte sich demnach um viele Veranstaltungen der Szene „und seine Hammerskins. Die gingen ihm über alles“.

Die Hammerskins sind eine Gruppe, auf deren Mitgliedschaft G. offenbar überaus stolz ist: eine Elitetruppe unter den Rechten, ursprünglich in den USA gegründet, mit langer Probezeit für Neulinge und strengen Regeln. Zum Beispiel zur Geheimhaltung. Schon in der ersten Vernehmung hatte sich G. geweigert, Richter Götzls Frage zu beantworten, ob er der Gruppe angehöre. Götzl drohte daraufhin mit einem Ordnungsgeld, die Befragung wurde abgebrochen.

Nun stellt Götzl erneut die Frage nach den Hammerskins. Es ist eine wichtige Frage. Denn es geht um die Autorität des Strafsenats. Monatelang sagten im NSU-Prozess mögliche Unterstützer des Terroristentrios aus, die sich mehr oder weniger raffiniert in Schweigen hüllten. Etliche sagten immer wieder, sie könnten sich an nichts erinnern. Viele Prozessbeteiligte, vor allem die Opferanwälte, regten sich darüber auf. Sie forderten härtere Maßnahmen gegen redefaule Zeugen. Doch alle kamen sie vor Götzl davon.

Damit könnte es jetzt ein Ende haben, G. droht ein Ordnungsgeld. Im Extremfall könnte er sogar in Ordnungshaft genommen werden. Käme G. mit einer unverhohlenen Aussageverweigerung durch, könnte der Senat keine Zeugenvernehmung mehr souverän führen. „Kennen Sie ein Logo der Hammerskins?“ fragt Götzl. „Wie ich gesagt habe – ich werde zu der Thematik nichts sagen“, antwortet G.

Und es bleibt nicht bei einem Thema, das der Zeuge gerne ausklammern würde: Götzl fragt, wer mit ihm in seiner Heimat Altenburg Demonstrationen organisierte. „Sie wollen, dass ich die Namen nenne von Leuten, die damals aktiv waren? Das mache ich nicht“, konstatiert G. Als Grund dafür gibt er an, die Nebenklageanwälte würden Namen von Neonazis an Mitglieder der Antifa weitergeben. Diese würden die Genannten dann „aggressiv behandeln“ und am Arbeitsplatz drangsalieren.

Götzl braucht erkennbar seine Geduld auf: „Das ist ein weiterer Komplex, zu dem sie nichts sagen wollen.“ G. gibt scheinbar verständnisvoll zurück: „Ich sehe den Konflikt zwischen der Autorität des Gerichts, also Ihnen, und mir.“ An seiner Haltung ändere das aber nichts: „Auch wenn ich eine Strafe dafür bekomme, ich kann’s nicht.“ Die Identität von anderen zu enthüllen, das könne er mit seinem „Wertegefühl“ nicht vereinbaren. Daheim in Altenburg dürften ihm die Kameraden für seine Haltung auf die Schulter klopfen.

G. stellt sich dar als Märtyrer, bedrängt vom Justizsystem und Repressalien gegen einen national eingestellten Kämpfer wie ihn. Noch deutlicher wird das, als Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer ihm einen Beitrag vorhält, den er direkt nach seiner ersten Vernehmung auf Twitter geschrieben hat: „Die Tafelrunde ist entehrt, wenn ein Falscher ihr angehört“, das Zitat eines Ritters. Scharmer fragt, ob G. damit auf seine unnachgiebige Haltung zur Hammerskin-Frage angespielt habe. „Sie können das so verstehen, dass ich mein Verhalten hier als ritterlich empfinde“, sagt der Zeuge.

Andere Fragen des Anwalts will er nicht beantworten. Das Ordnungsgeld ist praktisch unausweichlich. Doch ganz so einfach ist es nicht: Olaf Klemke, der Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, kommt G. zur Hilfe. Er hat recherchiert, dass die Dresdner Staatsanwaltschaft 2003 ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitglieder der Hammerskins begonnen hatte, offenbar auch gegen G. Sollte das Verfahren noch laufen, könnte G. straffrei zur Frage nach seiner Mitgliedschaft schweigen, weil er sich nicht selbst belasten muss. G. sagt, er wisse nicht, ob das Verfahren bereits eingestellt wurde – auch wenn alles andere nach elf Jahren höchst ungewöhnlich wäre.

