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Merkel macht die Griechin

Die neueste Kehrtwende in Berlin ist da: Die Steuern sollen nun gesenkt werden. Einmal abgesehen von den strukturellen Faktoren, die gegen einen solchen Schritt sprechen (Deutschland hat eine der niedrigsten Steuerquoten in der industrialisierten Welt, unter rot-grün gingen die Sätze bereits deutlich runter, die Staatsquote ist – von dem krisenbedingten Anstieg abgesehen – seit Jahren rückläufig): aus konjunktureller Sicht gibt es keinen ungünstigeren Zeitpunkt für Steuersenkungen.

Der Grund liegt auf der Hand: Die Konjunktur ist in voller Fahrt, die Arbeitslosigkeit sinkt und wenn es so weiter geht, dann steuern wir auf eine Überhitzung zu. Und Überhitzung bedeutet Inflation. Auf die Europäische Zentralbank sollten wir uns nicht verlassen, denn die hat den Euro-Raum insgesamt im Blick und es gibt bekanntlich einige Länder, in denen es nicht so gut läuft.

Umso mehr muss die nationale Politik die Stabilisierung übernehmen – und das bedeutet: In den guten Zeiten bremsen, Geld einsammeln. Wer argumentiert, das Geld für Steuersenkungen sei da, weil die Konjunktur so gut laufe, der hat überhaupt nichts verstanden. Die Steuern müssen sinken, wenn kein Geld da ist. Wenn welches da ist, müssen sie steigen. Die Griechen sind da wo sie sind, weil sie das nicht getan haben.

Die Regierung hat für ihre Steuersenkungspolitik einen blauen Brief aus Brüssel verdient.

 

Deutschland verschärft die Euro-Krise

Es sind erschreckende Zahlen, die die Frankfurter Rundschau heute auf den Markt geworfen hat: Nach ihren Recherchen war das Ergebnis der bisherigen Tarifverhandlungen 2011 unglaublich mickrig. „In den drei großen Branchen Bau, öffentlicher Dienst und Chemie erhalten die Beschäftigten in diesem Jahr gerade einmal 2 bis 2,6 Prozent mehr Geld als im Vorjahr“, heißt es in der Analyse. Abzüglich der Inflation bedeutet dies sogar einen Reallohnverlust. Die Arbeitnehmer werden ärmer und das trotz kräftigen Wachstums gepaart mit einer signifikant abnehmenden Arbeitslosigkeit. Damit verschärfen die deutschen Arbeitgeber und Gewerkschaften die Eurokrise. Denn einerseits kann die Binnennachfrage so kaum richtig anziehen und zum Abbau der Ungleichgewichte in Euroland beitragen. Andererseits fährt Deutschland damit weiter einen Kurs der Abwertung innerhalb der Währungsunion und konterkariert alle Anstrengungen von Griechenland, Spanien und Co. wieder Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen. Weiter„Deutschland verschärft die Euro-Krise“

 

Portugal wird es schaffen

Aus deutscher Sicht lässt sich nicht viel gegen die Erhöhung der Notenbankzinsen um 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent in der vergangenen Woche sagen; sie hätten auch stärker angehoben werden können. Nicht ganz so gelassen werden die Dinge in den Ländern gesehen, die mit Schuldenkrisen kämpfen. Da die EZB aber noch nicht signalisiert hat, dass die mengenmäßig unbeschränkte Zuteilung von Zentralbankgeld demnächst beendet werden soll, wird es einerseits nicht an Liquidität fehlen und es andererseits bei kurzen Laufzeiten bei negativen Realzinsen bleiben. Auch die Krisenländer können sich daher kaum beklagen.

Nach Griechenland und Irland hat jetzt auch Portugal die Europäische Kommission um finanziellen Beistand gebeten. Weiter„Portugal wird es schaffen“

 

Britisches Wirtschaftsmodell ist gescheitert

Ich erinnere mich nur ungern an die vielen Artikel in der Financial Times und im Economist, in denen das britische Modell als Vorbild für die deutsche Wirtschaftspolitik empfohlen wurde. Ich kann nur sagen, ein Glück, dass wir uns nicht allzu sehr davon haben beeindrucken lassen, vor allem auch nicht von der Behauptung, dass der Euro der Anfang und das Ende allen Übels sei, oder dass die Dienstleistungen in einer reichen Volkswirtschaft der Wachstumsmotor par excellence seien und man ganz gut ohne einen nennenswerten Industriesektor auskommen könne. Wenn ich mir die aktuellen Zahlen ansehe, kann ich mir eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen. Zur Zeit läuft in Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht praktisch alles besser als auf der Insel. Weiter„Britisches Wirtschaftsmodell ist gescheitert“

