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Die gewagten Prognosen des Wolfgang Schäuble

Ich habe bereits über ein Papier des Bundesfinanzministeriums berichtet, in dem die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der in den Koalitionsverhandlungen diskutierten Maßnahmen bei Rente, Pflege und auf dem Arbeitsmarkt beziffert werden. Hier nun ein Auszug aus dem Papier.

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Wie gesagt: Man kann über das Für und Wider aller Vorschläge lange streiten. Ich habe nur erhebliche Zweifel daran, dass sich die Folgen für Wachstum und Beschäftigung einigermaßen zuverlässig beziffern lassen.  Aber wir haben jetzt ja eine verifizierbare Prognose. In dem Dokument heißt es an anderer Stelle:

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Das Bundesfinanzministerium sagt also vorher, dass bis 2017 eineinhalb bis zwei Millionen Stellen wegfallen und das Wachstum um 0,5 Prozentpunkte niedriger ausfällt.  Bislang erwartet die Bundesregierung für 2014 ein Wachstum von 1,7 Prozent. Der Wert müsste dann – wenn die Maßnahmen so beschlossen werden und das Papier mehr war als Panikmache – bald nach unten korrigiert werden. Das gilt auch für die Annahmen in der mittelfristigen Finanzplanung, wo bis 2017 mit einem Anstieg des BIP von durchschnittlich 1,4 Prozent pro Jahr gerechnet wird.

Ich bin gespannt, ob das geschieht – und ob andere professionelle Konjunkturbeobachter ihre Prognosen signifikant revidieren. Mein Tipp wäre eher nicht – aber vielleicht  liege ich ja auch falsch.

 

Soll Weidmann die Verfassung brechen?

Politik bedeutet, Entscheidungen zu treffen. Wir leben nicht im Schlaraffenland. Was genau also soll die Europäische Zentralbank nach Meinung derjenigen tun, die die vermeintliche Enteignung  – bei 1,7 Prozent risikolose Rendite auf zehnjährige Staatsanleihen und 20 Prozent, etwas riskanter, auf Aktien – des deutschen Sparers anprangern?
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Zahlt der ESM doch für marode Banken?

Das hier ist aus dem vom Wirtschafts- und Währungsausschuss erstellten Entwurf für die Schlussfolgerungen der Ecofin-Sitzung in Brüssel. Es geht um den Umgang mit Kapitallücken im Zuge des Stresstests der EZB. Die Haftungskaskade lautet wie bekannt:

1. Die betroffenen Banken

2. Ihre Heimatstaaten

3. Die europäischen Institutionen

Und jetzt wird es spannend:

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Zumindest in diesem Entwurf ist also die direkte Bankenrekapitalisierung vorgesehen (und interessanterweise werden die acht Prozent Eigenleistung der Banken aus früheren Beschlüssen nicht mehr erwähnt). Ich bin gespannt, wie Schäuble das dem Bundestag und insbesondere der SPD vermittelt.

Bei allen staatlichen Interventionen gilt, dass sie „in full respect“ mit dem Beihilferecht erfolgen müssen – allerdings „with a view to safeguard financial stability“. Das lässt einige Flexibilität zu.

 

Fight fire with fire

Über Paul Krugman der Link zu diesem Paper:

Finally, we turn to the role of monetary and fiscal policy, where we find, as already indicated, that more debt can be the solution to a debt-induced slump

Schau an – Schulden mit Schulden bekämpfen, das kann also funktionieren. Und dann wird das auch noch im Quarterly Journal of Economics publiziert.

Und warum?

precisely because some agents are debt-constrained, Ricardian equivalence breaks down, and old-fashioned Keynesian-type multipliers in which current consumption depends on current income reemerge.

Aber hat Angela Merkel nicht gesagt…

 

Der 8,50-Euro-Irrsinn

Der Mindestlohn, der einheitliche und gesetzliche, ist das beste, was dem deutschen Arbeitsmarkt passieren kann. Dann klebt endlich auch in Deutschland ein Preisschild auf dem geringsten Lohn, den ein Arbeitgeber zahlen muss. Dann wissen Rumänen, Bulgaren und wer sich sonst zu Niedrigstlöhnen hierzulande verdingen muss, auf welchen Stundensatz sie mindestens Anspruch haben. Deshalb könnte man eigentlich frohen Mutes sein, dass es die SPD in die Koalitionsgespräche geschafft hat.

Eigentlich. Denn der Teufel steckt in dem nicht unwesentlichen Detail. Und das lautet 8,50 Euro.
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Draghis Coup

Aus meinem Kommentar für ZON:

Deshalb hat die Zentralbank den Auftrag, die Teuerung bei knapp zwei Prozent zu halten – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Auf dieses Ziel hat man sich verständigt. Mit einer Inflationsrate von aktuell weniger als einem Prozent wird es verfehlt. 

Schon um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, musste die EZB die Zinsen daher noch einmal senken. Das hilft der Wirtschaft, weil unter anderem die Aufwertung des Euro gedämpft würde. Die Stärke der Währung macht derzeit vor allem den Exporteuren im Süden ihr Geschäft kaputt.