Die Bundesanwaltschaft lässt das Verfahren von den Kollegen in Dresden recherchieren. Götzl unterbricht derweil die Verhandlung. G. muss in zwei Wochen wiederkommen. Dann dürfte er der erste Zeuge im Prozess sein, für den sein Schweigen ernsthafte Folgen hat.

 

Uwe Böhnhardts verständnisvoller Bruder – Das Medienlog vom Donnerstag, 10. Juli 2014

Zwei wichtige Zeugen sind am Mittwoch vor dem Münchner Landgericht aufgetreten: Der mutmaßliche NSU-Unterstützer Matthias D., der unter seinem Namen Wohnungen für die untergetauchten Rechtsextremisten gemietet hatte, und Jan Böhnhardt, der Bruder des toten NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt.

Die meisten Medien stellen in ihren Berichten Böhnhardts anfangs schmallippige Aussage in den Vordergrund, in der er auch über die Ansichten seines Bruders sprach. Er habe das Leben von Uwe so geschildert, „wie es klischeehafter für ein Abdriften in die rechte Szene nicht sein könnte“, schreibt Karin Truscheit in der FAZ. Als „irregeleitet und perspektivlos“ habe er ihn beschrieben, wie zuvor schon die Mutter der beiden.

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126. Prozesstag – Thomas G. erneut als Zeuge geladen

Zum zweiten Mal muss der Thüringer Neonazi-Anführer Thomas G. am Donnerstag aussagen. Der Zeuge hatte bereits am 1. Juli ausgesagt, dabei aber wenig Angaben gemacht. Als sich G. weigerte, über seine Verbindungen zu der rechtsextremen Gruppe Hammerskins zu sprechen, drohte ihm Richter Manfred Götzl mit einem Ordnungsgeld. Ob das verhängt wird, entscheidet sich heute.

Zudem sind die Aussagen von zwei Ermittlern des Bundeskriminalamts und einem Kommissar des sächsischen Landeskriminalamts geplant. Zwei von ihnen äußern sich zu Gesprächen, die sie mit Uwe Mundlos‘ Vater Siegfried vor dessen Aussage geführt hatten. Ein weiterer Beamter trägt Erkenntnisse zu den Überfällen vor, mit denen das NSU-Trio seinen Lebensunterhalt bestritten haben soll.

Ursprünglich war auch die Großmutter von Beate Zschäpe, Annerose A., geladen. Wie das Oberlandesgericht mitteilte, erkrankte A. jedoch und wird nicht erscheinen. Da sie angekündigt hatte, als Angehörige die Aussage zu verweigern, wird die 90-Jährige auch nicht erneut nach München beordert.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Naives Opfer oder williger Helfer der Terroristen?

Mindestens acht Zeugen aus dem NSU-Prozess dürften nach dem Urteil in München selbst juristischen Ärger bekommen. So viele Ermittlungsverfahren führt der Generalbundesanwalt gegen mutmaßliche Unterstützer der Terrorgruppe. Einer davon ist Matthias D. Der 38-Jährige ist eine plumpe Erscheinung mit Stiernacken. Doch D. sollte nicht unterschätzt werden. Die Behörden identifizierten ihn als engagierten Rechtsradikalen, als Anführer der Brigade Ost, einer Nazi-Kameradschaft in seiner Heimat im Erzgebirge.

Als Zeuge ist er jedoch nach München geladen, weil er der Zwickauer Gruppe zur Tarnung seine Identität geliehen haben soll. Sein Name stand an Tür und Briefkasten der letzten Wohnung der drei. Wegen der laufenden Ermittlungen darf D. die Aussage verweigern – und beruft sich prompt auf sein Recht. Nach drei Minuten ist der Auftritt vorbei. Wie viele andere mutmaßliche Unterstützer schweigt D. zwar vor Gericht, hatte aber eine Aussage bei der Polizei gemacht. Direkt im Anschluss sagt deshalb der Beamte des Zwickauer Präsidiums aus, der den Zeugen vernommen hatte.

D. kam damals mit einem Anwalt zur Befragung, gerade zwei Tage nach dem Ende des NSU im November 2011. Die Faktenlage war noch dünn und die Ermittler weitgehend ahnungslos. In ihren Augen war der Zeuge durch unglückliche Umstände in die Sache hineingeraten. Die Bundesanwaltschaft, die später die Ermittlungen an sich zog, sah das anders: Anfang Dezember 2011 erreichte sie, dass D. für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft genommen wurde.

