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Martin Wolf trifft den Nagel auf den Kopf

Bekanntlich wird im Moment darüber diskutiert, ob nicht die Tatsache, dass Deutschland im Vergleich mit den USA relativ gut dasteht, ein Beweis dafür sei, dass fiskalische und monetäre Stimuli nicht wirkten. Bekanntlich habe ich hier wiederholt zu zeigen versucht, dass das deutsche Wachstum anders als es die Brünings unserer Zeit glauben machen wollen auf recht anständige Konjunkturprogramme hierzulande zurückzuführen ist.

Martin Wolf nimmt sich heute in der FT die Stimulus-Kritiker in den USA vor:

„A recent paper by Alan Blinder, former vice-chairman of the Fed, and Mark Zandi of Moody’s argues that such critics are wrong. They use a standard macro-economic model to assess what would have happened without any intervention, without the financial interventions (including monetary policy) and without the fiscal action. They conclude that the peak to trough decline in gross domestic product would have been close to 12 per cent with no policy response, compared to an actual decline of just 4 per cent.“

Ja, es ist schlimm. Aber ohne Bernanke & Co wäre es noch viel viel schlimmer und die Amerikaner könnten sich wohl nicht einmal Bustickets zu ihren Tea Partys leisten. Angesichts der misslichen Lage zu argumentieren, die Krisenpolitik würde nicht funktionieren, gleicht der Klage über die Wirkungslosigkeit eines Antibiotikums, das nicht vorschriftsmäßig eingenommen wird. Es gab nicht zuviel, sondern zu wenig Stimulus. Aber was ist mit der bösen bösen strukturellen Arbeitslosigkeit, die sich angeblich nicht durch Nachfrage ausmerzen lässt? Ja, was ist damit?

„My answer, from European experience, is that one way to ensure it becomes structural is to let it linger. In the short run, the simplest way to prevent that from happening is to expand demand and so output.“

Genau so sieht es aus. Das beste Mittel gegen den Verlust von Qualifikationen und soziale Verwahrlosung ist es, die Leute in Arbeit zu halten. Und Martin wird auf seine alten Tage sogar noch zum Kontinentaleuropäer.

„At the same time, the enthusiasm with which US managers laid off workers is also extraordinary. No doubt, some of this is due to the collapse in construction. But some of it must be due to the ease with which US companies can lay off workers and the incentives for managers to maintain profits in a downturn at the expense of jobs.“

Deutsche Ökonomen: Studiert diese Kolumne, bevor ihr dieses Land mit Euren Empfehlungen weiter zugrunde richten, auf dass es uns in ein paar Jahren genau so geht wie den Amerikanern heute.

 

Mainz 05 schlägt Wolfsburg 4:3

In einem der sensationellsten Spiele der letzten Zeit haben die 05er am Samstag aus einem 0:3-Rückstand im Auswärtsspiel beim VfL Wolfsburg einen 4:3-Sieg gemacht – und wovon reden die Medien? Von der schwachen Deckung und dem neuen Traumsturm der Wolfsburger. Dass Mainz (wo ich wohne) ein klasse Team hat und einen hervorragenden, strategisch versierten Trainer namens Thomas Tuchel, wird fast gar nicht kommentiert. Mainz ist ein Underdog und wird es bleiben, ein Karnevalsverein eben, obwohl sie in der letzten Saison immerhin auf dem neunten Platz gelandet waren.

Als ich heute in der Financial Times den Beitrag von Wolfgang Münchau mit dem erstaunlichen Titel „Germany’s rebound is no cause for cheer“ las, erinnerte mich das an die Kommentare zum Spiel der Mainzer – irgendwie hat Deutschland bei den sogenannten internationalen Medien keine echte Chance. Was nicht sein kann, das nicht sein darf – Deutschland ist eine Rentnerrepublik und auf gar keinen Fall ein dynamisches Land, so wie Mainz einfach nicht guten Fußball spielen kann. Wenn sie gewinnen, war es Zufall, oder der Gegner hatte einen schlechten Tag. Weiter„Mainz 05 schlägt Wolfsburg 4:3“

 

