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Wir entern die EZB!

Ein Gedankenexperiment: Ein Land – sagen wir Italien – ist unzufrieden mit der Politik seiner Zentralbank und ändert deshalb die Geschäftsordnung jener Zentralbank zu seinen Gunsten. Was würde der brave, konservative deutsche Ökonom reagieren? Mit einem Aufschrei! Attacke auf die Unabhängigkeit, Notenpresse, Hyperinflation usw. usf.

Die CDU schlägt laut FTD vor, die Stimmverhältnisse in der EZB so zu ändern, dass Deutschland mehr Macht hat, weil man in der Union mit dem Kurs der Notenbank unzufrieden ist. Wo bleibt der Aufschrei? Richtig, er findet nicht statt. Denn es geht ja um deutsche Interessen.

Der Unabhängigkeitsdiskurs ist an Verlogenheit nicht zu überbieten. Ich habe prinzipiell nichts gegen einen stärkeren deutschen Einfluss. Ich habe aber etwas gegen Heuchlerei.

 

Deleveraging, Commerzbank-edition

Aus der heutigen Pressemitteilung der Commerzbank:

Der Vorstand der Bank hat vor diesem Hintergrund Sofortmaßnahmen beschlossen, die den Abbau von Risikoaktiva beschleunigen. Dazu gehören unter anderem:

– die temporäre Einstellung des Neugeschäftes in der Eurohypo

– die temporäre Einstellung des Kreditneugeschäftes ohne Konnektivität zu Deutschland beziehungsweise Polen

– der beschleunigte Abbau beziehungsweise Verkauf nicht-strategischer Assets wie zum Beispiel Spezial- und Projektfinanzierungen sowie

– die Überprüfung der Veräußerungsmöglichkeiten von Finanzbeteiligungen; hierzu gehören nicht die comdirect und die BRE Bank, die Bestandteil des Kerngeschäfts sind.

Klar, Deutschland soll ausgespart werden bei der Kreditvergabe. Aber selbst wenn man das genau kontrollieren könnte: Wenn in anderen Ländern gekürzt wird, dann trifft das die Deutschen  über die Exporte natürlich.  Und andere Banken – ohne Staatsvertreter im Aufsichtsrat – werden es noch wilder treiben. Vielleicht hätte man das bedenken sollen, als man mitten in der Krise munter die Eigenkapitalanforderungen hochjagte ohne die Bilanzsumme festzuschreiben oder gleich zu zwangskapitalisieren.

Interessant in diesem Zusammenhang auch jener Chart (via Alphaville) aus dem Quartalsbericht von BNP Paribas:

BNP chart

Rezession, wir kommen.

 

Was will uns Hans-Werner Sinn sagen?

Vor einiger Zeit warnte Hans-Werner Sinn bekanntlich noch, dass die verstärkte Inanspruchnahme der Europäischen Zentralbank durch die Geschäftsbanken in den Staaten der europäischen Peripherie dazu führt, dass in Deutschland weniger Kredite vergeben können. Offensichtlich hat er seine Meinung radikal geändert, denn jetzt warnt er vor einer inflationären Explosion der deutschen Kreditvergabe durch ebendiese Inanspruchnahme. So zumindest verstehe ich folgende Aussagen in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt.

Dort schreibt Sinn also: Weiter„Was will uns Hans-Werner Sinn sagen?“

 

Was darf das Volk?

Frank Schirrmacher hat heute in der FAZ einen bemerkenswerten Kommentar geschrieben.

Man muss nicht alle Beziehungen des Witzes zum Unterbewussten kennen, um zu verstehen, wie massiv gerade moralische Übereinkünfte der Nachkriegszeit im Namen einer höheren, einer finanzökonomischen Vernunft zerstört werden. (…) Papandreou tut nicht nur das Richtige, indem er das Volk in die Pflicht nimmt. Er zeigt auch Europa einen Weg. Denn in dieser neuen Lage müsste Europa alles tun, um die Griechen davon zu überzeugen, warum der Weg, den es zeigt, der richtige ist. Es müsste dann nämlich sich selbst davon überzeugen.

Die Aufgabe der Ökonomie wäre es – Frank Lübberding hat darauf hingewiesen –, zu zeigen, dass das bisherige Rettungsprogramm eben nicht alternativlos ist. Denn es ist doch so: Die Logik der Finanzmärkte lässt sich zumindest ohne einen Systemwechsel ebenso wenig wie die Logik wirtschaftlichen Handels allgemein außer Kraft setzen. Man kann noch so viel regulieren und die Wall Street besetzen: Kein Mensch der Welt wird einem Staat Geld leihen, wenn dieser Staat seine Schulden nicht zurückbezahlt. Insofern ist das Risiko, das die Griechen eingehen, nicht eingebildet, sondern real.

