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Junge Bräute und ehrliche Arbeit

Midlake singen bewegende Lieder vom einfachen Leben. Ihr Album „The Trials Of Van Occupanther“ erinnert an den Folk-Rock der späten siebziger Jahre

Cover Midlake

Was ist das denn? Schon wieder ein neues Album von Fleetwood Mac? Oder sind es Crosby, Stills, Nash & Young? Die Siebziger klingen durch: Ein gehaltvolles Piano und eine schmutzige Rockgitarre geben den Rhythmus vor, dazu kommt melodiöser mehrstimmiger Gesang über Bergsteiger und Steinmetze, Zedernholz und undichte Dächer. Die Stimme allerdings klingt weder nach Neil Young oder Steven Stills noch nach Fleetwoods Stevie Nicks.

Roscoe heißt das berauschende Stück und eröffnet das zweite Album der Band Midlake, The Trials Of Van Occupanther. Ein Album, das in seiner Melodiösität und seiner Direktheit, seiner Instrumentierung und Stimmung an vielen Stellen Erinnerungen weckt. Ein junger Mann namens Tim Smith hat das Album mit seiner Band in seinem Haus in Denton, Texas aufgenommen.

Dem flotten Roscoe folgt Bandits, eine halbakustische Ballade. Vorgetragen ohne Schmalz, verfeinert von einer dezente Flöte, zeigt es die Qualität von Midlake auf: Die Lieder sind getragen, aber nicht pathetisch; sie sind gefühlvoll und beschwingt, aber nicht banal.

Spätestens beim fünften Stück, Young Bride, ist klar, dass die späten Siebziger und der so genannte Adult Oriented Rock ganz und gar nicht die einzigen Bezugspunkte im musikalischen Universum Midlakes sind. Mit jedem Hören fallen mehr schrammelige Brit-Pop-Gitarren, psychedelisches Synthesizer-Gedaddel und andere Störgeräusche auf. Young Bride mit seinem stampfenden Rhythmus könnte mit etwas Glück der Schlüssel zum Erfolg von Midlake werden. Vorausgesetzt, die Indie-Diskos und Radiosender springen auf diesen Ohrwurm an.

Eine Stärke der Band sind die poetischen Texte. In Bandits stellt Smith die Frage, „Did you ever want to be overrun by bandits, to hand over all of your things and start over new“. Und erzählt dann, wie sie ausgeraubt wurden, als sie sich auf der Jagd befanden, wie sie einen Hasen und einen Ochsen fingen, und dass der Raub für sie gar kein Verlust gewesen sei, weil sie mit den beiden Tieren einfach ganz von vorne anfangen konnten. Nie steuern die Texte auf dramatische Enden oder Pointen zu, sie beschreiben das einfache, meist ländliche Leben. Sie erzählen von Wünschen und Träumen – „Bring me a day full of honest work, and a roof that never leaks, I’ll be satisfied“, heißt es in Head Home. In Young Bride ist die eben noch junge Braut plötzlich eine alte Frau, in It Covers The Hillsides geht es um den Kampf gegen den Hunger, wenn der erste Schnee fällt. We Gathered In Spring zieht ein ernüchterndes Fazit unter die Ausweglosigkeit des Landlebens, „I’m tired of being here on the hill, where I’m sure to find my last meal“.

Man könnte das alles als feine Gesellschaftskritik deuten, als Darstellung der Welt jener Menschen, denen Alltag heißt, ums Überleben zu kämpfen. Vielleicht aber wäre das eine Überinterpretation eines Werkes, das ohne Zynismus von der Einfachheit menschlicher Existenz erzählt.

„The Trials Of Van Occupanther“ von Midlake ist als LP und CD erschienen bei Bella Union.

Hören Sie hier „Young Bride“

Bei myspace kann man sich außerdem das Stück „Roscoe“ anhören

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Welche Lust am Klang!

Zwischen dem Jazz und der Elektronik klafft eine historische Wunde, die allmählich verheilt. Auf „Heaps Dub“ spielt das Quartett Root 70 die Kompositionen des Kölners Burnt Friedman – und alles wird gut

Cover Root70

Man hört die ersten Töne, Posaunenstöße, und sie klingen so samten, als kämen sie nicht aus metallenem Rohr, sondern aus dem gut gepolsterten Futteral, das es auf Reisen vor Beschädigung schützt. Man hört diese Töne, so rotzig-zart, so verlockend, Herr im Notenhimmel: was für ein Versprechen! Welche Lust am Klang!

Dann schnippt das Becken den Takt vor, die Trommel setzt ein, der Kontrabass hüpft in den Rhythmus, und jede Schwingung wird in der Lendengegend gezupft.

