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So rechtsextrem war 2018

 

Rechtsrock-Festivals, Bürgerwehren und angsteinflößende Neonazimobs: Auch 2018 haben Rechtsextreme versucht, fremdenfeindliche Stimmungen in Deutschland für sich zu nutzen – und das Klima weiter anzuheizen.

Fremdenfeindlichkeit: So rechtsextrem war 2018: Besucher des Ostritzer Neonazifestivals im April © Henrik Merker
Besucher des Ostritzer Neonazifestivals im April © Henrik Merker

Nicht, dass damit zu rechnen gewesen wäre – doch auch im abgelaufenen Jahr hat sich das Klima von Fremdenfeindlichkeit und Aggressivität in Deutschland nicht abgekühlt. Neonazis haben mit etlichen Aktionen versucht, die Bevölkerung hinter sich zu bringen. Zugleich feierte sich die Szene selbst mit Musikfestivals, die teils Tausende Besucherinnen und Besucher anzogen. 2018 hat gezeigt: Der Rechtsextremismus ist und bleibt eine Gefahr für unsere Gesellschaft. Hier im Störungsmelder haben wir das Treiben der Szene dokumentiert.

Januar: Neonazigruppe löst sich auf

Die rechte Szene kämpft mit Nachwuchsproblemen. Das dürfte jedoch nicht der Grund dafür sein, dass sich zu Jahresbeginn die rechtsextreme Gruppe Kollektiv Nordharz aus Niedersachsen auflöste – wohl aus Furcht vor einem Verbot. Kurz darauf gründete die Partei Die Rechte einen Großkreisverband Süd-Ost-Niedersachsen. Offenbar ein taktisches Manöver: Die Rechtsextremisten wollen den rechtlichen Schutzmantel des Parteienstatus nutzen, um sich am bundesweiten Naziaufmarsch Tag der deutschen Zukunft zu beteiligen – dort hatten sich Funktionäre der Partei immer wieder maßgeblich beteiligt.

Demonstrationen dieser Art sind für Journalisten gefährlich: Störungsmelder-Autorin Ney Sommerfeld wurde auf einer Veranstaltung in Cottbus angegriffen und bespuckt. In einem Interview berichtet sie von dem Vorfall.

Februar: Holocaust-Leugnerin Haverbeck muss ins Gefängnis

Fremdenfeindlichkeit: So rechtsextrem war 2018: Ursula Haverbeck © Bernd Thissen/dpa
Ursula Haverbeck © Bernd Thissen/dpa

„In Auschwitz hat es keine Vergasungen gegeben. Auschwitz war kein Vernichtungslager.“ Für Äußerungen wie diese wurde die heute 90 Jahre alte Rechtsextremistin Ursula Haverbeck zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt. Im Februar wies das Oberlandesgericht Celle ihre Revision gegen das Urteil zurück, die Strafe wurde rechtskräftig. Im Mai sollte sich Haverbeck zum Haftantritt im Gefängnis Bielefeld-Senne stellen – blieb aber daheim im nordrhein-westfälischen Vlotho. Wenige Tage später wurde sie dort festgenommen und in die Haftanstalt gebracht. Die rechte Szene reagierte mit Solidaritätsaufmärschen für die vermeintliche Märtyrerin.

März: Die AfD und die Rechtsextremen

Offiziell grenzt sich die AfD von Rechtsextremisten ab. In der Praxis dagegen übt sie immer wieder den Schulterschluss mit Neonazis. So gab es im März eine Demonstration im sachsen-anhaltinischen Merseburg, die der AfD-Abgeordnete Willi Mittelstädt angemeldet hatte. Als Einpeitscher fungierte der frühere Blood-and-Honour-Kader Sven Liebich, viele Rechtsextremisten kamen und demonstrierten gegen Flüchtlinge. Kurz darauf wurde bekannt, dass der brandenburgische AfD-Landesvorsitzende Andreas Kalbitz an einem Lager der völkischen Heimattreuen Deutschen Jugend teilgenommen hatte.

Ebenfalls im März löste sich die islamfeindliche Bürgerbewegung Pro Köln auf.

