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Haare schneiden oder nicht?

Ist die Euro-Zone insolvent oder kriegt sie noch die Kurve? Das ist die alles entscheidende Frage, um die es sich hier, bei Weissgarnix und bei Kantoos immer wieder dreht. Die Skeptiker, sind davon überzeugt, dass die Solvenz nicht mehr gegeben ist und deshalb umgeschuldet werden sollte. Die Optimisten, dazu zählt wohl die EU, glauben, dass es sich nur um ein Illiquiditätsproblem handelt, dass mit Überbrückungskrediten gelöst werden kann. Also: Alte Schulden mit neuen Schulden bekämpfen oder Umschuldung? Weiter„Haare schneiden oder nicht?“

 

Werfen wir uns in die Arme Washingtons

Die Kritik Angela Merkels Rolle in der Euro-Krise ist in vielerlei Hinsicht gerechtfertigt. In einem Punkt aber muss man sie loben: Die Idee, den Internationalen Währungsfonds einzubeziehen, hat sich im Nachhinein als sinnvoll erwiesen. Viele waren skeptisch, ich gehöre auch dazu – denn wer die Staatswerdung Europas befürwortet, der hätte es lieber gesehen, wenn die Euro-Zone  ihre Probleme selbst lösen würde, statt in Washington um Hilfe nachzusuchen. Wenn Bayern ein Problem hat, dann rufen wir schließlich auch nicht nach DSK.

Allerdings zeigt sich, dass der IWF offenbar die besseren Krisenrezepte hat. Nach meiner Kenntnis haben seine Leute immer wieder auf weniger restriktive Defizitvorgaben gedrungen (weil sie wissen, dass zuviel Sparen nichts bringt) und im Fall Irland hat der Fonds offenbar auch einen härtere Gangart gegenüber den Banken vorgeschlagen. Dazu Kevin O’Rourke auf Eurointelligence:

It was the European Central Bank and the Commission who had vetoed the proposal to force some of the bank losses back onto the bondholders. This interpretation is generally accepted in Dublin, although many observers also blame the Irish negotiating team for caving much too easily into pressure from Brussels and Frankfurt. The implication is that the IMF were the good guys: an unusual position for them to find themselves in, perhaps, and one with political implications in a country whose relationship with the European Union has been uneasy in recent years, and which has conserved close ties with the United States. On Monday night, an opposition spokesman made it clear that he would be much happier negotiating with the IMF, who are reasonable people, than with our European partners. The fallout from this will be toxic.

Die Jungs aus Washington sind bestimmt keine Samariter, aber sie verstehen etwas von Liquiditäts- und Solvenzproblemen, sie sind nicht Teil des europäischen Interessengeflechts und – vielleicht am wichtigsten – sie müssen nicht die Vergeltungs- und Rachegelüste der deutschen Bevölkerung bedienen und die Konditionen für die Nothilfe so ausgestalten, das die Effektivität dieser Hilfe unterminiert wird.

 

To bail out or not to bail out

Weissgarnix reitet eine wortgewandte Attacke gegen unsere lieben Finanzmarktakteure, die sich partout nicht an den Kosten einer Krise beteiligen wollen und die Insolvenzpläne der Kanzlerin deshalb kritisieren.

Wenn das Grundprinzip des Kapitalismus – keine Rendite ohne Risiko, jeder haftet für seine Entscheidungen – hier ganz offenbar nicht akzeptiert wird, warum lassen wir es nicht ganz bleiben mit der Marktwirtschaft, fragt er.

I beg to disagree. Die Argumentation erscheint mir in erster Linie moralischer Natur: Eine Norm bezieht seine Geltungskraft aus ihrer universellen Anwendung. Wenn dieses Prinzip nicht durchgehalten werden kann, dann weg mit der Norm. Hier der Kapitalismus.

Doch den zeichnet meines Erachtens nicht seine moralische Überlegenheit aus, sondern seine Fähigkeit, Güter zu produzieren. Und zwar eine ganze Menge und ziemlich effizient. Er muss sich also nicht moralisch legitimieren, sondern technisch.

