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Was wollt ihr eigentlich, ihr Euroskeptiker?

Mein Beitrag über Christian Wulff hat eine wahre Flut von Kommentaren ausgelöst – 90 Prozent davon wüste Beschimpfungen. Damit kann ich leben. Was ich mich aber frage ist: Was wollen diejenigen eigentlich, die die Rettungsmaßnahmen kritisieren? Raus aus dem Euro? Könnte zwar in einer Katastrophe enden, aber kann man natürlich machen. Dann aber sollte man zumindest so ehrlich sein, und das auch sagen, statt wie Bundespopulist Wulff über die Politiker herzuziehen und sich immer nur darüber zu beklagen, dass dauernd Regeln gebrochen werden und alles ganz schlimm ist. Ist es, keine Frage, aber die Welt ist kein Ponyhof. Und vielleicht waren ja auch ein paar der Regeln einfach nicht so clever.

Wenn man aber die Währung behalten will, dann muss ja ganz offensichtlich irgendetwas geschehen. Man kann Eurobonds einführen, den EFSF vergrößern und mit der Flexibilität ausstatten, die nötig ist, um am Markt zu agieren, oder man kann den Job der EZB übertragen.  Für all das gibt es Argumente und Gegenargumente, aber wer alles ablehnt – wie es 90 Prozent der Deutschen zu tun scheinen – der macht sich einen „schlanken Fuß“ um einmal Wulff zu zitieren.

Wenn jetzt dieselben Leute, die gegen die Bondkäufe der EZB wettern, sich darüber beklagen, dass durch den EFSF ihr schönes Budgetrecht zum Teil verlustig geht, dann ist das bestenfalls unaufrichtig. Soll Klaus Regling etwas jedes Mall beim Bundestag nachfragen, bevor er interveniert? Die Märkte werden aber richtig Angst bekommen. Und: Fordern wir nicht von den Griechen und den Portugiesen, dass sie ihr Budgetrecht aufgeben?

Die Euro-Debatte ist ein Trauerspiel.

 

Christian Wulff bricht die Verträge

Artikel 130 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union:

Bei der Wahrnehmung der ihnen durch die Verträge und die Satzung des ESZB und der EZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die Europäische Zentralbank noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen. Die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.

Bundespräsident Christian Wulff heute in Lindau über die Anleihekäufe der EZB:

Dies kann auf Dauer nicht gutgehen und kann allenfalls übergangsweise toleriert werden. Auch die Währungshüter müssen schnell zu den vereinbarten Grundsätzen zurückkehren.

Christian Wulffs Aussage ist jenseits aller inhaltlichen Aspekte  ein klarer Verstoß gegen das Prinzip der Unabhängigkeit der Notenbank. Wenn der Präsident – sagen wir – Peer Steinbrück heißen würde und niedrige Zinsen gefordert hätte, hätten das bestimmt auch alle so geschrieben und kommentiert.

Wetten, dass morgen in den deutschen Zeitungen zu lesen sein wird, Wulff habe auf eine bedenkliche Entwicklung aufmerksam gemacht und es sei Zeit für die EZB, zur Besinnung zu kommen.

Das Prinzip der Unabhängigkeit gilt in Deutschland offenbar nur dann, wenn die Notenbank auf den Pfaden der Orthodoxie wandelt. Vielleicht ist es besser,  den Vertrag gleich zu ändern, damit die Sache wenigsten transparent ist. Vorschlag:

Bei der Wahrnehmung der ihnen durch die Verträge und die Satzung des ESZB und der EZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten verhält sich die Europäische Zentralbank so, wie es in der FAZ steht.

Update: Christian Wulffs Rede ist nicht nur ein Skandal, sondern auch noch falsch, zumindest aber missverständlich.

Der indirekte Kauf von Staatsanleihen ist im Übrigen auch noch teuerer als der direkte. Wieder verdienen Finanzmarktakteure Provisionen ohne jedes Risiko.

Wenn die Händler der EZB einer Bank eine italienische Anleihe zu 90 abkauft, die die Bank am Primärmarkt zu 100 eingekauft hat – wer bucht dann den Verlust. Bislang – man kann es im Jahresbericht nachlesen – hat die Notenbank mit ihrem SMP Programm Gewinn gemacht. Und mit Italien und Spanien wird sie auf jeden Fall Gewinn machen, weil es in diesen Ländern zu keinem Zahlungsausfall kommen wird.