Aber: Staaten können dieses Risiko in Kauf nehmen. Die Frage Wohlstand oder Selbstbestimmung ist es wert, gestellt zu werden. Die Politik ist insofern immer souverän – sofern sie die Konsequenzen ihrer Entscheidungen offenlegt und dann auch bereit ist, diese zu tragen. Sie kann sich auch für ein Leben im ökonomischen Suboptimum entscheiden.

Doch so weit muss es nicht einmal kommen. Denn es gibt noch andere Möglichkeiten als das aktuelle Rettungspaket, um die Krise zu beenden. Eurobonds wären eine, eine aktive Rolle der Europäischen Zentralbank eine andere. Es geht hier nicht um die Bewertung dieser Ansätze, sondern darum, dass die Wahl eben nicht lautet: Akzeptanz der Gipfelbeschlüsse oder Finanzchaos.

Ironischerweise ist der wichtigste Einwand gegen das Referendum deshalb nicht ökonomischer, sondern demokratietheoretischer Natur. Wer ist die verfassungsgebende Gewalt – die pouvoir constituant –  in Griechenland? Das griechische Volk? So würde es die herrschende, im Nationalstaat verankerte Lehre wohl darstellen.

Aber was ist sie noch wert, angesichts der enormen Konsequenzen, die die Entscheidung für ganz Europa hat? Wenn die Griechen demnächst abstimmen, dann stimmen sie auch über unsere Währung ab. Dürfen die das? Und wenn der Deutsche Bundestag Finanzhilfen verweigert, dann entzieht er möglicherweise den Italienern die Lebensgrundlage. Dürfen wir das? Man kann es auch so sagen: Jede nationale Entscheidung verletzt das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Einheit von Zeit, Handlung und Raum, die für das klassische Drama ebenso Voraussetzung ist wie  für die klassische Demokratie, sind nicht mehr gegeben.

Deshalb sollten wir die Völker besser ganz weg lassen. In einer Währungsunion mit ihren Interdependenzen stößt das nationalstaatliche Demokratiekonzept an seine Grenzen. Streng genommen kann die Antwort auf die Euro-Krise deshalb nur in einem gesamteuropäischen Referendum gegeben werden.

 

Bananenrepublik Europa (oder wie wir uns an die Chinesen verkaufen)

Offensichtlich hat Klaus Regling, der Chef des Rettungsfonds, den Chinesen also angeboten, der EFSF könne doch Anleihen in Renminbi ausgeben, um es Peking schmackhaft zu machen, sich an der Rettung Europas zu beteiligen. Alphaville hat den richtigen Kommentar dazu:

No idea could be more stupid – or more symptomatic of decline – than Europe borrowing from China in renminbi.

In der Tat: Sind wir eine Bananenrepublik, dass wir uns in Fremdwährung verschulden müssen? Die Amerikaner haben doch auch Schulden bei den Chinesen, sagen die Anhänger dieser Politik. Sie vergessen, dass die Chinesen US-Treasuries am Markt kaufen. Wenn die Chinesen also streiken (oder politischen Druck machen wollen), druckt die FED das Zeug einfach selbst. Das Erpressungspotenzial Chinas ist minimal.

Wir aber geben unsere währungspolitische Souveränität auf, denn wir können keine Renminbi drucken. Übrigens rät man genau aus diesem Grund Entwicklungsländern davon ab, sich in Fremdwährung zu verschulden und baut lokale Bondmärkte auf – die Deutschen haben sich das im Rahmen ihrer technischen Entwicklungshilfe einmal auf die Fahne geschrieben.

Umso schlimmer, dass ein Deutscher jetzt das Abendland verscherbelt – nur weil wir nicht in der Lage sind, diese Krise selbst zu lösen.

 

So nicht, Sigmar Gabriel!

Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen, dass er sozialdemokratischen Idealen grundsätzlich eher nahe steht. Mit umso größerem Bedauern lese ich, was Sigmar Gabriel jetzt zur Krisenpolitik der Bundesregierung zu sagen hat.

