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Im Gedränge der Klänge

Isis aus Los Angeles lieben die Melodien, die Anspielungen und die Abwechslung. Leider wird auf „In the Absence Of Truth“ zu viel gebrüllt

Isis - Absence Of Truth

Ein paar Sekunden ist nichts zu hören, dann erhebt sich eine sanfte Harmonie. Ein Schlagzeug bollert hinein in düstere Flächen aus synthetischen Klängen. Hallbelegte Töne der elektrischen Gitarre tauchen auf, wie kleine Lichtblitze im Nebel. Das Schlagzeug wird hektisch, doch das scheint nur so.

Immer lauter grummelt der Bass aus dem Hintergrund nach vorne, der Synthesizernebel verdichtet sich. Minutenlang fügen Isis Schicht um Schicht hinzu, ein Brei entsteht. Im dichten Gedränge der Klänge kaum mehr wahrnehmbare Disharmonien schleichen sich ein, ganz so, als würde eine Explosion vorbereitet.

Wieder falsch. Nach einer Ewigkeit halten sie inne, entrümpeln das Stück. Der Takt wird gewechselt, die Tonart, die Stimmung. Aaron Turner singt langgezogene Worte in den frisch gewaschenen Klangteppich. Seine Stimme kommt von hinten, eine schöne Melodie. Die Harmonien erinnern an den Rock der siebziger Jahre und an Marillion und Porcupine Tree.

Später wird die Gitarre dann nachdrücklich, Aaron Turner singt sich hoch ins Hymnische. Der Bass grunzt Heavy-Metal-Muster. Plötzlich rutscht die Stimme anderthalb Oktaven ab und ist nur noch als kehliges Geschrei zu vernehmen. „Die!“ – Stirb! kann das nur heißen, was einem da entgegengebrüllt wird. Auch wenn man ihn die ganze Zeit eigentlich erwartet hat, so recht passen mag der plötzliche Ausbruch nicht in das kaum aggressive Wrist Of Kings.

So ähnlich ist es bei fast jedem Stück auf Isis‘ viertem Album In The Absence Of Truth. Die Musik ist eher sphärisch als hart, die Gitarren und der gedroschene Bass treten nur selten aus dem Klangnebel hervor. Die Stimme ist meist leise, das Schlagzeug trocken und hallfrei. Früher oder später packt es den Sänger dann aber, und er zerbrüllt die ansonsten so melodiösen Klanggebilde mit unverständlicher Lyrik. Zu schade!

Wenn man sich Mühe gibt, kann man es ignorieren. Man sollte es tun, denn die Stücke stecken voller Ideen und Referenzen. Not In Rivers, But In Drops macht Anleihen bei The Cures düsterem Album Pornography, der Bass scheppert böse. Da wirkt eine Kraft, die ohne stählerne Härte auskommt, die auch ohne Lautstärke funktioniert und ohne kreischende Instrumente, die in den Vordergrund drängen. Over Root And Thorn baut auf einem sich für achteinhalb Minuten stetig wiederholenden Gitarrenmuster auf, langsam, düster und melodiös. Aber nie langweilig. Und aus der Selbstversunkenheit von Holy Tears hört man Pink Floyd heraus.

Parallel zu In The Absence Of Truth erscheint ein Minialbum für die In The Fishtank-Serie des niederländischen Labels Konkurrent. Zu hören sind drei Stücke, die Isis gemeinsam mit der schottischen Band Aerogramme aufgenommen haben. Da wird nicht gebrüllt.

„In The Absence Of Truth“ von Isis ist als CD erschienen bei Ipecac und wird als Doppel-LP Ende Januar bei Robotic Empire erscheinen

Hören Sie hier „Dulcinea“

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Sie wartet am Bauzaun

Man summt die Melodien mit, Worte kommen einem in den Sinn. Schließlich merkt man, dass niemand da ist, der die Melodie singt. Denn Contriva machen Instrumentalmusik

Cover Contriva

Am hellblauen Himmel brauen sich Schönwetterwolken zusammen, unter ihnen steht ein blaugrauer Bauzaun. Was liegt wohl dahinter? Man kann ein bisschen durch die Ritzen schauen, erkennen kann man nichts. Ist das eine der vielen Berliner Großbaustellen? Die Straßenschilder verraten auch nicht viel, auf ihnen fehlen die Buchstaben. Geheimnisvoll schaut es aus, das neue Album von Contriva.

Die Band kommt aus Berlin. Sie macht Instrumentalmusik, Separate Chambers ist ihr drittes Album. Die vier Musiker schreiben ungewöhnliche kleine Poplieder. Mit den monumentalen Klanggebäuden von Mogwai und den Technikspielereien von Tortoise hat das nichts zu tun, und auch nicht mit Jazz oder der Selbstverliebtheit von Rockgitarristen wie Steve Vai. Vielleicht wollte am Anfang einfach niemand singen und es wurde ihr Markenzeichen?

