Lesezeichen
 

Demokratie auch dann unterstützen, wenn sie Islamisten an die Macht bringt?

Eine sehr ungewöhnliche Koalition von prominenten Intellektuellen hat sich in einem Offenen Brief an Präsident Obama gewandt. Islamwissenschaftler wie John Esposito, Neocons und Ex-Neocons wie Jean Bethke Elshtain, Robert Kagan und Francis Fukuyama, demokratische Muslime wie Radwan Masmoudi und Saad Eddin Ibrahim, linke Falken wie Peter Beinart und Matt Yglesias, der ehemalige Malysische Minsterpräsident Anwar Ibrahim und viele weitere unterstützen die Initiative. 

Das Ziel: Obama soll bei seiner neorealistischen Wende nicht aus den Augen verlieren, dass Demokratie und Menschenrechte im Nahen Osten und in der weiteren islamischen Welt auf der Tagesordnung bleiben müssen.

Man kann in dem Brief vielleicht eine Mahnung sehen, bei all den lobenswerten Initiativen, nun auch mit Schurken zu reden, nicht zu vergessen, dass das schlechte Standing der USA und des Westens in der Region auch daher kommt, dass man sich jahrzehntelang mit den Unterdrückern gemein gemacht hat, die Menschenrechte unterdrücken, foltern und Regimegegner einsperren.

Die Autoren plädieren auch für die Zusammenarbeit mit „mainstream islamist parties“, sofern sie durch Wahlen an die Macht gekommen sind, auf Gewalt verzichten und den demokratischen Prozess bejahen (Bsp. Türkei, Indonesien, Marokko). Demokratie ist nicht teilbar.  

Also: Gegen die autokratischen Regime aufstehen, wo sie Menschenrechte mißachten, und furchtlos den demokratischen Prozess auch dann verteidigen, wenn er Islamisten an die Macht bringt.

Hier der ganze Brief

Auszug:

In his second inaugural address, President Bush pledged that the United States would no longer support tyrants and would stand with those activists and reformers fighting for democratic change. The Bush administration, however, quickly turned its back on Middle East democracy after Islamist parties performed well in elections throughout the region. This not only hurt the credibility of the United States, dismayed democrats and emboldened extremists in the region, but also sent a powerful message to autocrats that they could reassert their power and crush the opposition with impunity.

In order to rebuild relations of mutual respect, it is critical that the United States be on the right side of history regarding the human, civil, and political rights of the peoples of the Middle East. There is no doubt that the people of the Middle East long for greater freedom and democracy; they have proven themselves willing to fight for it. What they need from your administration is a commitment to encourage political reform not through wars, threats, or imposition, but through peaceful policies that reward governments that take active and measurable steps towards genuine democratic reforms. Moreover, the US should not hesitate to speak out in condemnation when opposition activists are unjustly imprisoned in Egypt, Jordan, Saudi Arabia, Tunisia, or elsewhere. When necessary, the United States should use its considerable economic and diplomatic leverage to put pressure on its allies in the region when they fail to meet basic standards of human rights.

 

Die Scharia ist längst da

Zu den Schreckgespenstern unserer Islamdebatte gehört eine drohende Einführung der Scharia hierzulande. Doch die Scharia braucht in Deutschland gar nicht mehr eingeführt zu werden. Es gibt sie auch hier bei uns längst an jeder zweiten Ecke. Sie hat nur wenig mit der Vorstellung von komplett verhüllten Frauen, abgehackten Händen und Gesteinigten zu tun, wie wir sie etwa aus Afghanistan, Iran oder Saudi-Arabien kennen. 

Viele türkische Läden hier bieten ausschließlich Produkte an, die halal sind – also erlaubt gemäß dem Schariarecht. Das Bundesverfassungsgericht hat das islamische Schächten grundsätzlich erlaubt. Verbraucherzentralen geben »Einkaufsführer für Muslime« heraus, in denen islamisch korrekte Nahrungsmittel empfohlen werden. Und außer im Lehrberuf ist das religiöse Kopftuch bei uns am Arbeitsplatz ausdrücklich vom Gesetzgeber geschützt. All das fällt unter den schwer fasslichen Begriff »Scharia«.

