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Ja, ich bin eine Hexe

Sie singt mit der Zunge in der Backe. Sie schreit, sie jault, auf Englisch, auf Japanisch. Sie ist Yoko Ono. Und dies ist ihre neue Platte.

Sie kann machen, was sie will. Bis an ihr Lebensende und darüber hinaus wird sie die Frau sein, die den Beatles John Lennon nahm. Von der es heißt: Ach, ja, Musik hat sie auch gemacht. Aber Yoko wäre nicht Ono, würde sie nicht immer wieder versuchen, diesem Schicksal zu entfliehen. Diesmal versucht sie es mit einem Bekenntnis: Yes, I’m A Witch – Ja, ich bin eine Hexe.

Sechzehn ihrer alten Lieder hat sie neu aufgenommen, mit Musikern der Independent-Szene. Es ist kein zweifelhafter Künstler dabei, außer vielleicht ihr. Aber ein Erfolg sei Yoko Ono gegönnt, denn so schlecht wie ihr Ruf war ihre Musik nie. Früher standen ihre schrillen Kompositionen in einem interessanten Gegensatz zu John Lennons verträumten Friedensliedern. Viele der nun eingespielten Stücke stammen aus den Jahren zwischen 1969 und 1980, sind also zu einer Zeit entstanden, da sie mit ihm Bett und Studio teilte. Von einer Ausnahme abgesehen hat sie alle geschrieben.

Die meisten der beteiligten Musiker dürften sie gar nicht zu Gesicht bekommen haben. Ihnen wurden die Bänder mit ihrer Stimme zur Verfügung gestellt, sie spielten dann die Musik dazu, wie, blieb ihnen überlassen. In den meisten Fällen fügt sich Onos Stimme hervorragend ein.

In den Siebzigern hieß es oft, sie sei ihrer Zeit voraus; so musste man sich mit ihrer Kunst nicht groß auseinandersetzen. Und nun? Rock ist dabei und Drum’n’Bass, Tanzbares und Schmalziges – eine krude Mischung. Die englische Band Spiritualized nimmt sich das Stück Walking On Thin Ice vor und macht eine laute Hymne daraus. Die Gitarren heulen, die Orgel dröhnt, das Schlagzeug poltert, Bedeutung kracht durch die Luft. Angeblich hielt John Lennon eine Kassette mit der Originalaufnahme in den Händen, als er im Dezember 1980 in New York vor seinem Haus erschossen wurde.

Auch Toyboat klingt wichtig, Yoko schrieb es kurz nach Johns Tod: “I’m waiting for a boat to help me out of here.“ Antony – der von den Johnsons, hier aber ohne sie – lässt es die schmalzige Ballade sein, die es im Original schon war, legt allerdings einen sehr, sehr billigen Keyboardrhythmus und esoterische Gesänge drunter. Ihm gelingt das Kunststück, ein mittelmäßiges Lied richtig schlecht zu machen.

Bei aller Zerrissenheit des Albums sind viele der Stücke für sich genommen gar nicht übel. Peaches’ flirrende Tanznummer Kiss Kiss Kiss und Le Tigres schleppendes Sister O Sister sind sogar ziemlich großartig. Da passt alles zusammen, proletarische Rhythmen, dicker Bass, exaltierte Stimme, hier und da sogar Schreie.

Durchgängige Begeisterung kommt jedoch nicht auf. Das Konzept krankt daran, dass die Auswahl der Künstler lieblos wirkt. Die Tanzbässe von Peaches und Le Tigre passen nicht zum Elektrorock von The Brother Brothers und Blow Up, die sanften Klaviertöne der Cat Power nicht zu den triefigen Balladen des Craig Armstrong. Spiritualized und The Flaming Lips ertränken Yoko Onos Stimme in klirrendem Gitarrenlärm, Hank Shocklee von Public Enemy lässt sie zu hektischem Drum’n’Bass verkünden: „Ich bin eine Hexe, ich bin eine Hure, ist mir doch egal, wie ihr das findet!“

Eine Doppel-LP mit nach Genres sortierten Seiten hätte sich für ein solch zerfahrenes Projekt angeboten. Doch weder gibt es Yes, I’m A Witch vollständig auf Vinyl, noch wäre Ordnung im Sinne der Künstlerin gewesen. So muss der Hörer seinen CD-Player selbst programmieren. Lust zu tanzen? Dann bietet sich die Reihenfolge 1, 2, 4, 5, 16 an. Drückt das Herz? Die Stücke 6, 8, 10 und 13 trösten. Harmlose Popliedchen? 3, 7, 11, 15. Die Welt im Gitarrenlärm vergessen? 12 und 14, auf Dauerwiederholung stellen.

Die Stücke 9 und 17 hört man am besten gar nicht.

„Yes, I’m A Witch“ von Yoko Ono ist als CD erschienen bei Astralwerks/Virgin. Einzelne Stücke gibt es auf limitierten Vinylmaxis.