Das Album beginnt introvertiert. Man hört, wie eine raue Hand das Griffbrett der Gitarre entlangrutscht, dann wird ein leicht schiefer Akkord angeschlagen. Sehnsuchtsvoll langgezogene Töne einer elektrischen Gitarre treten hinzu und das verhaltene Klacken des Schlagzeugs. Das ganze Stück Good To Know hindurch hört man die rutschenden Hände. Irgendwann spielt die Western-Gitarre ein Solo, es klingt, als würde jemand beginnen zu singen.

Immer wieder hat man das Gefühl, dass da eine Gesangslinie ist. Man summt sie mit, Worte kommen einem in den Sinn. Schließlich merkt man, dass niemand da ist, der die Melodie singt. Irgendein Instrument ist immer da, das die Melodie übernimmt. Meist ist es die akustische Gitarre, manchmal die elektrische oder das Klavier.

Die Stücke auf Separate Chambers sind spröde, sie klingen trocken und direkt. Da ist kein Bombast, keine Klangwand, kaum Hall. Jedes einzelne Instrument lässt sich heraushören. Das ganze Album ist gelassen vorgetragen, Contriva haben keine besondere Eile.

Selten wird es flotter oder gar rockig. Unhelpful lebt von Masha Qrellas treibend schepperndem Bass und Hannes Lehmanns ungeheuer trickreichem Schlagzeugspiel, immer wieder wird der Rhythmus verzögert, dann rennen alle auf einmal los und auch die Gitarren von Rike Schuberty und Max Punktezahl stimmen in eine mitreißende Melodie ein. Auch bei I Can Wait erzeugen ständiges Beschleunigen und Abbremsen Spannung.

No One Below ist anfangs schleppend und melancholisch, Orgel und Dobro führen die Melodie. Dann ein kurzer Ausbruch, quietschige Gitarren, nach 30 Sekunden haben sie sich wieder gefangen. Eine herausragende Stellung auf dem Album hat das achtminütige Stück Centipede. In den vielstimmigen Chor gekratzter Violinen-Saiten mischt sich ein einfaches Gitarrenmotiv, vier gezupfte Töne, immer wieder. Nach zweieinhalb Minuten setzen ein warmes Klavier und der Bass ein und geben den Klängen Struktur. Der Refrain – wenn man das so nennen mag – verzaubert mit einem dieser euphorisch stimmenden Tonartwechsel. Ein hypnotisierendes Stück.

Bei Before und I Can Wait singt dann doch jemand, Bassistin Masha Qrella. Sie tut das nüchtern melodiös, wie sie es auf ihren beiden Soloalben bereits vorgeführt hat. Ihre Texte sind lyrisch. „I can wait, because I’m out of time anyway“, singt sie. Das erklärt also die Gelassenheit von Separate Chambers.

„Separate Chambers“ von Contriva ist erschienen bei Morr Music

Hören Sie hier „Unhelpful“ und „I Can Wait“

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Im Takt des Ameisenbärs

Saroos bringen ihre Umwelt zum Klingen und Schwingen: Kreissäge, Blechdose und Metronom, Rasseln, Eimer und Glühwürmchen. Und wie heißt noch dieses Instrument, das George Harrison in Indien spielen lernte?

Saroos

Welch ein musikalischer Ameisenhaufen. Überall wimmelt und wuselt es. Stimmen flüstern hektisch, exotische Instrumente huschen von hier nach dort, es knackt im Unterholz. Man haut auf alles, was so rumliegt, Eimer, Blechdosen, Gläser. Ein Synthesizer dröhnt vertraut, jemand hat eine Rassel mitgebracht. Und was klingt da, ist das eine Kreissäge? Oder ein Schnipsel von Filmmusik? Ein Metronom? Die Ohren gehen einem über, sie wollen überall zugleich sein. Plötzlich kommt der Ameisenbär und lässt den Waldboden unter einem dröhnenden Basslauf erzittern.

Schon die ersten drei Stücke auf Saroos‘ Debütalbum stechen viele Genres an. Die dicksten Scheiben schneiden sie sich bei Elektronika und HipHop ab, HipHop ohne Worte. Doch halt. Bei During This Course rappt plötzlich einer. Ohne Luft zu holen, vier Minuten lang variiert er nur zwei Töne. Was erzählt er da eigentlich? Mit Everyone Was There gehen wir noch tiefer in den Wald, es ist sphärisch, ruhig, dunkel. Wie heißt noch das Instrument, das George Harrison in Indien spielen lernte? Irgendwann bleibt der Bass ganz aus, es wird Nacht im Saroos-Wald.

Gerade als man denkt, man hätt’s begriffen, kommt Videos & Vehicles und führt Trompete und Kontrabass ein, Jazz also auch noch. Wird da Miles Davis gesampelt? Warm und ruhig klingt die Trompete, ist das irgendwas von In A Silent Way? Nur zwei Töne werden abgewechselt, sie verschleppen den Takt gehörig. Das trocken angespielte Schlagzeug muss sie immer wieder zur Ordnung rufen. Am Ende löst sich das Stück in Wohlgefallen auf, der Blechbläser entfernt sich langsam durch einen hallenden Gang. Unverständlich brabbelnde Stimmen werden lauter, das Schlagzeug torkelt unentschlossen in ein nahes Nirvana.

