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Schillernde Hülle

Die Lieder der Killers aus Las Vegas funkeln wie die Heimatstadt der Band. Ihr neues Album „Day & Age“ bietet Hochleistungsunterhaltung, die irgendwie allen gefällt

Als The Killers vor wenigen Wochen in der altehrwürdigen Royal Albert Hall auftraten, fand das eigentliche Ereignis hinter der Bühne statt: Die Band aus Las Vegas begrüßte hohen Besuch in der Garderobe. Sir Paul McCartney höchstselbst machte seine Aufwartung und sprach seine Bewunderung aus. Unter die schnöden Massen vor der Bühne hatte sich währenddessen ein anderer Prominenter gemischt: David Cameron, der Vorsitzende der Konservativen Partei.

Das Fazit dieses Ausflugs ins Königreich: Irgendwie können sich momentan alle auf die Killers einigen. Der Grund dafür heißt Day & Age, das dritte Album des Quartetts um den bekennenden Mormonen Brandon Flowers, eine unverfrorene Sammlung von Versatzstücken, mit denen man problemlos das nächstgelegene Stadion zum Toben bringt. So narzisstisch und ungebrochen von der eigenen Größe überzeugt, wagen es heutzutage nicht einmal mehr U2, die Monsterrock-Klischees aus dem Fundus zu kramen, oberflächlich zu entstauben und als letzten Schrei des Gegenwartsrocks zu präsentieren. In der Musik der Killers schwillt den Keyboards der synthetisch schillernde Kamm, ein ewiger Viervierteltakt stapft selbstbewusst daher, Saxofone tröten selbstverliebt, simple Electro-Rhythmen tuckern unschuldig ­ noch das schüchternste Melodiemauerblümchen wird so lange auffrisiert, bis es wirkt wie eine Hymne. Und wie es sich gehört, wird dieses Monstrum von Platte nicht von einem schlichten Song beschlossen, sondern von dem streicher- und bläsergetränkten Epos Goodnight, Travel Well, während dessen sieben Minuten man die Unendlichkeit zu schauen glaubt.

Diese zehn Songs glitzern und funkeln allesamt wie die Heimatstadt der Band, strahlend hell und aus vollster Überzeugung künstlich. Wie im Caesars Palace die römische Antike in Plastik und Pappmaschee wiederaufersteht, basteln sich die Killers eine Funk-Gitarre, stellen Steeldrums aus wie Sensationen in einem Vergnügungspark oder zitieren den Glamrock der Siebziger und die New Wave der Achtziger als bloße schillernde Hülle ­ohne störende Inhalte. Day & Age ist Hochleistungsentertainment, Vergnügen ohne Reue, Las Vegas in Topform. Ein blendend klingender kleinster gemeinsamer Nenner, auf den sich ein Ex-Beatle und der Chef der Tories verständigen können. Die Massen sowieso.

„Day & Age“ von The Killers ist als CD und LP bei Island/Universal erschienen.

Dieser Text ist entnommen aus dem Musik-Spezial in DIE ZEIT 2008/49.

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Ergebnisloses Gewurschtel

Fünfzehn Jahre lang haben Hardrock-Fans auf ein Album von Guns N’ Roses gewartet. Jetzt ist „Chinese Democracy“ da – und die Enttäuschung groß

„It was a long time for you / It was a long time for me / It’d be a long time for anyone / But it looks like it’s meant to be.“

Was Axl Rose in There Was A Time singt, dem besten Stück der neuen Platte Chinese Democracy, trifft den Nagel auf den Kopf. Immerhin sind seit Guns N‘ Roses‘ letzter Studioproduktion 15 Jahre vergangen.

Das Album, das nun endlich herausgekommen ist, hat mit den Klassikern von einst allerdings so viel gemein wie ein neonbeleuchtetes Multiplexkino mit einem gediegenen Lichtspielhaus. Das große Ganze zerfällt in zahlreiche Einzelschauplätze, deren Lieblosigkeit durch reichlich Glitzer und ein hochgezüchtetes Soundsystem kaschiert werden soll. Hier läuft Guns N‘ Roses? Zumindest steht es draußen angeschlagen.

