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Dachbodenmusik

Unter den Laken, in verstaubten Kistchen finden sich zauberhafte Geschichten. Die Band White Hinterland erzählt sie in luxuriösen Liedern.

White Hinterland

Wie klingt es eigentlich, wenn man auf dem Dachboden eines alten Hauses stöbert? Da ist das Geräusch von Schritten auf dem Holz, das Blättern in vergilbten Büchern und Fotoalben. Unter einem Bettlaken versteckt sich ein verstimmtes Klavier. Unzählige Geschichten liegen verborgen in Schubladen und Kartons.

Casey Dienel erzählt uns diese Geschichten, ihre Band White Hinterland hilft uns beim Stöbern. Der Name weckt Assoziationen an die amerikanische Einöde und ihre Bewohner: Urwüchsig sollen sie sein und bodenständig, sicher ein wenig verschroben. Dabei stammt Dienel von der Ostküste. In Boston studierte sie am New England Conservatory Operngesang und Komposition. Mit einigen Studienfreunden nahm sie im Winter 2005 in einem verlassenen Farmhaus in Massachusetts ein paar Lieder auf. Das Klavier lieh sie sich aus der Eingangshalle eines Hotels. Die Aufnahmen erschienen wenig später auf dem ersten Album von White Hinterland, Wind-Up Canary.

Nun erscheint das zweite Album der Band, Phylactery Factory. Wieder lebt es von Casey Dienels Kunstfertigkeit als Musikerin und Sängerin, ihre Stimme trägt die neun Stücke. White Hinterland mischen Jazz, Country, Klassik und Folk zu fast barocken Popliedern. Das Ensemble bringt eine Vielzahl von Instrumenten zum Klingen. Das immer neue Zusammenspiel von Streichern, Bläsern, Glockenspiel, Vibrafon und Gitarren macht die Platte abwechslungsreich. Im Vordergrund klingt Casey Dienels Klavierspiel, immer wieder klimpert sie überraschende Melodien.

Luxuriös mutet manches Arrangement an, überladen ist keines. Mit Hilfe des Produzenten Adam Selzers eröffnen White Hinterland immer neue Klangräume. Im aufwendig konstruierten Zusammenspiel der Stimmen ist Platz zum Klingen und Hören. White Hinterland lassen ihre Lieder atmen. So ist Phylactery Factory eine Platte voller Zweideutigkeiten und Wendungen. Kaum ein Stück endet, wie es begonnen hat. Wie in einem musikalischen Setzkasten lassen sich immer wieder Kleinigkeiten entdecken.

Im Mittelpunkt der Platte stehen Casey Dienels Texte. Sie erzählt zauberhafte Geschichten voller unwirklicher Bilder, erzählt von beiläufigen Ereignisse und den komischen Figuren am Rande des Geschehens. In Dreaming Of The Plum Trees beschreibt sie, wie das Ende einer Beziehung von den Liebesgeräuschen der Nachbarn begleitet wird: „You can hear them falling in love again / Three times this evening.“

Das Herzstück des Albums ist Hometown Hooray, zugleich ein schlingernder Liebeswalzer und eine bittere Abrechnung mit den im Irak Kriegführenden. Dienel besingt den Verlust des Geliebten mit zärtlicher Stimme. Langsam wird offenbar, dass sie hinter der Sanftmut tiefe Traurigkeit verbirgt. Das Düstere begleitet das Album von nun an, ob in der verträumten Klangcollage A Beast Washed Ashore oder in der Klavierballade Hung On A Thin Thread, Melancholie hat sich eingeschlichen.

Der einsame Klang einer Mandoline beschließt das Album, das doch so vielstimmig begonnen hatte. Plötzlich ist man wieder ganz allein auf dem Dachboden. „The howlin‘ wind ushered us to leave“, singt Casey Dienel. Leise schließt man die Kartons und Schubladen. Einige Geschichten müssen unerzählt bleiben.

„Phylactery Factory“ von White Hinterland ist als LP und CD bei Dead Oceans/Cargo erschienen.

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Im Schein des Feuerzeugs

Auf „The Lighter“ singt Joanne Robertson 13 unfertige Lieder. Ihre schlaftrunkene Stimme, karge Gitarrenklänge und organische Geräusche verleihen dem Album Intimität.

The Lighter Joanne Robertson

Hört man Joanne Robertson singen, kann man sie sich dabei vorstellen. Sie sitzt auf dem Bett in einem spärlich beleuchteten Zimmer. Draußen ist es duster, die Stadt liegt still. Kein Geräusch ist zu hören – bis auf das Anschlagen der Gitarrensaiten. Dann dringt eine Stimme durch das Halbdunkel. „The people in the village / all are sleeping / when nighttime ends / we’ll take it now“, singt Joanne Robertson mit geschlossenen Augen. Ihre Lieder klingen, als seien sie in einem Zustand zwischen Träumen und Wachen aufgenommen worden. In diesen Momenten entstehen Bilder von eigenartiger Kraft, deren Sinn sich niemals ganz erschließt. Die Welt erscheint unwirklich, Worte und Sätze wollen nicht zusammenpassen.

