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Pop hoch 10?

Auf ihrem neuen Album wirbeln Franz Ferdinand durch die Nacht. Doch unser Autor ist unschlüssig: Wiegen fünf grandiose Lieder mehr als sieben enervierende?

Das kann doch kein Zufall sein: Im Jahr 1914 wurde der Großherzog Franz Ferdinand in Sarajevo ermordet – kurz darauf erklärte die österreichisch-ungarische Monarchie, unterstützt vom Deutschen Reich, Serbien den Krieg. Im selben Jahr begann der irische Schriftsteller James Joyce sein monumentales Werk Ulysses. Erste Auszüge erschienen im Jahr 1918 in den USA, da endete der durch Herrn Ferdinands Tod ausgelöste Weltkrieg.

Ulysses heißt nun auch die furiose neue Single der schottischen Band Franz Ferdinand. Und die überlassen seit jeher nichts dem Zufall. Ihre Texte stecken voller Anspielungen, die Ästhetik ihres Auftritts ist stimmig und ihre Plattenhüllen folgen hübschen Konzepten. Vom abstrakten Farbenspiel der ersten beiden Alben sind sie nun bei der Crime Scene Photography gelandet. Vor den düsteren Szenerien wirkt der orange-weiße Schriftzug auf dem Album ganz besonders gut: Tonight: Franz Ferdinand.

James Joyce lässt seinen Leopold Bloom einen Tag lang durch Dublin wandern, Franz Ferdinand besingen die Nacht. Es ist ein Leichtes, sich die zwölf Lieder zu einer emotionalen Odyssee zwischen Mitternacht und Kater zurechtzulegen: Der späte Aufbruch – Komm‘, Lexxo, lass uns etwas erleben –, die Eine meldet sich nicht, die Andere lässt sich küssen. Lexxo klagt: „You girls never know how you make a boy feel!“ Und sie: „No, you dirty boys’ll never care how the girl feels.“ Um halb drei in der Früh steht es Unentschieden.

Er bettelt, sie möge doch ihren Lover nach Hause schicken und schreibt sich ihren Namen auf die Hand. Als er später in einer Ecke des Clubs erwacht steht der spiegelverkehrt auf seiner Wange. Um kurz nach fünf sind sie schließlich doch daheim bei Lexxo gelandet, es wird wild. Dem postkoitalen Hadern folgt ein lichter Traum: Istanbul, Addis, die Scheibenwelt Narnia, „Uh, huh, yeah“. Der Kater schlägt brutal zu, sie ist gegangen und stolziert doch durch seinen Tagtraum. Katherine hieß sie, soviel ist Lexxo schließlich noch zu entlocken.

Ist Tonight: Franz Ferdinand also ein Konzeptalbum? Musikalisch sicher, schon die beiden früheren Alben der Band trugen ja ein jeweils maßgeschneidertes Klangkostüm. Ein bisschen lauter und verspielter als zuvor lassen sie hier nun mittels ihrer Instrumente dieses wohlbekannte Getier aus Funk und Dub, Rock und Disco erwachsen. Und der Sänger Alex Kapranos lässt sein Stimmchen hüpfen und kieksen, flüstert auch mal verschämt und füllt die Lücken mit viel „Lalalala, Uhoohoo, Iiihiiihiii“

Und Franz Ferdinand scheinen in Eile zu sein. Das Eröffnungsstück ihres ersten Albums, Jacqueline, nahm sich ganze 40 besinnliche Sekunden, bevor sich der seitdem nicht mehr verstummte Wuchtbass meldete. Ulysses hingegen fackelt nicht lange. Und auch das ist neu: Jedem der zwölf Stücke verpasst die Band eine andere Verzierung. Turn It On massiert ein bratzelnder Funk, No You Girls zerrt den Hörer in eine New Yorker Disko der Achtziger. Send Him Away ist ein Ausflug in den Hi-Life, Twilight Omens klingt nach dem Ska-Pop der Kaiser Chiefs.

Soweit, so grandios. Von da an nimmt die Nacht einen berechenbaren Fortgang: Um kurz nach fünf, auf Höhe von Bite Hard, schimmert ein Schema allzu deutlich durch: FF + x = Pop hoch 10. So grandios die erste Viertelstunde von Tonight: Franz Ferdinand klingt, so enervierend klingt der Rest. Mal ist die Gitarre drollig verzerrt, dann bluesig, später akustisch. Mal wuselt im Hintergrund der Gameboy, dann Abba und DJ Bobo. Und an Lucid Dreams ist einzig außergewöhnlich, dass es sich über acht uninspirierte Minuten schleppt. Am Ende, beim akustischen Katherine Kiss Me mag man gar nicht mehr richtig hinhören.

