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Blues für Fitte

Rock’n’Roll ist nicht tot! Bei den Black Keys klingt er nur ein bisschen nach History Channel. „El Camino“ heißt das neue Album.

© Danny Clinch

Am Anfang steht eine Drohung, die doch eigentlich ein Versprechen ist. Das Geräusch, das eine E-Gitarre verursacht Weiter„Blues für Fitte“

 

Schaumkrone der Retrowelle

Kitty, Daisy & Lewis, die Rock’n’Roll-Geschwister aus London: In einer exklusiven Akustiksession zeigen sie, wie simpel und druckvoll ihr Blues funktioniert.

Wir trafen die drei hinter der Bühne der Berliner Columbiahalle. Hier geht’s zum Artikel.

 

Es gibt immer ein Pferd, das noch geritten werden muss

Jeff Bridges hat ein Country-Album aufgenommen. So überzeugend, dass man sich fragt, ob hier ein Musiker oder ein Schauspieler singt.

© Blue Note

Oje, noch ein singender Schauspieler. Immerhin, eine kleine Erleichterung, kein schauspielernder Sänger. Außerdem gelten für Jeff Bridges mildernde Umstände, weil er, erstens, Jeff Bridges ist. Zweitens doch schon immer gesungen hat. Und, drittens, das Album Jeff Bridges ziemlich großartig geworden ist. Weiter„Es gibt immer ein Pferd, das noch geritten werden muss“

 

Der wunderbare Blues-und-Boden-Sound

Zu Wim Wenders‘ „Pina“ steuerten sie ein Stück bei. Nun bringen Hazmat Modine ihr neues Album „Cicada“ heraus: Es wurzelt tief im amerikanischen Humus.

© Jaro

Hazmat Modine ist das Ding aus den Sümpfen. Ein urzeitliches Dschungelmonster, das mit langen Krallen Mangrovenwurzeln im Mississippidelta aushöhlt, um mit Zuckerrohratem brünftige Balzgesänge hindurchzuröhren. Weiter„Der wunderbare Blues-und-Boden-Sound“

 

Mundharmonika an Tofu

Die Gruppe Laub sitzt nicht am Mississippi, sie wandelt zwischen hohen Bürogebäuden im renovierten Berliner Osten. So klingt ihre Musik auch anders als der Blues der Alten

Laub Deinetwegen

In einer Ecke des spärlich beleuchteten Raums sitzt John Lee Hooker, in einer anderen Muddy Waters. Hooker atmet kurz durch, greift nach seiner Gitarre und daddelt drauflos. Das Instrument legt sich an seinen Körper, sie winden sich umeinander. Ein paar Versuche, dann grinst er zufrieden und schickt Waters eine launische Tonfolge hinüber. Er macht eine Pause und schaut den Klängen hinterher. Es dauert eine Ewigkeit, bis sie angekommen und vollkommen verklungen sind. Dann Waters, er spielt das Echo, fünf, sechs Mal und beginnt sanft zu variieren. Schließlich schickt er die Töne umgeordnet zurück, ein bisschen schlampig vielleicht. Dazu murmelt er ein paar Zeilen, „All you people, you know the Blues got a soul, well this is a story, a story never been told, well you know the Blues got pregnant, and they named the baby Rock’n’Roll“.

Das muss lange her sein. Der Rock’n’Roll ist im Rentenalter. John Lee Hooker ist seit sechs Jahren tot, Muddy Waters seit 25. Und der Blues? Spielt den heute noch jemand, der unter 60 ist? Ja! Laub aus Berlin tun das. Vier Alben lang ließen die Dichterin Antye Greie und der Gitarrist Jotka elektronische Musik zu lyrischen deutschen Texten hören. Während der Aufnahmen zur fünften Platte Deinetwegen entdeckten sie den Blues und spielten ihn, spielten mit ihm. Die Elektronik gaben sie nicht auf, so sind sie weniger die Pfleger des Blues als seine Heiler, die ihm mit Frischzellen kommen.

