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Die Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Folge II)

Der zweite Teil meiner kleinen Reihe hat sich etwas verzögert, was unter anderem daran liegt, dass ich diesmal versuche, ein moving target zu treffen. Es geht um Sinns Ausführungen zum Thema Target 2. Dies ist ein längerer Beitrag, der mit dem Urteil enden wird, dass Hans-Werner Sinn eine Art Carl Schmitt der Ökonomie ist: Die oder Wir. Wenn es den Iren oder den Portugiesen gut geht, geht es uns schlecht – und umgekehrt. So gesehen wäre das Hilfsprogramm für Portugal also falsch. So denken viele in Deutschland, so einfach ist die Sache aber nicht. Weiter„Die Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Folge II)“

 

Was will uns Roland Vaubel sagen?

Bis jetzt dachte ich, man könne Roland Vaubel, seines Zeichens Professor für politische Ökonomie in Mannheim, einfach ignorieren. Aber er wird richtig gefährlich (Quelle Handelsblatt).

Ein „Euromantiker“ ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nach Ansicht von Roland Vaubel, Professor für Politische Ökonomie an der Uni Mannheim.  Vaubel begründet seine herbe Kritik damit, dass der Minister sich nicht um die Ratschläge seines Wissenschaftlichen Beirats schere, der ihn vor schädlichen Folgen von zu großzügigen Krediten an einzelne Euro-Staaten gewarnt habe.

„Der Fehlanreiz wäre geringer, wenn der Schuldnerstaat die verbürgten Hilfskredite, ob sie nun zur Finanzierung frischer Defizite oder zur Ablösung von Altschulden dienen, nur zu einem merklich höheren Zinssatz erhalten würde.“ Griechenland zum Beispiel könne sich auch nach Verabschiedung der ihm auferlegten Reformen „nicht am Markt zu so günstigen Bedingungen verschulden wie beim europäischen Bail-out-Fonds.“

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Schäuble hat versagt, weil die Zinsen des Rettungsfonds niedriger sind als die Marktzinsen. Aber was wäre denn, wenn die Zinsen genau so hoch wären wie die Marktzinsen? Genau, dann bräuchte man auch keinen Rettungsfonds. Denn der existiert ja, weil die Märkte zu hohe Zinsen verlangen (im Idealfall sind diese Zinsen zu hoch, weil die Märkte überschießen, ein eigentlich solventes Land hat ein Liquiditätsproblem, im nicht so idealen Fall ist das Land insolvent und erhält einen Transfer).

Und wo bitte ist der Fehlanreiz? Ist irgendeines der Länder gerne unter den Schirm geschlüpft? Nach dem Motto: Kommt und rettet uns, wir beugen uns gerne dem Diktat aus Brüssel? Ich erinnere mich, dass die EU an Portugal lange zerren musste. Man kann lange über das Für und Wider des Rettungsfonds diskutieren – aber so?

 

Frisst uns der Sozialstaat auf?

Das Handelsblatt bringt heute einen Auszug aus dem neuen Buch von Gabor Steingart. These: Deutschland wird immer sozialer und kann sich seinen Wohlfahrtsstaat schon bald nicht mehr leisten.

Wahr ist, der Wohlfahrtsstaat verdreifachte seine Ausgaben in den vergangenen 25 Jahren, selbst in den vergangenen zehn Jahren konnte er sie noch um 20 Prozent steigern. (…) Die Kundschaft des deutschen Sozialstaats erfährt eine Fürsorglichkeit, wie wir sie sonst nur bei den Großfamilien der Urvölker antreffen, wo einer den anderen füttert.

Starke Worte – aber wie sieht die Realität aus? Hier also die deutsche Sozialstaatsquote:

Was sehen wir?

  • Die Sozialausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt (und nur diese Größe ist für die Tragfähigkeit entscheidend, nicht die absolute Zahl) sind etwa Anfang der siebziger Jahre deutlich gestiegen. Genauer gesagt von 20,9 Prozent im Jahr 1960 auf 28,8 Prozent im Jahr 1975. Und jetzt wird es interessant:
  • Danach gingen die Sozialausgaben im Trend wieder zurück – bis zur Wiedervereinigung, als sie wieder zulegten (aus nahe liegenden Gründen).
  • Seit 2003 fallen sie wieder – abgesehen von einem kleinen Ausreißer am aktuellen Rand, der durch die Krise bedingt sein dürfte und inzwischen wahrscheinlich schon wieder verschwunden ist. Wir waren vor der Krise, also im Jahr 2007, mit 29,2 Prozent in etwa auf dem Niveau von 1975.