Hören Sie hier Ausschnitte aus
„Kiss Kiss Kiss“ von Yoko Ono und Peaches,
„Cambridge 1969/2007“ von Yoko Ono und The Flaming Lips,
„Revelations“ von Yoko Ono und Cat Power,
„Yes, I’m A Witch“ von Yoko Ono und The Brother Brothers

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Der Geruch von Petunien

Roger Quigley erzählt Geschichten. Unter dem Namen At Swim Two Birds rechnet er auf „Returning To The Scene Of The Crime“ mit seiner großen Liebe ab

Das Jahr 1995 war ein gutes für Roger Quigley. An einem Sonntagmorgen wirft sie – sie! – ihm ein Lächeln zu. Gilt es wirklich ihm? Bestimmt. Später ruft eine Frau namens Laura an und lädt ihn ein. Bevor er das Haus verlässt, sagt sie ihm wieder ab. In dem Stück A Kind Of Loving schildert Roger Quigley die Alltäglichkeiten eines Sonntags in einem Vorort von Manchester. Sein Freund Phil schießt ein Tor beim Fußball, schürft sich dabei das Knie auf, später erschlägt er eine Fliege mit dem Billardqueue. Vater plumpst mit bierseligem Grinsen an den Tisch, isst ein Stück Fleisch und schläft ein. Nachmittags läuft die Musik der Stranglers und Mutter zieht sich mit einer Tasse Tee in den Hof zurück, Vater ist längst im Pub auf ein Pint oder drei. Die Melodie ist flott, vorsichtig optimistisch. Quigley singt mit sanfter Stimme und spielt dazu Gitarre, dann setzen ein behutsames Schlagzeug und eine fast fröhliche Slidegitarre ein.

Der Anfang ist das Ende, A Kind Of Loving beschließt das Album Returning To The Scene Of The Crime. Davor erzählt er, was hinterher alles passierte. Vielleicht ist die Namenlose, die ihn in der Kirche anlächelte, ja die Frau, auf die sich die anderen neun – düsteren – Stücke des Albums beziehen. Roger Quigley nennt sich hier At Swim Two Birds. Es ist sein drittes Album unter diesem Namen. Und in der Tat kehrt er zum Tatort zurück, die Stücke stammen alle aus den Jahren 1995 und 2000. Acht der zehn Stücke hat er in anderen Versionen auf Singles und Alben veröffentlicht, die meisten unter seinem eigenen Namen.

Er scheint ihr dann näher gekommen zu sein, die beiden Lieder aus dem Jahr 1996 dokumentieren das. Er nimmt sich vor, sich täglich zu rasieren und zu lachen, wenn sie etwas lustig findet. Dem Bogart-Fanclub beizutreten und ihre Hand zu halten, wann immer das nötig ist. Über gemeinsame Giggling Fits, also Kicheranfälle, singt er. Wie sarkastisch er das meint, wird später deutlich. In The Smell Of Suntan Oil On Your Skin hängt die Romantik wie eine kitschige Fototapete im Hintergrund. Sie liegen am Strand, die Luft schmeckt nach ihr. Er drückt seine Zigarette an ihrer Stirn aus, und sie weicht nicht einmal zurück. Sie unterdrückt die Tränen, er geht.

Es geht weiter abwärts. Die fünf Stücke aus dem Jahr 1998 überbieten sich gegenseitig in ihrem Zynismus. Er wünscht ihr alle Übel der Welt, singt Lieder, zu denen sie sich im Grab umdrehen soll. Sehr bald soll das sein. Sie solle dann ruhig gegen die Wände ihres Sarges hämmern und ihn verfluchen. My Luck Is Turning, kündigt er an, auch wenn er zugibt, der Alkohol habe zu dieser Erkenntnis nicht unwesentlich beigetragen. Überhaupt der Alkohol. Es heißt, er zerstöre die Erinnerung. Alles Quatsch, findet Roger Quigley. Und dass Zigaretten schlecht für das Herz sind, ist ihm auch gleich. Um sein Herz habe sie sich ja bereits gekümmert.

Das Ende der Geschichte ist der Anfang der CD, In Bed With Your Best Friend. Eine Flasche Wodka, Drogen, Partyspiele mit einem Schweizer Armeemesser, Erwachen im Bett ihrer besten Freundin. An den Wänden Poster von Bands, die er hasst, in der Luft der Geruch von Petunien und entkoffeiniertem Kaffee. Rache? Zufall? Oder ist das schon wieder eine ganz andere Geschichte?

Roger Quigley singt seine ruhigen Lieder meist alleine zu seiner Gitarre, selten kommt ein weiteres Instrument hinzu. Sie klingen spartanisch, präzis. Fröhlich sind sie nicht, aber ergreifend. Und er ist ein großartiger Geschichtenerzähler. Returning To The Scene Of The Crime klingt wie die Abrechnung mit einer ganz großen Liebe, wie ein Konzeptalbum über eine fehlgeschlagene Beziehung. Wer weiß, vielleicht hat er sich das alles ja nur ausgedacht.

„Returning To The Scene Of The Crime“ von At Swim Two Birds ist erschienen bei Green Ufos und erhältlich über den Vertrieb Hausmusik

Hören Sie hier „In Bed With Your Best Friend“

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Spontan gerostet

Do Make Say Think improvisieren große Klanggemälde. Gefühlte sieben Gitarristen, ein stoischer Schlagzeuger und eine Handvoll Bläser tun wie zufällig und machen dabei lebendige Lieder. Gesagt wird wenig, gedacht zu allerletzt.

No Women No Cry Vol. 2

Warum eigentlich gilt instrumentelle Gitarrenmusik als kompliziert? Die Art und Weise, wie Tortoise, Godspeed You! Black Emperor, Mogwai oder Do Make Say Think ihre Musik basteln, rege den Intellekt an, unterhalte aber nicht, wird oft angenommen. Alles Quatsch! Denn nichts ist gefühlvoller als die Improvisation. Solche Stücke entstehen im Bauch, nicht im Kopf. Nachhören kann man das nun auf You, You’re A History In Rust, dem fünften Album von Do Make Say Think aus dem kanadischen Toronto.

Wie der Name schon sagt: Sie tun und machen, ganz selten sagen sie ein bisschen was. Gedacht wird bei ihnen – wenn überhaupt – zuletzt. Ihre Musik ist hier getragen und flächig, dort brüchig und durchscheinend. Sind das Klangwände? Eher Klanggemälde. Die Töne werden mit breiter Borste aufgetragen, in weiten Schwüngen von links unten nach rechts oben, hin und her. Dann die nächste Schicht, das Darunterliegende verschwindet immer mehr, aber nie ganz.

