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Deutschland, ein Währungsmanipulator?

Also die Kanzlerin hat sich beim Gipfel mal wieder durchgesetzt. Jenseits der medialen Gewinn- und Verlustrechnung hat Wolfgang Münchau auf einen wichtigen Punkt aufmerksam gemacht: Es ist was die internationalen Auswirkungen und insbesondere die Reaktion der Leistungsbilanzen angeht völlig egal, ob ein Land seine Währung abwertet oder die Löhne gekürzt werden. Wenn also die Deutschen nun argumentieren, anders als China betrieben sie keine Währungsmanipulation und müssten deshalb gesondert behandelt werden, so stimmt nur der erste Teil der Aussage.

Technisch gesprochen: Es zählt der reale (genauer gesagt, der real effektive) und nicht der nominale Wechselkurs.

Hier ist er von der Bundesbank:

Deutschland ist also ein real effektiver Währungsmanipulator. Und ich werde es nie zum G20-Sherpa bringen, höchstens für die Amerikaner.

PS: Wenn man die Länder der Euro-Zone heraus rechnet werten wir am aktuellen Rand auf, bleiben aber noch deutlich unter dem Ausgangsniveau.

 

An unsere Jungs in Seoul: Keine Angst vor Tim Geithner

Wie man hört gestalten sich die Verhandlungen in Seoul schwierig. Vielleicht erreicht  die deutschen Unterhändler um Kanzlerberater Jens Weidmann, die jetzt wahrscheinlich in einem koreanischen Hinterzimmer mit ihren Kollegen aus den anderen G20-Staaten beisammen sitzen und über dem Text für die Abschlusserklärung brüten, ja folgende Grafik.  Sie zeigt – Quelle Bundesbank, die Werte für 2010 und 2011 sind eine Schätzung von Goldman Sachs – den deutschen Leistungsbilanzsaldo seit 1950 und die Grenzwerte von vier Prozent der Wirtschaftsleistung, die die Amerikaner vorgeschlagen haben.

Deutschland hätte Geithners Zielwert zumeist locker eingehalten. Es ist ein Mythos, dass die Deutschen strukturell konsumfaul und exportfixiert sind. Sie verhalten sich genau so wie andere Wirtschaftssubjekte –  gebt ihnen Geld und sie geben es aus. Die amerikanischen Pläne sind aus vielerlei Gründen sinnvoll –  und sie schaden Deutschland nicht einmal. Kein Grund also, sich zu verkämpfen, liebe deutsche Delegation. Stimmt zu und dann ab in die Bar auf ein Glas Sake. Macht doch auch mehr Spaß.

 

Sarah Palin und die Inflation

Paul Krugman macht auf eine interessante Konversation zwischen Sarah Palin und Sudeep Reddy, Geldpolitikkorrespondent beim Wall Street Journal aufmerksam. Auslöser: Palins Vorhersage, die Inflation werde steigen, weil die Fed die Märkte flutet.

Everyone who ever goes out shopping for groceries knows that prices have risen significantly over the past year or so. Pump priming would push them even higher.

Zurecht weist Reddy darauf hin, dass die Preise kaum steigen, und bekanntlich eher deflationäre Tendenzen vorherrschen.

A broad measure of food prices from the Labor Department shows prices rose at an average annual rate of less than 0.6% in the first nine months of the year.

Palins Reaktion – und jetzt wird es interessant – ist die folgende:

Now I realize I’m just a former governor and current housewife from Alaska, but even humble folks like me can read the newspaper.

Die Ebene der Argumentation ist hier keine sachlich-inhaltliche mehr. Stattdessen findet eine Art Glorifizierung des common sense gegenüber dem Expertenwissen statt. Der Mann auf der Straße weiß doch, was läuft. Wenn mehr Geld da ist, kommt die Inflation, ist doch sonnenklar. Dass gar nicht mehr Geld da ist, weil die Zentralbank zwar welches schöpft, die Banken aber nicht mehr, spielt da keine Rolle. Die Debatte ist nicht auf die USA beschränkt, wie die hysterische Diskussion über die Politik der Fed – die man in der Tat kritisieren kann – zeigt.

Willkommen in der Gegenaufklärung.