Kurz und gut: Die These eines immer mehr Ressourcen vereinnahmenden Sozialstaats ist genau so falsch wie die eines radikalen Sozialabbaus. Der Sozialstaat ist im letzten Vierteljahrhundert bemerkenswert stabil geblieben – selbst externen Schocks wie die Wiedervereinigung führten nur zu einer temporären Ausweitung.

Es gibt also keinen Grund zur Panik. Wir können uns den Sozialstaat sehr wohl leisten. Wir müssen es nur wollen.

 

Deutschlands Lobbyisten – ein Haufen Weicheier?

Wolfgang Münchau heute in der FTD:

Ich bin daher sehr überrascht, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie sich zu denen gesellt, die eine Erweiterung der EFSF so heftig ablehnen, zumal gerade seine Mitglieder von der Wechselkursstabilität im Euro-Raum so sehr profitieren. Auch diese hoch bezahlten Lobbyisten haben versäumt, die Krise und ihre finanziellen Auswirkungen gründlich zu durchdenken. Auch sie haben nichts gelernt und nichts vergessen.

In der Tat: Deutschlands Lobbyisten gehören zu den schlechtesten auf der Welt. Die Aufgabe eines Interessenvertreters ist es, Interessen zu vertreten. Nicht die der Allgemeinheit, sondern die seiner Branche.

In Deutschland aber kämpfen die Wirtschaftsverbände nicht für ihre Klienten, sondern für gut klingende (aber häufig fragwürdige) ordnungspolitische Prinzipien. Der BDI beispielsweise ist traditionell gegen Konjunkturprogramme und gegen niedrige Zinsen – obwohl beides die Nachfrage nach den Produkten seiner Mitgliedsunternehmen steigern würde. In Japan und China kämpft die Exportindustrie für günstige Wechselkurse, in Deutschland für die Unabhängigkeit der Zentralbank. Es soll sogar im Verband der Automobilwirtschaft kritische Stimmen gegeben haben, als die Regierung auf dem Höhepunkt der Krise die Abwrackprämie einführte.

Wie gesagt, man kann darüber streiten, was volkswirtschaftlich gesehen sinnvoll ist. Mir wäre es lieber, man überließe das Gemeinwohl der Politik. Denn die hat zu entscheiden, welche Partikularinteressen berücksichtigt werden sollen und welche nicht. Das ist nicht Aufgabe der Lobbyisten. Sie müssen dafür sorgen, dass diese Interessen überhaupt artikuliert werden.

 

Update: Regling gibt Deutschlands Ökonomen Nachhilfe

Ich traute heute Morgen meinen Augen kaum, als ich die FAZ aufschlug. „EFSF: Deutsche Ökonomen zu marktgläubig“ durfte ich in der Überschrift lesen! Und das in der FAZ, die noch am Freitag mit Leitartikel und großen Text das ominöse Plenum aufgeblasen hatte. Schreibt die FAZ beim HERDENTRIEB ab? Weit gefehlt! Als ich in den Artikel reinlas, habe ich mich sehr amüsiert, denn es ist Klaus Regling, der den Großökonomen Nachhilfe erteilt. Ja genau, jener Regling, der auch bei den konservativen Ökonomen einen tadellosen Ruf hat, denn er ist selber einer. Er war es, der 2004 ff. die Blauen Briefe an die Regierung Schröder verschickte, der Hüter des Stabipaktes. Ja Regling ist einer der Architekten der Währungsunion, der aber inzwischen verstanden hat, dass es ein Fehler war, alleine auf die Staatsverschuldung zu setzen, wie er im Interview mit der FR/Berliner-Zeitung erstmals öffentlich gestand.

Also Regling ist sich zumindest der Probleme bewusst, was man von unseren Großökonomen nicht behaupten kann. Er wirft den Plenum-Professoren „Denkfehler“ vor. „Falsch sei vor allem die Aussage der Ökonomen, dass Staaten, die ihre Gläubiger nicht mehr von einem bloßen Liquiditätsengpass überzeugen könnten, grundsätzlich als insolvent zu betrachten seien. Mit dieser Begründung hatten die Professoren die Einrichtung des auf Dauer angelegten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der die EFSF im Jahr 2013 ablösen soll, kritisiert. ‚Diese Sicht beruht auf einer Marktgläubigkeit, die nach den Erfahrungen der Finanzkrise überholt ist‘, sagte Regling. ‚Die Krise hat gezeigt, dass die Märkte nicht immer recht haben. Sie neigen zu Herdenverhalten und Überreaktionen.‘ Ein solches Marktversagen rechtfertige staatliche Eingriffe.“

Et voilá.