 

Expansive Wirtschaftspolitik hat sich gelohnt

Auf einmal gibt es kein Altersheim Deutschland mehr. Aus dem Dauerpatienten und hoffnungslosen Fall ist eine Konjunkturlokomotive geworden. Ich habe die jüngste Global Economic Outlook Summary der Wallstreet-Firma JPMorgan vor mir, deren bislang äußerst skeptische und aufreizend besserwisserische Analysten für das Jahr 2011 beim realen BIP jetzt eine Zuwachsrate von 3,5 Prozent für Deutschland erwarten. Ich vermute, dass auch andere ihre Prognosen in den kommenden Monaten deutlich nach oben revidieren werden. Weiter„Expansive Wirtschaftspolitik hat sich gelohnt“

 

Auf dem Weg in die Transferunion?

Nach drei Wochen auf der Südhalbkugel bin ich zurück in heimischen Gefilden – und stelle fest, dass sich die Debatten nicht verändert haben. Die FDP warnt also, dass die Aufstockung des Rettungsfonds uns direkt in die Transferunion führt. Einmal abgesehen von der Frage, ob eine Transferunion wirklich so grauenhaft wäre, wie die Liberalen meinen: Stimmt das denn überhaupt?

Wenn wir unter einer Transferunion Fiskaltransfers von den reichen in die armen Länder verstehen: Nein. Der Rettungsfonds ist ein Liquiditätsinstrument. Staaten mit Liquiditätsproblemen erhalten Kredite, die sie mit Zinsen zurückzahlen müssen. Wenn überhaupt, dann findet hier also ein Transfer von den armen in die reichen Länder statt.

Der Rettungsfonds macht in Europa das, was der Internationale Währungsfonds auf globaler Ebene betreibt. Wer argumentiert, hier würde auf europäischer Ebene eine Transferunion eingeführt, der muss auch argumentieren, dass die ganze Welt eine Transferunion ist: Schließlich kann jedes Land in Notfällen auf den IWF zurückgreifen – und der verleiht sein Geld in der Regel günstiger als der europäische Fonds. Auch die Zinsen auf die Zahlungsbilanzhilfen der EU an Länder wie Ungarn sind niedriger als diejenigen, die jetzt von Irland gefordert werden.

Eine Fiskalunion wäre eine Transferunion, aber Liquiditätshilfen und eine strengere makroökonomische Überwachung sollen genau das verhindern. Wie gesagt: Kein normatives Statement, sonder ein positives.

Got it, FDP?

 

Mit Schwung ins neue Jahr

Am Montag gab es eine gute und eine schlechte Nachricht für die Konjunkturgurus: Der Außenhandelsüberschuss war im September wieder sehr stark gestiegen (nicht alle dürften das allerdings für toll halten), aber gleichzeitig kam es zu einem deutlichen Rückgang der Industrieproduktion. Jedenfalls liegen jetzt die wichtigsten Zahlen vor, mit denen sich die Zuwachsrate des BIP im dritten Quartal schätzen lässt. Am kommenden Freitag gibt es die offiziellen Ergebnisse aus Wiesbaden. Zusammen mit Uwe Richter habe ich mal nachgerechnet, was denn herauskommen könnte. Es sieht auf der Basis saisonbereinigter Zahlen im Vorquartalsvergleich real nach einem Plus zwischen 0,8 und 1,4 Prozent aus. Das ist zwar deutlich weniger als die 2,2 Prozent vom zweiten Quartal, aber insgesamt doch sehr gut. Weiter„Mit Schwung ins neue Jahr“

 

Martin Wolf trifft den Nagel auf den Kopf

Bekanntlich wird im Moment darüber diskutiert, ob nicht die Tatsache, dass Deutschland im Vergleich mit den USA relativ gut dasteht, ein Beweis dafür sei, dass fiskalische und monetäre Stimuli nicht wirkten. Bekanntlich habe ich hier wiederholt zu zeigen versucht, dass das deutsche Wachstum anders als es die Brünings unserer Zeit glauben machen wollen auf recht anständige Konjunkturprogramme hierzulande zurückzuführen ist.

