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Der 8,50-Euro-Irrsinn

Der Mindestlohn, der einheitliche und gesetzliche, ist das beste, was dem deutschen Arbeitsmarkt passieren kann. Dann klebt endlich auch in Deutschland ein Preisschild auf dem geringsten Lohn, den ein Arbeitgeber zahlen muss. Dann wissen Rumänen, Bulgaren und wer sich sonst zu Niedrigstlöhnen hierzulande verdingen muss, auf welchen Stundensatz sie mindestens Anspruch haben. Deshalb könnte man eigentlich frohen Mutes sein, dass es die SPD in die Koalitionsgespräche geschafft hat.

Eigentlich. Denn der Teufel steckt in dem nicht unwesentlichen Detail. Und das lautet 8,50 Euro.
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Draghis Coup

Aus meinem Kommentar für ZON:

Deshalb hat die Zentralbank den Auftrag, die Teuerung bei knapp zwei Prozent zu halten – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Auf dieses Ziel hat man sich verständigt. Mit einer Inflationsrate von aktuell weniger als einem Prozent wird es verfehlt. 

Schon um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, musste die EZB die Zinsen daher noch einmal senken. Das hilft der Wirtschaft, weil unter anderem die Aufwertung des Euro gedämpft würde. Die Stärke der Währung macht derzeit vor allem den Exporteuren im Süden ihr Geschäft kaputt.

Für die deutschen Sparer sind niedrigere Zinsen zwar auf den ersten Blick ein Ärgernis. Doch wenn die Krise wieder eskaliert, weil sich die EZB verweigert, müssten sie erst recht um ihr Geld bangen.

 

Die FAZ, der IWF und die Vermögensabgabe

Ich bin ja ein Freund der zugespitzten Berichterstattung, aber was in der FAZ und anderen Zeitungen mit dem Fiscal Monitor des IWF gemacht wurde, ist schon grenzwertig.

Der IWF schlägt allen Ernstes eine Vermögensabgabe in Höhe von 10 Prozent für alle Besitzer von Ersparnissen, Wertpapieren und Immobilien vor, um die wuchernden Staatsschulden in der Währungsunion ein bisschen abzutragen. 

An dieser Aussage ist richtig, dass es Diskussionen über eine solche Abgabe gibt. Sonst aber nicht sehr viel. Denn keineswegs macht der IWF sich diese Diskussionen zu eigen. Ich haben den Monitor sehr genau gelesen, weil ich schon vor Wochen ebenfalls darüber berichtet habe. Hier ist die Passage

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Es werden praktisch nur die Nachteile einer solchen Abgabe aufgezählt – wer daraus eine Empfehlung ableitet, hat entweder Probleme mit der englischen Sprache oder will die Institution absichtlich diskreditieren.

Vielleicht gibt es auch noch andere Gründe, die sich mir nicht erschließen. Der IWF wird es verkraften, sein Reich ist groß und Deutschland eines von 188 Mitgliedsländern. Wenn wir hierzulande aber so mit Debattenbeiträgen umgehen, dann haben wir bald amerikanische Verhältnisse und jeder lebt nur noch in seiner eigenen ideologischen Blase.

Damit will ich übrigens nicht sagen, dass die Idee schlecht wäre. Aus meiner Sicht gehört sie in den Instrumentenkasten der Krisenpolitik – zumindest in den Ländern, die ihre Schulden anders nicht in den Griff bekommen. Aber das tut hier nichts zur Sache.

 

Die Euro-Zone wird zum Exportmonster

Die Kommission hat heute ihre Herbstprognose vorgestellt – wie berichtet, reißt Deutschland die Grenze beim Leistungsbilanzdefizit. Das sei ja egal, ist oft zu hören, weil sich die Bilanzen innerhalb der Währungsunion allmählich ausgleichen und der Überschuss vor allem mit dem Rest der Welt anfällt. Doch inzwischen fällt da schon einiges an. Nach den Prognosen der Kommission wird der Überschuss der Währungsunion bis 2015 auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Das sind in absoluten Zahlen bei einem kombinierten BIP von dann 10176 Milliarden Euro immerhin 305 Milliarden Euro – eine ganze Menge Holz.

Grafik: Leistungsbilanzsalden der Europ. Währungsunion 1999-2015 (in Prozent des BIP)

Die Frage wird sein, ob sich die Handelspartner das gefallen lassen  – und wann die entsprechende Währungsreaktion beginnt, die den Aufschwung im Süden dann wieder gefährdet. So oder so: Die deutschen Überschüsse verschwinden nicht einfach in einem Loch – und es wird nicht funktionieren, das deutsche Überschussmodell auf die Euro-Zone zu übertragen.

