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Einfach nur M.

Der Kalifornier Matt Ward landet immer knapp neben dem Geschmack des großen Publikums. Auf „Hold Time“ sprengen Streicherwolken, Skiffle-Rhythmen und Surferchöre die Grenzen des schlichten Gitarrenliedes
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Kakophonie? Nie!

Garda aus Dresden loben das Durchgedrehte, die Wärme, und vor allem die Melodie. Einen besseren Titel als „Die, Technique, Die“ hätten sie ihrem Album nicht geben können

Jeden Sonntag gibt’s im Folkmusikhuset auf der ruhigen Insel Skeppsholmen mitten in Stockholm einen Liederabend. Mal dreißig, mal einhundert Menschen spielen volkstümliche schwedische Melodien auf akustischen Instrumenten. Zu Kaffee und Kuchen, Würstchen und Wein wandelt man durch die Räume. Wo es gut klingt, bleibt man und lässt das eigene Instrument erschallen – wenn es gerade passt. Bevor das Pusten, Streichen, Orgeln und Klöppeln zur Kakophonie verkommt, nehmen sich die Musizierenden zurück und stampfen den Takt oder holen sich ein neues Getränk. Trotz der Vielzahl der Klänge bleiben die Melodien klar. Oft tönt es vier, fünf Stunden beinahe ohne Unterbrechung durch die guten Stuben. Viele Gäste lauschen auch einfach nur den warmen Klängen. Das ist echter Weird Folk.

1000 Kilometer südlich von Stockholm musiziert das Dresdener Kollektiv Garda. Und es klingt, als hätten die neun Musiker die Schule des Volksmusikhauses in Skeppsholmen durchlaufen. Ihr Album Die, Technique, Die schwingt in der Stimmung der sonntäglichen Zusammenkunft. Akustische Instrumente raunen ungezwungen im Chor und versprühen den Charme des Improvisierten. In elf Liedern loben Garda das Durchgedrehte, die Wärme, und vor allem die Melodie. Einen besseren Titel als Die, Technique, Die hätten sie ihrem Album nicht geben können.

Entstanden ist die Band um den Sänger und Gitarristen Kai Lehmann und den Schlagzeuger Ronny Wunderwald, die beiden sind als einzige auf Die, Technique, Die fast immer zu hören. Um sie herum scharen sich sieben Freunde: Akkordeon und Klarinette, Cello und Horn, Klavier und Kontrabass erklingen, aber immer nur dann, wenn es nötig ist. Die Gruppe hatte vor, im Wohnzimmer ein bisschen zu experimentieren – und plötzlich war da eine Magie, die sie zu einem Kollektiv schweißte. Die Magie ist auch auf dem Album gegenwärtig.

Neun Leute könnten dick auftragen, Garda sparen sich das. Verschwenderisch mutet die Kargheit mancher Lieder an, etwa beim Titelstück oder bei Mistakes And Failures: Zwei Gitarren und das Klöppeln auf dem Korpus begleiten die melancholische Stimme von Kai Lehmann, dann quietschen die Saiten, es ertönt das Klavier. Dann die Klarinette. Jedes Instrument spielt trägt nur eine Kleinigkeit bei, schließlich ist der Klang aller Reduktion zum Trotz doch warm und voll.

Und so wie die Menschen manchmal das Folkmusikhuset mit dem Gefühl verlassen, etwas Besonderes geschaffen oder gehört zu haben, so lebt auch Die, Technique, Die viel länger, als seine Lieder zu hören sind.

„Die, Technique, Die!“ von Garda ist auf CD und LP bei Schinderwies/KF Records/Broken Silence erschienen.