Sind wir mit der Klarinette komplett? Sie ertönt aus einem noch flauschigeren Futteral, sie lispelt, sie nuschelt, sie haucht, sie hat kaum was an: was für ein Start!

Posaune, Schlagzeug, Kontrabass, Klarinette – so weit wäre dies eine Jazzband, wenn auch in ungewöhnlicher Besetzung. Dabei bleibt’s indes nicht: Kaum sind alle vier im Spiel, tut sich nicht das Übliche. Kein obligates Solo, kein Refrain, diese Musik ist fast nur Klang und Rhythmus, Groove nennt man das wohl auch.

Eine Melodika – jenes an den Lippen hängende Akkordeon – verschiebt die Jazz-Ästhetik hin zu Dub, zu Reggae. Bongos mischen sich ein, beschwören den Busch, die tropische Nacht. Das Tempo ist der Hitze gemäß entspannt, aber wie dringt es ein in jede Faser!

Wer Get Things Straight, das erste Stück, gleich noch einmal hört, merkt überdies: Hier ist nichts so, wie es zunächst zu sein schien. Das Akustische erweist sich als untergründig perforiert; schon die ersten, so sinnlichen Posaunenstöße haben ein artifizielles, waberndes Echo.

Willkommen in der Welt von Burnt Friedman, der eigentlich Bernd Friedmann heißt und von einem Kölner Schlafzimmer aus zeitgemäßen Klang zu neuen Höhen führt. Es sind seine am Computer zusammengesetzten Kompositionen, dokumentiert auf etlichen Platten, die Root 70, das virtuose Quartett um den Posaunisten Nils Wogram, hier nachspielt. Hayden Chisholm, der Klarinettist, hat die Stücke adaptiert. Matt Penman und Jochen Rückert erzeugen von Hand den unwiderstehlichen Schub – als wären ihr Bass und ihr Schlagzeug an eine sehr elastische Steckdose angeschlossen.

Nach zwei Tagen im Studio hat Friedman die Aufnahmen mitgenommen und den Datensatz am Bildschirm nachbearbeitet; deshalb ist dieses Album kein „digital unplugged“, sondern eher ein Remix desselben – aber egal. Das Verfahren verblasst gegenüber seinem Ergebnis. Heaps Dub ist eine gekonnte Melange unterschiedlicher Stile, angenehm, inspirierend, grandios inszeniert. Sie kann den Hörer gleichermaßen ins nächste Konzert von Root 70 führen wie zu den rhythmischen Experimenten Friedmans, die sich übrigens auch in der eigentümlichen Struktur des Albums widerspiegeln: in zehn Stücken zu je genau fünf Minuten.

Die historische Wunde zwischen Elektronik und Jazz, zwischen Bits und Blues, die lange schmerzend klaffte und sich seit einigen Jahren allmählich schließt – hier ist sie kaum noch zu spüren.

„Heaps Dub“ von Root 70 ist als LP und CD erschienen bei Nonplace.

Hören Sie hier „Get Things Straight“

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Sechs Freunde sollt ihr sein

Nun wird getanzt, aber ist das ein Jazzclub oder eine Disco? „Navy Brown Blues“ von Mocky pendelt zwischen vielen Stilen. Der kanadische HipHopper hat gute Musiker um sich geschart. Wenn er nun noch die Klappe hielte!

Cover Mocky

Die Welt zu Gast bei Freunden: Hier läuft Kanadas musikalische Nationalmannschaft auf.

Als Kapitän führt der Rapper Dominic Salole das Wort, er nennt sich Mocky. Im Mittelfeld die Folk-Prinzessin Leslie Feist. Links außen röhrt Peaches, rechts außen tanzt Taylor Savvy, im Tor wacht Gonzales. Das kleine Team trainiert teils in Berlin-Kreuzberg, teils in Paris; es hat sich durch Englands beseelten Stimm-Stürmer Jamie Lidell verstärkt. Zusammen spielen sie flüssig, nicht unschlagbar, aber überaus fantasievoll.

Sechs Freunde sollt ihr sein: Auf Navy Brown Blues musizieren der Kanadier Mocky und seine Weggefährten. Seit Jahren helfen sie einander, mal spielt der eine hier, mal produziert der andere da. Meist kommt interessante Musik dabei heraus, stilistisch umherstreifend zwischen HipHop, Folk, Soul, Elektro und Disco-Punk.

Die Arrangements auf Navy Brown Blues sind vielschichtig, frisch, aufregend. HipHop-Klischees wie Händeklatschen und dumpfe Bässe werden gebrochen von freundlich-rohen Akustikgitarren und lustigen Elektroflimmereien. Dazu gesellt sich gelegentlich ein Fender Rhodes-Piano oder ein klapperndes Schlagzeug. Die Jacksons und Prince klingen durch, durchaus tanzbar, stellenweise kitschig. Die ausgezeichneten Gastsänger strahlen in den Refrains, Feist veredelt die erste Single Fighting Away The Tears zu einem klöternden Rührstück.