The Lighter heißt ihr Album. Es ist kein in sich geschlossenes Werk, vielmehr eine Sammlung skizzenhafter Stücke. Ihre musikalische Offenheit fasziniert. Keines der 13 Stücke klingt wie eine fertige Komposition. Melodien lassen sich allenfalls erahnen, nur selten kehrt ein erkennbarer Refrain wieder. Es sind kurze, zerbrechliche Lieder voller rätselhafter Bilder. Wie die Flamme eines Feuerzeugs drohen sie zu erlöschen. Robertsons Gitarrenspiel klingt improvisiert, fast karg. Meist kommt sie mit wenigen, gleichwohl wirkungsvollen Griffen aus. Mal ist die Bewegung ihrer Finger auf dem Griffbrett der Gitarre zu hören, mal leise Atemgeräusche. Diese Geräuschkulisse vermittelt Intimität, es ist, als säße man gleich neben ihr.

Diese Wirkung ist nicht auf Zufälligkeit oder charmanten Dilettantismus zurückzuführen. Trotz seiner Grobkörnigkeit ist The Lighter ein wohldurchdachtes Kunstwerk. Joanne Robertson hat in Glasgow Malerei studiert und gehört zu einer überschaubaren Szene junger britischer Künstler. Die Zeichnung auf der Plattenhülle stammt von ihr. Bereits mit ihrer Band I Love Lucy improvisierte sie Texte und sie trat mit dem Künstlerkollektiv Blood ’n Feathers auf. Auf The Lighter singt sie Stücke, die sie bereits in London mit dem Konzeptkünstler Martin Creed aufführte.

Mit dem Weird Folk von Devendra Banhart und Joanna Newsom hat sie nichts zu tun, deren Drang zur prätentiösen Inszenierung teilt sie nicht. Die Person Joanne Robertson bleibt hinter ihren Liedern unsichtbar. Einzig ihre Stimme dringt aus dem Dunkel hervor.

Joanne Robertson singt, als fielen ihr Musik und Text erst in diesem Moment in den Schoß. Sie singt mit schlaftrunkener Stimme, die ganze Textzeilen verschleiert. Weil sich nur vereinzelt Worte und Sätze erahnen lassen, ist schwer zu sagen, wovon die Lieder handeln. Ihr entrückte Gesang verleiht den Worten einen Klang, hinter dem der eigentliche Sinn verschwindet. Stücken wie Marker und Crackling ist die Uneindeutigkeit zuträglich, sie schimmern geheimnisvoll, fast magisch. Die Stimme klingt wie aus weiter Ferne herüber, auf allem liegt Hall. Dem Stück Blow verleiht dieser Effekt etwas Geisterhaftes. Auf Stovepipe doppeln sich Robertsons dissonante Anschläge, um schließlich zitternd zu verhallen.

„Dreaming is a garden“, singt Robertson in Silver. In diesem Garten möchte man sich ein ums andere Mal verlieren.

„The Lighter“ von Joanne Robertson ist als LP und CD bei Textile Records/Cargo erschienen.

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Kalt wie Marmor

Das Debütalbum von Hercules & Love Affair erinnert an die lustvollen Rhythmen von Disco und House in den Achtzigern. So draufgängerisch wie ihr Namensgeber geht die Band leider nicht zu Werke.

Hercules & Love Affair

Herkules war ein Gemütsmensch. Der Sohn des Zeus bestand allerhand Abenteuer und galt als durchtrainierter Hitzkopf. Wie es sich für einen echten Gott gehört, ließ er sich nichts bieten. Als sein Musiklehrer ihn tadelte, erschlug ihn Herkules kurzerhand mit der Leier. Seine zahlreichen Ehen mit Königstöchtern gingen in die Brüche, er feierte lieber mit jungen Männern.

Heute wäre Herkules ein typischer Clubgänger. Sicher auch deshalb wählte der New Yorker Fitnesstrainer Andrew Butler den griechischen Helden als Namensgeber seines Projekts Hercules & Love Affair. Vor einigen Jahren veranstaltete Butler in seiner Heimatstadt regelmäßige Parties, bei denen Künstler und schwule Szenegänger gemeinsam zu House-Klängen feierten. Zutritt erhielt nur, wer sich als griechische Göttergestalt kostümierte. Dieses Spiel mit neo-antiken Motiven hatte sich Butler bei den New Yorker Continental Baths abgeschaut. In diesen Badehäusern und Saunen bildeten schwuler Sex und Disco in den achtziger Jahren eine Einheit, zwischen Säulen und Statuen wurde geliebt und getanzt. DJs wie Frankie Knuckles und Larry Levan legten Platten auf, AIDS bereitete den Ausschweifungen damals ein Ende.