Martin Wolf nimmt sich heute in der FT die Stimulus-Kritiker in den USA vor:

„A recent paper by Alan Blinder, former vice-chairman of the Fed, and Mark Zandi of Moody’s argues that such critics are wrong. They use a standard macro-economic model to assess what would have happened without any intervention, without the financial interventions (including monetary policy) and without the fiscal action. They conclude that the peak to trough decline in gross domestic product would have been close to 12 per cent with no policy response, compared to an actual decline of just 4 per cent.“

Ja, es ist schlimm. Aber ohne Bernanke & Co wäre es noch viel viel schlimmer und die Amerikaner könnten sich wohl nicht einmal Bustickets zu ihren Tea Partys leisten. Angesichts der misslichen Lage zu argumentieren, die Krisenpolitik würde nicht funktionieren, gleicht der Klage über die Wirkungslosigkeit eines Antibiotikums, das nicht vorschriftsmäßig eingenommen wird. Es gab nicht zuviel, sondern zu wenig Stimulus. Aber was ist mit der bösen bösen strukturellen Arbeitslosigkeit, die sich angeblich nicht durch Nachfrage ausmerzen lässt? Ja, was ist damit?

„My answer, from European experience, is that one way to ensure it becomes structural is to let it linger. In the short run, the simplest way to prevent that from happening is to expand demand and so output.“

Genau so sieht es aus. Das beste Mittel gegen den Verlust von Qualifikationen und soziale Verwahrlosung ist es, die Leute in Arbeit zu halten. Und Martin wird auf seine alten Tage sogar noch zum Kontinentaleuropäer.

„At the same time, the enthusiasm with which US managers laid off workers is also extraordinary. No doubt, some of this is due to the collapse in construction. But some of it must be due to the ease with which US companies can lay off workers and the incentives for managers to maintain profits in a downturn at the expense of jobs.“

Deutsche Ökonomen: Studiert diese Kolumne, bevor ihr dieses Land mit Euren Empfehlungen weiter zugrunde richten, auf dass es uns in ein paar Jahren genau so geht wie den Amerikanern heute.

 

Mainz 05 schlägt Wolfsburg 4:3

In einem der sensationellsten Spiele der letzten Zeit haben die 05er am Samstag aus einem 0:3-Rückstand im Auswärtsspiel beim VfL Wolfsburg einen 4:3-Sieg gemacht – und wovon reden die Medien? Von der schwachen Deckung und dem neuen Traumsturm der Wolfsburger. Dass Mainz (wo ich wohne) ein klasse Team hat und einen hervorragenden, strategisch versierten Trainer namens Thomas Tuchel, wird fast gar nicht kommentiert. Mainz ist ein Underdog und wird es bleiben, ein Karnevalsverein eben, obwohl sie in der letzten Saison immerhin auf dem neunten Platz gelandet waren.

Als ich heute in der Financial Times den Beitrag von Wolfgang Münchau mit dem erstaunlichen Titel „Germany’s rebound is no cause for cheer“ las, erinnerte mich das an die Kommentare zum Spiel der Mainzer – irgendwie hat Deutschland bei den sogenannten internationalen Medien keine echte Chance. Was nicht sein kann, das nicht sein darf – Deutschland ist eine Rentnerrepublik und auf gar keinen Fall ein dynamisches Land, so wie Mainz einfach nicht guten Fußball spielen kann. Wenn sie gewinnen, war es Zufall, oder der Gegner hatte einen schlechten Tag. Weiter„Mainz 05 schlägt Wolfsburg 4:3“

 

Jean-Claude Juncker will nicht hartzen

Jean-Claude Juncker ist Premierminister von Luxemburg und Vorsitzender der Gruppe der Euro-Finanzminister. Die hohe Kunst der Diplomatie gehört nicht unbedingt zu seinen Stärken. Das Luxemburger Wort berichtet:

„Den Weg, wie Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert hat, würde ich in unserem Land nicht gerne gehen“, sagte Juncker unverblümt und warf der Bundesregierung ganz offen „Lohn- und Sozialdumping“ vor.

Und weiter: Weiter„Jean-Claude Juncker will nicht hartzen“