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Tom Waits auf Mango-Cola

Vert hatte seine neue Platte fast fertig, da stahl man ihm den Computer. Sein mutiger Neuanfang heißt „Some Beans & An Octopus“ und ist eine Revue mit Vibrafon, Orffschen Instrumentierungen, mehrstimmigem Gesang, Rap und Quietscheenten

Cover Sundet

Viele Musiker behaupten, Genrebegriffe wären nur Werkzeuge für Journalisten. Wie die Rohrzange für den Klempner. Und Elektronik kein Genre, sondern eine Herangehensweise, eben auch nur ein Werkzeug. Mit Computern und Samplern lässt sich schließlich vieles anstellen: Techno, HipHop, Tango, Rock, Klassik, wahrscheinlich gibt es sogar ein Programm, das Alphorn spielen kann.

Adam Butler hat unter dem Namen Vert drei Platten mit avantgardistischer Elektronik aufgenommen. Dann hat man ihm sein Werkzeug entwendet. Einbrecher drangen in sein Studio ein und nahmen Computer und Mischpult mit. Mit dem Computer ging die Festplatte, mit der Festplatte die Entwürfe für seine neue Platte. Was sollte er tun? Buchhalter werden?

Butler hat einen Neuanfang gewagt. Er heißt Some Beans & An Octopus und klingt überhaupt nicht nach Frust. Schon der Titel klingt phantasievoll und nach einer exotischen Mahlzeit mit Ballaststoffen, Eiweiß und Proteinen. Die Musik bestätigt die Assoziation, greifbarer ist sie geworden, organischer.
Wir hören ein Saxofon und ein Vibrafon, Orffsche Instrumentierungen, mehrstimmigen Gesang, Rap und Quietscheenten. Der Ragtime stolpert auf dem Klavier, Vert entführt uns in einen Saloon der Unterwasserwelt. Eben winkt noch der Titel-Oktopus an der Luke, da gibt es schon wieder Beutelrattenfleisch mit Bohnen. Dazu trommelt ein Elefantenmensch auf Knochen. Ach, und da drüben schlendert Tom Waits vorbei. Er ist nüchtern und hält ein Glas Mango-Cola in der Hand. In welche Schublade passt das bloß hinein?

In gar keine. Some Beans & An Octopus ist eine verschrobene Revue. Hören Sie diese CD am besten in der Badewanne, im Walkman auf dem Weg zum Sonntagsgottesdienst oder beim biodynamischen Gärtnern. Seufzen Sie im Chor zu October. Die Musik hat so viel Charme und Poesie, zeitweise wähnt man sich in einem tschechischen Märchenfilm.

Im Laden wird Some Beans & An Octopus wahrscheinlich dennoch bei „Elektronik“ oder gar „Techno“ zu finden sein, denn da stehen die anderen Platten der Kölner Plattenfirma Sonig.

„Some Beans & An Octopus“ von Vert ist als LP und CD erschienen bei Sonig

Hören Sie hier „Gretchen Askew“ und „October“

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Ein Lob der Künstlichkeit

Die Platten von Koop sind Reisen durch die Jazzgeschichte. Aus Versatzstücken alter Aufnahmen basteln sie organische neue Lieder. Auf ihrem dritten Album „Koop Islands“ zelebrieren sie nun die exotisch schillernden Klänge der dreißiger Jahre

Koop Islands

Oscar Simonsson und Magnus Zingmark aus Stockholm sind Koop. Sie erkunden die Geschichte des Jazz, indem sie alte Stücke auseinandernehmen und neu zusammensetzen. Das machen heute viele? Stimmt. Doch Koop mischen nicht einfach Versatzstücke alter Aufnahmen mit zeitgenössischen Rhythmen. Sie verwenden die Schlagzeugklänge alter Jazzplatten, kombinieren sie und modifizieren sie behutsam. Etwas Neues entsteht, es klingt alt und organisch. Ist es das Material des Schlagwerks, das man da hört?

Die Arrangements sind aufwändig, auch sie kommen aus dem Sampler. Koop verwenden dafür Teile alter Big-Band-Aufnahmen, die sie übereinander schichten. „Wir versuchen, eine Musik zu machen, bei der man nicht unterscheiden kann, ob sie echt ist oder nicht“, erklärt Oscar Simonsson. „Wir versuchen, eine Illusion zu erschaffen.“

Ihre bisherigen Platten bedienten sich beim skandinavischen Cool-Jazz der Fünfziger und bei der Musik von Sängerinnen wie Karin Krog und Monica Zetterlund. Koop Islands geht nun weiter zurück in die Geschichte. Man assoziiert exotisch geschmückte Cocktail-Bars. Und Broadway-Shows, in denen Männer in Zoot-Suits und knapp bekleidete Frauen zu Südsee-Folklore tanzen. Und Jazz, der hemmungslos bei den Stilen wildert.