Der Anfang der CD klingt, als hätte der Zufall eine große Rolle gespielt bei den Aufnahmen. Es rauscht, der Schlagzeuger spielt ein paar sanfte Takte auf dem Rand der Snare vor, dann haben die anderen Musiker ihre Instrumente eingestöpselt und gestimmt und fallen ein. Erst ein paar zurückhaltende Akkorde, dann immer forscher. Sie scheinen gemeinsam zu spielen. Aber improvisieren sie wirklich? Es gibt Melodien und Klänge, Gitarrenmuster und Rhythmen, die überdauern ganze Stücke; manche wiederholen sich gar so regelmäßig, dass man sie Refrain nennen möchte. Ist die Musik vielleicht doch durchkomponiert? Schwer zu sagen, und eigentlich auch gleichgültig. Denn You, You’re A History In Rust klingt lebendig, gefühlvoll und spontan.

Die Bilder auf und in der Hülle passen sehr schön dazu, man sieht ein rostiges Klavier und ein beinahe kompostiertes Fahrrad. Die Instrumente surren alt und warm. Am deutlichsten klingen immer und überall die Gitarren und Bässe unterschiedlicher Größe, akustisch und elektrisch, gestreichelt und gedroschen, verzerrt und klar. Die Band besteht – gefühlt – aus mindestens sieben Gitarristen. Außerdem ist da ein stoischer Schlagzeuger, er hält den Takt wohl auch noch, wenn die anderen Musiker längst das Studio verlassen haben. Im Halbdunkel stehen ein paar Bläser, immer mal wieder treten sie ins Scheinwerferlicht und pusten vielstimmig dazwischen, dann ist es besonders laut und mitreißend.

Dieses Album klingt nie schwerfällig, sondern immer so agil wie eine Jahrmarktorgel. Die Musiker überfordern ihre Hörer nicht mit Filigranem und Präzisem. Nie verlieren sie sich im Solieren. Auch aus dem größten Krach – man höre nur die letzten drei von achteinhalb Minuten des Executioner’s Blues – finden sie in eine gemeinsame Melodie zurück. Beim zweiten Stück A With Living erschallt plötzlich mehrstimmiger Gesang. Gab es das schon bei Do Make Say Think? Chorhaftes schon, aber verständliche Stimmen?

Ihre Alben tragen oft lustige Namen, ihr zweites hieß Goodbye Enemy Airship The Landlord Is Dead, ihr drittes & Yet & Yet. Der Titel You, You’re A History In Rust ist scheinbar wahllos zusammengesetzt aus zwei Liedtiteln. Als wollten die Musiker sagen: Denkt gar nicht erst darüber nach, es macht ohnehin keinen Sinn. Hört einfach zu!

„You, You’re A History In Rust“ von Do Make Say Think ist als CD und LP erschienen bei Constellation Records

Hören Sie hier „Executioner’s Blues“

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Mit Papa am Kamin

Früher hatte Tobias Kuhn eine Band. Seit einigen Jahren nimmt er schöne Soloplatten auf, denn da muss er nicht so viel diskutieren. Auch auf seinem neuen Album „The Brilliant Masses“ dichtet er feinsinnige Zeilen zu überaus charmanten Tönen

The Good The Bad The Queen

Monta kommt aus Würzburg und heißt eigentlich Tobias Kuhn. Früher einmal sang er bei Miles, seit drei Jahren macht er sein eigenes Ding. Ein Mini-Album und ein großes hat er bislang veröffentlicht, dieser Tage folgt The Brilliant Masses.

Die Stücke klingen warm und vertraut. Es ist, als säße man bei Tobias Kuhn am bollernden Kamin, der Musiker mal am Klavier, mal an der Orgel, eine unsichtbare Band in der Küche. Die Stücke unterscheiden sich nicht wesentlich von denen des letzten Albums. „Mir gefiel die Stimmung, mit der wir Where Circles Begin aufgenommen haben, ich wollte das wiederholen. Ich wollte an die Sache genauso herangehen, wie damals. Deswegen hatte ich auch Herwig Zamernik wieder als Produzent dabei.“ Zu wenig Ambition? Tobias Kuhn kann sich das leisten, denn er hat einen schönen Stil. Seine Lieder klingen charmant, immer auch ein bisschen schleppend und schummrig. Er hat aus seiner Melancholie Lieder verfasst, die die Zuhörer aufrichten und erheitern.

Eine Band ist da eigentlich gar nicht. Tobias Kuhn hat fast alles allein gemacht. „Man diskutiert einfach nicht so viel wie in einer Band. Ich kann alles so haben, wie ich es möchte.“ Nur für das Schlagzeug heuerte er verschiedene Musiker an, das kann er nicht spielen. Hier und da hieb auch ein Anderer in die Tasten.

In Jörg Adolphs Dokumentation über die Entstehung des Notwist-Albums Neon Golden sieht man den Texter Markus Acher mit einem englischen Wörterbuch im Studio sitzen. Er sucht Worte, die gut klingen und sich reimen, findet welche, verwirft sie wieder. „Bei mir lief das anders, die Stücke hatten Zeit zu reifen. Die Texte sind mir ungeheuer wichtig“, sagt Tobias Kuhn. Während des vergangenen Jahres schrieb er immer wieder auf, was ihn bewegte. Das macht seine Texte sehr direkt, die Situationen, Ängste und Hoffnungen im Hintergrund werden plastisch. Manche Wendung reicht in ihrem behutsamen Umgang mit Metaphern und ihrem feinen Humor an die Lyrik des Smiths-Sängers Morrissey heran. „Exclusion is a privilege, I’m happy to be privileged, Yes I am, heißt es in Montas Capitulate; „I’ve never had a job, because I’ve never wanted one”, sang Morrissey im Jahr 1983 in You’ve Got Everything Now. Kuhns PR-Waschzettel zur Platte nennt das “brutal authentisch.” „Das Wort brutal hätte ich wohl weggelassen”, sagt er.