 

Hat Merkel nun gewonnen oder nicht?

Wer heute die Berichterstattung der großen Zeitungen zum EU-Gipfel liest, der muss den Eindruck gewinnen, da gehe es um unterschiedliche Veranstaltungen. Die FAZ interpretiert den Kompromiss von Brüssel als weiteren Schritt in Richtung Transferunion, weil durch die Einführung eines Krisenmechanismus der bailout institutionalisiert werde. Die entscheidende Passage bei Holger Steltzner:

„Mit einem rechtlichen Kniff, durch den eine aufwendige Änderung der EU-Verträge nicht mehr nötig sein soll, stimmte Frau Merkel die EU-Partner gnädig. Der eindeutig formulierte Artikel 125 der EU-Verträge, der die Haftung eines Landes für die Schulden eines anderen („Bailout“) verbietet, wird nicht angetastet. Dafür soll der Artikel 122 überdehnt werden.“

Dagegen feiert Martin Winter in der SZ einen Sieg deutscher Prinzipien über europäischen Schlendrian:

„Europa beugt sich der Kanzlerin – und das ist gut so. Denn die Methoden, mit denen Angela Merkel die anderen EU-Länder auf ihre Linie zwang, mögen fragwürdig gewesen sein – rechtlich wie politisch aber wählte sie den einzig richtigen Weg.“

Ich war selbst vor Ort und glaube, dass die FAZ klarer herausgearbeitet hat, was eigentlich in Brüssel geschehen ist, obwohl ich die Bewertung nicht teile. Weiter„Hat Merkel nun gewonnen oder nicht?“

 

Oskar Lafontaines später Sieg

Es gehört zum guten Ton in der deutschen polit-medialen Szene, sich über Oskar Lafontaines erste Gehversuche als Bundesfinanzminister lustig zu machen. Was haben wir gelacht, damals, über den kleinen Oskar und seine Schnapsideen. Zielzonen für die großen Wechselkurse wollte er einführen, auflaufen lassen hat man ihn, als er beim ersten Treffen der G7, wie sie damals noch hießen, seine Ideen präsentierte. Der mächtige Alan Greenspan hat sich einmal geschüttelt und Oskar war ganz klein. So war das damals. Weiter„Oskar Lafontaines später Sieg“

 

Herbst der Entscheidungen

Es ist die Aufgabe der Presse in einer Demokratie, die Regierung zu überwachen, einzuordnen und zu kritisieren. Woran aber die Qualität politischer Arbeit messen? Wie die Begeisterung über den Herbst der Entscheidungen zeigt, ist ein prozeduraler Ansatz weit verbreitet. Gut ist, wenn viel entschieden, wenn etwas bewegt, wenn also durchregiert wird.

Das Problem dieser Betrachtungsweise ist, dass sie Gefahr läuft das Wesentliche zu vernachlässigen. Veränderung ist ja kein Wert an sich – eine Reform kann die Verhältnisse verbessern, aber auch verschlechtern. Hitler beispielsweise hat ziemlich viel reformiert, und ob der von großen Umwälzungen begleitete Übergang von der Antike zum Mittelalter die Menschheit vorangebracht hat, ist durchaus diskutabel.

Die dem massenmedialen Betrieb innewohnende Tendenz, das Reformieren zum Selbstzweck zu erheben, lenkt vom Wesentlichen ab. Der content zählt, nicht die form. Nichtstun ist besser als das Falsche zu tun. Oder anders gesagt: Die zerstrittene Gurkentruppe des Sommers hat eine bessere Politik gemacht, als die geeinte Mannschaft dieses Herbstes.

Außer natürlich, man ist Pharma- oder Atomunternehmer.

 

Axel Weber und die starken Männer

Respekt vor Thilo Sarrazin. Er schafft es noch, die halbe Republik mit in den Abgrund zu reißen. Nun also werden Axel Weber Führungsschwäche und Christian Wulff Kompetenzüberschreitung in Sachen Rücktritt vorgeworfen. Wie mein Kollege Ralph Atkins in der FT schreibt, ist das eine Debatte, wie man sie wohl nur in Deutschland führen kann, wo auch der Hund des Bundesbankpförtners noch Unabhängigkeit zu genießen hat.
Weiter„Axel Weber und die starken Männer“

 

Zoon Politikon

Man hört und liest ja jetzt immer und überall, die Politik (Sarrazin, Stuttgart 21 etc.) habe sich zu weit vom Volk entfernt und müsse dringend wieder Anschluss finden.