Das Debütalbum von Hercules & Love Affair ist eine Hommage an die hedonistische Musik dieser Zeit. Andrew Butler und sein Musikerkollektiv reproduzieren nicht einfach den körperbetonten Klang früher House-Platten, sie kleiden glamouröse Tanzmusik in ein zeitgemäßes Gewand. Da ist House, aber auch Disco-Pop mit unzähligen Referenzen an die großen Momente der Clubmusik. Überall wird zitiert: hier klingt ein Schlagzeug-Groove wie bei Arthur Russell, dort flirren die Streicher wie das Salsoul-Orchester in seinen besten Zeiten. In Stücken wie You Belong und I Will fühlt man sich in die Anfangstage des Techno zurückversetzt, als Soul und Maschinenmusik plötzlich keine Gegensätze mehr darstellten. Chicago House, Detroit Techno, Italo-Disco – im herkulinischen System scheint alles möglich. Der Tanzboden wird zum pophistorischen Spiegel. Und Disco ist nicht bloße Referenz, es steht für die Sehnsucht nach Körperlichkeit auf dem Tanzboden. Der Einsamkeit im Club versuchen Hercules & Love Affair als lustvolles Ereignis zu begegnen.

Unglücklicherweise wird dieses nostalgische Konzept von der spiegelglatten Produktion weitgehend unterlaufen. Denn wo der Klang der Zitierten noch Ecken und Kanten besaß, wirkt die Produktion von Tim Goldsworthy poliert. Immer wieder drohen die Kompositionen in selbstgefälligen Posen zu erstarren. Da können die ansonsten passablen Sängerinnen Nomi und Kim Ann Foxmann noch so lasziv augenzwinkern – der unterkühlten Distanz der Stücke kommen sie nicht bei. Und auch wenn Antony Hegarty von der kanadischen Band Antony & The Johnsons sich Mühe gibt, wie Marc Almond zu klingen, seiner Stimme fehlt die Erotik eines Robert Owens. Einzig bei Blind ist sein Gesang wirklich großartig.

Blind ist auch der Höhepunkt eines Albums, das den Hörer seltsam unberührt zurücklässt. Wie die von Andrew Butler geschätzten griechischen Statuen erscheinen seine Stücke unnahbar. Sie sind in ihrer äußeren Form beeindruckend, Emotionen gewinnt man ihnen kaum ab. Die wichtigste Zutat von Disco und House war immer die Wärme, die den Tänzer umfing. Die Musik von Hercules & Love Affair gleicht kühlem Marmor. Darauf hätte sich auch ein Draufgänger wie Herkules nicht eingelassen.

Das unbetitelte Debütalbum von Hercules & Love Affair ist als CD und Doppel-LP erschienen bei DFA Records/EMI.

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Nassau funkt

Eine Lehrstunde in Clubmusikkunde: Auf den Bahamas entstanden in den frühen Achtzigern schrullige Disco-Stücke für New Yorks Tanzböden. Jetzt sind sie auf einer CD erschienen

Funky Nassau The Compass Point Story

Madonna und Andy Warhol tanzten zu diesem Klang. Wenn in den New Yorker Clubs in den frühen Achtzigern Grace Jones’ My Jamaican Guy oder Born Under Punches von den Talking Heads aufgelegt wurde, bebte der Tanzboden. Dass dieser Soundtrack zur Nacht in den gemütlichen Compass Point Studios auf den Bahamas produziert wurde, wussten nur wenige.

Lange gehörten sie zu den begehrtesten Aufnahmestudios weltweit. Wer genug hatte von polierten Holzfußböden und monströsen Mischpulten, der kam nach Nassau. Bands wie Roxy Music, AC/DC und die Rolling Stones ließen sich von der mediterranen Atmosphäre inspirieren und nahmen hier ihre besten Alben auf.

Neben solchen Rockalben entwickelte sich hier auch eine Spielart der Clubmusik, die die New Yorker Schickeria in Aufregung versetzte. Unter der Aufsicht des Studioleiters Chris Blackwell verknüpften die sogenannten Compass Point All-Stars Soul, Reggae, Rock, Disco und New Wave. Die schrulligen Kompositionen der Studioband machte an kaum einer musikalischen Grenze Halt. Solche Offenheit reizte viele Künstler, hier konnten sie sich neu erfinden und mit unterschiedlichen Stilen experimentieren.

Für den unverwechselbaren Klang der Studios sorgten neben der Band und den hauseigenen Tontechnikern die legendären Produzenten Sly & Robbie. Sie bedienten sich der Techniken des Dub, um den Stücken Tiefe zu verleihen. Das Ergebnis war häufig abseitig und exzentrisch klingende Diskomusik, die eigentlich zu schräg war für einen kommerziellen Erfolg. New Yorker DJs wie Larry Levan und François Kevorkian machten viele der bei Compass Point aufgenommen Stücke zu Hits.