Vor beinahe zwei Jahren ist Tobias Kuhn Vater geworden, auch das liest man aus seinen Zeilen. Wärme und Verlustängste klingen durch und die Suche nach einem Umgang mit den Bedrohungen von innen und außen. „The blanket is all yours, It’s there to give you space. To feel the love we offer, You’re welcome to this place. Your humming sounds familiar, as if it’s always been around. Your smile is pure like water, I’ll carry you all the way up and down, over every steep step, around every single brick”, singt der Vater für seinen Sohn, ohne dass es schmalzig oder pathetisch klingt.

Tobias Kuhn ist ein großer Fan von Depeche Mode. Auf beiden seiner bisherigen Veröffentlichungen interpretierte er je ein Stück der Band neu, erst Shake The Disease, dann In Your Room. Diesmal nicht, woran liegt das? „Ich hatte schnell neunzehn Stücke zusammen, es war einfach kein Platz mehr.“ Dafür klingt der Albumtitel wie eine Anspielung auf Depeche Modes Music For The Masses. Eine weitere Huldigung der Idole? „Das ist mir gar nicht aufgefallen, das ist Zufall. The Brilliant Masses war das erste Stück, das hat mich die gesamten Aufnahmen über begleitet. Deswegen war es für mich der beste Titel für die Platte.“ Es wäre eigentlich auch eine seltsame Referenz, denn auf diesem Album findet man Vieles, aber ganz bestimmt keine Musik für die Massen.

„The Brilliant Masses“ von Monta ist als CD erschienen bei Labelmate/Klein Records

Hören Sie hier „Good Morning Stranger“. Ein schönes Video zu dem Stück sehen Sie hier.

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Wohin der Wind weht

Alle Last der Welt liegt in der Musik der Roma. Zugleich ist sie beschwingt und voller Zuversicht – und hat jetzt einmal mehr Albuquerque, New Mexico, erreicht

A Hawk And A Hacksaw

Ein Rasseln, dann warme Blasinstrumente. Mehrstimmiger Gesang schleppt sich einen Melodieberg hinauf, Trompeten und Geigen begleiten ihn. Oh, wie es ächzt. Innehalten auf dem Weg zum Gipfel. Ein Akkordeon spielt orientalische Zwischentöne, dann kann es kann weitergehen. Schritt. Pause. Schritt. Pause. Schritt. Wie man das von den Trauerzügen in New-Orleans-Filmen kennt.

Jeremy Barnes und Heather Trost sind A Hawk And A Hacksaw. Sie kommen aus Albuquerque, New Mexico, und mischen seit einiger Zeit Folklore in ihren Pop. Zu Anfang noch wenig, über die Jahre mehr und mehr, zuletzt sind sie sogar schon zu Aufnahmen nach Rumänien gefahren, um mit der Roma-Kapelle Fanfare Ciocarlia zu spielen. The Way The Wind Blows heißt das neue Album, welch schicksalsergebener Titel.

Alle Last der Welt scheint in den schweren Melodien und Texten zu liegen. Gleichzeitig sind sie beschwingt, lassen Euphorie und Zuversicht aufblitzen. So, als könne man doch das Licht sehen, das die großen Schatten wirft. Kein Leid ist rein, keine Trauer absolut, die Zeit heilt viele Wunden, und enden die Beerdigungszüge in New-Orleans-Filmen nicht auch in ausgelassenen Feiern?

Wie ein weit geschwungener Fluss ziehen die elf Stücke des Albums vorbei. Manchmal – Opoto – als langsamer, behäbiger Strom, dann wie ein Wildbach, der in kleinen Schnellen über große Steine sprudelt, Gadje Sirba. Wenn niemand singt, singen die Instrumente. Hier und da sind Stimmen zu hören, immer im Chor, immer in großen Bögen.

Kürzlich ist die Musik der Roma durch Beiruts Gulag Orkestar zu einer gewissen Popularität gekommen. Wird sie bald als neue Sau durchs globale Popdorf getrieben? Das kann man jetzt schon mal fragen.

„The Way The Wind Blows“ von A Hawk And A Hacksaw ist erschienen bei The Leaf Label und im Vertrieb von Hausmusik

Hören Sie hier „In The River“

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Sollen die Typen doch heulen

Die Plattenfirma Monika legt zehn Finger an den Puls der Zeit: In der Reihe „4 Women No Cry“ erkunden jeweils vier Musikerinnen die Möglichkeiten der Elektronik

No Women No Cry Vol. 2

Zu den Schätzen vieler Plattensammlungen gehören Split-Singles. Das sind kleine schwarze Scheiben, auf jeder Seite musiziert ein anderer Künstler. Das Konzept funktioniert nur auf Vinyl wirklich gut, weil man zwischendrin umdrehen muss und die Stücke nicht wie auf CD ohne Pause ineinander übergehen.

Doch warum muss man sich auf Single-Kürze beschränken? Warum das nicht mal auf Langspielplatte ausprobieren? Das Berliner Label Monika hat im Jahr 2005 mit einer Serie begonnen, die genau dies tut. 4 Women No Cry heißt das Projekt. Vier Künstlerinnen steht jeweils eine der vier Seiten einer Doppel-LP zur Verfügung, fünfzehn Minuten also.