Max, Gerri und Liese

„Ich habe ihn als etwas naiv eingeschätzt“, beschreibt der Polizist Volker F. seinen Eindruck. So hatte sich D. jedenfalls dargestellt: Er arbeitete als Fernfahrer und lebte im Erzgebirge. Weil er jedoch häufig von Zwickau aus fuhr, suchte er dort ein Zimmer für gelegentliche Übernachtungen. Die Lösung bot ihm sein Kumpel André E. an, der heute neben Beate Zschäpe auf der Anklagebank sitzt: Ein Freund suchte im Jahr 2001 eine Wohnung, bekam aber keine, weil er Schulden und eine negative Kreditauskunft hatte. D. sollte einen Mietvertrag unterschreiben und den Freund offiziell als Untermieter aufnehmen. Dieser sollte dann in der Wohnung leben und D. ab und zu dort schlafen lassen.

D. willigte ein. Auf dem Vertrag für den Untermieter stand der Name Max-Florian B. Dahinter verbarg sich allerdings Uwe Mundlos. Und er zog nicht allein in die Wohnung: Mit ihm lebten ein gewisser Gerri und eine Liese – Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. D. hielt die beiden für ein Paar. Vor manchen Touren kam der Hauptmieter dann für eine Nacht in die Wohnung, dafür gab er Mundlos 50 bis 70 Euro im Monat. Der zahlte die Miete an den Vermieter.

Sollte die Version stimmen, wäre D. ein Zufallshelfer des NSU, ein Opfer der trickreichen Verschleierung, die sich die Drei ausgedacht hatte. Mit seinem Namen im Mietvertrag konnten die vor der Polizei geflüchteten Rechtsextremen ungestört in einer normalen Nachbarschaft leben. Doch es gibt Indizien, die gegen eine Rolle von D. als naivem Helfer sprechen.

Anrufe nur aus der Telefonzelle

Im Herbst 2008 zogen Max, Gerri und Liese in die Frühlingsstraße 26 in Zwickau – die letzte Wohnung. Wieder unterschrieb D. im Austausch für ein Zimmer den Vertrag. In dem Haus war ausschließlich der Name von D. am Briefkasten und dem Klingelschild angebracht. Ob ihn das nicht gewundert habe, fragte ihn Polizist F. Darauf entgegnete D., Max-Florian B. habe ihm gesagt, er wolle wegen seiner Schulden Ruhe zu Hause haben. Damit habe er sich zufriedengegeben.

Es ist nicht die einzige Merkwürdigkeit: D. hatte keine Telefonnummer seiner Untermieter. Wenn sie etwas von ihm wollten, riefen sie ihn aus einer Telefonzelle an. Vom Mietvertrag bekam er kein Exemplar, das habe B. gleich wieder mitgenommen. Einmal im Jahr gab es zudem eine Rückzahlung überschüssiger Betriebskostenvorschüsse vom Vermieter aufs Konto von D. Das Geld hob er ab und gab es B. in bar – obwohl die Untermieter die Miete per Überweisung an den Hauseigentümer zahlten. Dafür nutzten sie allerdings ein Konto, das auf einen weiteren Tarnnamen lief.

Über so viel Geheimniskrämerei hätten sich normale Mieter gewundert. Nicht so Matthias D. Die Marotten seiner Untermieter akzeptierte er, ohne Verdacht zu schöpfen. Vielleicht, weil er wusste, was die drei im Schilde führten.

Keine Springerstiefel in der Wohnung

Am Nachmittag tritt Jan Böhnhardt in den Zeugenstand, der große Bruder von Uwe Böhnhardt. Der 44-Jährige arbeitet als Kraftfahrer und hat eine Tochter. Im Gegensatz zu seinem acht Jahre jüngeren Bruder kam er mit der rechten Szene nicht in Kontakt. Er habe sich gewünscht, Uwe würde den Absprung schaffen, erzählt er: „In meiner Wohnung durfte er keine Springerstiefel anziehen.“ In die Szene sei er geraten, weil er sich allein gefühlt habe und bei etwas dabei sein wollte – „das war damals Kult“.