Auf der Kompilation Funky Nassau kann man nun die musikalische Bandbreite und Experimentierfreude des Studios bestaunen. Wie wohltuend sie klingt, diese Entspanntheit im ansonsten so konventionellen Genre Disco. Gleich im zweiten Stück Genius Of Love von Tom Tom Club kommen die unterschiedlichen Einflüsse zu Gehör. Zu einem unwiderstehlichen Groove spielt der Zappa-Gitarrist Adrian Belew eine funkige Gitarre, mehrere Frauen hauchen und rappen die Namen ihrer musikalischen Helden: James Brown, Bob Marley, Kurtis Blow, Bootsy Collins.

Auf Funky Nassau treffen schwarze Musikkultur und der Art Rock nach Art David Bowies oder der Talking Heads aufeinander. Von Berührungsängsten ist keine Spur – ganz nach dem Motto „Who need to think when your feet just go?“. Die Stücke sprudeln vor Leichtigkeit, die kindlicher Albernheit oft nicht fern ist. Die Punk-Ikone Ian Dury wagte in den Compass Point Studios die Grenzüberschreitung und nahm Spasticus Autisticus auf. Das kontroverse Stück erschien 1981 anlässlich des Jahres der Menschen mit Behinderung, Dury warb darin sarkastisch für Toleranz, die BBC verbannte es aus ihrem Programm. Ob seines schwarzen Humors und der skurrilen Mischung aus Punk und Disco gehört Spasticus Autisticus zu den Höhepunkten der Zusammenstellung.

Dass Disco eine arg verschrobene Angelegenheit war, beweist auch You Rented A Space, das Robert Palmer mit der Trash-Queen Cristina aufgenommen hat. Zickigen Tanz-Punk spielten die Schotten Set The Tone ein. Beinahe klassische Disco-Stücke von Guy Cuevas und Gwen Guthrie sowie der experimentelle Dub von Sly & Robbie vervollständigen die Werkschau. Auch wenn sich einige der 13 Stücke in Schrulligkeit verlieren, ist Funky Nassau eine unterhaltsame Lehrstunde in Sachen Clubmusik.

„Funky Nassau – The Compass Point Story 80-86“ ist als CD erschienen bei Strut/Alive.

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Der Prediger schwächelt

Robert Owens veredelte mit seiner Stimme viele alte House-Klassiker. Sein neues Album „Night-Time Stories“ klingt unterhaltsam, hätte aber ein paar frische Ideen vertragen können.

Robert Owens Night-Time Stories

Nur wenige Stimmen vermögen das Lebensgefühl einer musikalischen Ära heraufzubeschwören. Robert Owens ist für den House das, was Frank Sinatra für den Swing und Marvin Gaye für den Soul sind: Verkörperungen eines Stils, dessen Einfluss auf die Popkultur sich weit über den musikalischen Rahmen hinausbewegt. In der Kirche seiner Heimatstadt Ohio stimmlich geschult, zog es Owens zunächst hinter die Plattenspieler. Als DJ arbeitete er in Chicago, wo er den jungen Musiker Larry Heard kennenlernte. Gemeinsam hörten sie Musik, spielten mit Heards Drum-Machine herum und erfanden ganz nebenbei eine neue Musikrichtung: die House Music. Die Stücke, die Owens und Heard unter dem Projektnamen Fingers Inc. aufnahmen, wurden zu Klassikern – Mysterys of Love, Can You Feel It und Bring Down The Walls verbanden Owens suggestiven Bariton mit den harten Vierviertel-Rhythmen, die die Clubmusik prägen sollten.

Als Chicago House Ende der achtziger Jahre seinen kreativen Zenit überschritten hatte, zog Owens nach New York. Er versuchte sich als Keyboarder und Produzent, konnte aber nicht an die Erfolge mit Fingers Inc. anknüpfen. Sein Umzug nach London brachte ihn ein paar Jahre später mit europäischer Clubkultur in Berührung und auf neue Ideen. Seine Rückkehr feierte er als Gastsänger auf dem Album Solaris des Drum’n’Bass-Produzenten Photek. Zuletzt war Owens‘ Stimme in Walk A Mile In My Shoes zu hören, einem beseelten Deephouse-Stück des Duos Coldcut.

Nun erscheint Owens’ Platte Night-Time Stories, sein drittes Album in 18 Jahren. Unterstützt wurde er bei den Aufnahmen von einem guten Dutzend Musiker und Produzenten. Neben internationalen Größen wie Atjazz, Charles Webster und Jimpster stehen auch deutsche Produzenten wie Ian Pooley und das Duo Wahoo auf der Gästeliste. Trotz vieler Hände ist Night-Time Stories ein Album aus einem Guss, denn die Stücke sind ganz auf den Gesang zugeschnitten. Kaum ein Produzent verlässt das musikalische Terrain aus elegantem House, der sowohl im klimatisierten Loft als auch auf dem Tanzboden funktioniert.