Ein dumpfer Schlag eröffnet das Album und das Stück Covering. Ein paar Saiten werden gestreichelt, eine dunkle Stimme ruft etwas, das wie I know her klingt. Langsam bilden die Töne Muster, die Schläge werden rhythmischer, das Stück bekommt Struktur. Das ist astreiner Blues, einfach und traurig. This Way, empfiehlt die Stimme. Schließlich wird das Gitarrenmuster zersägt, im Hintergrund knackt’s. Blues und Elektronika fließen zusammen, eine Frauenstimme singt die Tonfolge der Gitarre, „Dadldidau, Dadldidau“.

Und der Blues steckt nicht nur in den Gitarren. Antye Greie spielt mit den Worten, dreht und wendet sie, variiert Wortfolgen. Sie singt kaum, stellenweise rezitiert sie. Assoziative Wortfolgen schickt sie durch den Raum und horcht ihnen nach. Es geht um Alltägliches, Liebe, die Bestellung beim asiatischen Imbiss gegenüber: „Während ich warte auf mein verschrumpeltes Tofu und mir das Gehirn zerkrümle über Politik in Musik und wozu, fragt ein sechs Jahre alter Junge am Nebentisch seinen Papa, »Sag mal, sind Augen auch aus Chemie?« Mir wird klar, und wie, und wie, darüber hatte ich und auch der Vater so konkret noch nicht nachgedacht. Mit meiner fünf Euro Plastetüte Natriumglutamat zieh ich mir ’ne Lucky aus’m Automat und ’ne DVD aus’m Megastore. Ich schieb die DVD in mein Powerbook und mir die Nummer 21 vom Asi rein.“ Manche Texte wenden sich ins Bittere, andere sind sehr poetisch. „Seitdem sah ich dich untergehen, wie die Titanic – erst langsam, dann plötzlich – warst du weg, alles andere war noch da, der Schnee, die Stadt, deine Frau, dein Kind“, heißt es in Schnee.

Laub beherrschen das für den Blues typische Spiel mit Zitat und Variation. In Analog wiederholt Antye Greie Mal um Mal die Worte „Boom Boom Boom“, so heißt ein Lied John Lee Hookers, und so heißt auch ein Blues-Club in San Francisco. Das Stück Ruf erhebt sich aus den klagenden Lauten einer Mundharmonika. Viele der von Jotka eingespielten Gitarrenschnipsel auf der Platte klingen sehr alt und irgendwie bekannt. Sie sind handgemacht, nur an wenigen Stellen bearbeitet. Alles andere ist elektronisch erzeugt.

Klar, Laub sitzen nicht am Mississippi, sie wandeln zwischen hohen Bürogebäuden im renovierten Berliner Osten. Sie schuften nicht auf Baumwollfeldern und hängen nicht im Strafgefangenenzug, sie erzählen von sinnloser Telekommunikation, Beziehungsproblemen und kapitalistischen Lebensverhältnissen, auch irgendwie zermürbend. Der Blues passt gut in die hektische Welt der Schönen und Erfolgreichen am Prenzlauer Berg.

„Deinetwegen“ von Laub ist als CD erschienen bei AGF Producktion

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Flanger: „Spirituals“ (Nonplace 2005)

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Im Bitfrühschoppen

Über die Jahre (20): Wo kommt nun diese Musik her? „Spirituals“ von Flanger taucht New Orleans in Elektronik und bringt Partys zum Durchstarten

Flanger Spirituals

Es gibt Platten, die man gleich mag, eine Weile ausschließlich hört und die sich dann allmählich durch Begeisterung erschöpfen. Es gibt andere Platten, die erst nach dem dritten oder vierten Mal so richtig zünden und sehr, sehr lange bei einem bleiben. Die schnellen wie die langsamen Lieblingsplatten – sie sind selten, und man freut sich, wenn man gelegentlich eine gefunden.