Wenn Mocky selbst das Mikrofon zur Hand nimmt, wird’s weniger schön. Seine Raps und Strophen sind kaugummiweich, zu eingängig, zu geölt. Er quatscht in jedem Lied – aber es ist ja auch seine Platte.

„Navy Brown Blues“ von Mocky ist als LP und CD erschienen bei Four Music.

Hören Sie hier Animal und In The Meantime

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Es lauscht das Gepflanzte

Stuart Staples ist Sänger der Großstadt-Melancholiker Tindersticks. Mit seinem zweiten Solalbum „Leaving Songs“ knüpft er an das Frühwerk der englischen Band an

Cover Staples

Topfpflanzen, wohin das Auge reicht. Kleine, große, karge, dünne. Farne auf Tellern, Gummibäume in Töpfen, Aloe Vera vor einer rosa angehauchten Zimmerwand. Man kann sich vorstellen, wie sie vom charakteristischen Tremolo des Sängers Stuart Staples in Schwingung geraten, wie ihre Blätter beim Musikhören zittern.

Als der 1965 geborene Musiker aus Nottingham im vergangenen Jahr sein erstes Soloalbum veröffentlichte, hatte das bereits etwas von einem Abgesang auf die opulent orchestrierten Stücke seiner Band. Von Trennung wollte trotzdem niemand reden. Lucky Dog Recordings 03-04 klang wie ein Gegenentwurf zu den Tindersticks: minimalistisch, karg, solitär. Zur Untermalung seiner Texte verzichtete er auf Streicherekstase, eine alte Orgel reichte ihm in seinem kleinen Studio. Das CD-Booklet mit den botanischen Einblicken passte prächtig, zusammen mit Frau Suzanne hatte Staples seine Hauspflanzen ins rechte Licht gerückt. Nur knapp ein Jahr danach folgt nun Solostreich Nummer zwei. Eingespielt worden ist Leaving Songs in Nashville, zusammen mit Lambchop-Produzent Mark Nevers, der zuvor schon Bonnie ‚Prince‘ Billy und Calexico ins Studio begleitete.

Staples macht einen Schritt zurück und einen zur Seite. Er erfindet sich solo nicht neu, sein Kosmos bleibt vertraut. Den Minimalismus der Lucky Dog Recordings hat er in Amerika an der Studiogarderobe abgegeben. Leaving Songs klingt wie eine Rückkehr in die Frühphase der Tindersticks, gepaart mit amerikanischem Liedgut. Große Gefühle packt er in fein inszenierte fünfminütige Pop-Dramen. Wer die Tindersticks nie mochte, für den klingt auch dieses Album nach romantisch-verklärter Rotwein-Musik.

Verflossene Beziehungen, Trennungen und die Unwägbarkeiten des Lebens stellen das narrative Arsenal. Der Titel Leaving Songs ist nicht zufällig gewählt: So viel Abschied war nie. Das Schlagzeug wird dazu zärtlich gestreichelt, das Piano liefert im Verbund mit der akustischen Gitarre Melodien, die im Kopf bleiben. Zwischendurch farbtupfern die Trompeten. Die Lieder stehen und fallen mit Staples Stimme. Man erkennt sie aus Tausenden. Ein in rauchigen Holzfässern gereiftes Timbre weist den Weg. Zwei Mal ergänzen weibliche Stimmen die Lieder zwischen Country-Ballade und Trauer-Pop. Auf Maria McKee hätte verzichtet werden können. Das Duett mit Lhasa de Sela gelingt überzeugender: That Leaving Feeling rauscht im Kindereisenbahnwaggon durch eine alte und eine neue Beziehung.

Leaving Songs ist ein schönes, wenn auch erwartbares Album geworden. An der Prägnanz des Band-Meisterwerks Curtains darf man es nicht messen. Staples hat seinen Frieden mit der Vergangenheit gemacht. Auf Konzerten lächelt er neuerdings des Öfteren. Trauersongs machen glücklich.

„Leaving Songs“ von Stuart Staples ist als LP und CD erschienen bei Beggars Banquet.

Sehen Sie hier „That Leaving Feeling“

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Gute Nachrichten aus der Welt der Klingeltöne

Nelly Furtado reitet auch weiterhin ein wildes Stil-Rodeo. Auf ihrem raffinierten neuen Album „Loose“ öffnet jedes Stück eine neue Tür, hinter die meisten schaut man gerne

Cover Furtado

Unfertig und konfus klangen die ersten beiden Alben von Nelly Furtado. Besonders das letzte, Folklore, bot einen stilistischen Kuddelmuddel. Zwar blitzte das Talent der Kanadierin mit portugiesischen Wurzeln hier und da auf, doch wirkten ihre Alben insgesamt nicht schlüssig. Bei aller Ambition fehlte es an Klarheit, waren die Stücke qualitativ einfach zu unterschiedlich.