Die Scharia ist kein Buch. Sie ist kein feststehender Codex, den man kaufen und nachschlagen kann. Scharia (in etwa: Weg) bezeichnet die Summe von Pflichten und Verboten, die das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft prägen – von der religiösen Praxis bis zum Erbrecht, von den Speisegeboten bis zum Straf- und Kriegsrecht. Als göttliches Recht wird die Scharia von den Rechtsgelehrten der vier führenden sunnitischen Schulen und den schiitischen Ajatollahs nach überlieferten Methoden aus dem Koran, den Überlieferungen über Mohammed (Hadithen) und den Texten großer Lehrer gedeutet.

Diese Rechtsgelehrten sind mächtig und schwach zugleich: Es gibt viele starke Meinungen, doch keine ist absolut verbindlich. Nur ein kleiner Kernbestand religiöser Pflichten ist unumstritten. Über viele Themen im Leben moderner Muslime – von der Kopftuchpflicht bis zur Bedeutung des Dschihad – gibt es sehr viel mehr Dissens, als die Autoritäten gerne zugeben möchten. Scheichs der islamischen Welt wie der populäre Ägypter Karadawi, der Selbstmordattentate für halal erklärt hat, sehen sich zunehmend von westlichen Gelehrten wie dem Amerikaner Abou el-Fadl herausgefordert, der sie als Barbarei bezeichnet und im Widerspruch zum islamischen Recht sieht (haram). (Hier deren Debatte lesen.)

Dieser Kampf um die Deutungshoheit geht auch Nichtmuslime an: Wer darf die Scharia auslegen? Nur die Muftis, Scheichs und Ajatollahs des Nahen Ostens, die sie antiwestlich aufladen? Oder auch junge muslimische Intellektuelle im Westen, die in der freiheitlichen Verfassung den besten Rahmen entdeckt haben, als Muslim gottgefällig zu leben? 

Die heikle Frage hier: Ist es denkbar, im Rahmen des islamischen Rechtsdenkens, das diese Trennung nicht kennt, den Vorrang der Verfassung und der weltlichen Gesetze vor dem geoffenbarten Recht zu denken? In dieser Frage ist die Jury noch draussen.

 

Lernen, mit dem radikalen Islam zu leben

Ich habe heute eine Reihe von Texten gelesen, die mich zum Grübeln bringen. So viele, dass ich nocht lange nicht mit dem Grübeln fertig bin. Doch das Gute an diesem Medium hier ist ja, dass man die Begrübelungsgrundlage verbreitern kann, indem man andere dazu einlädt, an de eigenen unfertigen Gedanken teilzuhaben und mitzudenken.

Erstens stach mir dieser Bericht von Press TV ins Auge, in dem behauptet wird, das State Department betrachte sie russische Zusammenarbeit mit den Iranern am Atomkraftwerk Bushehr als im Rahmen des Nichtverbreitungsregimes erlaubte zivile Aktivität. Es wird der Sprecher des Aussenminsiteriums Robert Wood zitiert (den ich noch aus seiner Zeit als Sprecher der Berliner US-Botschaft kenne): 

Robert Wood said during a Wednesday press briefing that the trial start-up of the Bushehr nuclear plant in southern Iran is in the realm of peaceful use of nuclear energy. 

Und dann wird geschlußfolgert: Wood’s remarks indicated that Washington’s apparent approval was because fuel arrangements for the nuclear facility were made with Russia. 

Was bedeuten würde, dass die russische Kooperation mit Iran positiv gesehen wird, weil sie als Argument dazu herhalten kann, dass die Iraner keine eigene Anreicherung brauchen (ausser für Waffenzwecke, was Iran ja zu verfolgen bestreitet).

Das ist doch eine erstaunliche neue Position zu dem ganzen Iran-Russland-Atom-Komplex!

Zweitens las ich einen leidenschaftlichen Text von Roger Cohen in der Herald Tribune, in dem dieser sich wegen eines Reihe von Reportagen aus Iran gegen die Vorwürfe verteidigt, er habe sich von Regime  einseifen lassen, was seine milde Sicht des Landes beweise.

Unmittelbarer Anlass für diese Selbstverteidigung: Cohens Äusserungen zur Lage der Juden im Iran, die dort nach seiner Schilderung besser leben als in den meisten arabischen Ländern. (Läßt sich wohl kaum bestreiten.)  Nun geht Cohen in die Vollen und wendet sich in seiner neuen Kolumne gegen die Dämonisierung des Iran. Vor allem die dauernden Vergleiche des Iran mit dem Nazi-Staat weist er zurück, und zwar sehr zu Recht:

I was based in Berlin for three years; Germany’s confrontation with the Holocaust inhabited me. Let’s be clear: Iran’s Islamic Republic is no Third Reich redux. Nor is it a totalitarian state.