Saroos verstehen sich auf Stimmungen. Troubled Sleep klingt sogar ein bisschen nach Lagerfeuer. Eine akustische Gitarre, mit der Handfläche bearbeitete Trommeln, dazu das säuselnde Geräusch, das entsteht, wenn man die Saiten oben zwischen Bund und Wirbeln anschlägt. Im Hintergrund murmeln Wölfe und Füchse, die unbemerkt in zweiter Reihe sitzen. Und da, ein Glühwürmchen. Kann man das hören? Schließlich graut der Morgen und All We See führt uns zurück in das hektische Treiben des Ameisenhaufens. Auch der Rapper und der Ameisenbär sind wieder da. Am Ende hat er das Gewusel weggeschlürft. Mit Noone gleitet die Platte aus, umschmeichelt einen nochmal, obwohl sie es gar nicht mehr nötig hätte. Die Libellen schwirren über den verwaisten Ameisenhaufen.

Saroos sind Christoph Brandner und Florian Zimmer. Man hört aus ihren Stücken die schönen Popentwürfe Lali Punas (dort spielt Brandner) genauso heraus, wie die introvertierten Elektronikbasteleien von iso68 (der Band von Zimmer). Der Rapper ist Alias, die exotischen Instrumente spielt Saam Schlamminger, beide sind alte Bekannte aus dem großen Notwist-Umfeld. Das muss man alles nicht wissen, um diese Platte zu mögen.

Das selbst betitelte Album von Saroos ist als LP und CD erschienen bei Alien Transistor

Hören Sie hier „This Ain’t No Place“ von Saroos

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Hackfleisch mit Geknödel

Alle fünfzehn Jahre meldet sich Meat Loaf mit einer neuen Folge von „Bat Out Of Hell“ zurück. Musikalisch ändert sich wenig, auch Teil drei läuft auf Doppelschmachtstufe

Bat Out Of Hell III

Ach, Herr Loaf,

dreißig Jahre ist es her, da kamen Sie, notdürftig als Fledermaus verkleidet, aus der Hölle angekreucht. Im Jahr 1993 kehrten sie mit Bat Out Of Hell II – Back Into Hell dorthin zurück. Sie erwischten mich damals, ich kaufte mir zwei ihrer Platten. Vielleicht passte ihr Geschmachte zu meiner spätpubertären Befindlichkeit, ich kann es mir auch nicht mehr erklären. Kurz darauf verscheuerte ich sie im Second- Hand-Laden, wahrscheinlich stehen sie da heute noch. Wissen Sie noch, I’d Do Anything For Love? Brrrr …

Und jetzt kehren Sie zurück, in Gestalt eines Monsters. Wir haben das Jahr 2006, Herr Loaf, mit Verlaub. Bei Ihnen ist alles beim Alten: leidende Gesänge, streicherumschmeichelte Gitarren, Rockoper, Bombast, Bombast, Bombast. Dazu haben Sie sich ein paar vermeintlich moderne Elemente andrehen lassen, hier ein elektronisches Schlagzeug, dort versuchen Sie gar zu rappen. Das Singen ist schon nicht Ihr größtes Talent, aber das?

Nach anderthalb Stücken hatte ich schon keine Lust mehr, Ihnen zuzuhören. Da lagen noch zwölfeinhalb vor mir. Ihre Produzenten blähen jede noch so klägliche Idee mit viel Brimborium auf sieben Minuten aus, jedes noch so lahme Element wird bis zum Überdruss wiederholt, am Ende singen Sie für drei Minuten immer wieder den Refrain. Eine einzige Hackfleischoper.

Und dann, das dritte Stück, Herr Loaf. Meat! Ich bin wirklich zusammengezuckt. Warum denn das alte Geknödel von Celine Dion nochmal aufwärmen? Its All Coming Back To Me, im Duett mit einer gewissen Marion Raven, Doppelschmachtstufe, Titanic-Flöten im Hintergrund. Ich nehme Ihnen Ihr Leiden wirklich ab, mir geht es ja nicht anders.

Ich mochte Ihre Musik? Unvorstellbar! Ich schäme mich für mein zehn Jahre jüngeres Ich. Und für Sie gleich mit. Ich gebe zu, manchmal muss ich mitsummen. Und bremse mich dann, weil ich das Gefühl habe, einem billigen Trick aufgesessen zu sein. Ihre Autoren Jim Steinman und Desmond Child wissen wirklich, wie man catchy melodies schreibt.

Die beiden klauen sich unverfroren durch die Musikgeschichte, haben Sie das nicht gemerkt? Der Drohung Bad For Good verleihen Sie als schlechte Queen-Kopie Nachdruck. In The Land Of The Pig, The Butcher Is King, da klingt schon der Titel, als wären Sie gerne Iron Maiden. Die können das aber viel besser, wirklich. Und auch Bon Jovi werden sie mit Alive nicht übertreffen können. Bei den übrigen Stücken kopieren Sie sich immerhin selbst.