Owens hat sich hörbar Mühe gegeben, jeden Geschmack zu treffen: Da stehen packende Chicago-House-Zitate neben sommerlichen Nummern für den Großraumclub, Prisen von R’n’B und HipHop inklusive. Charles Webster verpasst Never Give Up ein pulsierendes Breakbeat-Gerüst, während Kid Massive mit Only Me düstere Wege geht. Ebenso vielseitig klingt Owens’ Stimme: Mal lasziv flüsternd, mal mit kraftvollem Pathos besingt er die klassischen Motive des House. Körperliche Selbstbefreiung, erotische Anspielungen und gospelhafte Durchhalteparolen bestimmen die Texte der 15 Stücke.

Das klingt alles gut und unterhaltsam, leider aber auch recht konservativ. Das Album bietet kaum Überraschungen, von den Innovationen zeitgenössischer Tanzmusik ist wenig zu vernehmen. Gefällig geht es zu, Owens setzt ganz auf das bewährte Rollenspiel zwischen Prediger und Verführer – Geschichten hat er nicht zu erzählen. Vielleicht hätten einige frische Ideen dem Klang der Platte gut getan? Mit Night-Time Stories verwaltet Robert Owens sein Erbe als Stimme des House allzu bedächtig.

„Night-Time Stories“ von Robert Owens ist als CD erschienen bei Compost/Groove Attack.

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Der Tiger schnurrt noch immer

Über die Jahre (34): Kein Album verkaufte sich so gut wie Michael Jacksons „Thriller“. Jetzt wird die erfolgreichste Platte der Popgeschichte wiederveröffentlicht, aber der Qualität von damals ist auch nach 25 Jahren nichts hinzuzufügen.

Michael Jackson Thriller

Am 4. April 1982 betrat Quincy Jones die Westlake Studios in Los Angeles, um Michael Jacksons zweites Soloalbum zu produzieren. Jones hatte genaue Vorstellungen von seiner Arbeit. »Wir sind hier, um die Musikindustrie zu retten«, sagte er zu seinen Kollegen. Im Gepäck hatten Jones und Jackson eine Auswahl von Stücken, an denen sie in den vergangenen Monaten fieberhaft gearbeitet hatten. Sie sollten zu einem Album werden, dessen Dramaturgie Michael Jackson mit Tschaikowskys Nussknacker-Suite verglich.

Nicht einen Schwachpunkt sollte die Platte haben – in der Vision von Jackson und Jones hatte Füllmaterial keinen Platz. Jedes Lied musste ein Höchstmaß an Hitpotenzial besitzen, um das Album in die Charts zu bringen. Auf den überwältigenden Erfolg des Ergebnisses war trotz aller Berechnungen niemand vorbereitet gewesen.

Mehr als 100 Millionen Mal verkaufte sich das Album seit seiner Veröffentlichung. Sieben Singles schafften es in den Achtzigern in die Billboard Top Ten. Damit waren die Grundsätze der Musikindustrie in Frage gestellt: Bisher hatten sich Künstler damit abgefunden, durchschnittlich zwei Stücke eines Albums als Singles auszukoppeln. Die weitläufige Annahme, zu viele Singles könnten dem Album als Gesamtwerk schaden, wurde von Thriller eindrucksvoll widerlegt. Hernach musste kommerzieller Erfolg neu definiert werden.

Bereits mit seiner visionären Disco-Dekonstruktion Off The Wall hatte Jackson alle Schallgrenzen durchbrochen. Die spielerische Dynamik von Don’t Stop ‚Til You Get Enough oder Working Day And Night wich nun einem kalkulierten Pop-Sound. Die neun Stücke auf Thriller schossen querfeldein und erreichten damit nahezu alle Hörerschichten. Das war zuvor nur wenigen schwarzen Künstler gelungen. Dieses Album war weder Disco, noch Rock oder Soul. Es war – wie sein Schöpfer mittlerweile – nicht einmal besonders schwarz. Michael Jackson schuf mithin das erste interkulturelle Popalbum.

So buhlt die weiße Popkultur, verkörpert von Paul McCartney, mit dem schwarzen Superstar um die Aufmerksamkeit eines Mädchens: The Girl Is Mine. Auch der Schulterschluss mit der uralten Heimat gelingt. Im Lied Wanna Be Startin‘ Somethin‘ zitiert der Hintergrundchor den afrikanischen Saxofonisten Manu Dibango.