Die SPD ist endlich auf dem richtigen Weg

Der Kollege Holger Steltzner heute unter der Überschrift „Rolle rückwärts“ in der FAZ zu den Plänen der SPD, den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent (ab einem Einkommen von 100000 Euro) anzuheben und die Vermögenssteuer einzuführen:

Sigmar Gabriel beschleunigt die Flucht der SPD vor der eigenen Vergangenheit. (…)Nun folgt die Rolle rückwärts bei den ungeliebten rot-grünen Steuer- und Sozialreformen. Hohe Steuern und kräftige Lohnzuwächse sollen nun für Vollbeschäftigung sorgen. Dabei beweist der Erfolg am Arbeitsmarkt das Gegenteil: zwei Millionen neuer Arbeitsplätze dank rot-grüner Reformen, von denen aber Gabriels SPD nichts mehr wissen will.

Ich zum selben Thema:

Die Steuersätze kommen von der tax-database der OECD, Soli ist mit eingerechnet. Weil ich im Zug mit schlechter Internetverbindung sitze, habe ich das etwas eilig zusammengezimmert und die Steuern jeweils durch zehn geteilt, damit die Skala passt. Nicht ganz state of the art, aber in Ordnung.

Man beachte die sofort ins Augen springenden Korrelation von Wachstum und Höhe des Spitzensteuersatzes. Wäre ich Thilo Sarrazin,  ich würde jetzt hier glatt behaupten, je höher die Steuern, desto höher das Wachstum. Natürlich ist es so einfach nicht, aber klar ist auch: Andersherum stimmt es schon gar nicht.

Also: Weiter so, Sigmar. Das ist keine Rolle rückwärts, sondern eine Rolle vorwärts.

Update: Das mit der Korrelation ist natürlich Ironie. Natürlich gibt es keinen Zusammenhang. Deshalb verstehe ich auch die Aufregung nicht. Und ja, die Farben der beiden Reihen sind vertauscht.

 

Just a thought on Sarrazin

Thilo Sarrazin: „Unter Dreisatz versteht man, dass man aus zwei Tatsachen, die man nicht hinterfragt, eine logische Schlussfolgerung zieht: Die Intelligenz ist zu 50 bis 80 Prozent erblich. Die weniger Intelligenten vermehren sich schneller als der Durchschnitt. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die Intelligenz der Grundgesamtheit sinkt.“

Also:

A: Intelligenz ist erblich.

B: Weniger intelligente Menschen bekommen mehr Kinder.

Daraus folgt C: Wir werden dümmer.

Nur: Wenn das so wäre – müsste dann die Menschheit nicht schon völlig verdummt sein? Stattdessen nehmen die gemessenen IQs zu.

 

Mal was Nettes über Deutschland

Wolfgang Münchau bei Eurointelligence hat dieses sehr interessante Paper von Fuest et al entdeckt. Es beschäftigt sich mit der Rolle der automatischen Stabilisatoren – also konjunkturbedingt höhere Ausgaben, die der Staat toleriert, wodurch er in der Krise die Nachfrage stützt. Klar, dass die Größe des Sozialstaats ein wichtiger Einflussfaktor auf die automatischen Stabilisatoren ist, denn wenn das Arbeitslosengeld bei 70 Prozent des Nominallohns liegt, wird bei steigender Arbeitsosigkeit weniger Nachfrageausfall zu beobachten sein als bei einer Rate von 20 Prozent des Lohns.

Fuest und seine Mitstreiter haben ausgerechnet, wie viel des Einkommensverlusts durch einen negativen Schock durch die Stabilisatoren kompensiert wird. Hier ist das Ergebnis:

Deutschland ist mit 48 Prozent gut dabei und vor Frankreich mit 37 Prozent. Die USA liegen bei 32 Prozent. In dem Paper wird das ganze dann auch noch für einen Arbeitslosigkeitschock durchgerechnet: In der EU werden 47 Prozent absorbiert, in den USA nur 34 Prozent.