Und, Herr Loaf, die Texte. „Deine Liebe ist blind wie eine Fledermaus“, hat ihnen da jemand unter die Noten geschrieben, „du bist alles, was ich brauche“. Gitarrensolo! Warum tragen Sie immer so dick auf? Hören Sie sich doch bitte mal kurz selbst zu: „I want you to cry over me, die over me, baby.“ Da haben Ihnen Ihre Schreiber aber ein ganz schönes Ei ins Nest gelegt. Der künstlerische Tiefpunkt ist If It Ain’t Broke, Break It. Muss die CD unbedingt 70 Minuten lang sein?

Am Ende, Herr Loaf, Sie Schelm, überraschen Sie mich dann doch noch. Cry To Heaven ist für 49 Sekunden ein wirklich schönes Stück. Umso schmerzlicher, dass Sie die übrigen anderthalb Minuten nutzen, es mit Flöten und Chören gegen die Wand zu fahren. Vielleicht sollten Sie darauf aufbauen. Wie wäre es zum Beispiel, Bat Out Of Hell 4 von Will Oldham oder Jason Molina produzieren zu lassen? Oder von Rick Rubin? Das würde Ihr Ansehen mehren. Und sicherlich würde denen auch ein besserer Titel einfallen.

„Bat Out Of Hell III – The Monster Is Loose“ von Meat Loaf ist als CD erschienen bei Universal

Hören Sie hier „Cry To Heaven“

Das gesamte Album kann man hier vorhören

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Doktor Grübel und Mister Tanz

Mouse On Mars und Sid Le Rock machen elektronische Musik und wildern bei Rock und Techno. Auf ihren neuen Platten „Varcharz“ und „Keep It Simple, Stupid“ erforschen sie ganz verschiedene Bereiche des Genres, trotzdem gehören sie zusammen – wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Mouse On Mars - Varcharz

Tagsüber suchen mich Mouse On Mars heim. Seit einem Jahrzehnt leuchten sie mit hellen Scheinwerfern die dunklen Ecken der Elektronik aus. Diesmal stehen dort – hoppla – alte Rockgitarren neben den Rechnern.

Mouse On Mars kommen aus Düsseldorf und sind kompliziert: Für jede intellektuelle Spielerei sind sie zu haben, ihre Musik geht nie den direkten Weg, ihre Alben und Stücke tragen erklärungsbedürftige Namen. Ihr Klang ist greifbar und rhythmusorientiert, gleichzeitig durchzogen von Brüchen und Uneindeutigkeiten. Zum Nebenbeihören ist das nichts.

Der Albumtitel Varcharz, heißt es im Waschzettel zur Platte, bedeute „Wortschatz“. Ein Schelm, wer zuerst an „War-Charts“ dachte. Ähnlich mehrdeutig wirkt die Musik: Rhythmen kommen einem entgegen. Kaum schwingt man die Hüften im Takt, scheint alles zusammenzubrechen, von überallher kommen Dissonanzen, Brüche, Pausen, Klangflächen. Nur wer weitertanzt, merkt, dass der Takt nie ganz weg war.

Keine zehn Sekunden halten Mouse On Mars eine Idee durch. Man höre sich nur einmal das erste Stück des Albums an, Chartnok. Es beginnt mit Klängen von Kinderspielzeug, sofort fahren hektische Breakbeats dazwischen, Hämmer scheppern auf Eisen. Eben wundert man sich noch darüber, dass der Synthesizer mit lächerlich viel Hall belegt ist, da läuft plötzlich alles rückwärts. Ein gitarrenähnlicher Klang brazelt dazwischen und lässt Boxen und Rippenfelle erzittern. Oder Düül: Ist das ein quietschendes Bett, was den Rhythmus vorgibt? Billigste Synthesizerorgeln pinseln kitschige Klangfarben an eine Metallgitarrenwand. Denen ist wohl nichts peinlich. Fantastisch!

Sid Le Rock - Keep It Simple Stupid

Die Nacht dann gehört Sid Le Rock. Keep It Simple, Stupid ist sein zweites Album, und der Titel zeigt, wo es langgeht: geradeaus. Fast schon dreist in Richtung Club kalkuliert nehmen seine Klänge den kürzesten Weg von der Magengrube ins Tanzbein. Tiefe Basstöne geben hypnotische Rhythmen vor, auf die er poppige Melodien pflanzt.

Auch Sid Le Rock baut in seine Stücke harzige Gitarrenklänge ein. Sie klingen so künstlich und verzerrt, dass sie eigentlich echt sein müssen. Rock’n’Roll Parking Lot basiert auf einem blechernen Gitarrenmuster, das minutenlang durchgehalten wird. Trois Pistole drängt voran, als untermalte es eine stundenlange Verfolgungsfahrt entlang kalifornischer Strände. Sid Le Rock kann auch weniger laut und kreischig: Naked vibriert seelenvoll, im Hintergrund stöhnt einer „Baby, Baby, Baby, Baby, Baby, Baby, Baby …“, das karg instrumentierte Stück extrahiert die Essenz des Soul.