Was also tun? Ist Tonight: Franz Ferdinand nun zu empfehlen? Wiegen die fünf tollen Lieder die sieben weniger tollen auf? Der Autor kapituliert: Hören und entscheiden Sie selbst.

„Tonight“ von Franz Ferdinand ist als CD, Doppel-CD und Doppel-LP bei Domino Records/Indigo erschienen.

Mehr von Franz Ferdinand hören: Am 30. Januar dreht sich die Sendung Almost Famous auf ByteFM um das neue Album. Hier geht’s zum Programm »

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Brodeln im Matsch

The Shaky Hands vereinen auf „Lunglight“ das Beste aus drei Welten zu einem aufgeregten Vibrieren: Hier grüßen die Strokes, dort Vampire Weekend – und The Who stehen ja immer Pate, wenn irgendwo Gitarren erklingen

Wie lange ist es her, dass eine Rockband mit ihren Klängen die Welt erschütterte? Sieben Jahre? Im Sommer des Jahres 2001 drang der unerhörte Rock der Strokes aus einer Garage in New York City. Ihr Debüt Is This It beflügelte eine ganze Generation von Jungspunden, Bands zu gründen. Seitdem ist die Rockmusik nicht schlechter geworden, allein der schiere Überfluss des Hörbaren hat eine gewisse Abgeklärtheit gebracht. Selbst die von den Plattenfirmen vor jeder Neuveröffentlichung versprühte Euphorie erfasst heute niemanden mehr, das Vokabular des Sensationellen klingt längst schal. Eine frische Brise jagten vor exakt einem Jahr Vampire Weekend durch den Rock, pfiffig bedienten sie sich afrikanischer Rhythmik und charmanter Melodien – mal sehen, wie lange das im Gedächtnis bleibt. Noch ist es da.

Wohl auch bei vier jungen Männern aus Portland, Oregon: Beseelt von den lakonisch plaudernden Gitarren der Strokes und dem vertrackten Flirren von Vampire Weekend suhlen sich The Shaky Hands in einer von The Who angerührten Matschpfütze. Deren Mary Anne With The Shaky Hand stand nicht zuletzt bei der Namensgebung Pate – wie jede ordentliche Rockband wollen auch The Shaky Hands ein bisschen klingen wie die Urrocker aus England.

Lunglight ist das zweite Album der Band. Sie schütten das beste aus diesen drei Welten zu einem aufgeregten Vibrieren zusammen. Ein Brodeln ergießt sich in 13 Etappen aus den Lautsprechern, manchmal reißt es einen mit, manchmal überrollt es einen. Der Bass pumpt stetig auf der dicken Saite und fordert des Sängers unergründliches Schnarren heraus – das Scheppern des Schlagzeugs und die sägenden Gitarren sind diesem zu Dialog nur ein Hintergrundgeräusch, das ab und an erklingende Klavier ohnehin.

Und die Shaky Hands beherrschen das, wofür Oasis‘ letztes Album über den grünen Klee gelobt wurde: das Beharren auf kleinen, dröhnenden Motiven, gespielt in einer analogen Schleife. Oasis machten daraus ein ganzes Album und ließen sich für die Wiederentdeckung des Krautrocks feiern, auf Lunglight atmen allenfalls eine handvoll Lieder diesen Geist.

Hört man sich durch die vierzig Minuten des Albums, fallen einem noch ganz andere Namen ein … Genug der Referenzen? Einverstanden. Legen wir es der Band als künstlerische Selbständigkeit aus, die in unüberschaubaren Mengen verfügbaren Zeichen und Töne, Klänge und Bilder auf kluge Art angerichtet zu haben. Klingt heute nicht beinahe jede Rockband wie eine Mischung aus sieben anderen?

Erstaunlich eigentlich, dass sich die Karriere der Shaky Hands bislang weitaus holpriger anließ, als die aller genannten Vorbilder. Im Sommer erschien Lunglight in den USA, Anfang des Winters in Kontinentaleuropa, und erst in ein paar Wochen kommt es in England heraus. Einen großen Hit hatten sie noch nicht. We Are Young soll einer werden. Musikalisch ist das nachvollziehbar, lyrisch nicht unbedingt. Schließlich ist dieses Lied das beste Beispiel dafür, dass manche Texte der Shaky Hands kaum weniger blöd sind als die oft sinnfreien Ergüsse der Who.