Es ist erfreulich, dass sie für ihre neue Platte die Operation Stil-Rodeo nicht verworfen hat. Denn diesmal ist sie gelungen. Pop-Produktionen sind Gemeinschaftswerke und so hat Produzent und Mitkomponist Timbaland sicherlich maßgeblichen Anteil am Gelingen. Er verdiente sich seinen guten Ruf mit vertrackten Rhythmen und ungewöhnlichen Klangkombinationen, erweiterte maßgeblich den Begriff des HipHop und spendete dem Mainstream Innovation. Mit seiner musikalischen Partnerin Missy Elliott schob er sich seit Ende der neunziger Jahre immer wieder an die Spitze der Hitparaden.

Nun also Nelly Furtado. Schon die Single Maneater deutet Großes an. Es ist ein schräges Stück Popmusik, das trockene Schlagwerk und die mit der Vokalspur verschobene Rhythmik klingen ungewohnt. Und trotzdem ist das Lied eingängig und tanzbar. Ist das HipHop? Ist das eine Hymne? Oder ist das nicht vielleicht sogar vollkommen egal, da wir einem universellen Musikentwurf lauschen? Innovativ klingt es jedenfalls und furios.

Die Single gibt ein Versprechen ab. Das nun folgende Album Loose hält dieses in überraschend weiten Teilen. Es beginnt mit einem kurzen digitalen Störgeräusch und dem sagenhaften Stück Afraid. Keine Vorsicht, keine Eingewöhnungsphase. Gleich geht es mitten hinein in ein Experimentierfeld von mindestens zwölf Musikrichtungen und zwei Sprachen. Nelly Furtado denkt überhaupt nicht daran, sich zu entscheiden. Jedes Stück öffnet eine neue Tür, zwischen dem anrüchigen Promiscous und dem zuckersüßen Do It liegen Welten.

Zugegeben: So manche dieser Türen möchte man auch gleich wieder zuschlagen. Der unwirsch eingeworfene Latino-Pop des Stücks Te Busque sowie die Schmonzette In God’s Hands wären auch gut auf dem Soundtrack eines Disney-Films aufgehoben. Den Gesamteindruck stören diese Ausfälle nur wenig. Jedem guten Pop-Album gönnt man schließlich eine Schnulze, selbst wenn sie mittelmäßig ist. Furtado gelingt es, den nötigen Zusammenhalt zu schaffen, der ihr Album von einer flachen Liedersammlung abhebt. Sicherlich auch ein Verdienst Timbalands. Seine bassig-verspielten Rhythmen verbinden sich wunderbar mit ihrem Melodiegespür und ihrer Vokalakrobatik. Manchmal sind sie kurz vor dem Überschlag, immer auf hohem musikalischen Niveau. Man spürt den Spaß, den beide an ihrer Arbeit haben. Loose strotzt vor Raffinesse und sollte keineswegs nur in Form von Klingeltönen genossen werden.

„Loose“ von Nelly Furtado ist als CD erschienen bei Geffen/Universal

Die Plattenfirma stellte uns leider lediglich dreißig Sekunden der Single „Maneater“ zur Verfügung. Deshalb verzichten wir an dieser Stelle ausnahmsweise auf ein Klangbeispiel und verweisen auf Radio und Musikfernsehen, die Website der Künstlerin und die Plattform myspace, dort finden sich zwei vollständige Songs des Albums, „Promiscuous“ und „No Hay Igual“

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Hauptsache, es swingt!

Dem Saxofonisten Hank Mobley kann man kaum andächtig lauschen, früher oder später fährt einem sein funkiger Jazz in die Beine. Jetzt ist sein Album „Dippin’“ wiederveröffentlicht worden

Cover Mobley

Der Tenorsaxofonist Hank Mobley war immer dabei, wenn sich im Hardbop-Jazz der 1950er Jahre etwas bewegte – so er nicht gerade wegen eines Drogenvergehens im Gefängnis saß. Er war Mitglied der Urformation von Art Blakeys Jazz Messengers und spielte regelmäßig mit Miles Davis. Stets stand er im Schatten der Saxofon-Giganten John Coltrane und Sonny Rollins, neben ihnen galt er bei aller Eleganz und Coolness immer als traditionell und altbacken. Zu Unrecht, Mobley erkundete neue Wege im Jazz, als Rock’n’Roll und Beatmusik populärer wurden und sich viele Innovatoren ins Free-Jazz-Nirwana verabschiedeten.