Die Mittel von Mouse On Mars und Sid Le Rock sind gar nicht so verschieden: tiefe Basstöne, verzerrte Gitarren, Hall und billige Elektroklänge. Aber im Herangehen unterscheiden sie sich deutlich: Wo Mouse On Mars noch nachdenken, ist Sid Le Rock längst am Ziel. Wo Sid Le Rock den Wohlklang sucht, haben Mouse On Mars ihn längst gefunden und sezieren ihn bereits. Wo Sid Le Rock den Bass pünktlich auf die Eins legt, halten Mouse On Mars einen halben Takt inne und behalten ihn dann doch für sich, erst mal. Wo Mouse On Mars synkopisch stottern und Breakbeats einstreuen, legt Sid Le Rock eine dezente Spur zu samtenem Soul und eine weniger dezente zu hemmungsloser Partylaune.

Will man einfach nur tanzen, ist Sid Le Rock eine gute Wahl. Wer dabei gerne nachdenkt und die Herausforderung sucht, ist mit Mouse On Mars gut beraten. Wer sich nicht gerne auf den Schwitzboden begibt, der wird Sid Le Rock hassen. Am besten hat man beide Platten.

„Varcharz“ von Mouse On Mars ist als CD erschienen bei Ipecac und als limitierte LP bei Sonig; „Keep It Simple, Stupid“ von Sid Le Rock ist als CD erschienen bei Ladomat 2000.

Hören Sie hier „Düül“ von Mouse On Mars und „Es scheppert wie Def Leppard“ von Sid Le Rock

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Die Tränen weggeschmunzelt

Über die Jahre (15): Lustige Instrumente, beschwingte Melodien, bunte Musikvideos: Mit dem Äußeren von „The Head On The Door“ führen The Cure ganz schön in die Irre. Nein, fröhlich sind ihre Lieder über Albträume, Angst und Tod wirklich nicht

Cover Cure

Ich war 14, als ich das erste Mal Liebeskummer hatte. Sie hieß Marie und ahnte nichts davon. Es ihr sagen? Himmel! Ich wusste nicht, wohin mit meinem Frust. Meine Schwester brachte mich auf eine Platte, Disintegration von The Cure. Da heulte mir einer aus der Brust, haderte mit der Welt und den Beziehungen. Genauso fühlte ich mich. Robert Smith – der Sänger und Schreiber der Gruppe – nahm mich und meinen Weltschmerz ernst. Sein Leiden war so echt wie mein eigenes.

Draußen feierte und vereinigte sich Deutschland, an mir ging das vorbei. Ich verbrachte die Herbsttage in meinem Zimmer, dachte an Marie und erforschte Album für Album die Geschichte von The Cure, rückwärts. Ich entdeckte Kiss Me Kiss Me Kiss Me, ein brachiales Album. Damit konnte ich wenig anfangen. Und dann The Head On The Door von 1985. Schon beim zweiten Hören hatte ich mich in das Album verliebt. Disintegration hatte meinen Kummer verstärkt, The Head On The Door fing ihn auf und spielte mit ihm.

Die krakelige, hellblaue Schrift auf der Hülle, die farbenfrohen Musikvideos zu manchen Stücken und die beschwingte Instrumentierung leiten in die Irre. Es ist kein fröhliches Album. „Yesterday I got so old / I felt like I could die“, singt Robert Smith in Inbetween Days. Und „Yesterday I got so scared / I shivered like a child / Yesterday away from you / It froze me deep inside.“ Brrrr. Dazu schrammelt eine warme Akustikgitarre, ein Kinderxylofon dengelt nette Töne, der Synthesizer schrillt. Im drolligen Video zu dem Stück fliegen bunte Socken aus dem Klavier, die Gitarre sprüht farbige Funken. Die Musiker hüpfen überdreht umher. Bei anderen Stücken ist es ähnlich: Worte von Albträumen, Tod und Angst sind unterlegt mit Melodien, die klingen wie Kinderlieder oder Abzählreime. Kling-Klang-Klong, drei Töne runter, Pause, zwei wieder hoch.

Smiths weinerliche Stimme überschlägt sich immer wieder. Manchmal kann er das Lachen kaum unterdrücken, dann wieder heult er wie ein Schlosshund. Nur wenige Stücke sind durch und durch trist. A Night Like This ist die Klage eines Verlassenen, „I watch you / Like I’m made of stone / As you walk away“. Auch The Blood ist ernst und sinister. Das letzte Stück, Sinking, lässt die Platte in Molltönen ruhig ausklingen „I trick myself / Like everybody else / The Secrets I hide twist me inside / They make me weaker“. Die letzte Minute ist Flehen: „If only I could remember / Anything at all.“

Das Spielerische an The Head On The Door berührte mich. Da schien einer Abstand zu gewinnen von seinen Problemen durch ein Schmunzeln, das gefiel mir. Auch er fühlte sich miserabel, heulte nächtelang, verfluchte die Welt und die Menschen. Und dann kloppte er auf ein Xylofon, und alles war etwas erträglicher.