Bereits in den achtziger Jahren spielte August Darnell mit solch exotischen Illusionen. Seine bunten Showtruppen Dr. Buzzard’s Original Savannah Band und Kid Creole & The Coconuts waren die trojanischen Pferde für seine satirischen Texte. Selten war Disko-Musik so überkandidelt und zynisch zugleich.

Koop sind keine Zyniker. Ihre Musik ist aus der Liebe zum Jazz geboren. Mit Yukimi Nagano haben sie eine begnadete Sängerin gefunden. Und Rob Gallagher, bekannt als Galliano, darf auf der Platte seine Poesie vortragen. Wie August Darnell spielen Koop auf Camp an, das sieht man auf den Plattenhüllen. Auf Koop Islands posieren die beiden Musiker stark geschminkt in Frauenkleidern im Stil der dreißiger Jahre. Das Verkleiden und Posieren betreiben sie bei all ihren DJ-Auftritten, Konzerten und Interviews. Ihre Musik bezeichnen sie als weiblich. Das Machogehabe der Rockszene ist ihnen ein Gräuel, ebenso der damit verbundene Wunsch nach Authentizität. Koop Islands ist ein Lob der Künstlichkeit und der Vielschichtigkeit.

„Koop Islands“ von Koop ist als LP und CD erschienen bei Compost

Hören Sie hier „Whenever There Is You“

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Geschichten aus der Vorstadt

Saxofonist und Rapper? Doch, das passt. Soweto Kinch erzählt auf „A Life in the Day of B19: Tales of the Tower Block“ Geschichten aus den Vorstädten Birminghams und holt die Alltagskultur in den Jazz zurück

Soweto Kinch B19

„Tower blocks“ heißen in England die unansehnlichen Hochhäuser aus den sechziger Jahren. In Birmingham, wo der Altsaxofonist Soweto Kinch seine Jugendzeit verbrachte, standen im riesigen Neubaukomplex „Castle Vale vierunddreißig solcher Blocks. Das größte soziale Wohnungsbauprojekt Europas in Englands größter Einwandererstadt scheiterte. Die riesige Siedlung verkam. Jugendliche machten einen Sport daraus, sich auf dem Dach des höchsten Blocks aus beim „joy-riding“, dem Kaputtfahren geklauter Autos, anzufeuern. Heute ist die Gegend saniert, nur zwei Hochhäuser stehen noch.

Von einem „tower block“ in Birminghams Postbezirk B19 erzählt Soweto Kinchs neue CD. Mit seiner Verbindung von Jazz und HipHop wird er Puristen auf beiden Seiten vergraulen. Er bedient sich gekonnt mal hier, mal da. Sein Spektrum reicht von der gefühlvollen Jazzballade (Adrian’s Ballad, mit einem wunderschönen Solo von Kinch am Altsaxofon) bis zum jazzig instrumentierten Rap. Seine Gruppe – Bassist Michael Olatuja, Gitarrist Femi Temowo und Schlagzeuger Troy Miller – swingt ideenreich durch die Stücke.

A Life in the Day of B19: Tales of the Tower Block ist ein Konzeptalbum. Die Stücke begleiten drei Hauptcharaktere: den Jazzmusiker S, den Möchtegern-Rapper Marcus und den Busfahrer Adrian. Ihre Lebenswege kreuzen sich auf der Straße, auf dem Arbeitsamt, bei einem Konzert. Ihre Unterhaltungen – so genannte „skits“ – geben der Platte den Charakter eines Hörspiels. Schade, dass Kinch manchmal zusätzlich eine Erzählstimme einbaut. Die märchentantige Intonation von Moira Stuart – sie war 1981 Großbritanniens erste schwarze Nachrichtensprecherin im BBC-Fernsehen – ist ein Fremdkörper.

Davon abgesehen ist B19 ein überzeugendes Werk. Kinch verbindet den Jazz mit Alltagskultur und öffnet ihm neue Räume. Das Album ist der Auftakt einer Serie: Im März erscheint Basement Fables, der zweite Teil der Musikgeschichten aus Birminghams Hochhäusern.