Er starb früh, 1986. Kurz darauf kam mit der Mojo- und Acid-Jazz-Welle der 1990er Jahre die Mobley-Wiederbelebung in Gang. Seine rhythmischen Stücke sind seitdem wieder gefragt, er wird als erfindungsreicher Improvisator, Mann des Funk und Autor eingängiger Melodien geschätzt. Seinem Jazz muss man nicht andächtig lauschen, man kann zu ihm sogar tanzen. Jeder Musiker sei ihm ein Vorbild, sagte Mobley einmal, solange die Musik swinge und etwas mitzuteilen habe. Das hört man seinen Aufnahmen an.

Die traditionsreiche Plattenfirma Blue Note bringt seit einigen Jahren seine wichtigsten Alben digital überarbeitet heraus. In der so genannten RVG Edition – benannt nach dem genialen Toningenieur Rudy Van Gelder, der bei Blue Note in den 1950er und 1960er Jahren für einen herausragenden Klang sorgte und die Meisterwerke heute eigenhändig auf Hochglanz bringt – erscheint nun Dippin‘. Es ist eine von Mobleys besten Platten. Aufgenommen wurde sie 1965, das Jahr zuvor hatte er hinter Gittern verbracht. Dippin‘ sollte nun endlich dafür sorgen, dass er seinen Ruf als „am häufigsten vergessener Saxofonist“ verliert.

Mit einem Trommelwirbel geht es los: Mobley und sein kongenialer Partner, der feurige Trompeter Lee Morgan, drehen schon im Auftaktstück The Dip ordentlich auf. Mobley durchschreitet geradezu sein Solo, selbstbewusst und locker, während die Rhythmusgruppe um den Pianisten Harold Mabern die schnelle Funknummer anheizt. Auch die anderen Kompositionen wie The Break Through, The Vamp oder Ballin’ atmen die typische Kombination aus Leichtfüßigkeit, blueshaltigem Sound und tanzbarer Energie. Dippin’ enthält außerdem die prächtige Jazzsamba-Nummer Recado Bossa Nova und die Ballade I See Your Face Before Me, bei der Morgan mit gestopfter Trompete ein besonders anrührendes Solo spielt. Dippin‘ ist grandiose Musik, nicht nur für lange, laue Sommernächte.

„Dippin’“ von Hank Mobley ist als CD erschienen bei Blue Note

Hören Sie hier „The Dip“

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Soft angetäuscht: Frau Electras Rockschwalbe

Von links außen spielt sich eine neue Favoritin ins Feld der Berliner Songschreiber. Die Australierin Justine Electra hat den Folk auf dem Fuß und noch ein paar Samples im Ärmel

Cover Electra

Soft Rock? Hilfe, blüht uns hier etwa femininer Kitsch? Weich gespülte Frauenbewegtheit wie von Ani DiFranco und Konsorten? Der Gedanke läge nahe, hätte sich nicht inzwischen längst herumgesprochen, dass Justine Electra wirklich so heißt und sich hinter dem verdächtigen Titel ihrer ersten Langspielplatte ein ganz heißer Tipp verbirgt. Für die schicken Namen der vor wenigen Jahren aus Australien zugewanderten Wahlberlinerin sind tatsächlich ihre musikbegeisterten Hippie-Eltern verantwortlich. Und mit Soft Rock gelingt ihr gerade die seit langem raffinierteste, verführerischste Instandsetzung einiger – Klischees?

Schon das irritierend purpurne Pink des CD-Covers ist der Wahnsinn. Bonbonfarben, aber wärmer, hat es mit den Goldbuchstaben und der Gitarrenattrappe Signalcharakter. So fragil die verschleppten Folk- und Bluesharmonien in den dreizehn Songs erscheinen, im eigenen Echo der doppelt bis dreifach gelegten Vokalspuren wirkt Justine Electras Gesang beinahe beharrlich. Betörend, verstörend kommen einem die hellen Kopfstimmenschlenker nahe wie Fledermäuse im Flug, unberechenbar, zum Greifen lebendig, und plötzlich verschwunden im raschelnden Dunkel von ein paar Akustikgitarrenriffs, psychedelischer Orgel, schlurfenden Rhythmen.

Justine Electra hat eine Zeit lang probeweise mit der Band Tarwater musiziert und sie liebt es, einen gewollt schlampigen Sound mit Knacksern zu betonen. Doch anders als beim oft konstruiert klingenden Datenfolk verströmen ihre Samples die Wärme und den Soul alter Plattenaufnahmen. Darin aufgehoben zerbrechen die LoFi-Intimität, die zarten Lyrics und Melodien niemals völlig, sie gewinnen vielmehr neue Stärke – wie aus kindlichem Fieberglühen.