Dieser Bandname ist ebenso paradox wie der Albumtitel. Schon Ende der Neunziger hatte der Sänger Axl Rose alle Bandmitglieder bis auf den Keyboarder Dizzy Reed vergrault und frei nach dem Motto „weltberühmte Rockband sucht zwei Gitarristen, einen Bassisten und einen Schlagzeuger“ eine wechselhafte Söldnerband zusammengestellt.

Besonders schmerzhaft waren die Abgänge des Liedschreibers Izzy Stradlin und des Sologitarristen Slash. Symptomatisch, dass das Gitarrengenie – Markenzeichen Zylinder – durch einen Künstler mit weit profanerer Kopfbedeckung abgelöst wurde: Buckethead, der stets einen umgedrehten Pappeimer der Fastfoodkette Kentucky Fried Chicken auf dem Kopf trägt, die Band mittlerweile aber auch schon wieder verlassen hat. Slash & Co spielen unter dem Namen Velvet Revolver weiterhin Rock’n’Roll, Guns N‘ Roses jetzt Industrial Rock.

Entsprechend klingt das Album, als ob ständig die Boxen übersteuerten. Unter Tommy Stinsons Bass wummert noch ein tieferer, Schlagzeug und Drumcomputer überlagern sich, Keyboards wabern, Crunch-Gitarren hämmern, dieweil verzerrte Sologitarren den Kontrapunkt zum vervielfältigten Gesang jaulen. Dazu Introduktionen von Orchester und Chor sowie jede Menge Raumklangeffekte – hoffnungslos überproduziert, das Ganze. Ein Blick ins Beiheft der CD verdeutlicht die Ausmaße dieser Materialschlacht: Oft kommen fünf Gitarristen zum Einsatz. In 14 verschiedenen Tonstudios wurden die Regler geschoben. Und, das steht nicht im Booklet, durchschnittlich hat jedes der 14 Stücke eine Million Dollar Produktionskosten verschlungen.

Der Titel Chinese Democracy, bereits 1999 angekündigt, wurde unter Eingeweihten zu einem Synonym für end- und ergebnisloses Gewurschtel. Treffender kann man den Tonspurensalat, der nun herausgekommen ist, nicht beschreiben. Guns N‘ Roses kombinieren Industrial, Hardrock, HipHop, Funk, Grunge, Nu und Heavy Metal, Soul, als wollten sie sämtliche Trends integrieren, die sie seit den grandiosen Zeiten von Use Your Illusion verpasst haben. So zerfallen die meisten Lieder in stilistischer Unschlüssigkeit, wirken wie am Computer zusammengeklebte Stilschnipsel.

Das einzig Gunsnrosige, der rote Faden dieses aufgeblähten Monsteralbums ist die Stimme von Axl Rose. „I am unstoppable“ krakeelt er in Scraped. Auf sein unnachahmliches Krähen verzichtet er jedoch oft zugunsten eines entspannteren Gesangsstils.

Ob das reicht, um diese Schein-statt-Sein-Platte zu retten, darf bezweifelt werden. Das Fazit des Albums singt Rose schon im Titelstück Chinese Democracy: „It don’t really matter / Gonna find out for yourself / No it don’t really matter / Gonna leave this thing to somebody else.“

„Chinese Democracy“ von Guns N‘ Roses ist als CD und Doppel-LP bei Geffen/Universal erschienen.