Das Stück Close To Me, sagte Robert Smith damals, sei „pretty much wishing I wasn’t born with a groovy bass line“. Ungefähr so fühlte sich mein Verhältnis zu Marie auch an, schmerzhaft, aber auch komisch. Es dauerte nicht lange, da war ich drüber weg. Ich habe sie schnell vergessen und keine Ahnung, was sie heute macht.

„The Head On The Door“ von The Cure ist erhältlich bei Universal. Zurzeit werden die Alben der Band in chronologischer Reihenfolge als Doppel-CDs mit vielen Bonusstücken wiederveröffentlicht, als letztes „The Top“ (1984), „The Head On The Door“ (1985) und „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“ (1987)

Hören Sie hier „Kyoto Song“

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(14) Can: „Tago Mago“ (1971)
(13) Nico: „Chelsea Girl“ (1968)
(12) Byrds: „Sweetheart Of The Rodeo“ (1968)
(11) Sender Freie Rakete: „Keine gute Frau“ (2005)
(10) Herbie Hancock: „Sextant“ (1973)
(9) Depeche Mode: „Violator“ (1990)
(8) Stevie Wonder: „Music Of My Mind“ (1972)
(7) Tim Hardin: „1“ (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: „Reformhölle“ (1992)
(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Keine Tina, keine Nina

Kurz hinter Hamburg stieg Julia Guther zu, ich habe ihr den ganzen Urlaub über zugehört. Ihre Stimme hallt noch jetzt durch meinen Kopf, immer wieder summe ich mit ihr

Cover Sundet

Drei Wochen fuhr ich in diesem Sommer kreuz und quer durch Schleswig-Holstein und die Ostsee rauf und runter. Wo es mir gefiel, blieb ich mit meinem Camping-Bus stehen, wenn ich mich langweilte, fuhr ich weiter. Etliche Souvenirs habe ich mir mitgebracht, einige unfreiwillig. Ein endlich abklingender Sonnenbrand auf der Nase und im Nacken. Immer noch Sand im ganzen Auto, unter den Sitzen, im Bett. Eine neue Sonnenbrille. Und dann, ja, Julia Guthers Stimme. Ich nahm sie mit, irgendwo zwischen Hamburg und Kiel. Ich drehte meinen alten CD-Spieler lauter und lauter, bis es lauter nicht mehr ging. Ich lauschte ihr Mal um Mal, und auch jetzt hallt sie noch durch meinen Kopf, bringt mich wieder zum Summen.

Julia Guther ist die Sängerin einer Band, die ihren Nachnamen trägt. Gesprochen nicht mit englischem Ti-Äitsch, sondern so, als wäre das h gar nicht da. Ihr neues Album Sundet hatte ich nur dabei, weil es auf dem Weg in den Urlaub aus meinem Briefkasten fiel und ich keine Lust mehr hatte, noch einmal in die Wohnung zu gehen. Sundet ist norwegisch und heißt „Der Sund“, passt ja irgendwie nach Schleswig-Holstein.

Sie hat eigentlich gar nicht so eine Stimme, von der man einander raunend erzählt. Sie klingt nicht nach Ina Deter oder Tina Turner, weder nach Nina Simone noch nach Nina Hagen. Sie ist nicht rauchig, brüchig, düster, schafft aber auch keine fünf Oktaven. Sie ist keine sagenhafte Rockröhre oder Vokalakrobatin und auch kein schüchtern-müdes Indiepop-Stimmchen. Sie liegt so zwischen allem. Was ist also das Besondere an Julia Guther? Keine Ahnung.

Who Was First war das Stück, mit dem sie mich erwischte, der Daumen, der mich zum Anhalten zwang. „Faintly recalling myself, the strength of your voice, how could I convince you, you don’t have to fall silent“, sie singt diese ersten Zeilen zu einer sanft gezupften akustischen Gitarre, gehaucht, aber nicht albern. Eine warme Orgel kommt hinzu, ein Schlagzeug und andere Instrumente. Hinterher erinnert man sich nur an die gesungene Melodie der ersten Zeilen und des Refrains. So ging es mir bei fast jedem Stück. Die Melodien, die hängen bleiben, sind die von ihr gesungenen. Ich singe sie mit und vor mich hin, frage mich zum Glück nur selten, was das alles bedeuten soll.

Sie singt ihre Zeilen, als sei ihr die Musik völlig egal. Hat ihr eigenes Tempo, manchmal hängen die Zeilen hinten scheinbar über, sie verzögert und beschleunigt, wie es ihr gefällt. Singt in Trick Or Treat mit sich selbst, kümmert sich hier und da einfach gar nicht um die Melodie. In A Brief Encounter pausiert die Musik zwischendurch, um der Stimme Raum zu geben. Meistens folgen ihr die Instrumente, manchmal auch nicht.

