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194. Prozesstag – Nachbarinnen aus Zwickau geladen

Am Donnerstag sagen zwei Nachbarinnen aus der Zwickauer Polenzstraße im NSU-Prozess aus. Dort hatte das NSU-Trio von 2001 bis 2008 in einem Mehrfamilienhaus gelebt – unauffällig integriert in die Nachbarschaft. Vor allem Beate Zschäpe war unter dem Namen Liese bei den anderen Bewohnern als Gesprächspartnerin beliebt. Die Bundesanwaltschaft wirft der Hauptangeklagten vor, die Terrorzelle durch eine Fassade der Normalität vor dem Auffliegen bewahrt zu haben.
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Gute Chancen für Carsten S.

Jung, leichtgläubig, verklemmt: So sieht sich Carsten S., der dem NSU eine Pistole überbracht haben soll. Doch ein Gutachter glaubt, dass der Angeklagte mehr war als ein naiver Mitläufer.

Carsten S. war ein junger Mann, als er den wohl größten Fehler seines Lebens machte. 19 bis 20 Jahre war er alt, als er seinen Nazi-Kumpels Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Pistole in die Hand drückte, Modell Ceska 83, Kaliber 7,65 Millimeter. Mit der Waffe, die S. als Kurier überbrachte, sollen Mundlos und Böhnhardt neun Menschen erschossen haben – es war die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds.
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Wenn der beste Freund in die rechte Szene abdriftet

Andreas R. lernte den späteren Rechtsextremen Uwe Mundlos in seiner Schulzeit kennen – und verfolgte dessen Verwandlung zum Rechtsextremen. Seine Aussage passt zur Anklage im NSU-Fall.

Kurz nach dem Mauerfall, 1989, fahren zwei Jungs aus Jena per Anhalter ins fränkische Städtchen Kronach. Mit dem Begrüßungsgeld für DDR-Bürger in der Tasche gehen Andreas R. und sein Freund einkaufen. Andreas R. wundert sich, was der sich als erstes holt: ein Klappmesser. Es ist ein Zeichen für die Radikalisierung, die der Kumpel gerade durchmacht. Der Name des Begleiters: Uwe Mundlos.

Andreas R., heute 41 Jahre alt, ist als Zeuge in den Münchner NSU-Prozess geladen, weil er in seiner Jugend der beste Freund von Mundlos war – der später zum Rechtsextremen wurde und als Mitglied des NSU für zehn Morde und zwei Bombenanschläge verantwortlich sein soll. Zehn Jahre gingen die beiden zusammen auf die Oberschule. Sie unternahmen Radtouren, sprengten Haarsprayflaschen oder hingen einfach ab. Mit einem weiteren Freund, Alexander H., bildeten sie eine kleine Clique – die auseinander brach, als sich Uwe neue Freunde suchte.

Ende der siebziger Jahre trafen sich R. und Mundlos in der ersten Klasse, sie wohnten nur 100 Meter voneinander entfernt. Der Freund war „eher so pazifistisch unterwegs“, erinnert er sich, trug lange Haare und selbstgestrickte Pullis. Auch bestätigt R., was schon andere Wegbegleiter zu Protokoll gegeben hatten: dass Mundlos wie seine Eltern ein kritischer Denker war, der das SED-Regime nicht ohne weiteres akzeptierte. Außerdem sei Mundlos „naturschlau“, in der Schule gut in den meisten Fächern. Der junge Mann hätte Student werden können, nur habe ihm der Ehrgeiz gefehlt, mehr aus sich zu machen.

Doch Mundlos veränderte sich. Seine Familie zog um in den Stadtteil Winzerla, ein berüchtigtes Viertel. „Er wurde immer rechter“, bemerkt R. Er schor sich die Haare kurz, trug gut geputzte Springerstiefel und hing mit neuen Leuten ab. Darunter auch Beate Zschäpe, die R. ebenfalls kennenlernte. Sie sei selbstbewusst gewesen, aber simpel gestrickt – und, wie der Zeuge mehrfach betont – Männerbekanntschaften gegenüber aufgeschlossen. Auch mit Mundlos ging sie eine Beziehung ein. Als R. von ihrem Liebesleben erzählt, setzt die Hauptangeklagte ein pikiertes Lächeln auf. Manchmal schüttelt sie den Kopf.