„A Life In The Day Of B19: Tales Of The Tower Block“ von Soweto Kinch ist als CD erschienen bei Dune

Hören Sie hier „Love Gamble“

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Passiert da noch was?

Die Early Day Miners machen ruhige, melancholische Gitarrenmusik. Ihr neues Album „Offshore“ besteht aus sechs Variationen eines Stückes. Das ist unterhaltsam,­ wenn man genau hinhört

Cover Early Day Miners

„Sag mal…“. Meine Freundin steht im Türrahmen und sieht mich wütend an. Dann schaut sie hinüber zum CD-Spieler, in dem sich Offshore dreht, das neue Album der Early Day Miners.
„Hat die CD einen Sprung?“
„Das soll so.“
„Aha.“

Sie schaut auf die Digitalanzeige, auf der inzwischen die vierte Minute des ersten Stücks, Land Of The Pale Saints, heruntertickt.
„Passiert da auch noch was?“
Das Schlagzeug hält stoisch den Rhythmus, der Bass grollt und zwei Gitarren schraddeln immergleiche Akkorde. Wie in einer Zeitschleife, neun Minuten lang.
„Nein, erst im nächsten Stück“, antworte ich zögernd.
Meine Freundin seufzt: „Oh, wie langweilig.“
Ist es nicht.

Die sechs Stücke des Albums sind Variationen eines älteren Liedes mit dem Namen Offshore. Jedes kreist um einen Aspekt des Ursprungsstücks, um ein Gitarrenriff, einen Rhythmus, eine Textzeile, einen Basslauf. Hier und da greift die Band Spielereien auf, die damals nicht hineinpassten. Das Album Offshore sei der „Director’s Cut“, die lange Version des alten Liedes, sagt Sänger und Schreiber Daniel Burto. Nahtlos sind die Stücke aneinander gefügt.

Shoegaze nennt man ihre Musik, weil die Musiker auf ihre Schuhe und die vielen Effektpedale starren und ansonsten dastehen, wie in den Boden gerammt. Ihre Musik hat andere Strukturen, als Pop- oder Rocksongs: keine Strophe, keinen Refrain, sondern zittrige Klangwände aus Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug.

Die vier amerikanischen Musiker schlafwandeln in ihren Melodien. Wer ihnen folgen will, muss geduldig sein. Dann entdeckt man, wie fein ihre Lieder perforiert sind, wie viele kleine Ideen in ihnen stecken. Hier vorne ein Fiepen, da hinten ein Vibraphon, um die Ecke lauert eine Rückkopplung, schließlich hört man nur noch das hypnotische Züngeln aus dem Synthesizer – ehe sie zu der Melodie zurückkehren, auf der alle Lieder des Albums basieren.

„Singt der auch mal?“, fragt meine Freundin, die neben ihren Klassenarbeitskorrekturen und Unterrichtsvorbereitungen weder Zeit noch Geduld findet für derartige musikalische Entdeckungsreisen. Immerhin hat sie sich nun hingesetzt.
„Ja“, sage ich. „Aber selten.“

Die meisten Stücke sind instrumental. Wenn Daniel Burton etwas singt, sind es meist lose Sätze, Versatzstücke aus dem alten Song. Wie in Deserter. Dringlich klingt es, wenn er „Everything you chase is empty without faith“ säuselt. In Return Of The Native überlässt er der Folksängerin Amy Webber den Gesang: „I’m losing you to your desires / In hotel rooms with ocean views“, heißt es dort, während das Lied zu einer psychedelischen Country-Nummer wird.

Meine Freundin steht auf. Eine halbe Stunde ist vergangen. Die letzten Töne sind gerade aus den Lautsprechern gedrungen.
„Ich wollte dir vorhin sagen, du sollst leiser machen.“
Pause.
„Aber irgendwie habe ich es vergessen.“

„Offshore“ von den Early Day Miners ist als LP und CD erschienen bei Secretly Canadian

Hören Sie hier „Deserter“

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So für zwischendurch

Man muss nicht immer CDs hören! Wie wär’s mal mit einer Single? Die neuesten Klänge auf klitzekleinem Vinyl: „Breathes The Best“ von Populous

Cover Populous

Übergreifend nennt sich diese Rubrik Tonträger, durchaus mit Bedacht, denn heute ist eine Single dran. Ja, es gibt sie noch, die schwarzen Scheiben mit den mikroskopisch schlingernden Rillen. 45 Umdrehungen in der Minute auf einer maximalen Breite von sieben Zoll. Soeben erscheint bei Morr Music, dem Berliner Haus für Subtiles zwischen den Stilen, eine Minitrilogie von Populous.