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Urwüchsig amerikanisch

Blitzen Trapper ziehen dem Folk-Rock das Fell über die Ohren: Auf ihrem neuen Album Furr singt die Band knorrige Loblieder auf das Leben in der Wildnis

Auf dem Autorücksitz liegt eine alte Decke, sie liegt da schon lange. Über die Jahre ist sie ausgeblichen, sie hat Brandflecken und ist am Saum eingerissen. Die Decke verströmt den Geruch von Feuerholz und trockenem Meersalz – und den eines nassen Hundes. Das erinnert an Urlaub, an lange Sommertage und Nächte unter freiem Himmel. Heute würde man sich nur noch im Notfall in diese Decke hüllen, um sich warm zu halten. Aber wegwerfen? Nie im Leben.

Die Musik der Band Blitzen Trapper aus Portland ist ein bisschen wie so eine alte Decke auf dem Rücksitz: Sie erinnert an etwas Schönes, das längst vergangen ist. Auf ihrem neuen Album Furr singt die Band ein knorriges Loblied auf das Leben in der Wildnis. Ähnlich wie die bärtigen Kollegen von den Fleet Foxes zelebrieren Blitzen Trapper die rückwärts gewandte Kauzigkeit, die schon im Bandnamen mitschwingt. Sie sind noch verschrobener als die ätherischen Fleet Foxes, sie musizieren wie eine Rockband, die zwischen Blockhütte und Garage hängen geblieben ist.

Klang ihr letztes Album Wild Mountain Nation noch wie ein Mixtape, haben Blitzen Trapper nun viel Zeit auf die Gestaltung eines kohärenten Klangs verwendet: Die Band ist gereift. Aufgenommen wurde Furr im bandeigenen Tonstudio, einer ehemaligen Telegrafenstation am Willamette River. So viel uriges Amerika schlägt sich auch in den Liedern nieder: Stellenweise klingen Blitzen Trapper, als kühlte auf dem Fensterbrett noch der Apfelkuchen aus, bevor es zur Rentierjagd ginge. Denn Furr ist eine durch und durch amerikanische Angelegenheit. Aus der Nachbarhütte tönen Neil Young, The Band, die Grateful Dead und ein spätsommerlicher Bob Dylan durch das offene Fenster herein. Von Pavement haben sich Blitzen Trapper das Talent für unvorhersehbare Melodien geliehen.

Und die Band wagt mehr, als es zunächst den Anschein hat. Da ist zum einen das Instrumentarium des gestandenen Folk-Rock: Steelguitar, Mundharmonika und Akustikgitarren. Das Schlagzeug scheppert wie dreckiges Geschirr im Spülbecken. Aber dann schleichen sich billige Keyboards und psychedelische Ausbrüche ein. Und das wahnwitzige Medley Echo / Always On / EZ Con endet in einem funkensprühenden Disco-Groove. Eine Spannung durchweht das Album, Blitzen Trapper ziehen dem Folk-Rock das Fell über die Ohren.

Die Bilder, die sie in ihren Texten entwerfen, sind dabei so pastoral wie ein Gemälde der Hudson River School. Es sind vor allem Lagerfeuer-Anekdoten und Hinterwäldler-Schnurren, die der Sänger Eric Earley erzählt. Er singt von mordenden Cowboys und gestohlenen Pferden (Black River Killer) und vom einsamen Umherstreifen in Wald und Flur (Stolen Shoe & A Rifle). Im Titelstück nimmt die ländliche Romantik märchenhafte Züge an: Earley besingt die Geschichte eines Jungen, der von Wölfen erzogen wird. Seine große Liebe findet er unter den Menschen und kehrt dennoch in die Wildnis zurück. Zu sanftem Folk-Rock erklingen Naturgeräusche und Wolfsheulen.

Solche bewegenden Momente bewahren Furr davor, zu einem nostalgischen Jux zu verkommen. Bei all der guten Laune und dem urwüchsigen Charme hat die Band eben auch die kritische Menge zerbrechlicher Töne getroffen. Dazu gehören vor allem Lady On The Water und das umwerfende Not Your Lover, akustische Lieder in denen plötzlich dieser vertraute Geruch herüberweht. Ach, ja, die alte Decke auf dem Rücksitz. Die könnte auch mal gewaschen werden. Aber wenn sie doch so gut riecht!