Michael Jacksons Image wurde für diese Platte gründlich überarbeitet. Hatte er auf der Hülle des Vorgängeralbums noch als Disco-König in weißen Tennissocken posiert, zeigte nun das Foto zu Thriller den Sänger im lässigen weißen Anzug. Auf seinen Knien ruht ein junger Tiger, statt eines strahlenden Lächelns trägt der Sänger einen nüchternen Blick im Gesicht. Dieses Bild wurde zum Symbol schwarzer Coolness.
Das Album überrascht den Hörer mit Humor. Thriller ist eine Platte voller Spielzeug, sie klingt nach Geisterbahn, Schmonzette und Kindergeburtstag zugleich. Wenn im Titelstück der Altmeister des Horrorfilms Vincent Price mit Grabesstimme von Zombies und Vampiren rappt, ist das purer Kitsch. Michael Jackson ist sich der Fallhöhe durchaus bewusst. Sein naives Vergnügen an Rollenspielen prägt das gesamte Album. So inszeniert er sich als gefühlvoller Lover (Baby Be Mine), harter Straßenjunge (Beat It) oder vom Großstadt-Blues geplagter Stalker (Human Nature). Seine hervorragende Stimme verleiht all diesen Figuren Glaubwürdigkeit.

Thriller hat bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt, weil es die Balance zwischen inszenierter Künstlichkeit und Authentizität wahrt. Besonders die musikalische Perfektion lässt es auch nach 25 Jahren noch aktuell klingen. Wie schon für die Aufnahmen zu Off The Wall luden Quincy Jones und Michael Jackson nur die profiliertesten Musiker ins Studio ein. Neben dem ehemaligen Miles-Davis-Schlagzeuger Ndugu Chancler machte auch die halbe Besetzung der Rockband Toto mit. Die Professionalität der Studiomusiker, deren Namen sich nur im Kleingedruckten auf der Plattenhülle wiederfanden, verleihen dem Album eine zeitlose Qualität. Das Material ist ganz auf Michael Jackson zugeschnitten, kein Musiker-Ego stört die Ein-Mann-Schau.

Nur einen Ausbruch gönnt sich der Rockfan Jackson: Er verpflichtete den Gitarristen Eddie van Halen, der auf Beat It eines der berühmtesten Soli der Popmusik einspielte. Ein Geniestreich: Nie zuvor hatte ein weißer Hardrock-Gitarrist über ein Disco-Stück gespielt. Was 1982 noch als unmögliche Paarung erschien, gilt heute Künstlern wie Daft Punk, Justin Timberlake oder LCD Soundsystem als selbstverständlich.

Der eigentliche Höhepunkt des Albums ist jedoch eine einzige Basslinie. Das Motiv aus Billie Jean markiert einen Wendepunkt in der schwarzen Popmusik: Klang der Bass in Stücken wie James Browns Sex Machine noch wie ein räudiger Straßenköter, verwandelt er sich auf Billie Jean in einen schwarzen Panther. Im Rahmen einer Gala zum 25-jährigen Jubiläum der Plattenfirma Motown bezeugte Michael Jackson diese Geschmeidigkeit:
Zu den Klängen von Billie Jean führte er hier zum ersten Mal den legendären Moonwalk auf.

Seitdem lässt sich das Stück kaum ohne die Tanzschritte Jacksons denken. Untrennbar ist Thriller mit dem damals aufstrebenden Musiksender MTV verbunden, der Jacksons innovative Videos in die Rotation nahm und ihre Ausstrahlung zu popkulturellen Großereignissen machte. Mit diesem Album bestärkte Michael Jackson seine visuelle Künstlerpersönlichkeit.

Bei soviel historischer Gewichtigkeit muss die Frage erlaubt sein: Was kann eine Wiederveröffentlichung des Albums der Legende noch hinzufügen? Bereits die im Jahr 2001 erschienene Special Edition gewann dem Werk trotz Demo- und Bonustracks keine neuen Perspektiven ab. Auch für die Jubiläumsausgabe verzichtete man auf eine umfassende Überarbeitung des Sounds. Quincy Jones‘ Produktion gibt es nichts hinzuzufügen.

Um jedoch den Einfluss von Thriller auf den Pop der Gegenwart zu verdeutlichen, durften sich Kanye West, Akon und Will.I.Am von den Black Eyed Peas als Remixer versuchen. Ihre Interpretationen klingen seltsam blutleer. Will.I.Am, der Jacksons neues Album produziert, zwängt The Girl Is Mine und P.Y.T. in ein R’n’B-Korsett. Keine Spur mehr von der Leichtigkeit der Originale. Peinlich gerät der Remix von Beat It, auf dem Will.I.Ams Kollegin Fergie vergeblich ihre Stimmbänder bemüht. Einzig Kanye West kann in seiner Interpretation von Billie Jean frische Ideen umsetzen; vor der Stärke des Originals muss aber auch er kapitulieren.