 

Die Mär vom deutschen Exportwahn

In der Debatte über die deutschen Exportüberschüsse ist schon fast alles gesagt: Natürlich ist es völlig unsinnig, dauerhaft Exportüberschüsse in der Größenordnung von sieben Prozent und mehr der Wirtschaftsleistung zu fahren – sofern man nicht das Ziel verfolgt, die heimische Wirtschaft zu ruinieren. Das sehen übrigens diejenigen in der Bundesregierung, die sich auskennen, ganz genauso. Manchmal hilft auch ein Schuss Empirie. Hier die deutsche Leistungsbilanz seit 1950:

Grafik: Deutsche Leistungsbilanzsalden seit 1950 (in Prozent des BIP)

Was sehen wir? Die enormen Überschüsse der jüngeren Vergangenheit sind eine Anomalie. Die Republik hat in normalen Zeiten sogar die ursprünglich von der EU geplante Schwelle von vier Prozent fast immer eingehalten. Die Deutschen waren schon immer stark im Export, aber früher waren sie ebenso stark im Import. Hier gab es nach der Jahrtausendwende einen Strukturbruch – ausgelöst durch die Spätfolgen der Wiedervereinigung, die Einführung des Euro und die Agendapolitik.

Keinesfalls aber ist das, was wir derzeit beobachten, das Erfolgsgeheimnis der deutschen Wirtschaft. Dem Export wird heute eine Bedeutung beigemessen, die er nie hatte. Es wäre allen gedient, wenn wir uns auf unsere alten Stärken besinnen würden.

Update: Ein Abbau der Überschüsse – nicht auf Null, was niemand fordert, sondern auf vielleicht drei oder vier Prozent des BIP – würde in erster Linie Deutschland selbst nutzen. Denn ein Exportüberschuss bedeutet Arbeitskraft zu verschenken. Wir verkaufen Autos und erhalten dafür Wertpapiere, die nun leider nicht immer so viel wert sind wie man zunächst denkt.

 

Die Deutschen und der Export

Der Herbst wird heiß. Die USA kritisieren den deutschen Exportüberschuss, hier mein Artikel, warum auch aus Brüssel Probleme drohen. Stichwort: Macroeconomic Imbalances Procedure. Und nein: Die Kommission hat den Bericht nicht dementiert, die Aussage, zum jetzigen Zeitpunkt mache es sich keinen Sinn, über die nächsten Schritte zu sprechen, ist kein Dementi. Wie ich höre, hätten die deutschen Behörden mit einer vertieften Analyse auch kein Problem. Sie wissen, dass die Glaubwürdigkeit der Kommission auf dem Spiel steht – mit der die Kanzlerin noch einiges vor hat.

Es bleibt spannend.

 

Target, ein letztes Mal?

Marcel Fratzscher, Philipp König und Claudia Lambert vom DIW haben eine sehr interessante Analyse zu den Target-Salden der EZB veröffentlicht, die dazu beitragen kann, die Debatte in Deutschland zu versachlichen.

Wir erinnern uns: In dem Target-Streit ging es um die Frage, ob sich aus dem Zahlungsverkehrssystem der Notenbanken zusätzlich parlamentarisch nicht kontrollierte Risiken für Deutschland ergeben. Die These von Fratzscher et al: Deutschland hat von der Flexibilität des Target-2-Systems profitiert, weil es die Rückführung von im Ausland angelegtem Kapital ermöglichte, das sonst womöglich verloren gewesen wäre.

Sie definieren zunächst einmal, worüber wir eigentlich reden:

Handelt es sich bei der schließlich verbuchten T2-Position um eine Forderung gegenüber der EZB, so ist den Banken eines Landes mehr Zentralbankgeld aus dem Ausland zugeflossen, als sie dorthin überwiesen haben. Im Falle einer Verbindlichkeit gegenüber der EZB haben die Banken mehr Zentralbankgeld an das Ausland überwiesen, als sie von dort empfangen haben

Dann kommen sie zum Punkt:

Deutsche Banken und Anleger haben ihre Forderungen gegenüber Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Spanien und Zypern seit dem Jahr 2007 um rund 390 Milliarden Euro reduziert. Dass deutsche Anleger ihre Investitionen in großem Umfang ohne noch gravierendere Verwerfungen an den Finanzmärkten aus diesen Ländern abziehen konnten, ist vor allem begründet in der Bereitstellung unbeschränkter Liquidität im Rahmen des Vollzuteilungsverfahrens des Eurosystems und im reibungslos funktionierenden Zahlungssystem Target2.

Sebastian Dullien und ich haben vor einiger Zeit bei vox.eu ähnlich argumentiert.