PS: Wer noch etwas Ketzerisches lesen mag, klicke hier auf die FTD, die sich heute nochmal groß den 189 Profs und ihren Verwirrspielen annimmt.

 

Einführung in die Geldpolitik mit Hans-Werner Sinn

Deutschlands „klügster Ökonom“ (Bild) hat mal wieder einen echten Skandal aufgedeckt, wie in der neuen Wirtschaftswoche zu lesen ist, und deren Chefredakteur Roland Tichy macht sich seine Ansichten zu eigen:

Die Deutsche Bundesbank hatte Ende des Jahres 2010 für etwa 326 Milliarden Euro Nettoforderungen gegenüber anderen Notenbanken des Euro-Systems. Es handelt sich dabei um eine Art Kontokorrentkredit, der anderen Ländern gewährt wird und im Wesentlichen aus Forderungen im Rahmen des Zahlungsverkehrs für Großbeträge besteht (Target 2). (…) Wenn die Länder, deren Banken die Kredite gegeben wurden, zahlungsunfähig werden, haftet Deutschland.

Mit 326 Milliarden Euro zusätzlich stehen wir also im Risiko. Ein Skandal – wenn es denn so wäre. Weiter„Einführung in die Geldpolitik mit Hans-Werner Sinn“

 

Da drin schreibt ein kluger Kopf

Selten stimme ich mit den Kollegen überein, aber das bisher beste Stück zur Causa Guttenberg stammt von Berthold Kohler und steht heute in der FAZ.

Er ist ein Profiteur der Politikverdrossenheit und des Rückzugs aus einer als unsicher und unüberschaubar empfundenen Welt ins Private, in der Werte wie Redlichkeit, Verlässlichkeit und überhaupt der „gesunde Menschenverstand“ eine zentrale Rolle spielen. Aber auch diese beschauliche Welt braucht einen, der sich um die kleinen Leute und die großen Fragen kümmert und alles zum Guten richtet, bis nach Afghanistan. Das wird seit langem niemandem mehr so sehr zugetraut wie Guttenberg. Was spielen da schon ein paar vergessene Gänsefüßchen für eine Rolle? „Scheiß auf den Doktor“, empfahl (ihm) die „Bild“-Zeitung. Wohl wahr: Ein Monarch braucht keinen Doktortitel. Auch den bunten Blättern reicht das Adelsprädikat.

Noch aber ist Deutschland eine Republik, und noch ist ein Plagiat Diebstahl geistigen Eigentums. Die Kanzlerin mag aus naheliegenden Gründen über Letzteres hinweggehen, wenigstens nach außen hin. Den Schaden im Kosmos der bürgerlichen Werte, den die Operation zur Rettung des gestrauchelten Bannerträgers nach sich zieht, kann aber auch Frau Merkel unmöglich übersehen.

In der Tat: Entweder kapitalistische Leistungsgesellschaft und bürgerliche Ethik, dann muss Gutti weg – oder wir lassen es gleich bleiben und legen uns alle in die Sonne.

 

Am deutschen Wesen…

… wird die Welt nicht genesen, wie Wolfgang Münchau es auf den Punkt bringt.

The German narrative is the outgrowth of a lie the country’s establishment has peddled ever since debate on the single currency started 20 years ago: that a monetary union can be sustained through a simple set of rules for monetary and fiscal policy; that financial regulation and current account imbalances do not matter. The eurozone crisis has proved this is not the case. But the conservatives cling to this old, comfortable straw. If there is a crisis, then it must be fiscal.

Es geht dabei nicht nur um die Währungsunion, sondern um einen Glaubenssatz der meisten deutschen Ökonomen: Der Staat muss an die Kette, der Privatsektor nicht. Deshalb haben wir kein Problem, einen Stabilitätspakt für das Staatsdefizit zu verabschieden, wehren uns aber mit Händen und Füßen gegen Leistungsbilanzregeln.