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Lebenszeichen eines Wattestäbchens

Einst prägte der Rapper Q-Tip den Klang von A Tribe Called Quest. Endlich erlebt er seine „Renaissance“: zurückgelehnt, elegant und näselnd wie eh und je

„Ich hasse HipHop. Außer A Tribe Called Quest.“

Freunde des HipHop haben diesen Satz oft gehört und sich geärgert. Gab es doch immer guten Rap, nicht nur von dieser Gruppe. Dennoch ist klar: Von ATCQ ging eine Magie aus. Etwas, dass das englische Wörtchen vibe so schön beschreibt. Die Stimmung, Atmosphäre oder Aura ihrer ersten drei Alben. Sie waren herausragend — auf der Oberfläche verschieden, im Kern wie eins. ATCQ schlugen Brücken, machten schwer Vermittelbares zu Konsens. Sie brachen mit dem harten Ghetto-Rap, in ihren Texten ging es friedlich zu.

Das hört man schon am Namen des Bandleaders Q-Tip: Watte statt Waffe. Sie zerschnitten Jazz, Disco, Soul und legten Neues darüber. Das Ergebnis ging sanft in die Ohren und Hüften. Für’s Gehirn gab es geistreiche Texte – der Testosteron-Haushalt des Hörers blieb auf Normalwert. Ihre Leichtigkeit fand Millionen Hörer. 1998 lösten sie sich auf. Ihre Musik war noch gut, doch der vibe verloren gegangen. Er lässt sich nicht nachbauen – er ist da, oder eben nicht.

Zeit für ein Solo. Ein Jahr nach der Trennung veröffentlichte Q-Tip sein Einzeldebüt Amplified und machte etwas anderes. Düster geriet, was er und der Produzent J Dilla schufen – scharfkantige Beats, Höhen und Bässe, keine Mitte. Kein vibe-of-the-tribe, sondern ein Album von Künstlern, die sich nicht reproduzieren mögen. Mit solchen kennt die Musikindustrie keine Gnade. Nachfolger von Amplified wurden angekündigt aber nie veröffentlicht. Q-Tips Plattenbosse sahen in ihm kein Potenzial. Aus dem Brückenbauer wurde ein Risikofaktor. Bootlegs hielten die treuesten Fans auf dem Laufenden. Bald zehn Jahre ist es her, dass ein Lebenszeichen des Wattestäbchens erklungen ist.

Nun endlich. Und gleich der Titel lässt verlauten, worum es geht: Q-Tip beschwört The Renaissance. Denn HipHopper denken in Epochen: Old School, New School, Next School. Dabei ist diese Musikrichtung gerade erst den Zwanzigern entwachsen! Die Wiedergeburt altertümlicher Kultur in ihrem Einfluss auf die Moderne – das käme ihm zupass, dem Rapper der alten Schule. Nur klingen diese Worte nach Dinosaurierpark, hören wir lieber die Musik.

Sie ist frisch, sie swingt, und sie erinnert an den HipHop der frühen Neunziger. Seien wir ehrlich, sie klingt nach A Tribe Called Quest. Bei Won’t Trade spielt uns ein Piano schwindelig, der Rhythmus macht süchtig. Einmal wirft der Jazzgitarrist Kurt Rosenwinkle entfremdete Tupfer dahin, die den Rhythmus frei interpretieren und verschieben. We Fight/We Love ist so ein Stück, das zeigt: Im Zusammenspiel aus Gegenläufigem entsteht Vielschichtigkeit. Und die Aura des Zurückgelehnten verleiht Eleganz.

Der Gastsänger Raphael Saadiq setzt glasklare Töne gegen Q-Tips Näseln. Der darf sich nie die Polypen entfernen lassen, sonst verliert seine Stimme das Besondere. Norah Jones steht bisweilen knietief im Milchschaum. Im Stück Life Is Better singt sie über einen harten Funkbeat und zieht einen Fuß heraus. Q-Tip positioniert seine prominenten Gäste gezielt. Jürgen Klinsmann würde das eine Win-Win-Situation nennen.

Die Renaissance ist also keine verkrampfte Zusammenkunft der alten Garde. Sie lebt von ihren Stärken, klingt dicht und dabei leicht. Wen stört, dass sie aus der Zeit gefallen ist? Nennen wir es gelungenen Konservatismus.