Mundlos hing mit ihr im Treppenhaus seines Plattenbaus ab, auch andere Gestalten mit Bomberjacken standen dabei. Wenn R. dabei war, hörte er selten Diskussionen über Politik. Doch später kamen Parolen hinzu. Auf einem Klassenausflug in das Konzentrationslager Buchenwald habe Mundlos angesichts der Verbrennungsöfen gesagt: „Jetzt ist denen schön warm.“

So zeichnet der Zeuge das Bild eines jungen Mannes, den niemand davon abhalten konnte, in der rechten Szene aufzugehen. Es sind deutliche, plastische Erinnerungen, die R. im Gerichtssaal wiedergibt – obwohl die gemeinsame Zeit zwei Jahrzehnte zurückliegt. Er sei ein Beispiel dafür, „wozu das menschliche Gedächtnis in der Lage ist, wenn man versucht, sich zu erinnern“, merkt der Nebenklageanwalt Eberhard Reinecke an. Denn Zeugen, die in der rechten Szene aktiv sind, berufen sich immer wieder auf Gedächtnislücken.

Zudem habe Mundlos schon zu DDR-Zeiten viel über die linksextreme Terrorgruppe RAF erzählt. Er kannte „viele Details, die man als uninteressierter Jugendlicher nicht wusste“ – zum Beispiel zum Thema Untertauchen. Er habe gewusst, wie man einer Rasterfahndung entgehen könne, indem man weder Bankkonto noch Versicherung unterhält. So verhielt sich später auch der NSU: Mietverträge, Konten und Mitgliedschaften waren auf die Namen von Strohmännern eingetragen.

Gewalttätig war Mundlos offenbar nicht – anders als sein späterer Komplize Uwe Böhnhardt, den viele Zeugen als extrem aggressiv beschrieben. Prügeleien habe er mit Mundlos nicht erlebt, allenfalls Schubsereien. Er selber will nicht daran beteiligt gewesen sein. Das änderte aber nichts daran, dass Mundlos mit seinen alten Freunden nichts mehr anfangen konnte. Seine rechte Clique brüstete sich damit, linke Jugendliche durch die Stadt zu jagen und Vietnamesen auf dem Schwarzmarkt Zigaretten abzupressen. Auch Zschäpe und ihr damaliger Freund Matthias R. machten mit bei kleinkriminellen Aktionen.

Ein letztes Mal sah der Zeuge Mundlos um das Jahr 1993 herum. Da hatten sich beide längst auseinandergelebt. Der Rechtsextreme machte eine Lehre bei Carl Zeiss, der Zeuge bei einer anderen Firma. Heute lebt er in München. Damals liefen sich beide noch einmal über den Weg. Uwe erzählte, er wolle zu einer Veranstaltung für Rudolf Heß fahren, er müsse nur noch zwei Verfolger vom Verfassungsschutz abschütteln.

R. kannte auch die Lieblingsfernsehsendung von Uwe. „Den Rosaroten Panther fand er damals schon ganz toll.“ Mundlos habe auswendig die ironischen Verse zitieren können, die in der Trickfilmserie als Kommentar liefen, sie hätten zu seinem Sprachgebrauch gehört. Nach dem 4. November 2011, als Mundlos und Böhnhardt sich in Eisenach erschossen, verschickte laut Anklage Beate Zschäpe ein Dutzend DVDs an Zeitungen, Parteien und andere Einrichtungen. Darin wurden die Morde und Anschläge aufgeführt, die heute dem NSU zugeschrieben werden. Zusammengeschnitten ist der Film aus mehreren Folgen des Rosaroten Panthers.

 

192. Prozesstag – Jugendfreund von Uwe Mundlos sagt aus

Ein Jugendfreund von Uwe Mundlos tritt am Donnerstag in den Zeugenstand. Andreas R. ging mit Mundlos in den Kindergarten und in die Schule, gemeinsam mit einem weiteren Freund unternahmen sie Radtouren. R. lernte auch Mundlos‘ Eltern und deren kritische Ansichten zum DDR-Regime kennen. Später erlebte er mit, wie sein Freund in die rechte Szene abdriftete, das Dritte Reich lobte und die Hitler-Zeit relativierte. Die Aussage ist ein Versuch des Gerichts, nachzuvollziehen, wie sich ein junger Mann aus stabilen Verhältnissen zum mutmaßlichen Rechtsterroristen entwickelte.
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191. Prozesstag – V-Mann sagt als Zeuge aus

Zwei Personenkreise sind für die Aufklärung des NSU-Komplexes besonders interessant: Informanten des Verfassungsschutzes und Mitglieder der radikale Neonazi-Gruppe Blood & Honour. Marcel D., Spitzname Riese, war beides. Für den Thüringer Landesverfassungsschutz lieferte er Informationen aus der rechten Szene, in der Thüringer Sektion von Blood & Honour war er Landesvorsitzender. Am Mittwoch sagt er im NSU-Prozess aus.
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190. Prozesstag – Szenezeuge Hendrik L. und Kölner Gutachter

Erneut will das Gericht mithilfe eines Zeugen aus der rechten Szene die Hintergründe des NSU-Komplexes ergründen. Geladen ist am Donnerstag Hendrik L. aus Chemnitz. Er lernte Uwe Mundlos Ende der neunziger Jahre kennen und hatte nach eigenen Angaben bis zum Jahr 2000 mit ihm Kontakt – also auch nach dem Untertauchen des Jenaer Trios aus Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt im Jahr 1998. L. führt in Chemnitz ein Geschäft für rechte Szenekleidung. Dort soll er auch T-Shirts verkauft haben, die Mundlos gestaltet haben soll. Zudem kam L. mehrmals in Berührung mit Mitgliedern des mittlerweile verbotenen Neonazi-Netzwerks Blood & Honour, die versucht haben sollen, den NSU mit Waffen zu unterstützen.