In dem Song Killalady schließt Justine Electra traditionelles Songwriting mit modernstem R‘n‘B kurz, ohne sich den Schuh wirklich anzuziehen. Ein harmloses Glöckchen zerschneidet wie ein Alarmton das MTV-kompatible „Ah-haa!“ im Chorus, die augenzwinkernd provokativen Beats und kleinen Gitarrenbratzer, und verweist auf die Gefahr: Alte Modelle werden im HipHop oft nur durch neue Dogmen ersetzt, die das Bild der Frau nicht weniger fragwürdig wiedergeben, als im guten alten Zweierkistendrama in der klassischen Ballade.

Auch Erscheinung und Auftreten der zierlichen Sängerin, deren Konzerte im Ruf einer schillernder Atmosphäre stehen, changieren wie ihre Musik und Texte zwischen einem altklug verschlissenen Überbewusstsein und einer ständigen Zerstreutheit. Im banalen Alltag findet sich diese Art wissenden Abgelenktseins häufig bei Müttern und Krankenschwestern – im Künstlerdasein deutet sie auf einen hippieesken Hintergrund. In den Songs Mom & Dad & Me & Mom, Motorhome und Defiant And Proud geht es um unübliche Familienverhältnisse und unruhige Existenzgrundlagen, in denen Justine Electra zugleich den Überlebenswillen einer freiheitlichen naturnahen Sozialordnung schlummern sieht: „Smell the air and feel the leaves / Let’s burn the television / Buy some tennis rackets, books to read.“

Mitsamt Bubblegum-Piano-Clustern entführt sie den Folk von den staubig sonnigen Straßen ihrer Kindheit. Unter dem Nachhall elektronisch verebbender Mundharmonikaakkorde lässt sie in Blues And Reds das trügerische Glitzern der Erinnerung hinter sich: „Somebody‘s been walking in my shoes“. Die Unruhe wird wohl bleiben, in ihr spiegeln sich die vertraute Leere, der ziellose Drang nach Veränderung, die vom virtuell reisenden Großstadtneurotiker bis zum heimlich träumenden Kulturpessimisten jeder in sich wieder erkennt.

„Soft Rock“ von Justine Electra ist als LP und CD erschienen bei City Slang

Hören Sie hier „Killalady“ und „Blues and Reds“

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Tagträume in New York City

Ist das jetzt schon das Alterswerk? Ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung klingen Sonic Youth auf „Rather Ripped“ überraschend melodiös und gelassen, stellenweise gar sommerlich

SY

Exakt 25 Jahre ist es her, da standen Sonic Youth erstmals unter diesem Namen auf einer Festival-Bühne in der Nähe von New York. Die Prinzipien ihres Musizierens hatten sie schon damals klar formuliert: vom Mainstream sollte sie sich abheben und von allen musikalischen Fesseln befreit sein. Außerdem sollte niemand in der Band die Führungsposition einnehmen. Ihre Musik bestand aus Rückkopplungen, Disharmonien, Geschrei und war vor allem laut.

Von der Überzeugung, dass die Befreiung vom Mainstream nur über kreischende Instrumente zu erreichen sei, haben sie längst Abstand genommen, glücklicherweise. Immer ausgetüftelter wurden ihre Platten, immer überwältigender die Melodien, die sie aus Disharmonien schufen. Es ist ihnen gelungen, dabei an ihren Prinzipien festzuhalten. So teilen sich Bassistin Kim Gordon und Gitarrist Thurston Moore noch immer die Gesangsteile, den Platz im Scheinwerferlicht.

Nun also Rather Ripped, das neue, mindestens 25. Album der amerikanischen Band. Ein bisschen ist es wie immer, alles klingt vertraut. Und großartig. Und dennoch wirkt es leichter als die letzten Aufnahmen, ja fast luftig. Klangtüftler Jim O’Rourke, der seit NYC Flowers & Ghosts (2000) Bandmitglied ist, spielt diesmal nicht mit. Es heißt, er wolle mit seinem Studium vorankommen. Vielleicht deshalb ist das Album sehr direkt geworden, so erstaunlich ballastfrei. Statt dicke Klangschichten aufzutragen und auf möglichst vielen Umwegen zum Ziel zu kommen, besinnen sich Sonic Youth auf ihre Stärken: das spannungsreiche Wechselspiel zwischen zarter Melodie und lärmendem Experimentieren, zwischen schwer konsumierbarem Gitarrenkrach und sachten Gesangslinien. Das alles präsentieren sie sehr gelassen und voller Spielfreude.