Bei allem Diebstahl, aller Kopie, wissen die Shaky Hands offenbar doch sehr genau, was ihnen gehört. Eine Zeit lang schlugen sie sich mit einer Band aus Neuseeland herum, die den gleichen Namen trug. Letztere sollten in den USA unter anderem Titel auftreten, denn sie, die Shaky Hands aus Portland, seien schließlich zuerst da gewesen. Die Neuseeländer gaben schließlich auf und nennen sich nun Cut Off Your Hands.

„Lunglight“ von The Shaky Hands ist als CD und LP bei Cooperative/Universal erschienen.

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Schillernde Hülle

Die Lieder der Killers aus Las Vegas funkeln wie die Heimatstadt der Band. Ihr neues Album „Day & Age“ bietet Hochleistungsunterhaltung, die irgendwie allen gefällt

Als The Killers vor wenigen Wochen in der altehrwürdigen Royal Albert Hall auftraten, fand das eigentliche Ereignis hinter der Bühne statt: Die Band aus Las Vegas begrüßte hohen Besuch in der Garderobe. Sir Paul McCartney höchstselbst machte seine Aufwartung und sprach seine Bewunderung aus. Unter die schnöden Massen vor der Bühne hatte sich währenddessen ein anderer Prominenter gemischt: David Cameron, der Vorsitzende der Konservativen Partei.

Das Fazit dieses Ausflugs ins Königreich: Irgendwie können sich momentan alle auf die Killers einigen. Der Grund dafür heißt Day & Age, das dritte Album des Quartetts um den bekennenden Mormonen Brandon Flowers, eine unverfrorene Sammlung von Versatzstücken, mit denen man problemlos das nächstgelegene Stadion zum Toben bringt. So narzisstisch und ungebrochen von der eigenen Größe überzeugt, wagen es heutzutage nicht einmal mehr U2, die Monsterrock-Klischees aus dem Fundus zu kramen, oberflächlich zu entstauben und als letzten Schrei des Gegenwartsrocks zu präsentieren. In der Musik der Killers schwillt den Keyboards der synthetisch schillernde Kamm, ein ewiger Viervierteltakt stapft selbstbewusst daher, Saxofone tröten selbstverliebt, simple Electro-Rhythmen tuckern unschuldig ­ noch das schüchternste Melodiemauerblümchen wird so lange auffrisiert, bis es wirkt wie eine Hymne. Und wie es sich gehört, wird dieses Monstrum von Platte nicht von einem schlichten Song beschlossen, sondern von dem streicher- und bläsergetränkten Epos Goodnight, Travel Well, während dessen sieben Minuten man die Unendlichkeit zu schauen glaubt.

Diese zehn Songs glitzern und funkeln allesamt wie die Heimatstadt der Band, strahlend hell und aus vollster Überzeugung künstlich. Wie im Caesars Palace die römische Antike in Plastik und Pappmaschee wiederaufersteht, basteln sich die Killers eine Funk-Gitarre, stellen Steeldrums aus wie Sensationen in einem Vergnügungspark oder zitieren den Glamrock der Siebziger und die New Wave der Achtziger als bloße schillernde Hülle ­ohne störende Inhalte. Day & Age ist Hochleistungsentertainment, Vergnügen ohne Reue, Las Vegas in Topform. Ein blendend klingender kleinster gemeinsamer Nenner, auf den sich ein Ex-Beatle und der Chef der Tories verständigen können. Die Massen sowieso.

„Day & Age“ von The Killers ist als CD und LP bei Island/Universal erschienen.

Dieser Text ist entnommen aus dem Musik-Spezial in DIE ZEIT 2008/49.

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Ergebnisloses Gewurschtel

Fünfzehn Jahre lang haben Hardrock-Fans auf ein Album von Guns N’ Roses gewartet. Jetzt ist „Chinese Democracy“ da – und die Enttäuschung groß

„It was a long time for you / It was a long time for me / It’d be a long time for anyone / But it looks like it’s meant to be.“

Was Axl Rose in There Was A Time singt, dem besten Stück der neuen Platte Chinese Democracy, trifft den Nagel auf den Kopf. Immerhin sind seit Guns N‘ Roses‘ letzter Studioproduktion 15 Jahre vergangen.