 

Warum Frank Schirrmacher immer noch kein Linker ist

Frank Schirrmacher hat nicht nur sein Gespür für die großen Trends bewiesen, sondern auch einen klugen Aufsatz geschrieben, in dem er die zerstörerische Kraft des entfesselten Marktes eindrucksvoll beschreibt:

Die CDU aber, belehnt mit einem autodidaktischen Ludwig-Erhard-Studium, sieht nicht, wer in diesen schrumpfenden Räumen sitzt: Lehrer und Hochschullehrer und Studenten, Polizisten, Ärzte, Krankenschwestern, gesellschaftliche Gruppen, die in ihrem Leben nicht auf Reichtum spekulierten, sondern in einer Gesellschaft leben wollen, wo eindeutige Standards für alle gelten, für Einzelne, für Unternehmen und für Staaten, Standards von Zuverlässigkeit, Loyalität, Kontrolle.

Man hat diesen Aufsatz als Umkehr eines Konservativen rezipiert, der sich mit linken Positionen anfreundet. Das ist nicht die richtige Interpretation – im Gegenteil. Weiter„Warum Frank Schirrmacher immer noch kein Linker ist“

 

Tax and Spend!

Das empfiehlt Investorenlegende Warren Buffett, als habe er sich mit Frank Schirrmacher abgestimmt.

OUR leaders have asked for “shared sacrifice.” But when they did the asking, they spared me. (…) Back in the 1980s and 1990s, tax rates for the rich were far higher, and my percentage rate was in the middle of the pack. According to a theory I sometimes hear, I should have thrown a fit and refused to invest because of the elevated tax rates on capital gains and dividends.

I didn’t refuse, nor did others. I have worked with investors for 60 years and I have yet to see anyone — not even when capital gains rates were 39.9 percent in 1976-77 — shy away from a sensible investment because of the tax rate on the potential gain. People invest to make money, and potential taxes have never scared them off. And to those who argue that higher rates hurt job creation, I would note that a net of nearly 40 million jobs were added between 1980 and 2000. You know what’s happened since then: lower tax rates and far lower job creation.

Nur um das klarzustellen: Ich bin der Meinung, dass der Kapitalismus das am wenigsten Schlechte System ist. Aber er wird politisch nur überleben, wenn er Teilhabe erlaubt, und ökonomisch, wenn er ausreichend Kaufkraft generiert. Und das bedeutet neben vielen anderen Dingen eben auch: Den Reichen nehmen und den Armen geben. Anders geht es nicht. Punkt.

Oder, um es mit dem Altmeister JMK zu sagen:

If capitalist society rejects a more equal distribution of incomes  [… ], then a chronic tendency towards the underemployment of resources must in the end sap and destroy that form of society.

 

Wie die FAZ die Geschichte umschreibt

Holger Steltzners Essay in der FAZ illustriert wunderbar, woran der wirtschaftspolitische Diskurs in Deutschland krankt. Es lässt sich trefflich und lange über das Für und Wider des Keynesianismus streiten. Beide Lager haben eine Reihe guter Argumente auf ihrer Seite, es gibt im Zuge der Krise eine ganze Fülle von interessanten neuen Arbeiten. Ein solcher Streit wäre höchst sinnvoll, er würde die Schwachstellen in den jeweiligen Argumentationsmustern freilegen und am Ende vielleicht ein klareres Bild der Realität entstehen lassen. Weiter„Wie die FAZ die Geschichte umschreibt“

 

Danke, FDP!

Private Sector Involvement is killing us (via ftd.de):

Vom neuerlichen Kursrutsch an den Börsen sind die europäischen Banken besonders stark betroffen. In Frankfurt verlor die Aktie der Deutsche Bank bis zu neun Prozent. Bei der Commerzbank  summierten sich die Abschläge auf zeitweise 8,6 Prozent. Noch schlimmer erwischte es die französische  Société Générale, die bis zu 20 Prozent einbrach. Hintergrund sind wohl neue Sorgen um das Geriechen-Engagement der Geldhäuser: Der Athener Finanzminister Evangelios Venizelos hatte zuvor angedeutet, weitere Anleihen seines Landes könnten in das „freiwillige“ Umtauschprogramm aufgenommen werden, durch das private Gläubiger auf Teile ihrer Forderungen gegen das Euro-Mitglied verzichten sollen