Mit Reena und Incinerate eröffnen zwei klassische Sonic Youth-Rocksongs das Album, beim ersten singt Kim Gordon sogar richtig. Die seltenen lärmigen Ausbrüche stören die sommerliche Stimmung ganz und gar nicht. Do You Believe In Rapture?, Lights Out und Or sind die einzigen Lieder, die in ihrer ruhigen, introvertierten Stimmung an die letzten Alben erinnern, nur das auf der europäischen Version des Albums exklusive Helen Lundeberg ist richtig rumpelig, klingt nach den frühen Tagen. Alle anderen Stücke könnten Überreste aus Sonic Youths erfolgreichster Zeit Anfang der 90er sein, als sie mit Nirvana im Vorprogramm um die Welt tourten. Damals erschienen Daydream Nation (1988) und Goo (1990), bis heute ihre melodiösesten und populärsten Alben. An diese scheinen sie nun anzuknüpfen.

Doch keine Angst: Weder klingen sie wie eine Band, die versucht, die guten alten Tage wieder aufleben zu lassen, noch sind sie nun brav, langweilig oder angepasst. Hinter jeder Ecke lugt auch weiterhin ein kleines Experiment hervor, jedem zurückhaltenden Takt kann eine Eskapade folgen. Rather Ripped klingt für eine ganze Zeit wie das beste Sonic Youth-Album seit, na ja, was weiß ich … langer Zeit eben.

„Rather Ripped“ von Sonic Youth ist als LP und CD erschienen bei Geffen/Universal

Hören Sie hier „Incinerate“

Auf der Website der Band kann man alle Songs zur Probe hören, bei myspace finden sich vier vollständige Lieder des Albums

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Zucker in den Ohren

Das Projekt Nouvelle Vague verzauberte vor zwei Jahren den Sommer mit Bossa-Nova-Versionen von Klassikern der Achtziger. Aus einer schönen Idee ist auf ihrem zweiten Album „Bande À Part“ Routine geworden

Nouvelle Vague

Der Moment war unvergleichlich. Der Strand von Saint-Malo im August 2004, hohe Wellen und Wind, Sonne und Meer. Und: Nouvelle Vague, ein Projekt, das die achtziger Jahre musikalisch nach Rio entführt. Dort im Sand geben Marc Collin, Olivier Libaux mit zwei Sängerinnen halbakustisch eines ihrer ersten Konzerte. Love Will Tear Us Apart spielen sie, Mongoloid von Devo und In A Manner Of Speaking von Tuxedomoon. Zärtlich gehauchte Weisen wechseln sich ab mit Punk- und Wave-Klassikern im Bossa Nova-Gewand. Wellen rauschen im Hintergrund, Kindergeschrei ist zu hören und der Geruch von Sonnencreme liegt in der Luft.

Eine der Sängerinnen, Camille, wird wenig später in Frankreich ein Star werden: als Erneuerin des Chansons. In Saint-Malo tanzt sie den Nachmittag über am Strand, singt eine lebensbejahende Version von Too Drunk To Fuck von den Dead Kennedys. Zwischendurch springt sie in die Fluten, um mit Algen behangen zurück ans Mikrofon zu eilen. Die Sonne brennt. Es ist ein merkwürdiger Nachmittag in der Bretagne und Nouvelle Vague liefern den perfekten Soundtrack dazu.

Damals in Saint-Malo und später auf ihrem ersten Album funktionierte die Kombination von New Wave-Liedern und Bossa Nova prächtig. Wer sich darauf einließ, hörte Sommermusik, die den Ahnen der achtziger Jahre fröhlich einen Sonnenbrand ins bleich geschminkte Gesicht zauberte. Zum Bossa wurde aufgespielt, Punk verzärtelte sich zu einem lasziven Versprechen.

So sehr dieses Spiel mit Erwartungshaltungen, mit Provokationen und lüstern-unschuldigen Blicken auf der Bühne zu Beginn funktionierte, so kalkuliert wirkte es später. Die Magie des ersten Mals ist verloren gegangen, auf halbem Weg zwischen Saint-Malo in den Lounge- und Kaffeehäusern der europäischen Metropolen. Auf ihrem zweiten Album Bande À Part verkommt eine an sich gesehen gute Idee zur Masche, zur Routine. Das liegt nicht einmal an der Auswahl der Stücke. Libaux und Collin beweisen einmal mehr genug Spürsinn, auch Abwegigeres aus ihrer musikalischen Sozialisation neben die erwartbaren Klassiker der ausgehenden Postpunk/Wave-Ära zu stellen. Echo & the Bunnnymen (Killing Moon) sind dabei und die Lords Of The New Church (Dance With Me), Visage (Fade To Grey) und Bauhaus (Bela Lugosi’s Dead).