Im Januar 1998 ging Uwe Böhnhardt mit Mundlos und Zschäpe in den Untergrund. Er sei „irgendwann ausgerissen“, beschreibt Jan Böhnhardt die Flucht des Bruders. Kontakt hatte er nie wieder mit Uwe, während die Eltern der beiden alle Drei noch dreimal in einem Chemnitzer Park trafen. „Sie wollten mich da nicht mit reinziehen“, sagt Böhnhardt.

 

Szeneanwalt fordert das Gericht heraus – Das Medienlog vom Mittwoch, 9. Juli 2014

Für einen bestens vernetzten Szeneanwalt hatte Thomas Jauch aus Sachsen-Anhalt erstaunlich wenig zu sagen: Der Zeuge, der am 124. Verhandlungstag im Prozess auftrat, soll die NSU-Terroristen und zahlreiche andere Rechtsextreme aus Thüringen beraten haben. Doch der Anwalt berief sich immer wieder auf sein Recht zur Aussageverweigerung – und sorgte damit für eine quälend zähe Vernehmung.

„Ein ums andere Mal versucht Richter Manfred Götzl, den Panzer aus Abwehrfloskeln und angeblichen Erinnerungslücken zu knacken“, beschreibt Per Hinrichs von der Welt die Sitzung. Jauch gab nur das Nötigste von sich – so „reiht er sich in den Kreis der Zeugen aus dem rechten Spektrum ein, die den Prozess bislang kaum vorangebracht haben“.

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125. Prozesstag – Aliasgeber Matthias D. und Böhnhardts Bruder

Für das untergetauchte NSU-Trio war Matthias D. ein unschätzbarer Helfer: Er lieh den dreien seine Identität, mit der sie unerkannt ein bürgerliches Leben führen konnten. Auf seinen Namen mieteten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mehrere Wohnungen, auch bei der letzten Unterkunft in der Zwickauer Frühlingsstraße stand sein Name auf dem Klingelschild. Für die heikle Aufgabe hatte ihn offenbar der Mitangeklagte André E. gewonnen. Am Mittwoch ist D. als Zeuge geladen.

Weil gegen ihn ein Ermittlungsverfahren läuft, wird er sehr wahrscheinlich die Aussage verweigern – anders als bei der Polizei: Im Anschluss ist ein Beamter geladen, der D. nach Auffliegen des NSU im November 2011 vernommen hatte.

Zuletzt tritt als Zeuge Jan Böhnhardt auf, Bruder des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt. Von ihm werden Erkenntnisse zum Werdegang des Rechtsextremisten erwartet. Jan Böhnhardt hat mittlerweile selbst eine Familie gegründet, er hatte den Erkenntnissen zufolge nie Kontakte ins rechte Milieu.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Ein Anwalt im Netzwerk der Rechten

Der Anwalt Thomas Jauch soll Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach ihrer Flucht beraten haben. Vor Gericht mauert er – doch Unterstützern des Trios ging er offenbar fleißig zur Hand.

Wer in Mitteldeutschland lebt und sich zur rechtsextremen Szene bekennt, der stolpert früher oder später über den Namen Thomas Jauch. Denn viele, die sich für die sogenannte nationale Sache einsetzen, kommen früher oder später mit dem Gesetz in Konflikt – und können sich darauf verlassen, in Jauch einen Anwalt zu finden, der die Verteidigung eines Rechtsradikalen nicht aus Gewissensgründen ablehnt.

Jauch tritt beruflich regelmäßig vor Gericht auf. Am 124. Verhandlungstag des NSU-Prozesses nimmt er hingegen als Zeuge Platz. Der 54-Jährige ist ein drahtiger Mann mit grimmigem Gesichtsausdruck. Vor sich auf den Tisch legt er ein Buch mit dem Titel „Gesamtes Strafrecht“. Er betreibt seine Kanzlei im sachsen-anhaltinischen Weißenfels. Man kann nur darüber rätseln, wie viele rechts eingestellte Kameraden dort schon ein- und ausgegangen sind. Fest steht allerdings: Etliche von ihnen hatten Kontakte zum Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Und mindestens einmal waren die drei auch selbst dort.

Gericht und Nebenkläger wüssten gerne mehr über ein solches Gespräch. Das Problem ist nur, dass Jauch sich als Anwalt auf den Paragrafen 53 der Strafprozessordnung berufen kann, der ihm ein Schweigerecht über seine beruflichen Kontakte einräumt. Und dass er auch klug genug ist, den Paragrafen zu nutzen.