Munich allowed Hitler’s annexation of the Sudetenland. Iran has not waged an expansionary war in more than two centuries.

Totalitarian regimes require the complete subservience of the individual to the state and tolerate only one party to which all institutions are subordinated. Iran is an un-free society with a keen, intermittently brutal apparatus of repression, but it’s far from meeting these criteria. Significant margins of liberty, even democracy, exist. Anything but mad, the mullahs have proved malleable.

Das ist wichtig, bei aller Kritik an der iranischen Unterdrückung von Regime-Gegnern, Andersgläubigen und Frauen im Sinn zu behalten.

Und drittens beeindruckt mich ein neuer Essay von Fareed Zakaria in Newsweek mit dem Titel „Learning to live with radical Islam“. Zakaria sagt, wir müßten unterscheiden zwischen Islamisten, deren Agenda für die Durchsetzung der Scharia in ihren Gesellschaften wir zwar ablehnen mögen, die unsere Sicherheitsinteressen aber nicht gefährden, und denen, die sich als Teil eines globalen Dschihad gegen den Westen sehen.

In den letzten Jahren haben wir eine Perspektive eingeübt, in der diese Unterscheidung nicht gemacht wurde. Ja, es wurde geradezu zum Dogma, dass es unmöglich sei, zwischen verschiedenen Formen und Graden des Islamismus zu unterscheiden. Am Ende laufe alles aufs Gleiche hinaus.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der radikale Islamismus nicht verschwinden wird und nicht besiegt werden kann, wenn wir alle Islamisten in einen Topf werfen.

Wir müssen neue Prioritäten setzen: Unsere Hauptaufgabe ist es, den Bin-Ladenismus zu besiegen. Und in diesem Kampf sind nicht die moderaten Muslime (oder Ex-Muslime) unsere wichtigsten Verbündeten, sondern diejenigen Radikalen und Fundamentalisten, die sich nicht dem Dschihad gegen uns verschworen haben. 

Der „Surge“ im Irak hat aufgrund solcher Teufelspakte funktioniert, und in Afghanistan wird man ähnliche Koalitionen schmieden müssen, auch hier mit Gruppen, die uns zuwider sind. Es geht darum, die lokalen Militanten von den globalen Dschihadis abzuspalten und sie einzubinden in eine Lösung der Probleme des Landes. Zakaria zitiert David Kilcullen, den ich hier vorgestellt habe: 

„I’ve had tribal leaders and Afghan government officials at the province and district level tell me that 90 percent of the people we call the Taliban are actually tribal fighters or Pashtun nationalists or people pursuing their own agendas. Less than 10 percent are ideologically aligned with the Quetta Shura [Mullah Omar’s leadership group] or Al Qaeda.“ These people are, in his view, „almost certainly reconcilable under some circumstances.“ Kilcullen adds, „That’s very much what we did in Iraq. We negotiated with 90 percent of the people we were fighting.“

Für unsere einheimische Debatte über Islam und Radikalismus hat das auch Folgen: Wir müssen aufhören, auf Kopftücher und Burkinis zu starren, als sei erst dann Hoffnung in Sicht, wenn diese Markierungen religiöser und kultureller Differenz verschwunden sind.

Es wird ganz einfach nicht passieren, ob es einem passt oder nicht. 

Und wir müssen darum auch jede Form der Thematisierung vermeiden, die suggeriert, es gebe ein Kontinuum zwischen Kopftuch und Sprengstoffgürtel. 

Zakaria endet mit diesen Worten, die ich nur unterschreiben kann: 

We can better pursue our values if we recognize the local and cultural context, and appreciate that people want to find their own balance between freedom and order, liberty and license. In the end, time is on our side. Bin Ladenism has already lost ground in almost every Muslim country. Radical Islam will follow the same path. Wherever it is tried—in Afghanistan, in Iraq, in parts of Nigeria and Pakistan—people weary of its charms very quickly. The truth is that all Islamists, violent or not, lack answers to the problems of the modern world. They do not have a world view that can satisfy the aspirations of modern men and women. We do. That’s the most powerful weapon of all.

 

„Israeler super super super gemein“ – Gaza im islamischen Religionsunterricht

In Berlin unterrichtet die „Islamische Föderation“ muslimische Kinder im freiwilligen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen – so wie die Kirchen und die Jüdische Gemeinde.