„Furr“ von Blitzen Trapper ist auf CD und LP bei Sub Pop/Cargo erschienen.

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Däumlinge heben den Zeigefinger

Die Welt geht zugrunde, und die drei Bowerbirds aus North Carolina zwitschern dagegen an. Walther von der Vogelweide hätte seine Freude dran gehabt

Es raschelt im Gras, da erhebt sich etwas über die Halme. Still! Hören wir ein bisschen zu, horchen wir auf den Balzruf dieses unbekannten Vogels.

Ein Abgleich mit dem Handbuch der Hobby-Ornithologen verrät: Es ist ein seltener Laubenvogel, verwandt mit dem Paradiesvogel. Er ist anderen Sängern nicht nur um drei Armschwingen voraus, nein, auch sein Gehirn ist größer als das der Artgenossen. Ach, auf Englisch heißt er Bowerbird.

Da! Jetzt! Unter seinen prächtigen Fittichen kriecht ein Däumlingspaar hervor, noch ein dritter kommt hinzu. Sie singen ein Lied mit Akkordeon, Gitarre und großer Trommel. Der Däumlingsmann zwitschert von zwitschernden Grasmücken und Spatzen, wie sie ihre zarten Stimmen erheben gegen die donnernden Eisenpferde auf der Autobahn.

Ja, die drei Däumlinge, nennen wir sie ruhig Bowerbirds, halten mit ihrer Klage nicht hinter der Schallschutzmauer. Fahrlässig gingen die Menschen mit der wunderreichen Natur um. Der Anführer des Trios, Phil Moore, zupft die Saiten und trägt pathetische Worte im luftigen Klanggewand vor: „There is hate in the grip of our human hands.“

Aber man kennt das ja von Kobolden, Klabautermännern und Däumlingen: Stets wollen sie das Gute – dem Geschöpf die leidige Existenz erleichtern. Da schwingt auch mal der Zeigefinger. Besonders in Amerika, der Heimat unserer Drei, haben sich viele dieser regressiven Enthusiasten versammelt. Man nennt sie das Folk-Volk.

Hierzulande, da Naturkunde bereits im Kindergarten unterrichtet wird, vermögen die Einsichten der Bowerbirds kaum zu überraschen. Wer ihrer Moral überdrüssig ist, schalte sein Sprachzentrum aus und erfreue sich an der Musik:

Beth Tacular schlägt die Standpauke, es rasselt der Schellenkranz, Geigen zittern im Wind. Phil Moore erhebt seine feine Stimme über den Lautenton. Die Instrumentierung ist schlicht und analog wie ein Holzpantoffel, doch wallt das Gefüge in frischen Brisen. Der Gesang – mal monodisch, mal im Chor – nimmt sich alle Freiheiten in Melodie und Rhythmus.

Hymns For A Dark Horse heißt die erste Liedersammlung der Bowerbirds. Hymnen auf den Wind in den Weiden, der dem Hörer eine Handvoll singender Flöhe ins Ohr weht, die so schnell nicht wieder herauskrabbeln. Beinah klingt das Trio wie eine fahrende Renaissance-Kapelle. Walther von der Vogelweide wäre zweifellos mit ihnen gereist, nicht nur ihres Namens wegen.

Wie alt werden Däumlinge eigentlich? Möglicherweise haben diese Drei gar schon 700 Jahre auf dem Buckel! Keine Frage, sie wünschen sich zurück in eine Zeit, in der die Menschen noch wussten, wie sehr sie auf die Natur angewiesen sind. Der Zivilisationsprozess hat dieses Wissen zu einer Ahnung verkümmern lassen, so geht die Welt zugrunde. Das ist ihre Botschaft. Vielleicht nimmt Al Gore sie unter seine Fittiche.

„Hymns For A Dark Horse“ von Bowerbirds ist auf CD und LP bei Dead Oceans/Cargo erschienen.

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