Künstlerinnen! Bob Marleys Liedtitel No Woman No Cry wird von ihnen absichtlich variiert. Das Motto: „Ist uns doch egal, ob die Typen zu Hause hocken und heulen. Wir machen Musik!“ Auf 4 Women No Cry hört man ausschließlich Frauen. Das ist nicht das einzige Prinzip der Reihe, vielleicht nicht einmal das wichtigste. Warum sollten Frauen keine gute Musik machen können?

International und elektronisch soll es zugehen. Jede Folge porträtiert Künstlerinnen aus unterschiedlichen Metropolen. Auf Teil 1 loteten Rosario Bléfari aus Buenos Aires, Tusia Beridze aus Tiflis, Eglantine Gouzy aus Paris und Catarina Pratter aus Wien die Weiten elektronischer Musik aus. Auf der nun erschienenen zweiten Doppel-LP sind es Dorit Chrysler aus New York, Mico aus London, Monotekktoni aus Berlin und Iris aus Barcelona. Viele Namen, aber auch viele Ideen, Eigenarten und Stilrichtungen.

Seite eins gehört dieses Mal Dorit Chrysler. In ihren fünf Stücken bringt sie Xylophon und Theremin zusammen mit sphärischen und verzerrten Gesängen, Fiepsen und Pluckern. Die Klänge wabern durch Räume, sie kommen kurz vorbei und verschwinden nach nebenan. Dann wieder drängen massive Rhythmen eine hitverdächtige Melodie voran. Eines der Stücke heißt My Sweet Chimera, das passt, denn so richtig festlegen lässt sich das Wesen ihrer Musik nicht.

Pause, Platte umdrehen. Die drei Stücke von Mico sind schon greifbarer. Ihr Dub ist behutsam und gleichzeitig hektisch, tanzen kann man dazu am ehesten ganz langsam. Besonders im Ohr bleiben ihre teils japanischen Texte bei Signal Found und Fruit Tree. Fast dadaistisch klingen sie, vielleicht ergeben sie dennoch Sinn?

Pause. Platte runter, Platte drauf. Monotekktoni ist das Projekt der Berlinerin Tonia Reeh. Auf den meisten ihrer Stücke kreischt und bollert es, verzerrte Gitarren, trötige Keyboards und schrammelige Rhythmen legen einen Klangteppich, über den sie mit eindringlicher Stimme singend schreitet. Ihre Lieder treiben und flirren. Dass sie aus unzähligen Klangfetzen, Synthesizern und Effektgeräten auch anderes basteln kann, zeigen das etwas ruhigere No Cry und das beinahe theatralische Pappeln.

Pause, umdrehen. Iris macht den Abschluss. Sie singt vier schöne Popstückchen, hymnisch, verspielt, freundlich. Bei ihr entsteht alles elektronisch, ihre fragile Stimme hat sie am Rechner weiter zerstückelt.

Gudrun Gut – eine Heldin der Elektroszene – kompiliert die Doppelalben der Reihe. Sie scheint ihre Ohren überall zu haben und legt zehn Finger an den Puls der Zeit. So findet sie, was andere Plattenfirmen suchen. In den Metropolen entwickelt sich elektronische Musik in unterschiedliche Richtungen weiter, schon lange gibt es keinen globalen Takt mehr, dem alle folgen. Richtig treffend lässt sich das alles nicht umschreiben, nur erhören.

Natürlich erscheint 4 Women No Cry auch auf CD. Die Doppel-LP funktioniert besser, außerdem ist sie viel schöner. Die exaltierten Rillen von Folge 2 sind in schickes weißes Vinyl geschnitzt. Die Serie soll jährlich fortgesetzt werden, das ist gut.

In der Reihe „4 Women No Cry“ sind bisher zwei Folgen als Doppel-LP und CD erschienen bei Monika

Hören Sie hier „Satellite“ von Dorit Chrysler, „After Rain“ von Mico, „No Cry“ von Monotekktoni und „Rolling Down“ von Iris

Lesen Sie hier: Die Platten des Jahres 2006 – Eine Nachschau auf 100 Tonträger

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Sehnsüchtiges Taumeln

The Gentle Lurch aus Dresden machen schrullige Countrymusik. Die Stücke auf ihrem ersten Album „From Around A Fire“ torkeln, das Klavier klimpert betrunken, nicht mal der Kontrabass steht hier wirklich aufrecht

The Gentle Lurch

Die Slide-Gitarre säuselt, die Orgel hallt, die Mundharmonika quietscht. Ist das Country? Schon. Cowboys? Bedingt. Wilder Westen? Ganz und gar nicht. Eher schon wilder Osten. The Gentle Lurch haben ihr knisternd züngelndes Feuer in der weiten sächsischen Provinz irgendwo zwischen Ziegra-Knobelsdorf und Töpeln entzündet. Unter freiem Himmel lagern sie an den Ufern der Zschopau, die sich in weiten Schleifen durch schroffe Felsen und romantische Landschaften hinabwindet zur Talsperre Kriebstein. Ab und an steigt einer auf die Simson, fährt zur Tankstelle und holt neues Bier. Die beiden Cowboys heißen Lars Hiller und Frank Heim, das Cowgirl im Bunde ist Cornelia Mothes.

Zunächst: der Name. The Gentle Lurch, was soll das sein? Das sanfte Taumeln? Hört man die Musik auf ihrem ersten Album From Around A Fire, versteht man schnell, dass die Gruppe keinen passenderen Namen finden konnte. Die Stücke eiern ganz gehörig, schlingern und torkeln. Das Klavier klimpert betrunken, nicht mal der Kontrabass steht hier wirklich aufrecht. Es ist schon irgendwie Country, wenn auch ziemlich schmuddelig und schrullig. Country aus dem die Spielfreude klingt und weniger die existenzielle Inbrunst, die den Kollegen aus dem Westen so eigen ist. Stil-Puristen würden wohl schon die Melodika, diese lustige Kreuzung aus Blas- und Tasteninstrument, im Lied Evil Women verabscheuen.