Beantragt hatte Jauchs Ladung der Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer. Dass es das Treffen von Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos mit Jauch gab, ist unumstritten: 1998, als die drei nach einem Bombenfund in einer Garage untergetaucht waren, wandten sie sich an den Szeneverteidiger. Dabei sollen 800 Mark Vorschuss gezahlt worden sein. Beate Zschäpe, vermerkte Jauch in einem Schreiben an die Polizei, sei bereit, zu den Vorwürfen auszusagen, wenn der Anwalt zuvor Akteneinsicht erhalte.

Vor Gericht gibt es am Dienstag keine neuen Informationen. „Die Angeklagte und die Verstorbenen waren nur einmal bei mir. Sonst hatte ich keinen Kontakt“, sagt Jauch, als ihn Richter Manfred Götzl befragt. Was damals besprochen wurde – Anwaltsgeheimnis. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl geht schon diese dürre Äußerung zu weit: Den Zeugen überhaupt danach zu Fragen sei „eine Anstiftung zum Verrat von Privatgeheimnissen“. Tatsächlich lässt die Aussage zumindest eine Schlussfolgerung zu: Wenn das Treffen Jauchs Recht auf Geheimhaltung unterlag, dürfte er das Trio beraten haben. Und wenn Zschäpe wirklich zur Aussage bereit war, wollte sie womöglich aus der Gruppe aussteigen, bevor es zum ersten Mord kam. Doch letzteres ist nur eine Vermutung.

Für seine Unwilligkeit zu reden bekommt Szeneanwalt Jauch Rückendeckung von den Verteidigern Zschäpes und des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Immer wieder verfällt die Verhandlung in ein geduldszehrendes Spiel, in dem die Rechtsbeistände eine Frage beanstanden, schließlich einen offiziellen Beschluss aller Richter verlangen und am Ende unterliegen. Gerade den Nebenklägern wollen sie es nicht leicht machen.

Dennoch entfaltet sich nach und nach das rechtsextreme Netzwerk, das Jauch besonders in Thüringen zu nutzen wusste. Belegt ist, dass darin auch die Mitangeklagten Carsten S. und Holger G. eine Rolle spielten: An G. schickte Jauch einmal einen Scheck mit einer Gebührenrückzahlung. Wahrscheinlich hatte er das Geld für seinen Kumpel André K. vorgestreckt, ein Zeuge, der schon mehrmals im Prozess aussagen musste. Carsten S. hatte Jauch im Jahr 2002 zweimal Geld überwiesen. Wofür, daran kann sich der Anwalt angeblich nicht mehr erinnern.

Doch die Unterstützung für die Kameraden ging möglicherweise über juristische Dienstleistungen hinaus, wie Nebenklagebeistand Scharmer in seiner Befragung herausschält. So soll Jauch in den Jahren um die Jahrtausendwende ein Grundstück in seinem Heimatort Lützen an Gesinnungsgenossen vermietet haben, auf dem Rechtsrockkonzerte abgehalten wurden. Dabei sollen Spenden für das untergetauchte Trio gesammelt worden sein. „Das wird von manchen behauptet. Ich war nicht zugegen“, entgegnet der Zeuge.

Auch soll er Bewohner einer Art Nazi-WG in Jena unterstützt haben, in der der Mitangeklagte Ralf Wohlleben zeitweise gewohnt hatte – das sogenannte Braune Haus. „Ist das ein Haus, das braun angestrichen ist?“, fragt Jauch und lässt es sich von Scharmer ganz genau erklären. „Es geht doch! Damit bin ich befasst“, patzt er schließlich.

„Warum sind Sie so gereizt? Wenn Sie meinen, dass Sie das Verfahren beurteilen können, hätte ich auch noch ein paar Fragen an Sie“, geht Götzl dazwischen. Er will nicht riskieren, dass der Hardliner mit Spitzfindigkeiten das Gericht vorführt.

Der Gescholtene sucht sich eine andere Gelegenheit zur Profilierung. Scharmer fragt ihn, ob er mit dem Verfassungsschutz oder dem Militärischen Abschirmdienst zusammengearbeitet habe. „Mir fehlte es an der erforderlichen Verschlagenheit und Verlogenheit“, gibt Jauch zurück. Zumindest aus seiner Gesinnung macht er kein Geheimnis.