Am Ende analysieren die Autoren noch (meines Erachtens wird es da methodisch ein wenig heikel), inwieweit sich die höheren Transferleistung auf die Nachfrage auswirken. Hier sind die Prozentsätze geringer, weil ja nicht jeder Euro vom Staat auch ausgegeben wird und von der finanziellen Lage der Haushalte abhängt. Für die USA kommen sie bei der Arbeitslosigkeit auf Werte von bis zu 20 Prozent, in Deutschland von bis zu 25 Prozent.

Warum schreibe ich das? Weil es zeigt, dass der Wohlfahrtsstaat nicht nur gut ist für die Menschen, sondern auch für die Konjunktur. Lasst ihn uns also ausbauen, dann brauchen wir in der Tat auch weniger diskretionäre Maßnahmen, die viele hierzulande ja so schrecklich finden.

PS: Fuest et al finden auch heraus, dass es keine Korrelation zwischen Größe der automatischen Stabilisatoren und Größe der Konjunkturpakete gibt. Ihr Ergebnis: Deutschland hat eines der größten Konjunkturpakete, obwohl es recht große Stabilisatoren hat. Vielleicht geht es uns ja deshalb so gut.

 

Geschichtsrevisionismus, Kapitel 1

Merkel 1 : Obama 0 leitartikelten neulich angesichts der erbärmlichen Wachstumsraten jenseits des Atlantiks und der grandiosen auf dieser Seite die erzkonservativen editorial pages des Wall Street Journal. Denn es habe sich gezeigt, dass amerikanisches deficit spending nichts bringt, deutsche Enthaltsamkeit aber schon. Klar, dass das Paul Krugman nicht einfach so auf sich sitzen lassen kann und so schlägt er heute zurück.

„Many people are now holding Germany up as proof that austerity is good. There are a number of reasons that’s foolish, among them the fact that Germany’s austerity policies have not yet begun — up to this point they’ve actually been quite Keynesian.“

Wie recht er doch hat, der gute Paul. Kurzarbeitergeld, Wegfall der Pendlerpauschale, Gebäudesanierung dazu die enormen automatischen Stabilisatoren. In den vergangenen Monaten ist eine ganze Menge Stimulus in die Wirtschaft geflossen. Wenn überhaupt, dann beweist Deutschland, dass Fiskalpolitik wirkt. Der IWF schätzt, dass das deutsche Konjunkturprogramm eines der größten weltweit ist. Genau zu dem Ergebnis bin ich auch gekommen.

Aber, sagen jetzt die Kritiker, ist nicht das deutsche Defizit viel niedriger als das amerikanische? Ganz richtig, aber erstens sind die Amerikaner unsolider in die Krise gegangen. 2007 lagen wir drüben bei einem Defizit von 2,8 Prozent des BIP und hüben bei einem Überschuss von 0,2 Prozent. Und zweitens sinkt die Neuverschuldung hierzulande ja nicht, weil der Staat jetzt schon so viel spart (tut er nämlich noch nicht, die Finanzpolitik ist expansiv ausgerichtet), sondern weil die Wirtschaft kräftig wächst und so mehr Geld in die Kassen gespült wird – während sie das bei den Amerikanern kaum tut.

Der Rückgang des Defizits ist ein Beleg dafür, dass Keynes wirkt. Und natürlich profitieren „wir“ auch davon, dass unsere Handelspartner allen voran China kräftig gekurbelt haben.

Es ist interessant zu beobachten, wie die Krise Stück für Stück umgedeutet wird.

 

Aktien mit überhöhten Risikoprämien

Die Weltwirtschaft wächst zur Zeit mit einem Tempo, wie wir es in den Jahren vor der Großen Rezession kannten. In den reichen Ländern sind die Output-Lücken nach wie vor groß, dafür herrscht Preisstabilität. Die Geldpolitik wird dort also expansiv bleiben, so dass es an den Rentenmärkten trotz der rekordniedrigen Renditen noch Kurspotenzial gibt. Aktien reflektieren noch nicht meine Erwartung, dass sich die Gewinne in diesem Jahr stark erholen werden. Die Kurs-Gewinnverhältnisse (KGV) für wichtige europäische Märkte liegen zwischen mageren 11 und 12. Für den S&P 500 liegt es auch nur bei 13,1. Vergleicht man die Aktienrenditen, die sich aus dem Kehrwert der KGV ergeben, mit der realen Rendite zehnjähriger deutscher oder amerikanischer Staatsanleihen, ergeben sich zur Zeit Risikoprämien in der Größenordnung zwischen sieben und acht Prozentpunkten. “Normal” ist eine Differenz von vier oder fünf Prozentpunkten. Kurspotenzial also auch an den Aktienmärkten.