„The Renaissance“ von Q-Tip ist als CD, Doppel-LP und Download bei Motown Universal erschienen

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Warum nicht jeder so?

Vor dem Frühstück texten, danach ins Studio, mittags Alben bewerben und verschicken, nachmittags ein Video drehen, am Abend zur eigenen Musik zeichnen: Norman Palm macht fast alles selbst – und gut

Das Musikgeschäft ist ungerecht. Wer seine Aufnahmen bei einer kleinen Plattenfirma unterbringt, hat noch lange nicht gewonnen, denn der Schlüssel zum Erfolg ist der Vertrieb. Der sorgt dafür, dass die Aufnahmen im Plattenkaufhaus und bei Netzhökern zu erstehen sind. Sieht man seine eigene Platte dann im Laden stehen, hat man dennoch nichts gewonnen, denn sie fällt niemandem auf. Also muss eine findige Werbeagentur ran. Unterwegs haben schließlich so viele ein paar Euro verdient, dass der Musiker sich mit wenigen Cent zufrieden geben muss. Um daraus wiederum ein paar Euro zu machen muss er ziemlich viele Platten verkaufen.

Theoretische Alternativen gibt es natürlich, vor allem das Internet gilt vielen als Heilmittel gegen all die Wehwehchen des Geschäfts, als Garant der Chancengleichheit. Und tatsächlich: Ein, zwei mal im Jahr lassen MySpace und YouTube neue Sternchen aufblitzen. Doch wer wollte sich auf diesen Zufall verlassen?

Norman Palms Rezept ist ein anderes, es geht ungefähr so: Drei mal täglich vor und nach den Mahlzeiten alles selber machen. Seine ersten Lieder stellte er nicht einfach hoffnungsvoll ins Netz, sondern er ließ sie in Vinyl drücken und schickte die Singles eigenhändig an eine erkleckliche Zahl von Musikjournalisten. Zwei entzückende Coverversionen waren drauf, Girls Just Wanna Have Fun von Cindy Lauper und Boys Don’t Cry von The Cure.

Sein Debütalbum Songs bringt nun Ratio Records raus, ganz ohne Vertrieb. Das Label betreibt er mit drei Freunden. Und man kann Songs kaum übersehen: Es ist nicht wie normale Werbesilberlinge in ein karges Papphüllchen gewandet, auch nicht in die sonst übliche schäbige Plastikkiste. Nein, Norman Palm verschickt sein Album als Beilage eines dicken Buchs. Das fällt nicht nur auf, weil es jeden CD-Stapel zum Einsturz bringt. Das sieht auch verdammt hübsch aus und will gehört werden.

Es wird gehört: Zwölf leichtfüßige Lieder singt er und macht auch hier fast alles selbst. Mehr als die Gitarre und seine schwere, amerikanische Zunge ist meist nicht zu hören. Manchmal singt er mit sich selbst im Chor und spielt eine Maultrommel. Und ganz selten darf mal jemand anderes den Klang von Schlagzeug, Klavier oder Teekisten-Bass beisteuern.

Zu Beginn erzählt er, was er alles nicht könne: Tanzen und Reiten etwa, oder einen Refrain schreiben, Singen. Doch gleich das zweite Stück Bitterness And Aftertaste widerlegt seine Selbsteinschätzung: Eine charmante Melodie, ein paar Zupfer an der Akustischen – mehr braucht es nicht zum liebenswerten Poplied. So geht es weiter, meist luftig, manchmal getragen, immer melodiös. Vierzig Minuten später krabbeln zwölf wuselige Ohrwürmer durchs Zimmer. Wahrscheinlich kann Norman Palm auch Reiten und Tanzen.