Die Föderation – eine Briefkastenfirma von Milli Görüs – hat nun Briefe ins Netz gestellt, auf denen Kinder ihre Gefühle und Wünsche zum Gaza-Krieg ausdrücken. Teilweise ist das einfach nur das Übliche, was Kinder so sagen, wenn man sie zu irgendeinem Krieg befragt. Doch teilweise schaut auch eine problematische religiöse Aufladung des Konflikts durch, der man im Religionsunterricht offenbar nicht entgegenwirkt. Die israelischen „Kindermörder“ sind omnipräsent in den Briefen. Wie darf man sich wohl die Unterrichtseinheit vorstellen, die zu dieser Sicht geführt hat?

Zwei Beispiele, mehr hier.

 

Teherans Vernichtungsfeldzug gegen die Baha’i

Ich beschäftige mich für die aktuelle Ausgabe mit der dramatischen Lage der Bahai im Iran. Es wird in den kommenden Tagen mit einem Urteil gegen die Mitglieder des Führungsgremiums gerechnet wegen „Spionage für Israel“.
Dies würde sich in eine zunehmend radikale Politik des Teheraner Regimes gegenüber dieser religiösen Minderheit fügen, die auf eine Vernichtung des Baha’i-Glaubens hinausläuft.
Hier ein Clip der großen Zeichnerin Marjane Satrapi zum Thema.
Mehr hier.

 

Ditib als langer Arm Erdogans?

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) gerät zunehmend in die Kritik wegen ihrer Nähe zum türkischen Staat und der regierenden AKP. HÜRRIYET zitiert heute auf ihrer Titelseite die SPD-Abgeordnete Lale Akgün: Die AKP versucht, über die DITIB Einfluss auf die türkischen Bürger in Deutschland auszuüben.  In der Vergangenheit habe sich die Organisation neutral für die Ausübung der Religion in Deutschland eingesetzt. Seitdem die AKP regiert, gibt es zudem eine engere Zusammenarbeit mit der Milli Görüs. Dies kam in der Vergangenheit nie vor, so Akgün.

 

Religiöse Verfolgung der Baha’i im Iran nimmt zu

Die Islamische Republik Iran feiert ihr 30jähriges Revolutonsjubiläum nicht nur mit einem Satelliten-Start und Massenversammlungen in Teheran, sondern auch mit einer neuen Repressionswelle gegen die Baha’i-Religion.

Wie ich bereits berichtet hatte, ist die gesamte Führung der Baha’i verhaftet worden. Nun wurde angekündigt, die 7 Mitglieder des höchsten Rates werden sich nächste Woche vor Gericht wegen „Spionage für Israel“ verantworten müssen. (Die Baha’i haben einen heiligen Ort bei Haifa und einen bei Akkon, im heutigen Israel. Die hl. Stätten für die Religionsgründer Bab und Baha’ullah sind dort aus historischen Gründen – lange vor der Staatsgründung  Israels – entstanden.)

Wer die antisemitische Rhetorik des Iran verfolgt hat, weiß, was das heißt. Es ist eine offensichtliche üble Verleumdung.

Auf Google werden in einer stets aktualisierten Karte die neuesten Greueltaten des iranischen Staates festgehalten.

Screenshot von heute: 

(Markiert sind hier die Stätten, an denen in den letzten Wochen Baha’i drangsaliert oder willkürlich verhaftet wurden.)

Diese unerträgliche Situation – dass ein Staat die Führungsriege einer (wenn auch kleinen und jungen) Weltreligion drangsaliert – gehört in die Verhandlungen mit Iran mit aufgenommen.

 

Geert Wilders in London an der Einreise gehindert

Ich habe kein Verständnis für die britische Entscheidung, dem niederländischen Abgeordneten Wilders die Einreise nach Großbritannien zu verweigern. 

Ich verachte zwar diesen Herrn und seine Politik, wie ich hier bereits festgestellt habe.

Aber die Meinungsfreiheit – und die Freizügigkeit – eines gewählten Abgeordneten eines europäischen Landes sind ein hohes Gut, das nur unter sehr schweren Bedingungen eingeschränkt werden dürfen. Wilders ist in Holland angeklagt wegen Volksverhetzung. Er ist aber noch nicht verurteilt.

Die britische Regierung macht präventive Gründe – Gefahrenabwehr – geltend in Ihrem Schreiben an Wilders.