Was auf dem Debüt allerdings Frische und Naivität versprühte, wirkt nun aufgesetzt. Camille hat die Band verlassen. Die beiden neuen Sängerinnen fügen sich in das bereits bestehende Konzept weitaus lieblicher ein. Natürlich macht auch Band À Part an der ein oder anderen Stelle Spaß: Ever Fall In Love von den Buzzcocks ist auch in der Bossa-Version ein guter Song, das vom Pomp befreite Dance With Me bringt einen zum lächeln. Anderes ist überflüssig: Yazoos Don’t Go ebenso wie die schwache Neudeutung von New Orders Blue Monday. Am Ende klebt Zucker in den Ohren.

„Bande À Parte“ von Nouvelle Vague ist als CD und LP erschienen bei PIAS

Hören Sie hier „Don’t Go“

Sehen Sie hier Bilder des Konzerts von Nouvelle Vague in Hamburg

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Die Beatles winken vom Erdbeerfeld

Erst im letzten Jahr hat die englische Band The Superimposers ihr Debütalbum vorgelegt. Ein schönes Stück Retro-Pop mit Anklängen an Beatles und Beach Boys. Jetzt kommt schon die Nachfolge-Platte „Missing“ raus – ohne Einverständnis der Musiker

Superimposers Missing

Es gibt Musik, die ist neu und weckt trotzdem ganz viele Erinnerungen. Da springt plötzlich die modrige Truhe im Dachstübchen auf, und drin liegen verstaubte Bilder längst vergangener Zeiten. Gefühle packen uns, die uns vor Jahren auf Trab gehalten haben, einen aufregenden Sommer lang. Die Musik der Superimposers bringt solch einen fast vergessenen Sommer zurück.

Zauberei? Für zwei englische Jungs, die auf der Retro-Welle reiten, kein Problem: Alte Sounds machen gute Stimmung. Es winken die Beatles vom Erdbeerfeld, und die Beach Boys blinzeln unterm Sonnenschirm hervor. Bei den Superimposers orgeln sich die psychedelischen sechziger und siebziger Jahre in die Gegenwart und werden hier von zurückhaltenden Downbeats empfangen. Kein neues Stilmittel, aber ein wirkungsvolles, wie schon die Traum-Popper von Air und Zero7 gezeigt haben.

Die Superimposers lieben Zitate. Sie bedienen sich ungeniert bei ihren musikalischen Vorbildern und verbinden das Gesammelte zu einer wohligen Flokati-Mischung – durchaus mit eigenem Charakter. Ihre ruhigen, eingängigen Songs sind mit digitalen Mitteln auf analog getrimmt: Schallplatten knistern, Vibraphone klöngeln, Streicher wabern, Schellenkränze rasseln. Dazu lässt die leicht blechern abgemischte Stimme von Sänger Dan Warden den näselnden John Lennon akustisch wieder auferstehen.

Superimposers

Das erste Album The Superimposers von 2005 überzeugte die Kritiker: Man lobte den zeitlosen und lebensbejahenden Sound der Band. In ihm spiegelten sich die Größen der Popgeschichte und ließen dennoch genügend Platz für melancholische, klassische Refrains.

Nun ist eine neue Platte der Briten erschienen – der Albumtitel Missing ist musikalisch wie personell symptomatisch: Kleinodien wie Would It Be Impossible oder Seeing Is Believing vom Vorgängeralbum fehlen gänzlich. Es reiht sich ein netter, belangloser Song an den nächsten. Elektronische Klänge finden hier und da Verwendung, machen die Stücke aber auch nicht interessanter. Wo sich im letzten Jahr die große Welle auftürmte und Sogwirkung entwickelte, plätschert jetzt ein flüchtiger Priel.

Dass die musikalische Qualität dieses Albums so wenig überzeugt, liegt wahrscheinlich daran, dass die Musiker selbst nicht hinter dieser Veröffentlichung stehen. Dan Warden und Miles Copeland waren ein Jahr lang untergetaucht. Ihre Plattenfirma Little League grämte sich grün, denn es mussten Verträge erfüllt werden. Kurzerhand wurde Missing ohne das Einverständnis der Superimposers veröffentlicht. Wohl in der (vergeblichen) Hoffnung, an den Erfolg vom vergangenen Jahr anknüpfen zu können.

Während die Superimposers für ihr Debütalbum die schönsten Perlen aus ihrer Song-Schatulle ausgewählt hatten, wurde jetzt anscheinend der matte Rest zusammengekramt. Herausgekommen ist dabei nicht mehr als ein harmloser Sommer-Soundtrack. Der taugt zwar immerhin dazu, verregnete Juni-Himmel aufzuhellen. Aber superimposing ist das nicht gerade.

„Missing“ und das selbst betitelte Debütalbum (2005) der Superimposers sind erschienen bei Little League Productions

Hören Sie hier „The Little Things“ von „Missing“ und im Vergleich dazu „Would It Be Impossible“ von „The Superimposers“

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