 

Was Trichet hätte sagen sollen

Seit Montagmorgen wird zurückgeschossen. Die Europäische Zentralbank ist in Aktion getreten und interveniert am Markt für italienische und spanische Staatsanleihen. Die Maßnahme hat Trichet in einer Mitteilung am Sonntag wie folgt begründet:

Auf der Grundlage der obigen Beurteilungen wird die EZB ihr Programm für die Wertpapiermärkte aktiv umsetzen. Dieses Programm soll vor dem Hintergrund der Störungen in einigen Marktsegmenten zur Wiederherstellung einer besseren Transmission ihrer geldpolitischen Beschlüsse und somit zur Gewährleistung der Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet beitragen.

Weiter„Was Trichet hätte sagen sollen“

 

Pro-zyklische Finanzpolitik ist verantwortlich für den Crash

Gegen Abend kam der Ausverkauf an den Aktienmärkten und Rohstoffmärkten erst einmal zu einem Ende. Die Anleger erwarten, dass der Chef der Fed angesichts der Panik der vergangenen Tage heute noch einmal ein Kaninchen aus dem Hut zaubern wird. Er könnte beispielsweise verkünden, dass die Notenbank künftig stärker am langen Ende der Renditekurve intervenieren wird oder dass auf Jahre hinaus nicht geplant ist, die Notenbankbilanz wieder zu verkürzen. So oder so, die Botschaft wird sein, dass es nicht an Liquidität mangeln wird. Das wird die Aktienmärkte in den nächsten Tagen vermutlich etwas beruhigen, aber nichts daran ändern, dass sich die amerikanischen Konsumenten mit ihren Ausgaben zurückhalten – ihre Schulden sind einfach zu hoch. Weiter„Pro-zyklische Finanzpolitik ist verantwortlich für den Crash“

 

Trichets letzter Streich

Kurz vor Ende seiner Amtszeit meldet sich Jean-Claude Trichet zurück. Die EZB hat ihr umstrittenes Bondprogramm reaktiviert und wieder damit begonnen, Anleihen der Krisenstaaten am Sekundärmark aufzukaufen – und sie geht dabei recht clever vor. Offenbar kaufen die Händler der Notenbank Papiere aus Portugal und Irland, Länder also, die derzeit nicht am Markt sind, weil sie mit Rettungskrediten der EU versorgt werden. Weiter„Trichets letzter Streich“

 

Die letzten Tage des alten Europas

Europa steuert auf die Entscheidungsschlacht zu. Wenn sich der Risikoaufschlag auf spanische und italienische Staatsanleihen auf dem aktuellen Niveau hält, können beide Länder früher oder später Bankrott anmelden – was uns wieder einmal zeigt, dass eine Pleite kein objektiver Zustand ist, sondern eines von mehreren möglichen Gleichgewichten.

Letztlich können wir nur hoffen, dass die aktuellen Renditen wirklich ein Ergebnis der Panik an den Märkten sind – dass es sich also um eine Fehlbewertung handelt. Mit Liquiditätskrisen kann Europa umgehen, genau deshalb wird jetzt ein Europäischer Währungsfonds eingerichtet, der im Zweifel die überhohen Renditen durch den Ankauf von Anleihen auf dem Sekundärmarkt oder die Vergabe von Garantien nach unten prügelt. In diesem Fall wäre damit auch kein Transfer verbunden.

Und wenn der neue Fonds nicht rechtzeitig fertig und schnell genug aufgestockt wird, weil die Parlamentarier es vorziehen, in den Sommerurlaub zu fahren, während der Kontinent brennt, dann muss eben die EZB noch einmal ran. Sie hat im Prinzip unbegrenzte Ressourcen und kann ohne langwierige Abstimmungsprozesse handeln. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Notenbanker einspringen, weil die Finanzpolitik versagt. Und der erste deutsche Abgeordnete, der etwas vom Überschreiten des Rubikon faselt, sollte sein Mandat zurückgeben.

Wenn wir es aber, woran ich nicht glaube, doch mit Solvenzproblemen zu tun hätten, wenn also wirklich halb Europa pleite ist, dann weiß ich auch nicht weiter. Dann bleibt nur der Euro-Bond oder die Auflösung der Währungsunion.

Was also tun?