Seine Gegenwart auf der Insel würde eine „genuine, unmittelbare und ausreichende Gefährdung der grundlegenden Interessen unserer Gesellschaft“ darstellen, heißt es in dem Brief. Wow, die „grundlegenden Interessen unserer Gesellschaft“?

Das ist eine Bankrotterklärung der britischen Sicherheitsbehörden, die sich offenbar nicht in der Lage sehen, in Absprache mit den muslimischen Verbänden das nötige Krisenmanagement für den Fall eines solchen angekündigten Besuchs zu betreiben.  

Was ist denn eigentlich zu befürchten? Demonstrationen? Gewalttätige Ausschreitungen? Müssen wir davor jetzt auch schon so viel Angst haben, dass es gar nicht mehr dazu kommen darf? Wo kommen wir denn da hin, wenn allein die Möglichkeit solcher Ausschreitungen schon die massive Einschränkung der Grundwerte ermöglicht?

Dennoch ist die Sache nicht ganz einfach: Unter der gleichen Gesetzgebung sind in England bereits etwa 270 Personen an der Einreise gehindert worden. Die meisten von ihnen sind keine selbst ernannten „Islamkritiker“ wie Wilders. Fast 80 werden im Gegenteil  als islamistische „Hassprediger“ qualifiziert. 

Aber ist es legitim, auch Wilders seinerseits als einen Hassprediger zu sehen und auch so zu behandeln?Zweifellos ist er ein Provokateur, der Krawall und möglicherweise auch gewalttätigen Krawall in Kauf nimmt, weil er ihm nützen könnte.

Aber er ruft eben nicht zur Gewalt auf. Sein Verbrechen besteht einzig darin, Dinge zu sagen, und sie so zu sagen, dass sie für viele Menschen verletzend sein könnten.

Wilders behauptet gerne, er sei ein Aufklärer. Er ist es nicht. Er ist ein Finsterling, der sich zu Unrecht in eine Reihe mit Rushdie rücken will, der vor genau 20 Jahren zur Zeilscheibe des islamistischen Hasses wurde. 

Aber diese feinen Unterschiede wären ein Thema für politischen Streit, den die englische Politik lieber gleich vorab unterbindet. Fatal. Wie weit ist das Mißtrauen des britischen Staates gegenüber der eigenen Zivilgesellschaft und den eigenen Bürgern schon gediehen, dass Grundfreiheiten für solche leichtfertigen politischen Manöver aufgehoben werden?

Die Muslime in Grossbritannien sollten sich im Spiegel dieser Entscheidung ansehen und sich fragen, ob sie so gesehen werden wollen: allzeit leicht entflammbar, unfähig zu zivilisiertem Streit mit unangenehmen Zeitgenossen, und jederzeit bereit, Grundfreiheiten aufzugeben, wenn bloss die eigenen Empfindlichkeiten berührt sind (aber freilich dann darauf pochend, wenn es die eigene Seite trifft).

Das britische Vorgehen ist nicht nur rechtspolitisch fatal, es ist auch völlig unnötig: Gestern berichtete ein holländischer Muslimfunktionär stolz auf einer Tagung u.a. der Britischen Botschaft in Berlin, man habe den heraufziehenden Sturm um Wilders‘ Film „Fitna“ klug abgewandt, indem man unaufgeregt und entschieden reagiert habe und die eigenen Reihen ruhig gehalten habe. Mit den Sicherheitsbehörden habe man weiträumig im Vorfeld besprochen, wie eine Wutwelle zu handhaben sei, und selbst in die islamischen Staaten sei man gefahren, um dort Holland zu verteidigen: „Die Meinungsfreiheit, die ich in Holland als Muslim habe, steht auch unseren Gegnern wie Wilders zu“, sagte ein Vertreter des größten Muslimverbandes. „Das verteidige ich ganz offensiv in meinem Herkunftsland.“

„Fitna“ wurde so ein Non-Event. Wilders hatte sich verrechnet.

England geht einen verhängnsiwollen anderen Weg mit seinen Muslimen: Es ist eine ängstliche Politik der geringen Erwartungen und der ganz kleinlichen, faulen Kompromisse.

Wer die „Harmonie zwischen den Gemeinschaften“ stört, bedroht die öffentliche Ordnung, so heißt es in dem Brief an Wilders. Die Sprache erinnert an Orwells „1984“. Oder an chinesischen KP-Verlautbarungen. 