Das Album, das nun endlich herausgekommen ist, hat mit den Klassikern von einst allerdings so viel gemein wie ein neonbeleuchtetes Multiplexkino mit einem gediegenen Lichtspielhaus. Das große Ganze zerfällt in zahlreiche Einzelschauplätze, deren Lieblosigkeit durch reichlich Glitzer und ein hochgezüchtetes Soundsystem kaschiert werden soll. Hier läuft Guns N‘ Roses? Zumindest steht es draußen angeschlagen.

Dieser Bandname ist ebenso paradox wie der Albumtitel. Schon Ende der Neunziger hatte der Sänger Axl Rose alle Bandmitglieder bis auf den Keyboarder Dizzy Reed vergrault und frei nach dem Motto „weltberühmte Rockband sucht zwei Gitarristen, einen Bassisten und einen Schlagzeuger“ eine wechselhafte Söldnerband zusammengestellt.

Besonders schmerzhaft waren die Abgänge des Liedschreibers Izzy Stradlin und des Sologitarristen Slash. Symptomatisch, dass das Gitarrengenie – Markenzeichen Zylinder – durch einen Künstler mit weit profanerer Kopfbedeckung abgelöst wurde: Buckethead, der stets einen umgedrehten Pappeimer der Fastfoodkette Kentucky Fried Chicken auf dem Kopf trägt, die Band mittlerweile aber auch schon wieder verlassen hat. Slash & Co spielen unter dem Namen Velvet Revolver weiterhin Rock’n’Roll, Guns N‘ Roses jetzt Industrial Rock.

Entsprechend klingt das Album, als ob ständig die Boxen übersteuerten. Unter Tommy Stinsons Bass wummert noch ein tieferer, Schlagzeug und Drumcomputer überlagern sich, Keyboards wabern, Crunch-Gitarren hämmern, dieweil verzerrte Sologitarren den Kontrapunkt zum vervielfältigten Gesang jaulen. Dazu Introduktionen von Orchester und Chor sowie jede Menge Raumklangeffekte – hoffnungslos überproduziert, das Ganze. Ein Blick ins Beiheft der CD verdeutlicht die Ausmaße dieser Materialschlacht: Oft kommen fünf Gitarristen zum Einsatz. In 14 verschiedenen Tonstudios wurden die Regler geschoben. Und, das steht nicht im Booklet, durchschnittlich hat jedes der 14 Stücke eine Million Dollar Produktionskosten verschlungen.

Der Titel Chinese Democracy, bereits 1999 angekündigt, wurde unter Eingeweihten zu einem Synonym für end- und ergebnisloses Gewurschtel. Treffender kann man den Tonspurensalat, der nun herausgekommen ist, nicht beschreiben. Guns N‘ Roses kombinieren Industrial, Hardrock, HipHop, Funk, Grunge, Nu und Heavy Metal, Soul, als wollten sie sämtliche Trends integrieren, die sie seit den grandiosen Zeiten von Use Your Illusion verpasst haben. So zerfallen die meisten Lieder in stilistischer Unschlüssigkeit, wirken wie am Computer zusammengeklebte Stilschnipsel.

Das einzig Gunsnrosige, der rote Faden dieses aufgeblähten Monsteralbums ist die Stimme von Axl Rose. „I am unstoppable“ krakeelt er in Scraped. Auf sein unnachahmliches Krähen verzichtet er jedoch oft zugunsten eines entspannteren Gesangsstils.

Ob das reicht, um diese Schein-statt-Sein-Platte zu retten, darf bezweifelt werden. Das Fazit des Albums singt Rose schon im Titelstück Chinese Democracy: „It don’t really matter / Gonna find out for yourself / No it don’t really matter / Gonna leave this thing to somebody else.“

„Chinese Democracy“ von Guns N‘ Roses ist als CD und Doppel-LP bei Geffen/Universal erschienen.

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Prügeln, Trinken, Onanieren

Vier junge Mädchen aus Hessen nennen sich Fräulein Wunder und machen knallbunten Pop für ihre Altersgruppe. Grauen und Hoffen liegen da dicht beieinander

„Wenn ich ein Junge wär’… / Da hätt‘ ich nix vermisst / Weil es viel besser ist / Weil ich’s viel geiler find / Dass ich ein Mädchen bin“, singt Chanty von der Mädchenband Fräulein Wunder. Na klar, sonst müsste sie ja auch auf ihre „pinken Schockklamotten“ und die „tollen Brüste“ verzichten. Fräulein Wunder sind vier Schülerinnen aus der hessischen Provinz, Wenn ich ein Junge wär ihr frecher erster Hit. Im Musikvideo treten sie als Jungs verkleidet auf und persiflieren deren mutmaßliche Hauptbeschäftigungen: Prügeln, Trinken, Angeben und Onanieren.