Zudem sagt als Sachverständiger ein psychiatrischer Therapeut aus Köln aus, der den Zeugen Melih K. auf Spätfolgen untersucht hatte. K. wurde beim Anschlag in der Kölner Keupstraße von 2004 schwer verletzt, als er bei der Explosion direkt an der Nagelbombe vorbeiging. Neben den körperlichen Schäden litt K. an Schlafstörungen und geht bis heute in die Psychotherapie.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Mysteriöser Hinweis auf Zschäpe

Er nennt Beate Zschäpe eine Mitläuferin, Uwe Böhnhardt unberechenbar: Zeuge Christian K. lernte das NSU-Trio kennen. Nach dessen Flucht erhielt er eine brisante Information über das Versteck der drei.

Vermutlich treffen sich die Brüder André und Christian K. höchstens zu Weihnachten, wenn überhaupt. Zu verschieden sind die beiden Jenaer Geschwister. André K., 39: ein vierschrötiger, dicklicher Vordenker in der rechtsextremen Szene Thüringens. Christian K., 34: ein hagerer, eloquenter Mann mit dünner Stimme, der den Neonazi-Kreisen nach eigenen Angaben bereits vor Jahren den Rücken gekehrt hat. Seine Mitgliedschaft, sagt er, bereue er heute.
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189. Prozesstag – Sächsischer Verfassungsschützer und Thüringer Neonazi

Update: Der Zeuge Meyer-Plath wurde abgeladen und sagt zu einem späteren Termin aus.

Am 189. Verhandlungstag (die am Dienstag geplante Sitzung war ausgefallen) geht es erneut um die mögliche Verstrickung des Geheimdienstes in den NSU-Komplex: Geladen ist der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath. Befragt wird der 46-Jährige allerdings nicht in seiner Funktion als Behördenleiter denn wegen einer früheren Tätigkeit: Für den Brandenburger Verfassungsschutz hatte er den V-Mann „Piatto“ betreut. Der Rechtsextreme, der bürgerlich Carsten Sz. heißt, lieferte 1998 eine Information, die möglicherweise zur Ergreifung des gerade untergetauchten Trios aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätte führen können: Demnach sollte ein Anhänger der radikalen Organisation Blood & Honour dem Trio eine Waffe beschaffen. Fahnder gingen dem Hinweis jedoch nicht nach.

Meyer-Plath hatte bereits im Untersuchungsausschuss des Bundestags ausgesagt. Die Verpflichtung eines V-Manns wie Sz., der damals wegen versuchten Mords in Haft saß, bezeichnete er im Nachhinein als Fehler. Bemerkenswert sei jedoch die Qualität von „Piattos“ Hinweisen gewesen: So seien Publikationen aus der rechten Szene „plastiktütenweise“ auf seinem Schreibtisch gelandet.

Danach sagt der Zeuge Christian K. aus. Er ist der jüngere Bruder des Jenaer Neonazis André K., einem der führenden Köpfe der rechten Szene in Jena und mutmaßlichen NSU-Unterstützer. So schloss auch der Bruder Bekanntschaften in rechtsextremen Kreisen – insbesondere mit Carsten S., der heute mit auf der Anklagebank sitzt, weil er dem NSU-Trio die Pistole Ceska 83 überbracht haben soll, mit der neun Menschen erschossen wurden.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

189. Prozesstag – Jugendfreund von Uwe Mundlos als Zeuge

Update: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ist erkrankt, der Sitzungstag fällt aus.

Er spielte mit Uwe Mundlos Basketball, gemeinsam gingen sie auf Radtouren: Aleksander H. war in seiner Jugendzeit ein guter Freund von Uwe Mundlos. Dieser entwickelte sich später zum mutmaßlichen rechten Gewalttäter. H. hielt mit ihm Kontakt, bis Mundlos 1998 mit Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt die Flucht ergriff und in den Untergrund ging. Am Dienstag sagt der Zeuge, der nach eigenen Angaben nichts mit der rechten Szene zu tun hatte, im Münchner Prozess aus.

Ebenfalls in den Zeugenstand treten Katrin D. und Markus F. Sie sollen Angaben über den Mitangeklagten Ralf Wohlleben machen. Diesem wird vorgeworfen, er habe die Mordpistole Ceska 83 organisiert und sie dem NSU-Trio überbringen lassen.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.