Für die deutschen Sparer sind niedrigere Zinsen zwar auf den ersten Blick ein Ärgernis. Doch wenn die Krise wieder eskaliert, weil sich die EZB verweigert, müssten sie erst recht um ihr Geld bangen.

 

Die FAZ, der IWF und die Vermögensabgabe

Ich bin ja ein Freund der zugespitzten Berichterstattung, aber was in der FAZ und anderen Zeitungen mit dem Fiscal Monitor des IWF gemacht wurde, ist schon grenzwertig.

Der IWF schlägt allen Ernstes eine Vermögensabgabe in Höhe von 10 Prozent für alle Besitzer von Ersparnissen, Wertpapieren und Immobilien vor, um die wuchernden Staatsschulden in der Währungsunion ein bisschen abzutragen. 

An dieser Aussage ist richtig, dass es Diskussionen über eine solche Abgabe gibt. Sonst aber nicht sehr viel. Denn keineswegs macht der IWF sich diese Diskussionen zu eigen. Ich haben den Monitor sehr genau gelesen, weil ich schon vor Wochen ebenfalls darüber berichtet habe. Hier ist die Passage

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Es werden praktisch nur die Nachteile einer solchen Abgabe aufgezählt – wer daraus eine Empfehlung ableitet, hat entweder Probleme mit der englischen Sprache oder will die Institution absichtlich diskreditieren.

Vielleicht gibt es auch noch andere Gründe, die sich mir nicht erschließen. Der IWF wird es verkraften, sein Reich ist groß und Deutschland eines von 188 Mitgliedsländern. Wenn wir hierzulande aber so mit Debattenbeiträgen umgehen, dann haben wir bald amerikanische Verhältnisse und jeder lebt nur noch in seiner eigenen ideologischen Blase.

Damit will ich übrigens nicht sagen, dass die Idee schlecht wäre. Aus meiner Sicht gehört sie in den Instrumentenkasten der Krisenpolitik – zumindest in den Ländern, die ihre Schulden anders nicht in den Griff bekommen. Aber das tut hier nichts zur Sache.

 

Die Euro-Zone wird zum Exportmonster

Die Kommission hat heute ihre Herbstprognose vorgestellt – wie berichtet, reißt Deutschland die Grenze beim Leistungsbilanzdefizit. Das sei ja egal, ist oft zu hören, weil sich die Bilanzen innerhalb der Währungsunion allmählich ausgleichen und der Überschuss vor allem mit dem Rest der Welt anfällt. Doch inzwischen fällt da schon einiges an. Nach den Prognosen der Kommission wird der Überschuss der Währungsunion bis 2015 auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Das sind in absoluten Zahlen bei einem kombinierten BIP von dann 10176 Milliarden Euro immerhin 305 Milliarden Euro – eine ganze Menge Holz.

Grafik: Leistungsbilanzsalden der Europ. Währungsunion 1999-2015 (in Prozent des BIP)

Die Frage wird sein, ob sich die Handelspartner das gefallen lassen  – und wann die entsprechende Währungsreaktion beginnt, die den Aufschwung im Süden dann wieder gefährdet. So oder so: Die deutschen Überschüsse verschwinden nicht einfach in einem Loch – und es wird nicht funktionieren, das deutsche Überschussmodell auf die Euro-Zone zu übertragen.

 

Die Mär vom deutschen Exportwahn

In der Debatte über die deutschen Exportüberschüsse ist schon fast alles gesagt: Natürlich ist es völlig unsinnig, dauerhaft Exportüberschüsse in der Größenordnung von sieben Prozent und mehr der Wirtschaftsleistung zu fahren – sofern man nicht das Ziel verfolgt, die heimische Wirtschaft zu ruinieren. Das sehen übrigens diejenigen in der Bundesregierung, die sich auskennen, ganz genauso. Manchmal hilft auch ein Schuss Empirie. Hier die deutsche Leistungsbilanz seit 1950:

Grafik: Deutsche Leistungsbilanzsalden seit 1950 (in Prozent des BIP)

Was sehen wir? Die enormen Überschüsse der jüngeren Vergangenheit sind eine Anomalie. Die Republik hat in normalen Zeiten sogar die ursprünglich von der EU geplante Schwelle von vier Prozent fast immer eingehalten. Die Deutschen waren schon immer stark im Export, aber früher waren sie ebenso stark im Import. Hier gab es nach der Jahrtausendwende einen Strukturbruch – ausgelöst durch die Spätfolgen der Wiedervereinigung, die Einführung des Euro und die Agendapolitik.

Keinesfalls aber ist das, was wir derzeit beobachten, das Erfolgsgeheimnis der deutschen Wirtschaft. Dem Export wird heute eine Bedeutung beigemessen, die er nie hatte. Es wäre allen gedient, wenn wir uns auf unsere alten Stärken besinnen würden.

Update: Ein Abbau der Überschüsse – nicht auf Null, was niemand fordert, sondern auf vielleicht drei oder vier Prozent des BIP – würde in erster Linie Deutschland selbst nutzen. Denn ein Exportüberschuss bedeutet Arbeitskraft zu verschenken. Wir verkaufen Autos und erhalten dafür Wertpapiere, die nun leider nicht immer so viel wert sind wie man zunächst denkt.