Was in seiner Biografie wohl erlogen ist, entscheide jeder selbst: Er wuchs in Norddeutschland auf, früh lernte er mehrere Instrumente spielen. Nach der Schule wollte er Rechtsanwalt werden, doch seine Eltern überredeten ihn, auf die Kunsthochschule nach Berlin zu gehen. Dort gefiel es ihm, er schrieb viele Lieder und begann diese während eines Aufenthalts in Paris in das Mikrofon seinen Laptops zu singen. Er gestaltete ein kleines Büchlein, in dem er seine Lieder illustrierte. Bald durfte er sie in Galerien und auf Festivals spielen. Da es ihm nicht gefiel, dass die Leute ihn anstarrten, ließ er bei Auftritten jemanden sein Buch durchblättern und projizierte es an die Wand. Heute pendelt er zwischen Mexico City und Berlin.

Songs sind die Lieder aus Paris und ein kleines Buch. Das unterhaltsame an seinen zweihundert Seiten ist die Formenvielfalt. Jedem Stück ist ein Kapitel gewidmet. Oft sind die Liedtexte typografisch gestaltet, mal in Leuchtschrift, mal in seiner Handschrift. Daneben stehen mal versierte, mal krakelige Zeichnungen von Sperma, Krokodilen und abgeschnittenen Zungen. Oh, Elisa zieren scheinbar zufällige Momentaufnahmen aus Paris, Berlin, London und Mexico City, den Middletown Blues begleiten ein Dutzend Polaroids voll typischer Kleinstadttristesse, zu Boys Don’t Cry schauen ein paar geschminkte Jungs in die Kamera.

Bild und Ton ergänzen sich, nach mehrfachem Durchblättern und -hören mag man gar nicht mehr entscheiden, was zuerst da war. Warum macht das nicht jeder so? Ach, ja richtig, das Geschäft. Ein solches Album würde mit der gängigen Anzahl von Mitverdienern wohl gut 30 Euro kosten.

„Songs“ von Norman Palm ist als Buch plus CD bei Ratio Records erschienen. Erhältlich ist das Album in dieser Form nur in einem Plattenladen in Berlin, im Webshop des Labels und bei A.N.O.S.T.

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Utopien im Nebel

David Grubbs‘ Musik hat eine poetische und eine politische Ebene. Er besingt die Künstlerexistenz, wirft viele Fragen auf. Und lässt sie unbeantwortet

Im Grenzgewässer zwischen Romantik und Realität schwimmt ein Boot. Töne schallen von dort herüber. Holz knirscht, ein Mast quietscht, eine Stimme verneigt sich vor der Dämmerung. Der Tag gehört der Utopie. Doch die Tage werden kürzer – hat die Utopie eine Zukunft?

Das ist eine der Fragen, die David Grubbs‘ neues Album An Optimist Notes The Dusk dem Hörer stellen könnte. Grubbs‘ Sprache ist ein offenes Englisch, frei assoziiert, frei interpretierbar. Und seine Musik ist weitläufig wie die See.

Grubbs nimmt die Gitarre, stellt hin und wieder ein Schlagzeug dazu. Eine Trompete schallt im Einklang mit den Saiten, doch nur für einen kurzen, verhaltenen Moment. David Grubbs‘ Stimme strahlt Wärme aus. Manchmal klingen seine Stücke wie die Abstraktionen eines Seemannsliedes. Die Musik des Titelstücks biegt sich wie im Sturm, so als versuche sie mit aller Macht, Oberwasser zu behalten. Da wird deutlich: Sie hat eine ästhetische und poetische, aber auch eine politische Ebene.

Ist sie das leidige Thema amerikanischer Intelligenzia in der Bush-Ära? Lebt man als Künstler innerhalb einer Gesellschaft oder ist man vielmehr Teil eines globalen Dorfes, bewohnt von Gleichgesinnten? Und wird diese Beschaulichkeit nicht zur Scheinwelt, spätestens wenn man die eigenen Kinder zur Schule bringt?