Die elf Stücke der Platte sind ruhig und schön. Einfache, auf der Gitarre gezupfte Akkorde werden von hübschen Klavier- und Akkordeonmelodien und warmen Bassläufen umspielt. Immer wieder tauchen neue Instrumente auf, hier ein Banjo und eine Orgel, dort Harmonika und Trompete. Oft gibt es kein richtiges Schlagzeug, das Klopfen auf den Korpus der Gitarre gibt dann den Rhythmus vor. Bei The Night When Frank Got Drunk For The First Time, Age 23 albern sie mit einem Kinderkeyboard und einem Schlagzeugcomputer rum. Ab und an hört man, wie sich jemand eine Zigarette ansteckt, im Hintergrund knistert ein Lagerfeuer. Oder ist das nur Einbildung?

Lars Hillers Stimme passt zur Stimmung der Lieder, zu ihrer Ruhe. Sie klingt unaufgeregt und warm, oft spricht er mehr, als er singt. Als würde er guten Freunden nachts am Feuer ein paar Anekdoten zuflüstern, auf englisch. Denn gas station klingt besser als Tankstelle, hedgehog geheimnisvoller als Igel und sky weiter und höher als Himmel. Bei einigen Stücken singt Hiller mit Cornelia Mothes im Duett, dann ist Nashville nicht mehr fern.

Sie nehmen ernst, was sie da tun. Die Slide-Gitarre und die Mundharmonika sollen nichts ironisieren, zum Glück. Auch die Texte bersten vor Klischees, sie erzählen von einer Cowboy-Welt, wie man sie aus dem Kino kennt. „The first thing you gotta to do / When you’re coming into town / Is to find a way out“ – Worte, die aus dem Mund von John Wayne oder Clint Eastwood stammen könnten. Die Musik passt zu den Bildern, die sie erzeugt. Bei Bar Or Disco wird die Melodika sehnsuchtsvoll und traurig geblasen, “A few days ago a friend and I went up into the mountains / We stared into the campfire, we talked about / How good it would feel, how nice it would be, having girls around / Lalalalala lala lalalalalala lala”. Mountains klingt wie „mauns“, selbst einen amerikanischen Akzent hat der Sänger sich zugelegt. Auf dieser Platte passt einfach alles zusammen.

„From Around A Fire“ von The Gentle Lurch ist als CD erschienen bei Schinderwies und im Vertrieb von Broken Silence. Erhältlich ist sie auch bei Finetunes

Hören Sie hier „PR Folks“

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Holt die 3D-Brillen raus!

Es lohnt sich, wegzuschauen: Die DVD „Festival 2005“ ist ein Zusammenschnitt der Festival-Auftritte von The Cure im vorvergangenen Sommer. Was sich ausgesprochen gut anhört, sieht leider fürchterlich aus.

The Cure Festival 2005

Sicher zwanzig Mal haben sich The Cure aufgelöst. Um sich bisher jedes Mal ein, zwei Jahre drauf reumütig wieder zu vereinen. Mal in gleicher Besetzung, mal mit neuen Musikern. In der langen Geschichte der Band seit ihrer ersten Single Killing An Arab im Jahr 1978 ist Sänger Robert Smith die einzige Konstante. Es heißt, er sei unausstehlich und regiere die Geschicke der Band alleine, immer wieder schieden Musiker im Streit aus.

Zum letzten Mal hatte Smith The Cure nach dem Album Bloodflowers im Jahr 2000 für aufgelöst erklärt. Geglaubt hat ihm das natürlich fast niemand. Wenig verwunderlich, dass vier Jahre nach dem vermeintlichen Ende wieder ein Album erschien, es trug den simplen Titel The Cure. Da rumpelte und dröhnte es mehr als je zuvor, von den leichten Melodien zum Mitsummen, wie man sie aus den Achtzigern kannte, hatten sie sich weit entfernt.

Ähnlich oft wie die Auflösung seiner Band gab Smith in den letzten Jahren bekannt, nicht mehr live aufzutreten. Es war also keine wirkliche Überraschung, dass The Cure in wiederum veränderter Besetzung – minus zwei, plus eins – im Jahr 2005 durch die Welt tourten und Konzerte gaben. Konzerte, von denen alle Beteiligten – Musiker wie Besucher – offenbar so begeistert waren, dass das ganze nun, beinahe anderthalb Jahre danach, auf DVD verwurstet wird.

Festival 2005 ist ein Zusammenschnitt von mehr als zweieinhalb Stunden Material von den neun großen Festival-Auftritten der Band im vorvergangenen Sommer. Die Auswahl der Stücke ist fantastisch, aus allen Teilen der bewegten Karriere ist etwas dabei. Sie schmiegen sich aneinander, Alt.End vom letzten Album passt perfekt zwischen Fascination Street von 1989 und The Blood von 1985, es grummelt und drängt. Die zwanzig Jahre zwischen Shake Dog Shake und Us Or Them sind auf der Bühne beinahe nicht zu hören. Kraftvoll, dynamisch und hymnisch geht es zu, alles stimmt. Nun ja, fast alles:

Was sich nämlich ausgesprochen gut anhört, sieht leider schrecklich aus. User generated content nennt man so etwas wohl heutzutage: Die Bilder wurden aufgenommen von Fans und Mitarbeitern, die man mit DV-Kameras ausstattete. Manchmal wird gewackelt und gezoomt, was das Zeug hält, dann wieder sieht man minutenlang das Bild einer statischen Kamera, die Musiker in gehöriger Entfernung, dafür viele Hinterköpfe zwischen hier und dort. Die einzigen wirklich bewegten Bilder stammen von den langarmigen Kameras, die unnatürliche Flüge für die Videoleinwände neben der Bühne aufnehmen – in glatter MTV-Ästhetik. Die Farben sind mal ausgewaschen, mal hyperrealistisch, mal fehlen die Kontraste beinahe ganz, mal ist nichts mehr zu erkennen vor lauter Kontrast. Und meist passiert das alles in einem Stück.