Wie wäre es denn mal andersherum? Vielleicht sollte das Volk sich einmal etwas Mühe geben und sich wieder als aufgeklärtes politisches Wesen mit einer einigermaßen konsistenten Präfenrenzordnung begreifen. Stattdessen: Niedrige Steuern und zugleich ein toller Sozialstaat, moderne Infrastruktur aber bitte keine neuen Bahnhöfe etc etc etc

 

Wie deutsch ist die deutsche Politik?

Deutschland ist ja bekanntlich ganz gut darin, das hohe Lied der Fiskaldisziplin zu singen. Und haben sie damit nicht recht? Immerhin wuchs die Wirtschaft der Sparnation im zweiten Quartal um auf das Jahr hoch gerechnet 9,1 Prozent. Die ausgabefreudigen Amerikaner schafften nur 1,6 Prozent.

Das Beispiel Deutschland zeigt – so argumentieren nicht zuletzt viele Konservative in den USA – das deficit spending wenig bringt und sich die fiskalische Zurückhaltung auszahlt. Denn wenn der Staat nur die Finanzen in Ordnung hält, steigt die Zuversicht der Privaten und sie geben mehr Geld aus.

Aber stimmt das auch wirklich? Weiter„Wie deutsch ist die deutsche Politik?“

 

Martin Wolf trifft den Nagel auf den Kopf

Bekanntlich wird im Moment darüber diskutiert, ob nicht die Tatsache, dass Deutschland im Vergleich mit den USA relativ gut dasteht, ein Beweis dafür sei, dass fiskalische und monetäre Stimuli nicht wirkten. Bekanntlich habe ich hier wiederholt zu zeigen versucht, dass das deutsche Wachstum anders als es die Brünings unserer Zeit glauben machen wollen auf recht anständige Konjunkturprogramme hierzulande zurückzuführen ist.

Martin Wolf nimmt sich heute in der FT die Stimulus-Kritiker in den USA vor:

„A recent paper by Alan Blinder, former vice-chairman of the Fed, and Mark Zandi of Moody’s argues that such critics are wrong. They use a standard macro-economic model to assess what would have happened without any intervention, without the financial interventions (including monetary policy) and without the fiscal action. They conclude that the peak to trough decline in gross domestic product would have been close to 12 per cent with no policy response, compared to an actual decline of just 4 per cent.“

Ja, es ist schlimm. Aber ohne Bernanke & Co wäre es noch viel viel schlimmer und die Amerikaner könnten sich wohl nicht einmal Bustickets zu ihren Tea Partys leisten. Angesichts der misslichen Lage zu argumentieren, die Krisenpolitik würde nicht funktionieren, gleicht der Klage über die Wirkungslosigkeit eines Antibiotikums, das nicht vorschriftsmäßig eingenommen wird. Es gab nicht zuviel, sondern zu wenig Stimulus. Aber was ist mit der bösen bösen strukturellen Arbeitslosigkeit, die sich angeblich nicht durch Nachfrage ausmerzen lässt? Ja, was ist damit?

„My answer, from European experience, is that one way to ensure it becomes structural is to let it linger. In the short run, the simplest way to prevent that from happening is to expand demand and so output.“

Genau so sieht es aus. Das beste Mittel gegen den Verlust von Qualifikationen und soziale Verwahrlosung ist es, die Leute in Arbeit zu halten. Und Martin wird auf seine alten Tage sogar noch zum Kontinentaleuropäer.

„At the same time, the enthusiasm with which US managers laid off workers is also extraordinary. No doubt, some of this is due to the collapse in construction. But some of it must be due to the ease with which US companies can lay off workers and the incentives for managers to maintain profits in a downturn at the expense of jobs.“

Deutsche Ökonomen: Studiert diese Kolumne, bevor ihr dieses Land mit Euren Empfehlungen weiter zugrunde richten, auf dass es uns in ein paar Jahren genau so geht wie den Amerikanern heute.