Jede Argumentation pro Gläubigerbeteiligung (und die Probleme des Timing und der mangelhaften beziehungsweise unnötig harten Ausführung, die ja im Zentrum der Kritik stehen, lasse ich jetzt einmal außen vor) muss also über die Anreize kommen, über Marktdisziplin und so weiter, die Finanzmärkte als fünfte Gewalt, die die staatlichen Exzesse eindämmen. Tietmeyer eben, wie Lübberding gezeigt hat. Man kann das tun, aber dann werden die Dinge schon komplizierter.

Und ins Allgemeine gewendet: Wenn Moraldefizite der Preis sind für Wohlstandsgewinne – so sei es. Lieber too big to fail als arm, lieber der totale bail-out als die Steinzeit. Das jemand den ganzen Kram ordentlich verteilen muss: Sowieso klar.

 

Ein Hoch auf diese Regierung

Lassen Sie uns den Hut ziehen vor dieser Regierung! Wann hatte die Bevölkerung in Deutschland je eine in wirtschaftlichen Belangen ausgebufftere Regierung? Wann wurde das letzte Mal eine solch großartige Wachstumspolitik betrieben, die sich gleich dreier Schienen bedient? Dem Wechselkurs, den die Regierung elegant herunter redet, den Zinsen, die sie mit ihrem Insolvenzplänen für Euroland auf immer neue Tiefen fallen lässt, sowie einer gezielten Lohnstückkostensenkungspolitik, die die erarbeiteten Wettbewerbsvorteile zementiert? Was Kanzlerin Merkel samt ihren Beratern, den Herren Schäuble, Brüderle und Weber (Bundesbank) da zaubern, steht makromäßig den goldenen Zeiten eines Bill Clinton und Alan Greenspan in nichts nach. Ja, es ist schlauer.

Deshalb bin ich auch für das nächste Jahr recht optimistisch, was das Wachstum in diesem unseren Lande betrifft. Bei einer solch grandiosen Steuerung sind gut und gerne mehr als 2,5 Prozent Wachstum drin. Die langjährigen Freunde des HERDENTRIEB merken es spätestens hier: Die Wachstumswette ist mal wieder fällig, wie jedes Jahr zum Geburtstag dieses Blogs. Mit ihr begann alles im November 2005. Waren meine ersten vier Wetten gut bis spektakulär (die erste), so war die letzte vom November 2009 geradezu beschämend schlecht. Ich habe zweierlei vollkommen falsch eingeschätzt. Das eine tut weh: die Wirkung der Konjunkturprogramme. Das andere hätte ich mir selbst im Traum nicht ausmalen können: diese verdammt schlaue Regierung. Weiter„Ein Hoch auf diese Regierung“

 

Modern Finance – ein gefährlicher Hokuspokus

Wie wäre es als Weihnachtsgeschenk mit einer 400-seitigen Polemik gegen die sogenannte, nichtsdestoweniger mit vielen Nobelpreisen geadelte Wissenschaft namens Modern Financial Theory? Ich hätte da ein passendes Buch für Sie, wenn Ihnen das Lesen englischer Texte nicht zu mühsam ist (wer wagt sich mal an eine Übersetzung?). Es heißt „Alchemists of Loss„, ist erschienen bei Wiley, und die Autoren sind die Briten Kevin Dowd und Martin Hutchinson. Sie können schreiben, sie wissen wovon sie reden, sie sind aber, was ihre Reformvorschläge angeht, ziemlich harte marktradikale Hunde und nicht jedermanns Geschmack. Das schließt mich ein. Sie sind besser in der Diagnose als in der Therapie. Weiter„Modern Finance – ein gefährlicher Hokuspokus“

 