Noch rarer sind die Favoriten einer dritten Kategorie: Man mag sie im Nu, auf lange Zeit, und sie gewinnen auch späterhin noch. Solche Platten sind sehr kostbar; man muss sie hüten, niemals verleihen – aber man darf natürlich von ihnen schwärmen, zumal in dieser Rubrik, die Musik nicht als Obst betrachtet, sondern als eine Sache von Dauer.

Wer kennt Flanger? Es ist das bikontinentale Duo aus dem Kölner Elektronik-Mischer Burnt Friedman und dem nach Südamerika ausgewanderten Frankfurter Uwe Schmidt, einigen vertraut als Señor Coconut durch seine Latino-Versionen von Kraftwerk-Titeln; zuletzt war er vergangenen Herbst mit eigenem Orchester in deutschen Landen auf Tournee.

Beide Musiker sind ohne eigentliche Instrumente: Sie drehen an Knöpfen, bis es uns die Köpfe verdreht und wir glauben, gar nicht mehr richtig zu hören. Flanger macht Musik, die den Kopf anspricht und in die Beine geht, auch das extrem selten.

Auf Spirituals, ihrem vierten Album, das im Jahre 2005 erschien, widmen sich die beiden Computermusiker dem Blues und dem Oldtime Jazz, damals wie jetzt nicht eben top-angesagten Richtungen. Was sie aus dem teils schwerblütigen, teils frühschoppigen Material machen, ist ohne Beispiel: eine durch und durch beschwingte Bit-Musik, die auf Anhieb funktioniert, ihre Wirkungsweise aber nur nach und nach preisgibt. Music Is Our Secret Code heißt treffend ein kurzes der insgesamt zwölf Stücke: Was hier in der Tiefe los ist, erschließt sich erst bei genauem, wiederholtem Hören.

Schein und Sein – es gibt Klavier, Gitarre, Schlagzeug, hier und da wird Klarinette gespielt oder sogar gesungen, aber es ist wie auf einem Bild David Hockneys: Das Haus mit den Palmen mit dem Pool mit der Wasseroberfläche ist nur Farbe auf Untergrund, die sich aufgekratzt als Illusion überführt.

Die Gitarrenlinie auf Music Is Our Secret Code, sie wird an manchen Stellen elektronisch angehalten, mikroskopisch repetiert, dann geht es weiter, als wäre nichts gewesen.

Das Tolle daran ist: Die feinsinnige Reflexion über das Medium beeinträchtigt die Tanzbarkeit nicht. Wer gelegentlich Platten auflegt, um Abende in Schwung zu bringen, kann mit Flanger zu vorgerückter Stunde jede Party zum Kochen bringen, obwohl die Stücke keine seit langem bewährten Kracher sind.

Die Ästhetik dieses rückwärtsgewandten Albums ist dabei absolut zeitgemäß. Wer den Anschluss an aktuelle Musik vor Jahren oder Jahrzehnten verloren hat, hier kann er wieder einsteigen.

Und von wegen New Orleans: Für diesen Blues gibt es keinen rechten Ort mehr; seine Heimat liegt in den Platinen.

„Spirituals“ von Flanger ist im Jahr 2005 als CD und LP erschienen und erhältlich bei Nonplace

Hören Sie hier das raffinierte „Music Is Our Secret Code“ und den Hit „Peninsula“

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(19) DAF: „Alles ist gut“ (1981)
(18) Gorilla Biscuits: „Start Today“ (1989)
(17) ABC: „The Lexicon Of Love“ (1982)
(16) Funny van Dannen: „Uruguay“ (1999)
(15) The Cure: „The Head On The Door“ (1985)
(14) Can: „Tago Mago“ (1971)
(13) Nico: „Chelsea Girl“ (1968)
(12) Byrds: „Sweetheart Of The Rodeo“ (1968)
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(10) Herbie Hancock: „Sextant“ (1973)
(9) Depeche Mode: „Violator“ (1990)
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(7) Tim Hardin: „1“ (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: „Reformhölle“ (1992)
(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
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(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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