Die CDU-Politikerin habe alles, was jetzt in Brüssel beschlossen wurde, früher abgelehnt. Insbesondere die lange Ablehnung einer Gläubigerbeteiligung durch die Kanzlerin und andere konservative Regierungen in Europa sei ein schwerer Fehler gewesen. Die SPD hätte einen Schuldenschnitt hingegen schon vor eineinhalb Jahren gemacht. „Weil so lange gezaudert und gezögert wurde, ist die Lage in Europa viel instabiler als vor einem Jahr. Vor allem ist alles viel teuerer geworden“. Den Preis für Merkels „Hinhaltetaktik“ müssten die deutschen Steuerzahler bezahlen.

Das sagt der Vorsitzende jener Partei, die das Gerede des Wirtschaftsministers von einer geordneten Insolvenz Griechenland vor ein paar Wochen noch mit Fug und Recht heftig kritisiert hat. Ein Schuldenschnitt vor eineinhalb Jahren hätte uns direkt in jene Abgrund befördert, in den Peer Steinbrück 2008 geschaut hat. Ich bin hier nicht neutral, weil ich einen Schuldenschnitt immer noch für falsch halte. Aber ihn ohne die nötige Abschirmung der anderen Staaten – die es damals nicht gab – zu vollziehen, wäre Selbstmord gewesen.

Gabriel wird mit seinen Aussagen beim Wähler bestimmt punkten. Ich aber erwarte von der Sozialdemokratie mehr als „Opposition kritisiert Regierung“. Das kann jeder.

 

Sind wir jetzt 55 Milliarden reicher?

Natürlich nicht, und wenn es stimmt, was ich höre, dann ist die ganze Aufregung eher ein Beleg für die Dysfunktionalität der Medien (und des politischen Systems) als ein Versagen der Bank beziehungsweise ihrer Aufseher.

Offensichtlich also hat die HRE, genauer gesagt ihre Bad Bank, die FMS Wertmanagement, Forderungen und Verbindlichkeiten aus Derivatepositionen nicht gegeneinander aufgerechnet. Was bedeutet das? Die Bank hatte also  – sagen wir – 1000 Euro Forderungen und zugleich 1000 Euro Verbindlichkeiten.  Ihre Bilanz verlängert sich dadurch, aber an der Gewinn- und Verlustrechnung ändert sich nichts.

Die FMS ist aber eine Staatsbank. Die Staatsverschuldung wiederum wird – anders als eine Bankbilanz –  gemäß EU-Konvention als Bruttogröße ausgewiesen – das bedeutet: Nur die Verbindlichkeiten (nicht aber die Forderungen) werden berücksichtigt. Weil die Buchhalter der FMS Forderungen und Verbindlichkeiten nicht aufgerechnet haben und das jetzt nachholen, sinkt also die Bruttoschuldenquote. Die Nettoquote sollte damit unverändert bleiben, denn am Verhältnis von Forderungen und Verbindlichkeiten hat sich nichts geändert.

Kurz: Wir sind keinen Cent reicher oder ärmer. Der Blätterwald rauscht trotzdem.

 

Warum ich dem Gipfelfest fernbleibe

Man hat ein schlechtes Gefühl dabei, der Spielverderber zu sein, wenn alle feiern. Ich wünsche den Euro-Rettern, dass ihre Manöver gelingt. Ich kenne einige von ihnen und ich weiß, dass es sich um kluge Menschen handelt, die ihr Bestes geben – die aber eben unter harten politischen Restriktionen handeln. Meine Skepsis gegenüber der jetzigen Rettungsstrategie beruhte vor allem auf drei Punkten:

1) Der gehebelte EFSF wird Liquiditätsnöte nicht lindern, weil den Investoren eine Teilkaskoversicherung nicht reicht.

2) Die Bankenrekapitalisierung belastet die Konjunktur, weil die Banken Kredite verknappen, um die strengeren Kapitalauflagen einzuhalten.

3) Der Schuldenschnitt in Griechenland führt dazu, dass Investoren eine ähnliche Behandlung auch in anderen Ländern der Euro-Zone erwarten und sich deshalb zurückziehen.