April: Neonazivolksfest in Sachsen

Für Neonazis dürfte das Rechtsrock-Festival Schild und Schwert zu den Höhepunkten im Kalender gezählt haben. Am Geburtstag von Adolf Hitler, dem 20. April, trafen sich rund 1.000 Rechtsextreme im sächsischen Ostritz, um zu feiern. Am Rande des volksfestartigen Events griffen Teilnehmende Journalisten an, die Polizei war teilweise überfordert. Veranstalter war die Neonazigröße Thorsten Heise, neben ihm ließen sich Vertreter der NPD blicken. Für die Partei war das Festival eine große Propagandashow.

Mai: Flagge zeigen gegen rechten Aufmarsch

Alljährlich wollen Neonazis den Tag der Arbeit am 1. Mai für ihre Zwecke nutzen. Im sächsischen Chemnitz demonstrierte die radikale Partei Der III. Weg – statt mit Arbeiterparolen allerdings mit unverhohlenem Hass: Demonstranten skandierten Sprüche wie „Ausländer raus“ und „Nationaler Sozialismus“. Ein Zeichen gegen die Rechten setzen rund 4.000 Gegendemonstranten, dazu gab es ein großes Konzert.

Juni: Riesige Nazifeier in Themar

Fremdenfeindlichkeit: So rechtsextrem war 2018: Holzkreuze erinnern an die Todesopfer rechter Gewalt
Holzkreuze erinnern an die Todesopfer rechter Gewalt © Jonas Miller

Seit im vergangenen Jahr 6.000 Besucherinnen und Besucher zum Rechtsrockkonzert im thüringischen Themar gestürmt waren, ist der 3.000-Einwohner-Ort bundesweit bekannt. In diesem Jahr fiel das von der NPD organisierte Festival kleiner aus, war mit 2.200 Besuchern aber immer noch riesig. Der Andrang zeigt: Thüringen mausert sich zum zentralen Anlaufpunkt der rechten Musikszene in Deutschland, jedes Jahr finden dort Hunderte Veranstaltungen brauner Couleur statt. In Themar protestierten Aktivisten, indem sie Kreuze mit den Namen von Todesopfern rechter Gewalt nahe dem Gelände aufstellten.

Berichtet haben wir im Juni auch vom Freispruch für einen Betreiber eines Rechtsrock-Labels und einer judenfeindlichen Gewaltserie in Dortmund.

Juli: Urteil im NSU-Prozess

Am 11. Juli endete nach gut fünf Jahren der Prozess um die rechte Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde wegen Mittäterschaft an den zehn Morden der Vereinigung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Haftstrafen für die anderen Rechtsextremen auf der Anklagebank fielen eher milde aus. Als der Haftbefehl für den Mitangeklagten André Eminger außer Vollzug gesetzt wurde, applaudierten Neonazis auf der Besuchertribüne.

Zu den meistgelesenen Texten dieses Jahres im Störungsmelder gehört unser Bericht über die Umtriebe der NPD im sächsischen Ort Schwarzenberg, der ein größeres Medienecho auslöste. Auch der Gastbeitrag über den Kampf gegen rechte Trolle im Internet wurde von anderen Medien aufgegriffen.

August: Rechter Mob in Chemnitz

Fremdenfeindlichkeit: So rechtsextrem war 2018: Teilnehmer des Neonaziaufmarsches in Chemnitz © Matthias Rietschel/Reuters
Teilnehmer des Neonaziaufmarsches in Chemnitz © Matthias Rietschel/Reuters

Es waren ganz besonders hässliche Szenen, die sich Ende August im sächsischen Chemnitz abspielten: Nach einem tödlichen Messerangriff auf einen Deutschen rotteten sich Tausende Rechtsextreme zu einem angeblichen Trauermarsch zusammen. Teilnehmende stellten Menschen nach, die sie für Migranten hielten, es gab Verletzte. Bei weiteren Aufmärschen in den folgenden Tagen nutzte die AfD die Bühne, um die Stimmung anzuheizen. Aus dem Mob heraus wurden Hitlergrüße gezeigt, Demonstranten riefen „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“. Um die Bewertung der Ereignisse entspann sich ein Konflikt, der Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen den Job kostete.