Zwei Stücke auf der A-Seite sind kurz und kürzer, eins auf der B-Seite ist etwas länger. Zusammen werden es kaum zehn Minuten sein. Wer es genau wissen will, bemühe die Stoppuhr, denn kein Plattenspieler zeigt die Vinylzeit an. Eine Single hören heißt auflegen, hinsetzen, aufstehen, umdrehen, schon wieder aufstehen. Rechte Muße will nicht aufkommen; wer kauft sich denn sowas?

Dazu gleich mehr (Telefonanruf in Berlin: Recherche).

Zunächst zur Musik, zum Musiker. Der unaussprechliche und kaum weniger schwer zu schreibende Name Populous ist das Pseudonym eines Italieners von Mitte zwanzig, Andrea Mangia. Man darf ihn ausweislich zweier Alben zu den herausragenden Klangtüftlern Europas rechnen und also auch seines Heimatlandes, wobei uns gleich einfällt, dass selbiges zwar Adriano Celentano, Paolo Conte, Gianna Nannini, Lucio Dalla und andere Sangeskünstler (Caruso! Pavarotti! Bocelli!) hervorgebracht hat, jedoch keine international bekannten Löter und Schrauber nach Art von Kraftwerk oder Console.

England hat Autechre, Schottland hat Boards of Canada, Frankreich hat Air und Daft Punk, Portugal hat Rafael Toral, Wien hat Fennesz, Dresden hat Flim, Rostock hat Novisad, Chemnitz hat Raster-Noton und weiß der Tinnitus wen noch!

Italien hat bloß Populous. Seine Platten hat er in Deutschland herausgebracht, das sagt was über beide Länder und wie es um das Hören dort steht.

Populous ist der Maestro Rumoroso vom apulischen Stiefelabsatz aus Lecce, seine warmen Knack- und Knistertöne schichtet er zu einer appetitlichen Lasagne. Quipo hieß sein Debut 2002; eine Platte, die so zurückgelehnt war, dass sie heute noch auf dem Teller liegen kann.

Dann erschien Queue For Love, und nun ist er wieder im Studio gewesen, es kam aber nur wenig heraus, deshalb eine Single.

Die Musik? Elektronika, wortloser HipHop, Soul – wer kann das noch genau bestimmen. Nicht der Knaller schlechthin, aber sehr entspannt und aus dem Geist des Jetzt.

Der Musikverleger Thomas Morr in Berlin (ergibt das Telefonat) hat eine vor Jahren begründete Single-Reihe neu gestartet: „anost“ abbreviert er sie, „a number of small things“, „eine Reihe kleiner Dinge“ – Musik so für zwischendurch.

Die Platten sind liebevoll gehüllt in Arbeiten des Hamburger Gestalters Jan Kruse: Während digitale Speichermedien sich im Innern der EDV unsichtbar machen, stellen sie sich zur Schau.

500 Exemplare gibt es, sie mögen im Laden fünf, sechs Euro kosten; Sammler sind ganz wild danach, denn was weg ist, ist weg und nach gibt’s nichts. Sage einer, Tonträger hätten an Wert verloren, wenn nur von CDs die Rede ist!

Man kann Populous’ zweieinhalbte Platte (die ersten beiden gab es auf Vinyl und CD) als ein Zeichen seines Herannahens lesen: Im nächsten Jahr wird er nach Deutschland kommen und erstmals einige Konzerte geben.

Da gehen wir dann mal hin.

Die Vinyl-Single „Breathes The Best“ sowie die beiden Alben „Quipo“ und „Queue For Love“ von Populous sind erschienen bei Morr Music

Hören Sie hier „Bon Bon Pour Les Rappers“, das zweite Stück der A-Seite

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Die Tränen weggeschmunzelt

Über die Jahre (15): Lustige Instrumente, beschwingte Melodien, bunte Musikvideos: Mit dem Äußeren von „The Head On The Door“ führen The Cure ganz schön in die Irre. Nein, fröhlich sind ihre Lieder über Albträume, Angst und Tod wirklich nicht

Cover Cure

Ich war 14, als ich das erste Mal Liebeskummer hatte. Sie hieß Marie und ahnte nichts davon. Es ihr sagen? Himmel! Ich wusste nicht, wohin mit meinem Frust. Meine Schwester brachte mich auf eine Platte, Disintegration von The Cure. Da heulte mir einer aus der Brust, haderte mit der Welt und den Beziehungen. Genauso fühlte ich mich. Robert Smith – der Sänger und Schreiber der Gruppe – nahm mich und meinen Weltschmerz ernst. Sein Leiden war so echt wie mein eigenes.