Wenn ich nun Berichte wie den folgenden heute in der FAZ lese, dann sehe ich die in Punkt 3) geäußerten Bedenken bestätigt:

Die Commerzbank will so viele ihrer verbliebenen Staatsanleihen verkaufen wie möglich. Vorstandschef Martin Blessing sagte nach einem Treffen im Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten, das Bankhaus habe im dritten Quartal vor allem Kredite für die sogenannten PIIGS-Staaten weiterverkauft. […] „Ich fahre das runter, klar“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Kritik, wonach ein massiver Verkauf solcher Papiere die Krise verschärfe, wollte Blessing nicht gelten lassen. Er verwies darauf, dass Europas Spitzenpolitiker noch 2010 den privaten Gläubigern Griechenlands versprochen hätten, dass es bis 2013 keinen Schuldenschnitt für Athen geben werde. Man habe ihm damals beteuert, dass es daher nicht nötig sei, Staatsanleihen schnell zu verkaufen. „Wenn heute noch mal ein Politiker zu mir käme und verlangte, wir sollten unsere Staatsanleihen in den Büchern halten, dann antworte ich: Trau, schau, wem.“

Und noch einmal bei der Commerzbank, diesmal zu Punkt 2):

Für die Commerzbank errechnet die EBA in ihrem Szenario einen Betrag von 2,938 Milliarden Euro. ‚Wir können die geforderte Kapitalquote zum Beispiel durch den Abbau von Risikoaktiva in Nicht-Kernbereichen, den Verkauf von nichtstrategischen Assets oder einbehaltene Gewinne sicherstellen. Eines ist jedoch klar: „Wir haben nicht vor, öffentliche Mittel anzunehmen“, sagte Eric Strutz. 

Oder, wie es die Analysten von BNP Paribas zusammenfassen:

The lessons from Greece are:

a. Significant restructuring of private debt is a more likely option than it looked six months ago;
b. The public sector is unwilling to write down its own loans, meaning that the restructuring risk falls on the private sector;
c. The larger a country’s reliance on public sector debt, the bigger the gearing effect will be on private sector debt of ‘shocks’ to the fiscal/economic position of a country.

The net result is a significant rise in the risk premium the market will demand to fund other peripherals (higher probability of default, probably higher writedowns). This raises likely risk premia on other peripheral debt.

 

Griechenlandrettung: Kostet kaum ein Lächeln

Hier die zentrale Passage der inzwischen im Netz zirkulierende aus der Schuldentragfähigkeitsanalyse für Griechenland. Schlimm, schlimm, die Rettung wirft die Retter um – so wird das in dem meisten Zeitungen, etwa in der Süddeutschen, kommentiert. Ist das so?

Sehen wir uns die Zahlen an: Unter Annahme der bisherigen Gläubigerbeteiligung (21 Prozent Barwertverlust) braucht das Land bis 2030 also insgesamt Hilfskredite in Höhe von 359 Milliarden Euro um Schuldentragfähigkeit – wenn ich es richtig lese eine Schuldenquote von 130 Prozent des BIP – zu erreichen. Schlimmstenfalls sind es 551 Milliarden Euro.

Keine Frage, das ist viel Geld. Aber erstens sprechen wir von einem langen Zeitraum und ein Euro in 20 Jahren ist weniger wert als ein Euro heute. Und zweitens: Das nominale Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone beläuft sich Stand 2011 auf 9500 Milliarden Euro. Wir sprechen also von einem Volumen von rund fünf Prozent des Euro-BIPs. Und schließlich drittens: Es handelt sich um Kredite. Das Geld kommt also zurück.

Die Überschrift ist mit Absicht polemisch formuliert, aber ganz im Ernst: Ist das wirklich der Abgrund?

Update: Noch ein schönes Detail aus dem Zahlenwerk: Die Erhöhung der Privatsektorbeteiligung um 50 Prozent reduziert den offiziellen Finanzbedarf also von 359 auf 220 Mrd €. Zugleich stecken wir 100 Mrd € in die Banken zur Absicherung – dabei sind andere Absicherungskosten wie die Erhöhung des EFSF noch nicht eingerechnet. Toller Deal…

 

Staaten oder Banken

Henry Kaspar, Kantoos und viele andere hier halten die von mir wiederholt geäußerte Kritik an der Verschiebung des Fokus von der Sicherung der Staaten auf die Sicherung der Banken für kompletten Unsinn, wie ihn nur Leute verbreiten können, die sich noch nie mit Finanzkrisen beschäftigt haben.

So wie Paul Krugman, oder?

OK, yes, European banks do need more capital. But their problems are a symptom of the underlying sovereign debt problem, which can only be resolved, if at all, with ECB lending AND a commitment to reflate. Without that, the losses on sovereign debt will blow right through any amount of newly raised bank capital.

Nun, die Berufung auf Autoritäten ersetzt nicht das Argument, aber meine lieben Gegner: So klar, wie ihr es suggeriert, ist die Sache eben nicht.