Chanty, Steffy, Pia und Kerstin sind zwischen 17 und 18 Jahren alt und tragen den selben Künstlernachnamen: Wunder. Auf der Hülle ihres Debütalbums hüpfen sie durch ein puppiges Wunderland. Ein passendes Bild, schließlich haben Wunderländer zwei Seiten, Grauen und Hoffen liegen dicht beieinander. Das ist bei ihrem Album nicht anders. Manchmal schaltet man sofort entsetzt weiter, manchmal tanzt man erfreut mit.

Sie singen davon, wie die Queen zu regieren und toller als Dornröschen zu sein, verrückte Dinge zu tun und – natürlich – von der Liebe. Die Stimme der Sängerin changiert zwischen Göre und glockenklarem Gesang, dazwischen kiekst sie und schlägt Purzelbäume. In manchen Liedern – etwa Ich schenk mir die Welt und Jeden Tag – erinnern Fräulein Wunder an die Neonbabies, an Ideal und Nena. Die meisten anderen sind hingegen nur schwer zu ertragen, dann erklingt schmalzige Massenware der Sorte Juli oder Silbermond. Kein Wunder, schließlich hat Simon Triebel von Juli bei der Aufnahme geholfen, ebenso wie Inga Humpe von 2raumwohnung. Produziert wurde das Album von Uwe Fahrenkrog-Petersen, dem ehemaligen Klangtüftler von Nena.

Um die Band vor der Albumveröffentlichung bekannt zu machen gab es beim Sender Viva mehrere Wochen lang kurze Filme über Fräulein Wunder zu sehen. Wer sich alle Folgen ansieht, der zweifelt nicht am Ehrgeiz und am Talent der vier Mädchen, doch ein bisschen an ihrem Verstand. Ihr Gekreische ist künstlich, ihr Geplapper hohl. Alles ist „geil“, „voll krass“ oder „cool“: Die Abendgarderobe, eine auf Chantys Handgelenk tätowierte Schleife, Steffys Probleme mit ihrem Freund, der Auftritt der Band beim Rock am Ring.

Soll man nun verzweifeln und die Mädchen als Plastikprodukt einer großen Plattenfirma verspotten? Nein, denn man kann immerhin hoffen, dass sie künftig weitere dieser rotzfrechen Texte zu ihren schnellen Takten sprudeln lassen. Gleich ob gewollt oder ungewollt, Fräulein Wunder treten als selbstbewusste junge Frauen auf. Sollte das andere Mädchen animieren, selbst eine Band zu gründen, wäre das doch ein Erfolg.

Das Debütalbum von Fräulein Wunder ist als CD bei Vertigo/Universal erschienen.

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TR/snthsnd.98 hat Herzschmerz

„Intimacy“ nennen Bloc Party ihr drittes Album. Doch von wegen Kuschelrock: Brachial wälzt sich ein elektronisches Klangmonster aus den Lautsprechern. Viele Fans dürften sich die Ohren reiben

Der Virenscanner schlägt stillen Alarm, ein kleines Fenster blinkt mich an. „Im Verzeichnis /Eigene Musik/IndieRock/BlocParty/Intimacy ist das trojanische Pferd TR/snthsnd.98 enthalten. Quarantäne, Ignorieren oder Löschen?“

Dabei sah alles so gut aus. Die englische Band Bloc Party gibt im Jahr 2008 kein einziges Interview, reist um die Welt und stellt im August mal eben ihr neues Album für siebeneinhalb Britische Pfund ins Netz. Erstmal keine CD, keine Platte, kein Vertrieb, nur Daten. So funktioniert die moderne Musikwelt, ist das noch eine Erwähnung wert?

„Sind das noch Bloc Party?“, fragte man sich schon angesichts der Vorabsingle Mercury im Sommer. Da dröhnen die Bläser wie bei James Bond neben elektronischem Hack, das Stück hat keinen richtigen Refrain und ist weit entfernt von den ursprünglichen Klängen der Band. Weniger Rock, mehr Elektronik, das ist nicht ohne Risiko in einem Geschäft, das zum großen Teil von Konzerteinnahmen lebt.