Draußen feierte und vereinigte sich Deutschland, an mir ging das vorbei. Ich verbrachte die Herbsttage in meinem Zimmer, dachte an Marie und erforschte Album für Album die Geschichte von The Cure, rückwärts. Ich entdeckte Kiss Me Kiss Me Kiss Me, ein brachiales Album. Damit konnte ich wenig anfangen. Und dann The Head On The Door von 1985. Schon beim zweiten Hören hatte ich mich in das Album verliebt. Disintegration hatte meinen Kummer verstärkt, The Head On The Door fing ihn auf und spielte mit ihm.

Die krakelige, hellblaue Schrift auf der Hülle, die farbenfrohen Musikvideos zu manchen Stücken und die beschwingte Instrumentierung leiten in die Irre. Es ist kein fröhliches Album. „Yesterday I got so old / I felt like I could die“, singt Robert Smith in Inbetween Days. Und „Yesterday I got so scared / I shivered like a child / Yesterday away from you / It froze me deep inside.“ Brrrr. Dazu schrammelt eine warme Akustikgitarre, ein Kinderxylofon dengelt nette Töne, der Synthesizer schrillt. Im drolligen Video zu dem Stück fliegen bunte Socken aus dem Klavier, die Gitarre sprüht farbige Funken. Die Musiker hüpfen überdreht umher. Bei anderen Stücken ist es ähnlich: Worte von Albträumen, Tod und Angst sind unterlegt mit Melodien, die klingen wie Kinderlieder oder Abzählreime. Kling-Klang-Klong, drei Töne runter, Pause, zwei wieder hoch.

Smiths weinerliche Stimme überschlägt sich immer wieder. Manchmal kann er das Lachen kaum unterdrücken, dann wieder heult er wie ein Schlosshund. Nur wenige Stücke sind durch und durch trist. A Night Like This ist die Klage eines Verlassenen, „I watch you / Like I’m made of stone / As you walk away“. Auch The Blood ist ernst und sinister. Das letzte Stück, Sinking, lässt die Platte in Molltönen ruhig ausklingen „I trick myself / Like everybody else / The Secrets I hide twist me inside / They make me weaker“. Die letzte Minute ist Flehen: „If only I could remember / Anything at all.“

Das Spielerische an The Head On The Door berührte mich. Da schien einer Abstand zu gewinnen von seinen Problemen durch ein Schmunzeln, das gefiel mir. Auch er fühlte sich miserabel, heulte nächtelang, verfluchte die Welt und die Menschen. Und dann kloppte er auf ein Xylofon, und alles war etwas erträglicher.

Das Stück Close To Me, sagte Robert Smith damals, sei „pretty much wishing I wasn’t born with a groovy bass line“. Ungefähr so fühlte sich mein Verhältnis zu Marie auch an, schmerzhaft, aber auch komisch. Es dauerte nicht lange, da war ich drüber weg. Ich habe sie schnell vergessen und keine Ahnung, was sie heute macht.

„The Head On The Door“ von The Cure ist erhältlich bei Universal. Zurzeit werden die Alben der Band in chronologischer Reihenfolge als Doppel-CDs mit vielen Bonusstücken wiederveröffentlicht, als letztes „The Top“ (1984), „The Head On The Door“ (1985) und „Kiss Me Kiss Me Kiss Me“ (1987)

Hören Sie hier „Kyoto Song“

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(14) Can: „Tago Mago“ (1971)
(13) Nico: „Chelsea Girl“ (1968)
(12) Byrds: „Sweetheart Of The Rodeo“ (1968)
(11) Sender Freie Rakete: „Keine gute Frau“ (2005)
(10) Herbie Hancock: „Sextant“ (1973)
(9) Depeche Mode: „Violator“ (1990)
(8) Stevie Wonder: „Music Of My Mind“ (1972)
(7) Tim Hardin: „1“ (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: „Reformhölle“ (1992)
(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Ist sie die Tochter von Prince?

