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Wie die FAZ die Geschichte umschreibt

Holger Steltzners Essay in der FAZ illustriert wunderbar, woran der wirtschaftspolitische Diskurs in Deutschland krankt. Es lässt sich trefflich und lange über das Für und Wider des Keynesianismus streiten. Beide Lager haben eine Reihe guter Argumente auf ihrer Seite, es gibt im Zuge der Krise eine ganze Fülle von interessanten neuen Arbeiten. Ein solcher Streit wäre höchst sinnvoll, er würde die Schwachstellen in den jeweiligen Argumentationsmustern freilegen und am Ende vielleicht ein klareres Bild der Realität entstehen lassen. Weiter„Wie die FAZ die Geschichte umschreibt“

 

Was Trichet hätte sagen sollen

Seit Montagmorgen wird zurückgeschossen. Die Europäische Zentralbank ist in Aktion getreten und interveniert am Markt für italienische und spanische Staatsanleihen. Die Maßnahme hat Trichet in einer Mitteilung am Sonntag wie folgt begründet:

Auf der Grundlage der obigen Beurteilungen wird die EZB ihr Programm für die Wertpapiermärkte aktiv umsetzen. Dieses Programm soll vor dem Hintergrund der Störungen in einigen Marktsegmenten zur Wiederherstellung einer besseren Transmission ihrer geldpolitischen Beschlüsse und somit zur Gewährleistung der Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet beitragen.

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Die letzten Tage des alten Europas

Europa steuert auf die Entscheidungsschlacht zu. Wenn sich der Risikoaufschlag auf spanische und italienische Staatsanleihen auf dem aktuellen Niveau hält, können beide Länder früher oder später Bankrott anmelden – was uns wieder einmal zeigt, dass eine Pleite kein objektiver Zustand ist, sondern eines von mehreren möglichen Gleichgewichten.

Letztlich können wir nur hoffen, dass die aktuellen Renditen wirklich ein Ergebnis der Panik an den Märkten sind – dass es sich also um eine Fehlbewertung handelt. Mit Liquiditätskrisen kann Europa umgehen, genau deshalb wird jetzt ein Europäischer Währungsfonds eingerichtet, der im Zweifel die überhohen Renditen durch den Ankauf von Anleihen auf dem Sekundärmarkt oder die Vergabe von Garantien nach unten prügelt. In diesem Fall wäre damit auch kein Transfer verbunden.

Und wenn der neue Fonds nicht rechtzeitig fertig und schnell genug aufgestockt wird, weil die Parlamentarier es vorziehen, in den Sommerurlaub zu fahren, während der Kontinent brennt, dann muss eben die EZB noch einmal ran. Sie hat im Prinzip unbegrenzte Ressourcen und kann ohne langwierige Abstimmungsprozesse handeln. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Notenbanker einspringen, weil die Finanzpolitik versagt. Und der erste deutsche Abgeordnete, der etwas vom Überschreiten des Rubikon faselt, sollte sein Mandat zurückgeben.

Wenn wir es aber, woran ich nicht glaube, doch mit Solvenzproblemen zu tun hätten, wenn also wirklich halb Europa pleite ist, dann weiß ich auch nicht weiter. Dann bleibt nur der Euro-Bond oder die Auflösung der Währungsunion.

Was also tun?

 

Die FAZ will nicht mehr umschulden

Sehr aufschlussreiche Analyse von Holger Steltzner in der FAZ, mit dem Schlüsselsatz:

Wenn Griechenland den Schuldenschnitt wählt, darf das Land nicht Mitglied der Währungsunion bleiben, weil sonst jedes Stabilitätsprinzip gebrochen wird. Wenn alle Schuldenschleusen offen sind, was soll dann noch ein Land zu solider Haushaltsführung antreiben?

Interessant ist nicht der inhaltliche Standpunkt, den ich hier auch nicht bewerten will. Interessant ist, dass sich mit Steltzner die Leitfigur der deutschen Konservativen gegen eine Umschuldung stellt beziehungsweise er diese nur unter der Nebenbedingung zulassen will, dass Griechenland aus der Währungsunion geworfen wird.