Ein schlechter Tag für Europa.

 

Kopftücher in Norwegen

Zwei Meldungen aus Norwegen, anhand derer ich noch einmal versuchen will, meine Haltung zum islamischen Kopftuch zu klären:

Erstens wird berichtet, das Lebensmittelunternehmen Nortura ermögiche Musliminnen das Tragen von Kopftüchern bei der Arbeit – und stelle zu diesem Zweck auch hygienische Einmal-Kopftücher bereit, wie Sie auch in Schweden bereits im Gesundheitswesen üblich sind. Kopftücher zum Wegwerfen also.

Die Mitarbeiter dort sind ohnehin gehalten, bei der Arbeit ihre Haare zu bedecken. Ich halte diese Regelung für völlig in Ordnung. 

Nortura-Managerin demonstriert das Wegwerf-Kopftuch

Zweitens hat die Eingabe einer islamischen Polizistin Erfolg gehabt, die bei der Arbeit Hidschab tragen will. Künftig wird es in Norwegen erlaubt sein, als Polizistin Kopftuch zu tragen. Islamische Verbände begrüßen diese Regelung, die Polizeigewerkschaft ist enttäuscht, weil sie das Neutralitätsprinzip verletzt sieht. Das Argument der Befürworter lautet, im Sinne einer umfassenden Repräsentanz der Gesellschaft sei es sinnvoll, das Kopftuch zuzulassen, denn sonst „würde man de facto diese Gruppen ausschliessen“. 

Keltoum Hasnai Missoum, die norwegische Polizistin

Ich finde dieses Argument gefährlich. Man hat damit die Deutung akzeptiert, dass die neutrale Kleidung eine Diskriminierung derer ist, die mit ihrer Kleidung eine relgiöses Bekenntnis zum Ausdruck bringen wollen. Sie wird gerne von Islamisten vorgebracht. Sie ist aber nicht plausibel. (Eine Parallele zum Burkini-Fall in Berlin.)

Ich bin der Überzeugung, dass es legitim ist, mit seiner Kleidung religiöse und andere Meinungen auszudrücken. Und ich bin allerdings auch der Meinung, dass man bereit sein muss, dafür gegebenenfalls  den Preis zu zahlen – dass man eben nicht für den weltanschaulich neutralen Staat stehen kann. 

(Wenn man etwa als orthodoxe Jüdin die Police Academy von New Jersey absolviert hat, steht man auch vor schweren Entscheidungen. Hier taucht dann z. B. die Frage auf, ob man überhaupt am Freitag Dienst tun könne.)

Es ist nichts gegen ein Kettchen mit islamischen Insignien zu sagen, oder gegen ein kleines Kreuz, das man um den Hals trägt. Aber ein großes Kreuz möchte ich nicht um den Hals eines Polizeibeamtenoder selbst eines Religionslehrers baumeln sehen. Eine Kippa auf dem Kopf finde ich im öffentlichen Dienst auch unangemessen.

Dito ein Kopftuch. Wer den Verzicht darauf nicht auf sich nehmen kann, muss eine andere Karriere einschlagen.

Das Argument, bekopftuchte Polizistinnen kämen besser an in manchen Migranten-Milieus, ist auch gefährlich. Heisst das, ganz gewöhnliche Polizisten würden dort nicht akzeptiert? Brauchen wir eine Scharia-konfome Polizei? Ja, wo leben wir denn?

Es ist ein Irrweg, wie in den USA oder in Großbritannien Kopftücher und Turbane (von Sikhs) im Staatsdienst zuzulassen.

Neutralität im öffentlichen Dienst ist ein hohes Gut. Und es wird immer wertvoller, je bunter unsere Gesellschaften werden.

In keinem Fall darf das Argument akzeptiert werden, die Pflicht zur religiösen Zurückhaltung im Dienst sei schon Diskriminierung.

Muslime sind als Polizisten sehr willkommen, wie jede andere Gruppe auch. Es werden aber keine Gruppen eingestellt, sondern Individuen, die einen Eid auf den Staat leisten. Es darf keine religiöse Diskriminierung geben, ja der Staat sollte sich für das religiöse Bekenntnis überhaupt nicht interessieren. Aber muslimische Staatsdiener dürfen umgekehrt den Staatsdienst nicht zur Propagierung ihrer Religion nutzen, wie jeder andere übrigens auch.