Dass die Nachahmer scheitern, liegt auch an der emotionalen Brisanz des Materials. Denn trotz all der guten Laune und Verspieltheit zeichnet Thriller bereits erste Gemütsschwankungen Jacksons auf. Es sind die Anzeichen der Paranoia, die sein späteres Werk und Leben bestimmen sollte. So ist Wanna Be Startin‘ Somethin‘ mit seinem hyperaktiven Funk-Groove Jacksons erste Antwort auf die öffentliche Vereinnahmung seiner Person. In Billie Jean ist es der Vorwurf, ein uneheliches Kind gezeugt zu haben, gegen den Jackson verzweifelt ansingt: »She says I am the one, but the kid is not my son«.
Gerade diese musikalisierte Zerbrechlichkeit lässt das Album knapp 25 Jahre nach seinem Erscheinen umso relevanter erscheinen. Thriller ist nicht nur als perfektes Popalbum zu verstehen, sondern vor allem als Spiegel der komplexen Persönlichkeit seines Schöpfers.

„Thriller“ von Michael Jackson ist im Jahr 1982 bei Epic Records erschienen. Die Jubiläumsausgabe „Thriller 25“ ist als Doppel-CD und Doppel-LP erhältlich. Die beiliegende DVD enthält drei Musikclips, sowie Jacksons Auftritt bei der Motown-25-Gala.

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(30) The Exploited: „Troops Of Tomorrow“ (1982)
(29) Low: „Christmas“ (1999)

Hier finden Sie eine Liste aller in der Serie erschienenen Beiträge.

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Im Nachtbus durch London

Die skelettierten Rhythmen auf Burials Album „Untrue“ erzählen von der Einsamkeit in der nächtlichen Metropole. Die Party ist zu Ende, den Weg nach Hause muss jeder allein gehen.

Burial Unture

Eine Stimme schält sich aus dem Straßenlärm: „I saw your light. It burns forever.“ So beginnt Untrue, das zweite Album des Londoner Produzenten Burial. Das ewige Licht heißt Dubstep, ein Hybrid aus synkopischen Raggabeats, Überresten des Rave und bleischweren Bässen. Dubstep ist in den Clubs der Londoner Stadtteile Croydon und Brixton beheimatet. Neue Stücke werden über lokale Radiosendungen bekannt, oft gibt es sie nur auf Vinyl und in kleinen Auflagen.

Burial ist ein radikaler Geheimniskrämer des Genres. Statt in Interviews und auf Fotos hinterlässt er Spuren in der Musik. Seine eigentliche Identität verschleiert er, dem britischen Guardian sagte er, „only five people know I make tunes“.

Auf Untrue durchstreift er die nächtlichen Vorstädte Süd-Londons und zeichnet ein Klangbild urbaner Vereinsamung. Die Musik ist pures Kopfkino, eine Reise ins Herz der Finsternis. Die Schauplätze dieser morbiden Nachtfahrt sind Orte der Verelendung und Entfremdung – Dog Shelter, In McDonalds und Homeless heißen die Stücke, in denen Burial die Trostlosigkeit beschwört.

Das Gerüst der 13 Stücke bilden skelettierte Rhythmen und subsonische Basslinien, sie entfalten einen Sog. Nur vereinzelt schiebt sich eine melancholische Akkordfolge in den Vordergrund, ertönt verzerrter seelenvoller Gesang, um kurz darauf in den Tiefen des Klangs zu verhallen. „I can’t take my eyes off you“, singt eine geisterhafte Stimme in Near Dark. Ist das die Fantasie eines Stalkers oder ein Liebesschwur? In dieser somnambulen Filmmusik lassen sich Traum und Realität nur schwer auseinanderhalten. Das Unheimliche hat viele Gesichter.

Immer wieder blendet Burial hörspielähnliche Szenen ein, sie erzeugen eine dichte Atmosphäre. Straßengeräusche und geheimnisvolle Stimmen erzählen von der Einsamkeit in der nächtlichen Metropole, vom Umherstreunen in verlassenen U-Bahnstationen. Auf Untrue ist die Party zu ihrem Ende gekommen. Den Weg nach Hause muss jeder allein gehen.

„Untrue“ von Burial ist als CD und Doppel-LP erschienen bei Hyperdub/Cargo.

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Mikrohausmusik

Matthew Dear trägt viele Namen. Jetzt veröffentlicht er unter dem Pseudonym False einen hitzigen Mix minimalistischer House-Stücke.

Charles Mingus At UCLA Monterey 1965

Mit Veröffentlichungen auf seinen eigenen Labels Ghostly International und Spectral hat Matthew Dear das Genre Microhouse geprägt. Was ist Microhouse? Die Musik wird auf ihr rhythmisches Gerüst reduziert, Klangflächen lassen fragmentarischen Samples den Vortritt. Microhouse klingt wie mathematische Tanzmusik.