Gerade mal 22 Jahre alt ist die Amerikanerin Georgia Anne Muldrow, ihr Debütalbum „Olesi: Fragments Of An Earth“ hat sie ganz allein aufgenommen. Es hüpft von Funk zu Soul zu Rap, überall lauern überraschende Melodien und kuriose Einfälle

Cover Muldrow

Der Auftakt des Albums ist sperrig. Georgia Anne Muldrow singt von der Verzweiflung in New Orleans nach der Flut, von der Wut der Bürger auf die Tatenlosigkeit der amerikanischen Regierung. Rhythmisch drischt sie auf die Tasten: „There’s a mystery of the water that no one knows / There’s a history in this water that they don’t say and they don’t show.“ Aus dem furiosen Stück New Orleans tönt die Energie des Free Jazz.

Singen, spielen, programmieren, produzieren – sie hat es allein gemacht. Nun sind alle Ohren auf sie gerichtet. Gelassen trägt sie ihre Lieder vor, meist ohne laut zu werden. Die Melodien sprudeln aus ihr heraus, sie kann sich sogar den Luxus erlauben, viele Ideen nur anzureißen. Nirgendwo hält sie sich lange auf, Wiederholungen wären Zeitverschwendung.

Und warum auf einen Stil festlegen? Mutig spielt sie mal Soul, mal Rap, mal Funk. Sie öffnet viele Türen, alle nur einen Spalt breit, Neugierde scheint ihr Antrieb zu sein. Die Stücke schweben, warm und nüchtern, und selten lässt sich vorhersehen, wo sie hinführen werden. Die berstend-originelle Georgia Anne Muldrow, ist sie vielleicht eine Tochter von Prince?

Einen klassischen Hit hat das Album nicht, einen Grammy wird es kaum bekommen. Aber dem aufmerksamen Hörer vermittelt es: Dies könnte der Anfang sein von etwas Großem.

„Olesi: Fragments Of An Earth“ von Georgia Anne Muldrow ist als LP und CD erschienen bei Stones Throw/PIAS

Hören Sie hier „Leroy“

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Im weiten Raum zwischen C und Cis

Kaum ein Jazzmusiker hat die Aufbruchstimmung der sechziger Jahre besser eingefangen als der Saxofonist Pharoah Sanders. Vier seiner Stücke versammelt die neue CD „The Impulse Story“

Cover Sanders

Weiße Jacke, weißer Bart und blaues Käppi, das sind die Markenzeichen des Saxofonisten Pharoah Sanders. Die Augen geschlossen, schreitet er auf der Bühne umher, um die Hypnose einzuleiten. Antikommerziell wirkt seine Kunst und gesellschaftlich relevant.

Er hat in seiner Musik den Geist der Sechziger kultiviert. Zittrig, laut und warm ist sie. Seine Zirkularatmung trägt den Ton, Echo-Effekte bewirken, dass sein Instrument noch zu hören ist, wenn er es bereits abgesetzt hat.

In der High School hieß er Farrell Sanders. Er trug schwarze Kleidung, Sonnenbrille und Schal und malte sich einen kleinen Oberlippenbart, um sich in die Jam Sessions der lokalen Jazz-Clubs zu mogeln. Anfang der sechziger Jahre zog er nach New York, wo er zunächst in der Arche von Sun Ra lebte, einer hierarchisch geführten Musikerkommune. Nach zwei Jahren verließ er sie, fortan nannte er sich Pharoah. Er schlug sich durchs Leben, indem auf den Straßen der Stadt für Kleingeld spielte und sich das Blutspenden bezahlen ließ. Als er Mitte der sechziger Jahre von John Coltrane engagiert wurde, lebte er den Free Jazz und hatte nur ein Thema: Saxofonmundstücke.

Pharoah Sanders lebt nüchtern. Er ernährt sich von Obst, raucht nicht, trinkt nicht, nimmt keine Drogen – auch wenn man beim Hören seiner Musik manchmal anderes vermutet. Seine Heimat ist der Raum, der zwischen einem C und Cis liegen kann.

Seine bekannteste Nummer The Creator Has A Masterplan nahm er Ende der sechziger Jahre mit Leon Thomas auf, es ist ein impulsives Stück des New Thing. Thomas, der im Jahr 1999 starb, hatte Botschaften von einem besseren Hier und Jetzt verkündet. Er benutzte seine Stimme wie ein Instrument, seine Jodelklänge bezeichnete er als Soularfone. „Spirits, Peace and Happiness!“, lautete die Parole. Kaum eine Jazzaufnahme hat die Aufbruchstimmung jener Tage so genau eingefangen wie die mehr als 30-minütige Masterplan-Version aus dem Jahr 1969, die sich auf der Sanders gewidmeten CD der Reihe The Impulse Story befindet. Neben Astral Traveling und Spiritual Blessing ist auch Upper Egypt And Lower Egypt von seinem Debüt zu hören – damals hatte er sich gerade als Mitglied des John Coltrane Quintetts einen Namen gemacht.