EZB in der Identitätskrise

Die Finanzkrise hat eine Reihe von Problemen zutage gebracht, mit denen die Väter und Mütter des Euros nicht rechnen konnten. Das Hauptziel war es, die Inflation des Währungsraums insgesamt unter Kontrolle zu halten, also bei etwas unter 2 Prozent. So lautet das Inflationsziel der EZB. Das wurde erreicht, es stellte sich aber heraus, dass der Kampf gegen die Geldentwertung nur eine von mehreren Aufgaben der EZB ist, und in einer richtigen Krise nicht einmal die wichtigste. Es ist fast selbstverständlich, dass die Inflationsraten stark zurückgehen, wenn große schuldengetriebene Immobilien- und Aktienkrisen geplatzt sind oder Banken ihre Kredite zurückfahren, weil sie sich (mit Asset-backed Securities oder Hypothekenkrediten) verspekuliert haben. Weiter„EZB in der Identitätskrise“

 

The world according to Süddeutsche Zeitung

Den Kollegen Christian Wernicke bei der Süddeutschen schätze ich eigentlich sehr. Aber diese Passage in seinem Leitartikel heute verdient eine kritische Würdigung.

Auf dem Höhepunkt – dem G20-Gipfel in Seoul – blamierte sich Obama mit der Forderung, die in ihrem Export übermächtigen Chinesen und Deutschen sollten bitteschön ihre Ausfuhren drosseln – und der US-Zentralbank brav erlauben, die Geldpresse anzuwerfen um 600 Milliarden Dollar zu drucken. Wer solch inflationären Schaden anrichtet, muss Spott ernten.

Weiter„The world according to Süddeutsche Zeitung“

 

Deutschland, ein Währungsmanipulator?

Also die Kanzlerin hat sich beim Gipfel mal wieder durchgesetzt. Jenseits der medialen Gewinn- und Verlustrechnung hat Wolfgang Münchau auf einen wichtigen Punkt aufmerksam gemacht: Es ist was die internationalen Auswirkungen und insbesondere die Reaktion der Leistungsbilanzen angeht völlig egal, ob ein Land seine Währung abwertet oder die Löhne gekürzt werden. Wenn also die Deutschen nun argumentieren, anders als China betrieben sie keine Währungsmanipulation und müssten deshalb gesondert behandelt werden, so stimmt nur der erste Teil der Aussage.

Technisch gesprochen: Es zählt der reale (genauer gesagt, der real effektive) und nicht der nominale Wechselkurs.

Hier ist er von der Bundesbank:

Deutschland ist also ein real effektiver Währungsmanipulator. Und ich werde es nie zum G20-Sherpa bringen, höchstens für die Amerikaner.

PS: Wenn man die Länder der Euro-Zone heraus rechnet werten wir am aktuellen Rand auf, bleiben aber noch deutlich unter dem Ausgangsniveau.

 

An unsere Jungs in Seoul: Keine Angst vor Tim Geithner

Wie man hört gestalten sich die Verhandlungen in Seoul schwierig. Vielleicht erreicht  die deutschen Unterhändler um Kanzlerberater Jens Weidmann, die jetzt wahrscheinlich in einem koreanischen Hinterzimmer mit ihren Kollegen aus den anderen G20-Staaten beisammen sitzen und über dem Text für die Abschlusserklärung brüten, ja folgende Grafik.  Sie zeigt – Quelle Bundesbank, die Werte für 2010 und 2011 sind eine Schätzung von Goldman Sachs – den deutschen Leistungsbilanzsaldo seit 1950 und die Grenzwerte von vier Prozent der Wirtschaftsleistung, die die Amerikaner vorgeschlagen haben.

Deutschland hätte Geithners Zielwert zumeist locker eingehalten. Es ist ein Mythos, dass die Deutschen strukturell konsumfaul und exportfixiert sind. Sie verhalten sich genau so wie andere Wirtschaftssubjekte –  gebt ihnen Geld und sie geben es aus. Die amerikanischen Pläne sind aus vielerlei Gründen sinnvoll –  und sie schaden Deutschland nicht einmal. Kein Grund also, sich zu verkämpfen, liebe deutsche Delegation. Stimmt zu und dann ab in die Bar auf ein Glas Sake. Macht doch auch mehr Spaß.