In den Schwellenländern beträgt das Wirtschaftswachstum bereits wieder fünf Prozent und mehr. Da die Inflation ebenfalls auf etwa fünf Prozent angezogen hat, signalisieren die Notenbanken höhere Zinsen, de facto verfolgen sie aber weiterhin einen expansiven Kurs. Chinas Wachstum hat sich verlangsamt, woraufhin die Wirtschaftspolitik bereits wieder auf Expansion umschaltet. Der rasante Aufholprozess kann weitergehen, weil die Fundamentalfaktoren gesunder nicht sein können. Die Nachfrage nach Rohstoffen wird stabil bleiben, aber die Preise werden eher seitwärts tendieren.

Ausführliches zu den jüngsten Entwicklungen in den USA, Euroland, Japan und China und den Aussichten für Aktien, Bonds, und Rohstoffe in meinem neusten Investment Outlook:

Wermuth’s Investment Outlook – August 2010*) (pdf, 305 KB)

*) Den Investment Outlook von Dieter Wermuth in englischer Sprache gibt es einmal im Monat und er wird zunächst kostenlos auf Herdentrieb zum Herunterladen bereitgestellt. (ur)

 

Es gibt nichts zu verteilen – oder doch?

In den letzten Tagen ist – von Politikern der FDP, den Arbeitgebern aber auch vielen Kollegen – ein Satz besonders häufig zu hören:

«Was verteilt wird, muss erst einmal erwirtschaftet werden»

Das wird gerne als Argument gegen höhere Löhne, niedrigere Steuern oder eine Anhebung der Sozialleistungen vorgebracht. Doch wenn mit Adam Smith der Endzweck allen Wirtschaftens der Konsum ist, dann würde das Wirtschaften eingestellt, wenn – ein Extremfall – nicht mehr konsumiert würde. Das Besondere am Wirtschaftskuchen ist ja, dass er nicht kleiner, sondern größer wird, je mehr davon gegessen wird. Skeptiker vergleichen bitte die Entwicklung der Löhne und des Wirtschaftswachstums seit Beginn der Industrialisierung. Man könnte deshalb den Satz auch umdrehen.

«Erwirtschaftet wird nur, was auch verteilt wird»

Und noch etwas verschweigen die Verteilungsverneiner gerne. Denn natürlich wird immer etwas verteilt, wenn die Wirtschaft wächst. Der Satz, es gebe nichts zu verteilen, meint – in marxistischer Terminologie – zumeist, es gibt nichts für die Arbeit, weil das Kapital das Mehrprodukt einstecken will. Das kann manchmal gesamtwirtschaftlicher Perspektive sinnvoll sein, derzeit ist es das in Deutschland aber wohl eher nicht.

Und wenn der Staat sagt, es gebe nichts zu verteilen, weil das Geld für die Rückzahlung der Schulden verwendet werden muss, dann verteilt er auch. In diesem Fall an die Inhaber der Staatspapiere. Auch das ist nicht unbedingt schlecht – ich bin sogar dafür, wenn die Konsolidierung über höhere Steuern und nicht über niedrigere Ausgaben geschieht.

Aber man sollte Ross und Reiter schon benennen.

 

Wir brauchen keinen Wettbewerb (im Gesundheitswesen)

Mikro ist eigentlich nicht meine Baustelle, aber was da in Sachen Gesundheitsreform so diskutiert wird, ist schon sehr interessant. Da hat also Herr Rösler von der FDP, indem er den Kassen die Möglichkeit eingeräumt hat, Zusatzbeiträge zu erheben, den Wettbewerb angeblich erhöht. Zum Wohle des Versicherten, denn Wettbewerb ist natürlich immer gut.

Schauen wir uns das doch einmal genauer an. Weiter„Wir brauchen keinen Wettbewerb (im Gesundheitswesen)“