Das DIW geht auch auf das Argument ein, die Liquiditätsbereitstellung über Target 2 verhindere eine Anpassung der Leistungsbilanzen – ein Argument, dessen Problematik schon daran deutlich wird, dass sich inzwischen fast alle Leistungsbilanzen angepasst haben.

Zu Recht wird von den Autoren darauf hingewiesen, dass die Anpassungspfade in einer Währungsunion anders verlaufen müssen als in einem Land mit eigenständiger Geldpolitik, weil keine Abwertung stattfinden kann. Deshalb braucht die Anpassung länger und muss unterstützt werden.

Die Konsequenzen der alternativen Vorgehensweise – keine Liquiditätsbereitstellung mit der Folge einer schlagartig erzwungenen Anpassung – wären hingegen  fatal gewesen, sowohl für die Krisenländer selbst als auch für die Eurozone als Ganzes.

Und nun, Hans-Werner Sinn?

 

Die Euro-Krise muss nicht immer weitergehen

Am Montag hatte Wolfgang Münchau in der Financial Times die These aufgestellt, dass die Euro-Krise nicht beendet werden kann, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern. Den Krisenländern werde es nicht gleichzeitig gelingen, die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu verbessern – indem sie Ressourcen von den Binnensektoren in die Außensektoren umlenken und gegenüber den Handelspartnern real abwerten – und die staatlichen Schulden auf ein erträgliches Niveau zu reduzieren. Da es keinen Plan gebe, mit dem das bewerkstelligt werden kann, wird die Euro-Krise weitergehen. Die Marktteilnehmer, die in letzter Zeit eine Liebesaffäre mit dem Euro angefangen haben, machten daher einen Fehler. Weiter„Die Euro-Krise muss nicht immer weitergehen“

 

Energiewende darf nicht auf der Strecke bleiben

Unter den zehn zentralen Themen, über die die Sozialdemokraten in den nächsten Wochen mit der Union verhandeln wollten, fehlte zunächst die Energiepolitik. Auch die Umwelt kam nicht vor, ebenso wenig wie die Zukunft des Euro und die Bankenunion. Ich dachte daher, dass sich die Parteien auf diesen Feldern wohl weitgehend einig seien und keinen Handlungsbedarf sahen. Das hat sich seit gestern geändert – es gibt neuerdings zwölf Arbeitsgruppen, und alle drei Themen sind jetzt abgedeckt. Gut so.
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Deutschland hat kein Schuldenproblem

Die interessanteste Nachricht aus dem Gemeinschaftsgutachten der Institute verbirgt sich auf Seite 61. Dort steht eine Tabelle mit den Schätzungen zur mittelfristigen Entwicklung der Staatsfinanzen.

staatsfinanzen

Man beachte die letzte Zeile, die Schuldenstandsquote. Sie fällt bis zum Jahr 2018 auf 61 Prozent des BIP und liegt damit praktisch wieder auf einem Niveau, das mit den Regeln der EU konform ist und langfristig tragfähig sein dürfte.

Wichtig: Dabei sind keine dramatischen Sparprogramme oder ähnliches unterstellt, Einnahmen und Ausgaben laufen mehr oder weniger weiter wie bisher. Woran liegt das? Zunächst einmal einfach daran, dass eine wachsende Wirtschaft eben das beste Rezept gegen Schulden ist – die Schuldenquote ist ein Bruch und wenn der Nenner steigt, dann wird der Bruch insgesamt kleiner.

Außerdem dürften einige der Sondereffekte auslaufen, die die Schuldenquote derzeit künstlich aufblähen. Denn was kaum jemand weiß: Alle Risiken aus der Banken- und Eurorettung sind im Schuldenstand bereits verbucht.

Der Grund: Es handelt sich bei diesem Schuldenstand um eine Bruttogröße und das führt etwa bei der Bankenrettung dazu, dass die Verbindlichkeiten der staatseigenen Bad Banks berücksichtigt werden, nicht aber die Vermögenswerte. Wenn nun aber die Vermögenswerte zu Geld gemacht werden (zum Beispiel weil Anleihen im Portfolio auslaufen), dann können auch die Verbindlichkeiten aufgelöst werden und die Schuldenquote sinkt wie von Zauberhand.

Ganz ähnlich sieht es bei den Rettungskrediten für Südeuropa aus, die allesamt auch bereits verbucht wurden. Wenn es nicht zu einem totalen Zahlungsausfall kommt, verbessert sich die Schuldenquote wenn diese Kredite zurückgezahlt werden.

Lange Rede kurzer Sinn: Deutschland steht bei der Verschuldung nicht schlecht da und man sollte sich von völlig irrelevanten Zahlen wie den 2.000 Milliarden des Steuerzahlerbundes nicht kirre machen lassen.