Das erste Album von Guther, vor ein, zwei Jahren, war mir nicht aufgefallen. Das waren schöne Popliedchen, klasse Melodien, das schon. Aber nichts wirklich Herausragendes, zu glatt insgesamt. Und jetzt das. Da sind Ecken und Kanten, ein auch mal grummelnder Bass, das Vibrato einer Steel-Gitarre, diverse kleine Blasinstrumente, ein oft jazziges Schlagzeug. Vielleicht macht die Gelassenheit den Unterschied, vielleicht sind die Stücke einfach nur zurückhaltender arrangiert oder produziert.

Indiepop dieser Sorte gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Hier aber macht die Stimme einen Unterschied. Sundet könnte für noch einen Sommer gut sein.

„Sundet“ von Guther ist als LP und CD erschienen bei Morr Music

Hören Sie hier „Who Was First“ und „Statement“

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Da gerinnt die Milchschaumhaube

Den Namen sollte man sich merken, wenn man kann: Auf dem Weg ins Kaufhaus erledigte ich noch einen kleinen Hauskauf. Unter diesem Pseudonym veröffentlicht der Münchner Matthias Lehrberger Platten, die voller schöner Einfälle und Anspielungen stecken und irgendwo zwischen Jazz und Elektronika leben

Cover Kaufhaus

Mein erster Gedanke: „Hach, was für eine schöne Kaffeehausmusik!“ Ein jazziges Schlagzeug gibt ein lässiges Tempo vor, alle paar Takte schlendert ein Klöppel fünf Töne auf dem Vibrafon hinauf, nur der Synthesizer brazelt einen etwas unruhigen Klangteppich drunter. Im Hintergrund säuselt ein leiser Chor, der ganz bestimmt kein echter ist, sein „Aahhhh-aahhhh“. Dann ein Bruch und das ganze läuft aus in einem entspannten Blues-Standard. B—Werk heißt das erste Stück auf dem neuen Album des Ein-Mann-Projektes mit dem sperrigen Namen Auf dem Weg ins Kaufhaus erledigte ich noch einen kleinen Hauskauf. Dazu kann man sich den Cappuccino schmecken lassen, denke ich.

Doch dann. Je weiter ich in Zufall für alle eintauche, in desto weitere Ferne rücken die Assoziationen zu Kaffee und Kuchen in entspannter Atmosphäre. Mit jedem Stück, mit jedem Hören entstehen stattliche Wellen auf der anfangs so glatten Oberfläche, kleine Stürme sogar. Schon im zweiten, Moftal, stören ein regelmäßiges dumpfes Brummen – vielleicht ein Klangschnipsel aus einem Film von David Lynch – und ein warnend aufjaulendes Klavier die Unterhaltung und lassen die Milchschaumhaube gerinnen. Ab und an klingt ganz leise eine wunderschöne Melodie durch, sie wird aber immer wieder zerstückelt und wandelt sich schließlich in ein dumpfes Kreischen. Nur das Schlagzeug tut, als wäre nichts geschehen.

Bei Low——überleben mischen sich Weltraumklänge mit einer gedämpften Trompete, das Schlagzeug wird mal ein bisschen hektischer, gibt zusammen mit dem Kontrabass das Tempo vor. Das Stück ist beinahe purer Jazz, der Anteil elektronischer Instrumente nur noch gering. Nester beginnt als ein sphärisches Rauschen mit meditativen Synthesizer-Klängen. Nach und nach schleichen sich ein elektronisches Schlagzeug, ein Bass und eine Melodika ein und geben den Klängen einen Körper. Fast alle Stücke sind voller Brüche, keines hält für die gesamten vier, fünf Minuten eine Stimmung, ein Tempo. Immer wieder werden die Instrumente neu kombiniert. Die Stücke taumeln hin und her zwischen Elektronika, Jazz und Pop.

Zufall für alle ist das dritte Album des Münchner Kunststudenten Matthias Lehrberger unter dem Kaufhaus-Pseudonym. Er spielt alle Instrumente selbst, auf Gesang muss man verzichten, man vermisst ihn nicht. Erstmals gibt er den Stücken Namen, auf seinen ersten beiden Alben waren sie einfach durchnummeriert. Liebevoll kombiniert er unzählige kleine Einfälle und Anspielungen zu einem kreativen wie eklektischen Sammelsurium. In Nester ertönt irgendein Klang aus einem Gassenhauer aus den Achtzigern, am Ende von Low——überleben wird man von einem jazzigen Schlagzeugsolo überrascht. In Mikromies säuselt eine sanfte akustische Countrygitarre mal kurz hinein, Wachsein zitiert eine melancholische Trompetenmelodie aus einem düsteren französischen Polizeikrimi der achtziger Jahre. Die Melodika in Dear Existenz scheint aus einem argentinischen Tangosalon zu schallen.