Der Virenscanner wartet auf eine Entscheidung. Kurzes Nachsehen im Netz bestätigt: Der Download ist in Ordnung, die Kategorisierung macht Probleme. Bleibt nur, die heuristische Erkennung auszuschalten und sich selbst ein Bild zu machen. Also, „Ignorieren“ und los:

„I want to declare a war“ brüllt Ares, der Gott des Blutbads. Kurz blitzt die Unsicherheit wieder auf: Wenn doch was kaputt geht? Moment, darum geht es ja, um die Rohheit der Straße, ums Kämpfen. Dizzee Rascal könnte da noch mehr erzählen, aber der rappt woanders. Gegen Ende hält der Sänger Kele Okereke kurz Inne und wundert sich, dass die nasebrechenden Hände mit ihren Berührungen auch Wunder bewirken könnten. Drum heißt das Album wohl Intimacy.

Intimacy? Die Platte ist kein Kuschelrock, soviel ist schnell klar. Brachial und ausproduziert wälzt sich ein Klangmonster aus den Lautsprechern. Bei Biko blickt es über den Fluss Styx – und stellt fest, dass die Welt nicht nett ist zu den kleinen Dingen. Hier singt Okereke, dass man nicht allein sei, dort wünscht er sich zurück in eine gute Zeit. Am Ende ist alles Trugschluss, ein leeres trojanisches Pferd. Kaum hat man sich damit abgefunden, machen die hellen Glocken und der technoid treibende Rhythmus von Signs die Verzweiflung ertragbar. Ist das der Ausweg?

One Month Off klingt, als solle es die langjährigen Anhänger mit dem Album versöhnen, trotz der vielen Computerspielgeräusche. Zephyrus stößt ihnen gleich wieder vor den Kopf, der Gott des Westwindes weht uns zum Ausgangspunkt zurück. Die Melange aus elektronischen Chören, lamentierendem Gesang und angezerrtem elektronischen Schlagzeug ist immerhin so ambitioniert, dass man nicht gleich weiterdrückt.

Und schließlich verteilen Bloc Party dann die Belohnung. Wer bis zu Stück Nummer 9 ausgeharrt hat, bekommt Better Than Heaven, Talons und Ion Square zu hören – da hat die Band ihren Markenzeichenklang ins Jahr 2008 übertragen. Ion Square setzt den Schlusspunkt des Albums, es ist eine treibende Nummer, die mit melancholischer Leichtigkeit und warmen Synthesizer-Arpeggien recht versöhnlich klingt. Kele Okereke richtet ein warmes Schlusswort an die Hörer. Bei all dem Schmerz, der die Band bis hierhin trieb, ist „I carry your heart here with me, I carry it in my heart“, eine der intimsten Zeilen des Albums.

Plötzlich wird klar, dass der Virenscanner zurecht warnte. Jetzt ist es zu spät, das trojanische Pferd ist längst da und wird nicht mehr gehen. Der Titel hatte es ja angekündigt, wer Intimität möchte, der muss ein paar Schranken öffnen. Intimacy kann sich nur annähren, wer ein kleines Risiko eingeht.

Wem der Download zu riskant ist oder zu wenig betastbar, der kann dieser Tage das Album schließlich als klassischen Tonträger erstehen – und bekommt sogar noch zwei Stücke obendrauf.

„Intimacy“ von Bloc Party ist als CD und LP bei Cooperative/Universal erschienen.

Wer Bloc Party im Interview hören möchte, klicke am Freitag, dem 31. 10., um 22 Uhr das Netzradio ByteFM an. Michael Seifert widmet der Band seine zweistündige Sendung „Almost Famous“.

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Diese Band ist ein Sofa

Travis haben sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert: Man hört ihre Lieder – und vergisst sie sofort wieder. So auch die des neuen Albums „Ode To J. Smith“

Travis, das sind die Guten im Britpop, die Bescheidenen, die Ehrlichen, die Band ohne Skandale, ohne Abgründe, die Harmlosen. Die mit der Extraportion Liebe und Gefühl. Der Weg der vier Schotten von der Kunsthochschule in Glasgow in die Hitparade war lang, doch die Mühen sind längst vergessen. Schon seit einigen Jahren ist ein neues Album von Travis immer wieder ein Spektakel – und auch außerhalb ihrer Heimat füllen sie heute große Hallen. „Musik kann ein Stuhl sein, auf den man sich setzt“, sagte der Sänger Francis Healy einmal in einem Interview. Jetzt haben Travis einen neuen Stuhl gezimmert, und zwar einen recht untypischen, wenn nicht gar unbequemen.