September: Trauermärsche bundesweit

Nach dem Vorbild von Chemnitz hielten Neonazis im September mehrfach vorgebliche Trauermärsche ab. Im sachsen-anhaltinischen Köthen kamen sie nach dem Tod eines jungen Mannes zusammen, in Mönchengladbach marschierten sie als Reaktion auf den Selbstmord eines Neonazis auf. Für Aufsehen sorgte außerdem eine Demonstration in Dortmund, bei der Neonazis ein linkes Zentrum angriffen und Parolen wie „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ brüllten.

Oktober: Rechte Bürgerwehren verbreiten Angst

Im Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit gibt sich die NPD als Kümmerer und lässt bürgerwehrartige Truppen aus Rechtsextremen in Städten patrouillieren. Die Aktion Schafft Schutzzonen soll angeblich für Sicherheit in Stadtteilen sorgen, die von gewaltbereiten Ausländern beherrscht würden. Tatsächlich will die Partei so Präsenz zeigen – mithilfe der wenigen Anhänger, die ihr geblieben sind. Im Störungsmelder haben wir über Gruppen in Cottbus, Salzgitter und Köln berichtet.

Im Oktober scheiterte außerdem eine Fortsetzung des Rechtsrock-Festivals Rock gegen Überfremdung in Thüringen: Die geplante Veranstaltung platzte, ein Ersatz-Event in der Nähe war kaum besucht und endete in einem Gewaltexzess.

November: Neuauflage des Ostritz-Festivals

Fremdenfeindlichkeit: So rechtsextrem war 2018: Neonazis filmen Journalisten vom Veranstaltungsgelände. © Henrik Merker
Neonazis filmen Journalisten vom Veranstaltungsgelände. © Henrik Merker

Wieder kamen Neonazis im November im sächsischen Ostritz zu einem Rechtsrock-Festival zusammen. Bei dem Event mit rund 750 Besuchern nutzten die Veranstalter eine juristische Lücke, um die Presse von ihren Veranstaltungen fernzuhalten. Für 2019 sind vier weitere Veranstaltungen in Ostritz geplant.

Am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, kam es wie in früheren Jahren zu rechten Demonstrationen. In Berlin wollten Hunderte Rechtsextreme aufmarschieren. Die geplante Mega-Demo wurde jedoch zum Flop: Dem Aufruf des Vereins Wir für Deutschland folgten gerade einmal 70 Teilnehmer.

Dezember: Neonazis vor Gericht verurteilt

Zum Jahresende fällten deutsche Gerichte zwei Urteile über Rechtsextremisten, die mit Gewalt und Terrorismus gegen Flüchtlinge vorgehen wollten. Am 14. Dezember erhielten vier Bamberger Neonazis Geld- und Haftstrafen von bis zu drei Jahren, weil sie einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim geplant hatten. Dazu wollten sie offenbar Feuerwerkskörper verwenden.

Am 18. Dezember verhängte das Berliner Landgericht eine Strafe von zweieinhalb Jahren gegen Mario R. wegen illegalen Waffenhandels. Der rechte Aktivist hatte die Internetseite Migrantenschreck betrieben, bei der Kunden illegal Waffen bestellen konnten. Der Shop richtete sich gezielt an deutsche Kunden und bewarb die Waffen mit rassistischen Sprüchen gegen Flüchtlinge und andere Ausländer. Im Laufe des Jahres war R. in Ungarn festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert worden.

Für Erschrecken sorgte außerdem ein Droh-Fax an eine Frankfurter Anwältin, die Opferangehörige im NSU-Prozess vertreten hatte. Das Schreiben hatten offenbar Polizisten verfasst – ein Hinweis auf ein rechtsradikales Netzwerk innerhalb der Polizei.

Und 2019? Werden die Neonazis und rechten Hetzer in unserem Land weitermachen. Der Störungsmelder mit seinen engagierten Autoren wird hinsehen.