Wenn es auch natürlich lustig wäre, ins Kaufhaus passt die Musik so ganz und gar nicht. Und im Unterschied zu zahllosen anderen Instrumentalmusiken bietet sich diese auch kaum für Filme an. Es ist keine Musik, die begleitet, sondern Musik, die sich mit einem ganz eigenen Körper vor einem aufbaut. Man kann das ganze Album irgendwie als Collage enttarnen, in seine Einzelteile auseinander nehmen und an seinen Brüchen teilen. Man kann es aber mindestens genauso gut mit weit geöffneten Ohren von vorne bis hinten durchhören, als eine mutige, experimentierfreudige Spielart von Popmusik.

Vielleicht ist das ja doch die perfekte Musik für’s Kaffeehaus. Und ich habe nur das Richtige noch nicht gefunden.

„Zufall für alle“ von Auf dem Weg ins Kaufhaus erledigte ich noch einen kleinen Hauskauf ist als CD erschienen bei Schinderwies Productions und im Vertrieb von Broken Silence. Erhältlich ist sie auch bei Finetunes

Hören Sie hier „B—Werk“

Lesen Sie hier ein Portrait der Regensburger Plattenfirma Schinderwies Productions

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Ist das nicht der Typ von…?

Dass man ihn einen Tausendsassa nennt, daran ist Erlend Øye selbst schuld. Ob mit den Kings Of Convenience oder als DJ, stets gelingen ihm Überraschungen. Sein neuester Streich: The Whitest Boy Alive

Cover Whitest Boy Alive

Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Vier Jungs daddeln in einem Studio in Berlin mit allerlei elektronischem Gerät vor sich hin. Sie drehen an ihren Knöpfchen und Rädchen, lassen die Synthesizer und Sampler knarren und fiepsen, bis sie heiß laufen, und grienen sich einen über die kuriosen Computerklänge, die sie erzeugen. So geht das erst ein paar Wochen, dann Monate, es kommt aber kaum Zählbares dabei raus. Sie beginnen sich zu langweilen.

Eines schönen Tages bringt einer von ihnen Three Imaginary Boys von The Cure mit ins Studio, alle sind begeistert. Sie hören die Platte immer und immer wieder, begeistern sich für die Direktheit der Stücke und die rohe Aufnahme. Beim nächsten Mal bringt ein anderer ein paar Schätze aus seiner Sammlung von Soul-Platten mit, wieder lauschen alle sprachlos. Ein paar Tage darauf ergeht es einer Anthologie der Gruppe Camper Van Beethoven nicht anders.

Als sie sich danach wieder treffen, wissen alle, was zu tun ist. Ohne weiter drüber nachzudenken, tragen sie ihre elektronischen Spielzeuge in den Keller und kramen die alten, verstaubten Instrumente aus dunklen Ecken. Ein Bass ist dabei, eine Gitarre, ein elektromechanisches Klavier und ein Schlagzeug. Sie fangen sofort an zu spielen, langsam gewöhnen sich die Finger wieder an die Saiten. Sie wollen The Cure und den Soul und vieles andere mehr. Das Aufnahmegerät läuft die ganze Zeit, abends sind alle beeindruckt davon, wie gut das klingt. So frisch.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Die Vier nehmen alles live auf, spielen immer gemeinsam. Die Stücke entstehen fast von alleine. Ungeschliffen sind sie, manche flott, manche ruhig. Sie verströmen Wärme und Echtheit. Erlend Øye singt dazu mal wirr-verträumte, mal romantisch-süße und manchmal trocken-spöttische Texte. „Patience is just another word for getting old“, singt er und „I’m done with you, I’m selling my heart“. Solche Dinge.

Immer wieder müssen sie ihr Spiel unterbrechen, weil einer lacht. Manchmal über die Texte, ein anderes Mal, weil es so viel Spaß macht zu spielen. Meistens aber, weil sich einer verspielt. Marcin Öz zupft stoisch seinen Bass, von Stück zu Stück stellt er seinen Verstärker lauter. Sebastian Maschat spielt ein gelassenes Schlagzeug, während Daniel Nentwig seinem Rhodes-Klavier warme bis drollige Klänge entlockt. Erlend Øye spielt die Gitarre und lässt immer mal ein kleines Solo in Zeitlupentempo einfließen. Und jeden Abend loben die anderen ihn für seine schöne, sanfte Stimme.

Bald haben die Jungs zehn einfache, schöne Lieder beieinander und scherzen darüber, sie zu veröffentlichen. „Wir gründen eine eigene Plattenfirma und nennen die Platte Dreams, hihi, das wird niemand verstehen“, witzelt einer. Sie sind so mächtig stolz auf ihre handgemachten Töne, dass sie den Plan schließlich in die Tat umsetzen. Ganz am Ende, beim Mischen, lassen sie Lacher und blödsinniges Gequatsche an den Liedanfängen und -enden einfach drin. Die Verspieler sowieso. Und haben diebische Freude dran.

Schade eigentlich, dass es auch ganz anders gewesen sein könnte.

„Dreams“ von The Whitest Boy Alive ist als CD erschienen bei Bubbles

Hören Sie hier „Burning“

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