Ode To J. Smith heißt das sechste Album, die Stücke darauf ranken sich um das Leben der imaginären Figur J. Smith. Und es beginnt tatsächlich erfrischend: Zum hämmernden Piano erzeugt die E-Gitarre Verzerrtes, das klingt nach Rockmusik. Eine Rockband sind Travis dennoch nicht, sie haben ein Kleid aus Dornen angezogen, im Innern sind sie noch immer weich wie Kuchenteig.

Mit ihren Verkleidungen gehen Travis bisweilen recht weit: Da gibt es esoterische Männerchöre über Gitarren-Riffs, Freunde von Rammstein könnten das mögen. Und es gibt Hardrocksoli, psychedelische Anleihen bei den Doors, sogar ein paar Sprenkel Rockabilly. Kurz wundert man sich, doch schon einige Sekunden später ist es wieder da: Das gute Gefühl, auf einem Stuhl zu sitzen, den man schon lange kennt. Das Problem der Ode an Herrn Schmidt: Ein Stuhl ist wie der andere. Egal in welchem Kostüm, ob rockig oder sanft, eines hat sich bei Travis seit ihrem ersten Album vor zehn Jahren nicht verändert: Die meisten ihrer Lieder sind von erschreckender kompositorischer Schluffigkeit. Man hört sie – und vergisst sie wieder. Sofort.

Oder ist das gerade das Kunststück? Obwohl Travis in ihrer langen Karriere nur wenige Stücke geschrieben haben, die sich ins Gedächtnis einbrannten, waren sie doch immer eingängig. Beim Hören ihrer Stücke schmelzen viele Menschen wie Butter in der Sonne. Das mag an der herbstlich-melancholischen Stimme von Francis Healy liegen. Er verwandelt jedes glatte Popliedchen in ein Rührstück, eine Romanze, eine Schmonzette. Kann man das verurteilen?

Diese Band ist kein Stuhl. Diese Band ist ein Sofa, auf dem man sich ausstrecken, sich einsam fühlen und auch mal ein bisschen weinen kann. Sicher wird man ohne Rückenschmerzen aufwachen. Diese Band ist eine erfolgreiche Koalitionsverhandlung mit sich selbst, ein Rettungspaket für das Gefühlsleben.

„Ode To J. Smith“ von Travis ist als CD und LP bei Vertigo/Universal erschienen.

Travis treten am 22. November in Essen beim Rockpalast-Festival auf.

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Neues Feuer

Weniger Pathos, mehr Rock’n’Roll: Auf ihrem siebten Album gehen Oasis zurück zu ihren Wurzeln und zugleich von ihnen fort. Ein Platte wie ein Reinigungsprozess

Da war doch was, ein paar versteckte Referenzen, eine Ahnung nur, doch sie wirkte Wunder. Lange vor Erscheinen ihres siebten Albums Dig Out Your Soul haben Oasis eine Single lanciert – in einem Remix der Chemical Brothers –, und sofort war das Feuer wieder entzündet, diese latente Sehnsucht nach allem, was die Gottväter des Britpop groß gemacht hat. Den Remix vorm Original zu bringen war eine Art Relevanzdetektor.

Man muss zwar genau hinhören, um Noels Akkorde und Liams Stimme in Falling Down zu erahnen, dann aber funktioniert’s. Wie immer. Und doch anders. Nach dreijähriger Studiopause mögen Oasis zwar wie eh und je ausufernde Klangteppiche unter den Grundton schnöseliger Arroganz weben – trotzdem klingt vieles daran neu. Vielleicht, weil die Gallagher-Brüder eine Auszeit vom Boulevard genommen haben, um einige Schritte zurückzugehen, ihren Wurzeln entgegen und zugleich von ihnen fort: etwas mehr Rock’n’Roll, etwas weniger Pathos, Pop als Spielart, nicht als Wesen.

Ohne Kollegenschelte und John-Lennon-Zitate geht es natürlich auch dieses Mal nicht. Musikalisch jedoch ist Dig Out Your Soul eine Reduktion auf eigene Stärken jenseits der notorischen Gerüchteküche: das Raveartige am Bombastischen, das melodiöse Schlagzeug zu raumfüllendem Klang, den bewährten Mix aus psychedelischer Fläche und prononcierter Gitarre.

Sirenenartig liegt sie schon über dem einleitenden Bag It Up, um die zehn folgenden Stücke bis auf ein, zwei missglückte Schnulzen nicht wieder loszulassen. In die Schranken gewiesen wird sie nur von Liams Genöle über die Macht der Liebe und andere Durchhalteparolen. „Looking back at all the things we’ve done / you gotta keep on keeping on„, singt er, pilzköpfig wie immer, in I’m Outta Time, keine Zeitreise zurück zu den Tagen von Definitely Maybe oder Wonderwall, aber ein Bekenntnis zum Versuch, sich daran zu erinnern. In aller Kürze, versteht sich, kein Lied hat mehr Text als eine Handvoll Zeilen.