Pharoah sei ein einziger großer Song, schrieb der schwarze Dichter und Aktivist Larry Neal damals in der Zeitschrift Cricket, er brauche einen Tempel für seine musikalische Predigt.

„The Impulse Story“ von Pharoah Sanders ist als CD erschienen bei Impulse

Hören Sie hier „Astral Travelling“

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Keine Tina, keine Nina

Kurz hinter Hamburg stieg Julia Guther zu, ich habe ihr den ganzen Urlaub über zugehört. Ihre Stimme hallt noch jetzt durch meinen Kopf, immer wieder summe ich mit ihr

Cover Sundet

Drei Wochen fuhr ich in diesem Sommer kreuz und quer durch Schleswig-Holstein und die Ostsee rauf und runter. Wo es mir gefiel, blieb ich mit meinem Camping-Bus stehen, wenn ich mich langweilte, fuhr ich weiter. Etliche Souvenirs habe ich mir mitgebracht, einige unfreiwillig. Ein endlich abklingender Sonnenbrand auf der Nase und im Nacken. Immer noch Sand im ganzen Auto, unter den Sitzen, im Bett. Eine neue Sonnenbrille. Und dann, ja, Julia Guthers Stimme. Ich nahm sie mit, irgendwo zwischen Hamburg und Kiel. Ich drehte meinen alten CD-Spieler lauter und lauter, bis es lauter nicht mehr ging. Ich lauschte ihr Mal um Mal, und auch jetzt hallt sie noch durch meinen Kopf, bringt mich wieder zum Summen.

Julia Guther ist die Sängerin einer Band, die ihren Nachnamen trägt. Gesprochen nicht mit englischem Ti-Äitsch, sondern so, als wäre das h gar nicht da. Ihr neues Album Sundet hatte ich nur dabei, weil es auf dem Weg in den Urlaub aus meinem Briefkasten fiel und ich keine Lust mehr hatte, noch einmal in die Wohnung zu gehen. Sundet ist norwegisch und heißt „Der Sund“, passt ja irgendwie nach Schleswig-Holstein.

Sie hat eigentlich gar nicht so eine Stimme, von der man einander raunend erzählt. Sie klingt nicht nach Ina Deter oder Tina Turner, weder nach Nina Simone noch nach Nina Hagen. Sie ist nicht rauchig, brüchig, düster, schafft aber auch keine fünf Oktaven. Sie ist keine sagenhafte Rockröhre oder Vokalakrobatin und auch kein schüchtern-müdes Indiepop-Stimmchen. Sie liegt so zwischen allem. Was ist also das Besondere an Julia Guther? Keine Ahnung.

Who Was First war das Stück, mit dem sie mich erwischte, der Daumen, der mich zum Anhalten zwang. „Faintly recalling myself, the strength of your voice, how could I convince you, you don’t have to fall silent“, sie singt diese ersten Zeilen zu einer sanft gezupften akustischen Gitarre, gehaucht, aber nicht albern. Eine warme Orgel kommt hinzu, ein Schlagzeug und andere Instrumente. Hinterher erinnert man sich nur an die gesungene Melodie der ersten Zeilen und des Refrains. So ging es mir bei fast jedem Stück. Die Melodien, die hängen bleiben, sind die von ihr gesungenen. Ich singe sie mit und vor mich hin, frage mich zum Glück nur selten, was das alles bedeuten soll.

Sie singt ihre Zeilen, als sei ihr die Musik völlig egal. Hat ihr eigenes Tempo, manchmal hängen die Zeilen hinten scheinbar über, sie verzögert und beschleunigt, wie es ihr gefällt. Singt in Trick Or Treat mit sich selbst, kümmert sich hier und da einfach gar nicht um die Melodie. In A Brief Encounter pausiert die Musik zwischendurch, um der Stimme Raum zu geben. Meistens folgen ihr die Instrumente, manchmal auch nicht.