Einem größeren Publikum wurde der Texaner Matthew Dear im vergangenen Jahr mit dem Hit Mouth To Mouth bekannt, veröffentlicht unter dem Namen Audion. Auf seinem letzten Album Asa Breed wendete er sich überraschend dem Indiepop zu und versuchte sich als Sänger. Das klang unausgegoren, stellenweise sogar unfreiwillig komisch. Das Album gab einen diffusen Eindruck von den Möglichkeiten eines vielseitigen Künstlers.

Wieder anders klingt Matthew Dears neues Werk 2007, er veröffentlicht es unter dem Pseudonym False auf dem Label Minus. Schon bei den ersten Stücken stellt man fest, dass er sich auf seine Königsdisziplin besonnen hat: Minimale Techno-Tracks, die von trockenen Grooves und ungewöhnlichen Drehmomenten leben. Da ist kein Platz für gefällige Frickelei. Er lotet die Tiefen seines Klangs aus, Elemente des Detroit Techno sind ebenso zu vernehmen wie Referenzen an die feine Funktionalität klassischer Rave-Stücke. Die Platte klingt fokussiert und souverän, keine Spur von den skizzenhaften Strukturen auf Asa Breed.

Eine seltsame Hitzigkeit geht von den vierzehn Liedern aus, er verbindet sie in einem kontinuierlichen Live-Mix zu einem homogenen Ganzen. Hypnotisierend bewegen sich die schleifenden Loops und Elektro-Referenzen von Warm Co. und das melancholisch-meditative Face The Rain aufeinander zu. Die Klangcollage Act Like Children/Excalibur entlädt sich in dem schleppenden Groove von In The Heather, das eine Stück wird trickreich in das andere geblendet. Solche dramaturgischen Kniffe machen 2007 zu einer aufregenden Platte. In seinen besten Momenten erinnert das Album an die abstrakten Produktionen von Jeff Mills auf Axis Records.

Matthew Dear ist mit 2007 ein bemerkenswertes Album gelungen. Seine musikalische Offenheit lässt Raum für viele Überraschungen.

„2007“ von False ist erschienen bei Minus Records.

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Tiefgrün und außerweltlich

Céline Schott hat als Colleen ein Album von seltener Schönheit eingespielt. „Les Ondes Silencieuses“ klingt wie ein verschwommener Traum – oder wie moderne Kammermusik.

Colleen Les Ondes Silencieuses

Aus der Zeit gefallen – wie sonst soll man ein zeitgenössisches Album beschreiben, das sich der Alten Musik zuwendet, ohne den Muff parfümierter Perücken heraufzubeschwören? Die Illustration auf dem Cover zeigt die Musikerin versunken im Spiel. Sie sitzt in einem nächtlichen Zauberwald, um sie herum flattern Schmetterlinge und Vögel. Der Vollmond bescheint die märchenhafte Szenerie, spiegelt sich auf der Oberfläche des Meeres. Das verheißt fantastischen Kitsch, doch Céline Schott geht es um etwas Anderes: Indem sie auf unwirkliche Märchen und Sagen verweist, entzieht sich die Künstlerin jeglicher Kategorisierung. Die neun Stücke ihres instrumentalen Albums klingen so außerweltlich, dass sich der Stil kaum benennen lässt.

Ob New Baroque oder Ambient Folk: Es ist die Musikalität, die Colleens Les Ondes Silencieuses (auf deutsch: die stillen Wasser) zu einer großartigen Platte macht. Auf ihrem Debütalbum Everyone Alive Wants Answers (2003) verdichtete sie Loops und Samples zu Liedminiaturen. In ihren Konzerten setzte Céline Schott auch bevorzugt Instrumente aus der Barockzeit ein, der minimalistische Klang hatte es ihr angetan. Jetzt verzichtet sie ganz auf Elektronik und kommt ihrer Vorstellung von moderner Kammermusik näher.

Das Instrumentarium auf Les Ondes Silencieuses ist reduziert: Viola da Gamba, Spinett, klassische Gitarre und Klarinette. Cécile Schott spielt sie expressionistisch und feingliedrig zugleich, ohne sich in ornamentalem Pastiche zu verlieren. Sie zitiert die polyphone Struktur der Barockmusik – der englische Komponist und Lautenist John Dowland hat sie stark beeindruckt.

In sanften Wellenbewegungen breiten sich Melodiebögen aus, um dann wie ferne Echos zu verhallen. Colleen deutet Motive an und lässt sie wie Gespenster vorüber ziehen. Aufschimmernde Dissonanzen erzeugen eine Spannung zwischen Bewegtheit und geheimnisvoller Stille. Über das Album legt sich eine Melancholie, die von maritimen Bildern inspiriert ist. Doch es sind keine weißen Strände, die Cécile Schott in Stücken wie Echoes And Coral oder Sea Of Tranquility aufsucht, sondern verlassene Buchten und tiefgrüne Seen – Les Ondes Silencieuses schillert wie ein Schatz auf dem Grund.

„Les Ondes Silencieuses“ von Colleen ist bei The Leaf Label/Indigo erschienen.


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