Oasis haben zurückgeblickt und sich nach drei lauen Alben endlich zurück nach vorn katapultiert, von den Neunzigern ins neue Jahrtausend, wo sie im Vergleich mit den Epigonen des Britpop von Franz Ferdinand bis Bloc Party noch immer gut dastehen. Wo diese den Mut zur Lücke zuweilen übertreiben, instrumentieren Oasis ihre Dreiviertelstunde kompromisslos durch. Eine Platte wie ein Reinigungsprozess.

„Dig Out Your Soul“ von Oasis ist als CD und Doppel-LP bei Big Brother/Indigo erschienen.

Dieser Text ist dem Musikspezial der ZEIT Nr. 42 entnommen.

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Untergang mit wehenden Fahnen

Die Kings Of Leon galten als die Erben Led Zeppelins, sie spielten rotzigen Rock’n’Roll im frischen Uraltklang. Die Energie scheint verpufft zu sein: Ihr neues Album klingt bartlos und verdächtig nach U2

Bono ist ein gefährlicher Mann: Er vergiftet die Gehirne von Musikern. Das Spätwerk seiner Band U2 bietet eine Schablone, derer sich viele Bands bedienen, wenn es weiter gehen soll. Weiter im Sinne von Stadionrock, weiter im Sinne großer Gesten, weiter im Sinne von Zugänglichkeit. Am Ende steht meist ein Weiter im Sinne oberflächlicher Tiefgründigkeiten und enervierender Allgegenwärtigkeit. Coldplay klingen heute, als wären sie gern U2 und schreiben Lieder, die wirklich jedem gefallen können. Nun probieren’s die Kings Of Leon.

Noch auf ihren ersten beiden Alben Youth And Young Manhood (2003) und Aha Shake Heartbreak (2005) inszenierte sich die Band als die südstaatlichen Strokes, spielten rotzigen Rock’n’Roll im frischen Uraltklang. Die drei Brüder aus Tennessee, dazu ein Cousin, gaben die langbärtigen Rockgötter, die Led Zeppelin des neuen Jahrtausends. Schon auf Because Of The Times deutete sich im vergangenen Jahr eine Neuorientierung an, die mit dem neuen Album Only By The Night an ein Ziel gelangt zu sein scheint.

Die Bärte sind nun ab, frisch geföhnt posieren die Musiker auf den Werbefotos. Schon in der Vergangenheit waren die Texte des Sängers Caleb Followill wenig preisverdächtig, nun sind sie nur noch mit Betäubungsmitteln genießbar. In der Ballade Reverly etwa singt er: „Was für eine Nacht für einen Tanz / Weißt du, ich bin ja eine Tanzmaschine / Packe Feuer in meine Knochen / Und den süßen Geschmack von Kerosin.“ Und in dem Stück 17 geht es natürlich um ein Mädchen, das „erst siebzehn“ ist. Dermaßen zur Pose erstarrte Rockerklischees kann man im Jahr 2008 allenfalls Lemmy von Motörhead abnehmen.

Die Musik ist nicht origineller als diese Texte. Die Kompositionen sind formelhaft, die Strukturen absehbar, es herrscht Einfallslosigkeit. Mochte man Because Of The Times noch als Album des Übergangs akzeptieren – bei aller Kritik musste man doch seine bebende Energie und kraftstrotzende Potenz anerkennen. All das ist nun verpufft. Es ist ein Trauerspiel, diese technisch so versierte Band mit wehenden Fahnen untergehen zu sehen.

Womit wir wieder bei Bono und U2 wären. Denn selbstverständlich wird sich das neue Album der Kings Of Leon verkaufen. Werbefilmer dürsten nach solchen Liedern. Sie werden auf fußballfeldgroßen Bühnen spielen, mit Hubschraubern in die Stadien einfliegen. Und wie es dann mit den Kings Of Leon weitergeht? Nun, wenn sie Bono weiter nacheifern, stehen auf dem Plan: Ironie, Umweltthemen, Fototermine mit Politikern, Pathos und Sonnenbrillen. Ab jetzt ist alles möglich.

„Only By The Night“ von den Kings Of Leon ist als CD und Doppel-LP bei Sony BMG erschienen.

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