Das erste Album von Guther, vor ein, zwei Jahren, war mir nicht aufgefallen. Das waren schöne Popliedchen, klasse Melodien, das schon. Aber nichts wirklich Herausragendes, zu glatt insgesamt. Und jetzt das. Da sind Ecken und Kanten, ein auch mal grummelnder Bass, das Vibrato einer Steel-Gitarre, diverse kleine Blasinstrumente, ein oft jazziges Schlagzeug. Vielleicht macht die Gelassenheit den Unterschied, vielleicht sind die Stücke einfach nur zurückhaltender arrangiert oder produziert.

Indiepop dieser Sorte gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Hier aber macht die Stimme einen Unterschied. Sundet könnte für noch einen Sommer gut sein.

„Sundet“ von Guther ist als LP und CD erschienen bei Morr Music

Hören Sie hier „Who Was First“ und „Statement“

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Poesie durch Mühe

Der Pianist Bill Wells tastet sich Note um Note durch kinderliedhafte Kompositionen. Das japanische Bläser-Ensemble Maher Shalal Hash Baz versucht ihn zu begleiten – was aufs Schönste misslingt

Cover Osaka Bridge

Bill Wells aus Glasgow experimentiert unerschrocken an den Rändern von Jazz und Rock. Der Pianist gehört zum Umfeld des über Schottland hinaus bekannten Pop-Projektes Belle & Sebastian und hat als 50-Jähriger musikalisch schon so einiges erlebt. Jetzt aber, am Telefon, wenn er von der Zusammenarbeit mit Maher Shalal Hash Baz erzählt, hört man ihn am anderen Ende der Leitung unvermutet lachen und sieht ihn seinen Glatzkopf schütteln, so als könnte er es noch im Rückblick nicht ganz fassen, was er da angestellt hat.

Beim Namen fängt es an. Da nennt sich ein japanisches Ensemble nach einem hebräischen Sprichwort: Maher Shalal Hash Baz – „Sei schnell, wenn du etwas erbeuten willst“. Das Ensemble spielt aber unglaublich langsam. Und es spielt unglaublich lange, seit über zwanzig Jahren schon, in wechselnden Besetzungen, bloß spielen kann es immer noch nicht.

Maher Shalal Hash Baz will auch gar nichts können. Wer das Album Osaka Bridge zum ersten Mal hört, traut seinen Ohren kaum. Am Klavier Mr. Wells mit seinen kinderliedhaften Kompositionen: Umsichtig, gleichsam satiehaft, tastet er sich Note um Note voran. Ihn begleiten auf Trompeten und Hörnern, Gitarren und Trommeln Japaner, die trotz des Schneckentempos größte Mühe haben, Schritt und Ton zu halten.

Mal klingt das nach einer eingerosteten oberitalienischen Dorfkapelle alter Partisanen, die sich nur noch zu Trauermärschen zusammenfinden, wenn sie einem der ihren die letzte Ehre erweisen müssen. Mal erinnert es an Tanzmusik aus den fünfziger Jahren – an einen Bert Kaempfert, dem ein schweres Gebrechen jede Eloquenz und rhythmische Akkuratesse genommen hat. Wenn man so will: Uneasy Listening.

Manch ein Musikfreund wird diese Platte nicht genießen können. Wenn er sich jahrelang mit einem Instrument gequält hat, um die schiefen Töne und Quietscher stündlich aufs Neue auszumerzen. Getrieben von der Suche nach spielerischer Sicherheit und Beherrschung des Materials, aus der in guten Momenten Brillanz erwächst.

Tori Kudo, dem Begründer des Projektes Maher Shalal Hash Baz, geht es genau ums Gegenteil. Der Unklarinettist interessiert sich für das Scheitern auf niedrigem Niveau. „Das mag ich an den Japanern“, sagt Bill Wells, „sie haben eine Idee und ziehen sie bis zur letzten Konsequenz durch.“

Freilich war auch Wells verblüfft, wie sich seine zweiwöchige Japantour mit Kudos Ensemble vollzog: Mal erschienen sechs Leute auf der Bühne, mal zwölf, mal sechzehn, einige von ihnen hatte er nie zuvor gesehen. Ihr Englisch war wie ihr Spiel. An eine Frau erinnert er sich, die wochenlang nur auf Kisten schlug, bis Tori Kudo sie ihm als Schlagzeugerin vorstellte.

Und doch ist diese Musik von großer Wärme und Poesie. Bill Wells weiß, warum: „Diese Musiker spielen keine Klischees, weil sie es nicht können. Schon um eine einfache Melodie zu schaffen, müssen sie alles geben – und das spürt man.“

„Osaka Bridge“ von Bill Wells & Maher Shalal Hash Baz ist erschienen bei Karaoke Kalk

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