Die Qualität ist gruselig, künstlerisch wie technisch. Zu allem Überfluss wurden einige der Stücke (nachträglich?) mit Effekten belegt, die schon zu Tagen von Beat-Club und Formel Eins für Netzhautablösung sorgten. Bei The Drowning Man vibriert das Bild im Rhythmus der Basstrommel, Signal To Noise nervt mit Doppelbild- und Reliefeffekten. Das wunderbare Schlussstück Faith ist theatralisch in Schwarzweiß gehalten und von Solarisationen durchzogen, A Strange Day versaut dieser 3D-Effekt aus den Achtzigern. Uargh.

Man hätte was draus machen können, sicher. Die Gemäuer des Teatro Greco im sizilianischen Taormina oder die Berliner Wuhlheide sind alleine schon stimmungsvoll genug. Ohne die vielen Effekte und übermäßige Experimentierfreude wären dort sicher feine Filmchen entstanden. 1988 dokumentierte der Kinofilm The Cure In Orange einen Auftritt der Band im beinahe 2000 Jahre alten Théâtre Romain der provencalischen Stadt Orange. Ganz ohne fangenerierte Inhalte und ambitionierte Amateurfilmerei. Wundervoll war das. Festival 2005 sollte man auf die altbewährte Art genießen: Augen zu und durch!

„Festival 2005“ von The Cure ist als DVD erschienen bei Geffen/Universal

Sehen Sie hier „Never Enough“

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Elegant entwendet

Die vier Musiker von Milburn sind noch jung, trotzdem klingt „Well Well Well“, als hätten sie jede Rockplatte der letzten 30 Jahre gehört. Hier leihen sie eine Melodie, dort klauen sie einen Rhythmus

Milburn - Well Well Well

Ganz einfach ist es nicht mehr, poppige Rockmusik mit Siebziger-Anleihen zu machen und dabei originell zu klingen. Auch Milburn machen nichts wirklich Neues. Aus ihren Stücken klingen abwechselnd Franz Ferdinand durch und die Strokes, Razorlight und Maximo Park. Und die Arctic Monkeys natürlich auch, denn die klangen ja selbst schon wie eine Mischung ihrer Vorgänger.

Aber Milburn machen das gut, sie kombinieren die Einflüsse unterhaltsam und schreiben feine Lieder. Das Meiste ist ziemlich elegant geklaut. Oder geliehen. Die Gitarren sind ruppig und meistens – Franz Ferdinand hatten das wieder kultiviert – Stereo aufgenommen. Im Kopfhörer kommt von jeder Seite eine andere Gitarrenmelodie, ein sehr schöner Effekt. Die Melodien sind mal abgeklärt wie bei den Strokes, mal euphorisch punkig. Die Rhythmen erinnern hier an The Clash – die Saiten auf die Zwei im Takt nur kurz angerissen – dort an das gelassene Spiel von Maximo Park.

Joe und Louis Carnall, Tom Rowley und Joe Green sind Milburn, die Vergleiche kümmern sie wenig. „Nur eine Frage ist uns wichtig: Ist es ein guter Song?“, sagt Sänger Joe Carnall. Eine Frage, die sich beim Durchhören ihres ersten Albums Well Well Well beinahe durchgängig mit Ja beantworten lässt. Die vier Musiker sind zwischen 18 und 20 Jahren alt und spielen seit fünf Jahren zusammen, sie kommen aus Sheffield. Ja, genau wie die Arctic Monkeys, mit denen sind sie auch befreundet, heißt es. Da droben im Norden spricht man ein drolliges Englisch. Something klingt wie summfinn, wrong wie rrrung, rough wie rrruff. Das U wird auch wie ein U ausgesprochen, und sie singen much von guns, fucking und fuss.

Aber was hat man mit kaum 20 zu erzählen? Milburn zumindest nicht zu viel von dem üblichen Liebes- und Herzschmerz-Tralala. Sondern zum Beispiel die belehrende Geschichte eines gestohlenen Mobiltelefons in What About Next Time?: „I try to say you’re doing wrong but you chose to ignore me.“ Was, wenn nächstes Mal etwas Schlimmes passiert? Ihre Beziehungsgeschichten stecken voller Sarkasmus, „Things get broken, things come clear / If you wanted to leave so much then why are you still here?“ (Cheshire Cat Smile). Hier und da spielen sie auf Klassiker an, in What You Could’ve Won zitieren sie Ignorance Is Bliss von den Ramones, „You kick me into touch and I fall / I fall to the floor / And all I wanted was a kiss / All I wanted was a chance tonight / But yeah your ignorance was bliss / Your ignorance was paradise“.

Ihre erste Single Send In The Boys handelt von einer Entführung, ein bisschen simpel, aber na ja. „He had her down in the cellar with a knife at her throat / he wouldn’t let her go oh no.“ Das Musikvideo zu dem Stück illustriert die Geschichte, ein gut geschminktes Mädchen sitzt in einem Keller, die Band musiziert in einem anderen, Polizisten jagen den Entführer und – wer hat’s geahnt? – verhaften am Ende die Musiker. Ach ja, die sehen natürlich die ganze Zeit sehr gut aus. Kurz nach der Veröffentlichung wurden sie gefragt, wie sie sich ihren Erfolg erklären: „In unserem Musikvideo kommen Pistolen vor“, guns, mit u.