Da sich in den vergangenen Monaten vor allem konservative Ökonomen für eine Umschuldung mal eben so – nach dem Motto: seit dem Ende des zweiten Weltkriegs wurden viele Staaten umgeschuldet, das ist doch alles kein Problem –  ausgesprochen haben, bin ich gespannt, ob sie ihre Position revidieren. Denn die Anreizprobleme einer Umschuldung in einer Währungsunion und ihre Auswirkungen auf die Zentralbankbilanz sind urkonservatives Terrain und wurden von einigen Vertretern der Zunft wohl nicht ausreichend bedacht.

Es dürfte einige Debatten geben in den konservativen Zirkeln der Republik.

 

Wo Dirk Kurbjuweit irrt

Dirk Kurbjuweit attackiert in einem Essay im neuen Spiegel, die vermeintliche Sprachlosigkeit der Kanzlerin unter anderem in der Euro-Krise.

Es ist hohe Zeit für Reden an die Bevölkerung, es ist die Zeit für große Reden, jedenfalls klärende. Merkel verweigert das. (…) Es muss geredet werden. Das Reden gehört nicht nur zur Demokratie, es ist das Wesen der Demokratie. Ohne Worte wird sie zum Skelett. Reden Sie, Kanzlerin, reden Sie endlich.

Bitte nicht! Es wird nicht zu wenig, sondern zu viel geredet – gerade von Angela Merkel. Ständig erklärt sie sich den Bürgern, lobt den Euro, müht sich ab. Wie ein fleißiges Bienchen den Honig sammelt sie die Legitimität, auch weil das die Leitartikler von ihr erwarten – und je mehr sie sammelt, desto mehr wenden sich die Bürger ab (weil sie mit Europa nun einmal noch nie etwas anfangen konnten) und desto nervöser werden die Märkte (weil sie genau das wissen).

Eine saubere Lösung dieser Krise hätte so ausgesehen: Die EU garantiert erst einmal für die Schulden der Problemstaaten, dann trifft sich Merkel mit Papandreou in einem Hinterzimmer und macht ihm klar, dass sein Land alle Stimmrechte in Brüssel verliert, wenn nicht harte Reformen umgesetzt werden. Dann geht sie in die Tagesschau und erklärt mit festem Blick, dass alles in Ordnung sei. Die Märkte wären ruhig geblieben und die Reformen wären trotzdem auf den Weg gebracht worden. Der große strategische Fehler der Retterei war es, Konditionalität über die Märkte erzwingen zu wollen, statt diese Konditionalität politisch durchzusetzen. Denn wer mit dem Märkten spielt, der spielt mit dem Feuer. Wenn sie erst einmal brennen, dann brennen sie alles nieder. Nicht lange rumreden, sondern handeln – so wird Geschichte gemacht.

Stattdessen: Geschnatter und Chaos.

 

Martin Blessing und die Umschuldung

Der Chef der Commerzbank hat bekanntlich einen Vorschlag zur Umschuldung in Griechenland gemacht, der hohe Wellen schlug. Die Privatgläubiger würden richtig bluten, heißt es. Die Essenz:

Die Gläubiger könnten ihre Bonds mit einem 30-Prozent-Abschlag in 30 Jahre laufende Papiere mit einem Zinssatz von 3,5 Prozent tauschen, die mit einer gemeinschaftlichen Garantie der Euroländer versehen sind. Die Gläubiger müssten also auf 30 Prozent ihrer Forderungen verzichten.

Der durchschnittliche Abschlag auf griechische Staatsanleihen liegt bei ungefähr 50 Prozent. Die Banken würden gegenüber einem Szenario ohne Umschuldung 30 Prozent verlieren, gegenüber der aktuellen Marktbewertung würden sie aber 20 Prozent gewinnen.