Immer wieder das Gleiche: Im Namen der Toleranz wird die öffentliche Sphäre demontiert, um die religiösen Aktivisten zu akkomodieren. Den vielen Muslimen, die den Westen wegen seiner Neutralität schätzen und wegen der Trennung von Religion und Staat, tut man damit einen Tort an.

 

Berlin erprobt den Burkini

Ich wollte schon seit Tagen darüber schreiben. Doch zunehmend spüre ich Unlust, den neuesten Irrsinn von der (Des-)Integrationsfront zu kommentieren.
Nun gut, tun wir unsere Pflicht: Berlin erlaubt probeweise das Tragen der vermeintlich islamisch korrekten Bademode in Schwimmbädern. Der Burkini wird erlaubt. Wenn der bis zum Sommer terminierte Probelauf sich als erfolgreich erweisen sollte (aber was heißt hier „Erfolg“), dann wird man die Ganzkörperverhüllung im Wasser auch in den Freibädern erlauben.
Ich neige bekanntlich in Fragen des Dresscodes zu radikal liberalen Positionen (->Kopftuch).

Und so sehe ich es auch hier: Der Staat hat sich aus der Reglementierung von Bademoden herauszuhalten. Eine Gesellschaft, in der das Tragen von Thongs und Arschgeweihen erlaubt ist, wird auch damit leben können, dass es vollverhüllte Irre gibt, die im Freibad jeden Zentimeter Haut bedeckt halten wollen. (Warum man dann überhaupt ins Freibad will? I don’t get it!)
Aber bitte sehr, soll doch jeder nach seiner Fasson unglücklich werden.

Allerdings geht es hier ja nicht nur um die persönlichen Schamgrenzen Einzelner. Es geht ja vielmehr um die politisch-religiöse Durchsetzung eines Begriffs von „islamischer Korrektheit“. Und darin sehe ich das Problem: Indem der Staat nun nicht einfach jedes Outfit freigibt, sondern einen Großversuch anordnet, indem man es zum Ziel erklärt „Toleranz gegenüber Andersgläubigen“ (so der Bäderbetriebschef Lipinsky) auszudrücken, macht man eine Aussage über das, was dieser andere Glaube angeblich vorschreibt. Und da hat der Staat neutral zu sein. 

Denn was dieser Glaube angeblich vorschreibt, ist keineswegs unumstritten. Die Fundis und Ultras wollen bestimmte Begriffe des Erlaubten und Verbotenen durchsetzen und legitimieren dies mit Rückgriff auf ihre Auslegung der Scharia und mit bestimmten Koranstellen. Andere halten dagegen, zunehmend in der Defensive. Der Berliner Senat akzeptiert die Fundi-Deutung, indem er eine Toleranz gegenüber dem Schwimmen im Jogginganzug als „Toleranz gegenüber dem Islam“ versteht. 

Was ist mit der Mehrzahl der Muslime, die diesen Zusammenhang (noch) nicht so akzeptieren? Sie werden, wenn das Experiment „erfolgreich“ verläuft, noch mehr in die Defensive gedrängt. Es gibt dann ja eine vom Senat sanktionierte halal-Bademode. Absurd!

Also: Der Staat soll meinetwegen den Burkini akzeptieren, dann aber dazu das Maul halten und diesen prüden Irrsinn nicht auch noch adeln, indem man ihn für schariakonform erklärt. 

Oder er soll an der bisherigen Regelung festhalten und segregierte Bäder für Neomuslime in Kauf nehmen. Sollen sie doch ihre eigenen Bäder aufmachen.

Was nicht geht, ist das jetzige Vorgehen, mit dem der Senat die Islamisierung des Alltags klammheimlich – und bizarrer Weise unter der Flagge „Toleranz“ – mit betreibt.

Liberale Muslime, Kulturmuslime, Ex-Muslime kämpfen für die Entpolitisierung der Religion und die Enttheologisierung des Alltags. Und der deutsche Staat geht den anderen Weg, indem er die Islamisierung mit einem staatlichen Unbedenklichkeitssiegel versieht? Verkehrte Welt.

p.s. Und noch eine schöne Ironie dieses genialen Modellversuchs: Es muss nun aus hygienischen Gründen gecheckt werden, ob die Muslima Unterwäsche unter dem Burkini trägt. In anderen Worten: Die vermeintlich schariakonforme Kleidung führt zu hoch peinlichen Inspektionen.

Deutscher Bürokratenirrsinn in Perfektion.