Manchmal könnten sie ruhig ein bisschen mehr Humor vertragen. In Showroom besingen sie einen Menschen, der ihnen auf die Nerven geht: „And it makes me laugh, he’s trying so hard to pretend / Acting oh so original when he’s simply following the trends“, haha, Eigentor.

„Well Well Well“ von Milburn ist als CD erschienen bei Mercury/Universal

Hören Sie hier „Send In The Boys“

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Ein neuer Kopf muss her

„Reservations“ von Sodastream passt in die düstere Jahreszeit. Kein Wunder, sie nahmen es auf, als hierzulande die Frühlingsgefühle herrschten. Bei ihnen zu Hause in Australien war da gerade Herbst

Sodastream Reservation

Was wissen wir schon über Australiens Musikszene? Für ein Gespräch auf einer Achtziger-Party reicht es meist. „Ach hier, Down Under, wie hießen die noch mal?“, „Mensch, ähm, ich hab’s gleich. Nicht Midnight Oil.“ „Nee, das waren ja die mit Beds Are Burning. Aber die kommen auch aus Australien.“ „Nick Cave ja auch. Und Kylie Minogue.“ „Und ACDC und die Bee Gees.“ „Echt? I come from a land down under, where women glow and men plunder … Ach, wie hießen die denn, verdammt.“ Men At Work – so hießen die – prägten unser Bild von Australien nachhaltig. Drollige Typen da unten, das Bier fließt in Strömen, die Männer plündern und kotzen, den Frauen ist das alles eher unangenehm.

Weniges vom Musikmarkt Australiens gelangt in europäische Ohren. Seltsam, dass noch niemand die Marktlücke schloss, die die Verschiebung der Jahreszeiten bietet. In unseren Breiten werden gecastete Hupfdohlen im tiefsten Winter ins Studio geprügelt, um ihr „Summer Summer, Yeah Yeah, Shalala, Let Me Be Your Badehandtuch“ in die Mikros zu heucheln. Damit sie in die richtige Stimmung kommen, werden sie mit Caipirinha abgefüllt und müssen in trockener Heizungsluft schwitzen. Ihre Freizeit müssen sie im Sonnenstudio verbringen, um beim Fotoshooting ja nicht blass dreinzublicken. Platten von Künstlern aus Australien und Neuseeland hingegen passen auch ohne das elende Geschummel immer zur Jahreszeit. Zu unserer jedenfalls. Eine Platte, die im ozeanischen Herbst aufgenommen wird, erscheint ein halbes Jahr später im europäischen Herbst.

So zum Beispiel auch Reservations der Australier Sodastream. Es ist ihr viertes Album und passt in diese Tage. Die Himmel sind verhangen, durch die Straßen fegt Laub, Regen plockert an die Scheiben. Sieht der Herbst in Australien so aus? Keine Ahnung. Reservations jedenfalls klingt, als hätten Pete Cohen und Karl Smith ziemlich betrübt im Studio gesessen und an ihren akustischen Instrumenten herumgenestelt.

Ihr erster Schritt über die etlichen Weltmeere zwischen dort und hier war Turnstyle von ihrer ersten Single Enjoy. Das Stück schaffte es 1998 in John Peels berüchtigtem Jahresrückblick Festive 50 auf Platz 45. Damals orientierten sie sich noch sehr am BritPop, über die Jahre sind sie ruhiger geworden.

Ihre Musik ist schön, wunderschön. Irgendwo zwischen Belle & Sebastian und Will Oldham oder Jason Molina. Brüchig melodiös, könnte man sagen. Karl Smith näselt leicht, seine Stimme ist warm und freundlich. Manchmal singen sie auch zweistimmig. Ihre Gitarren behandeln sie zart, der Kontrabass schnarrt nachdrücklich. Bei vielen Stücken werden sie von einer Violine oder einem Klavier begleitet, bei Anniversary vom Horn. Bei Michelle’s Cabin lässt Pete Cohen die Säge singen. Alles ganz ruhig und zurückhaltend. Alleine bei der Single Twin Lakes ist der Rhythmus ein bisschen fröhlicher geraten, fast countryartig.

Auch in den Texten steckt der Herbst. In Anti singt Smith von schweren Tagen, grau und verregnet und voller Unruhe. „I’m ging to shout for a little while, and then I’m going to scream for a short while, ‚Cause I can’t sleep till the sickness here subsides.“ Und dann rennt er ein bisschen durch die Gegend und versucht zu lachen, am Ende hat er wieder nichts gelernt. „So bring me hope for a little while, and bring me peace for a short while, I’m on my knees and I’ll beat this wall and cry.“ Jedes Singen über das Wetter übersetzt sich früher oder später in Einsamkeit, Trennungsschmerz und Scheitern. Er singt vom Juli, der nicht warm wird, dahinter steckt Trauer. Sein Kopf muss ab, singt er, ein neuer her, „Someone to take the weight and bring peace of mind, and warm July here“. Hach.

Überwältigt von der ganzen Schönheit vergisst man fast, dass einem der Name der Band wirklich schwer über die Lippen geht. Offensichtlich blieb dem fünften Kontinent die Geißel der prinzipiell funktionsuntüchtigen Geräte zum Wassersprudeln erspart.

„Reservations“ von Sodastream ist erschienen bei Hausmusik

Hören Sie hier das Stück „Reservations“

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