Dazu kommt nun das Griechenland auf 30 Jahre Geld geliehen bekommt. Hier hören sich 3,5 Prozent sehr niedrig an, doch es handelt sich ja nicht um eine Griechenlandanleihe, sondern um ein gemeinschaftlich garantiertes, also wohl ein AAA Papier. Wie zum Beispiel 30-jährige deutsche Bundesanleihen – und die liegen aktuell bei  3,4 Prozent. Die Banken bekommen also einen marktüblichen Zins. Das Risiko tragen die europäischen Steuerzahler.

Es bleiben also im Sinne einer Gewinn und Verlustrechnung nur die 30 Prozent Abschlag. Mit anderen Worten: Gemessen am Szenario Zahlungsfähigkeit zahlen sie drauf. Gemessen am Szenario Default aber ist Blessings Vorschlag für die Banken recht attraktiv – und alle Institute, die ihren Anleihebestand zu Marktpreisen bewerten, würden dabei sogar einen Gewinn machen.

Honi soit qui mal y pense.

 

Anleiherückkäufe – die Zweite

Wie zu hören ist, wird inzwischen auch darüber nachgedacht, die Banken dazu zu zwingen, ihre Anleihen mit den derzeit am Markt gehandelten Abschlägen zu verkaufen. Damit wäre das Problem gelöst, dass der Kurs steigt beziehungsweise die Institute ihre Anleihen nicht hergeben, wenn der Staat als massiver Käufer auftritt. Allerdings: Das wäre dann ein klarer massiver Schuldenschnitt – mit allen Konsequenzen (Pleite der griechischen Banken, Ansteckung). Dann kann man es auch gleich so nennen.

 

Was bringen Bondrückkäufe?

Nun ist also wieder die Zeit der Modelle gekommen. Mit mehr als dreißig unterschiedlichen Verfahren zur Lösung der Krise beschäftigen sich die Fachbeamten der EU derzeit angeblich, den vollen Instrumentenkasten will Finanzminister Wolfgang Schäuble nützen. Die FTD berichtet, dass ein groß angelegtes Anleiherückkaufprogramm derzeit favorisiert wird.  Ich war skeptisch, als diese Idee erstmalig aufkam und bin es nach wie vor. Weiter„Was bringen Bondrückkäufe?“

 

There is no easy way out

Von Paul Krugman kommt dieser Hinweis auf ein exzellentes Papier des IWF, in dem die Wirkung der Fiskalpolitik auf das Wirtschaftswachstum untersucht wird. Ergebnis: Die Existenz sogenannter nicht-keynesianischer Effekte – also expansive Auswirkungen einer kontraktiven Fiskalpolitik, etwa durch die Verbesserung der Zuversicht von Unternehmen und Verbrauchern – können nicht nachgewiesen werden. Die Studien, die solche Effekte zu belegen versuchen, messen die Ausrichtung der Fiskalpolitik falsch, weil sie sich zumeist auf statistische Modelle verlassen, die die zyklischen von den strukturellen Ausgaben und Einnahmen durch Filtermethoden zu trennen versuchen, statt sich die konkreten Maßnahmen vorzunehmen. Weiter„There is no easy way out“

 

Ein Hoch auf Standard & Poor’s

Die Rating-Agentur hat gesprochen – und die Träume von einer sanften Umschuldung zunichte gemacht. Hier die Schlüsselpassage aus dem Bericht von S&P:

In brief, it is our view that each of the two financing options described in the FBF proposal would likely amount to a default under our criteria.

Es ist interessant – und für den deutschen Journalismus bezeichnend – wie jetzt überall auf die Agenturen eingedroschen wird. Normalerweise mache ich da gerne mit, aber hier ist es verfehlt. Denn, liebe Kollegen: Ihr habt euch den falschen Bösewicht ausgesucht. Es nützt nichts, auf den Überbringer der schlechten Nachrichten einzuprügeln. Weiter„Ein Hoch auf Standard & Poor’s“