Aufgewachsen ist David Grubbs in Kentucky, bereits mit vierzehn Jahren erregte er Aufsehen mit seiner Punkband Squirrel Bait. Mit den nachfolgenden Projekten Bastro und Gastr del Sol dekonstruierte er Pop und Rock. Als aus Chicago der Post-Rock hinüberschwappte, war Grubbs einer der wichtigsten Klangarchitekten der Bewegung. Im Jahr 1999 zog er nach New York und wurde Professor für Radio- und Klangkunst. Regelmäßig schrieb er Musikkritiken für die Süddeutsche Zeitung. Sein eigenes Label Blue Chopsticks ist eine Schnittstelle zwischen bildender Kunst, Musik und Literatur.

An Optimist Notes The Dusk wirft viele Fragen auf. Deren Antworten liefert Grubbs nicht. Sie liegen im grauen Nebel, in den uns das letzte Stück der Platte führt. The Not-So-Distant ist eine rein elektronische Komposition, deren synthetische Klänge sich so langsam entwickeln, dass Zeit und Raum keine Rolle mehr spielen. Zwölf Minuten, die all die menschliche Wärme von Gitarre und Stimme vergessen machen.

„An Optimist Notes The Dusk“ von David Grubbs ist auf CD und LP bei Drag City/Rough Trade erschienen.

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So klingt der Wahnsinn

Alle paar Sekunden eine neue Idee, ein Tempowechsel: Of Montreals neues Album „Skeletal Lamping“ ist ein Fiebertraum der unterhaltsamen Sorte

Kevin Barnes hat eine blühende Phantasie. Er ist der Sänger und kreative Kopf der Band Of Montreal – wie sein Wahnsinn klingt, ist auf deren neuem Album Skeletal Lamping zu hören.

Das geht so: Alle paar Sekunden eine neue Idee, alle paar Sekunden ein Tempowechsel. Zu Beginn des ersten Stücks Nonpareil Of Favor überschlägt sich ein Spinett, kaum hat man bis fünf gezählt setzt ein trockenes Schlagzeug ein Kevin Barnes singt, als gelte es, den überkandidelten Pop der Sparks zu imitieren. Etliche Ausfallschritte später versinkt alles im Gitarrengewitter. Es sind kaum sechs Minuten vergangen, da hat man den Eindruck, schon mindestens vier verschiedene Lieder gehört zu haben.

Und so geht es weiter. Da trifft Funk auf Yellow Submarine und Gitarrengeschrammel auf Saturday Night Fever. So klänge wohl Vaudeville-Theater im Spielparadies eines Möbelmarktes am verkaufsoffenen Sonntag. Oder die Musical-Version von Alice im Wunderland. Die sechs Musiker aus – von wegen Montreal – Athens, Georgia zelebrieren eine knappe Stunde lang hysterisch den Wahnwitz – und sehen dabei aus, als parodierten sie den Glamrock der Siebziger. Das ist wohl Ironie.

Ironie lässt sich in den Texten und Titeln der Band schon immer reichlich finden. Eines ihrer früheren Lieder hieß – in Anlehnung an Velvet Undergrounds Venus In FursVegan In Furs. In einem anderen erzählt Kevin Barnes davon, was er mit dem besten Freund anstellen würde, wäre er doch bloß ein Mädchen. Auf Skeletal Lamping indes dreht sich fast alles um Sex – und das recht explizit. Ein Fiebertraum der unterhaltsamen Sorte.

Kevin Barnes will irritieren. Auf seiner Internetseite ist zu lesen, er habe ein unvorhersehbares und schwieriges Album machen wollen. Er habe die übliche Wahrnehmung eines Popalbums demontieren wollen. Dabei ist Skeletal Lamping doch reinster Pop. Man kann es wie eine einzige lange Komposition hören. Oder wie eine Kollektion von 15 Popliedern. Oder wie die Aneinanderreihung tausender Klangfragmente.

Bleibt der Albumtitel: Lamping ist eine besonders brutale Art des nächtlichen Jagens. Dabei wird ein Jagdgebiet mit Licht geflutet und die in Panik versetzten Tiere niedergeschossen oder eingefangen. Er habe bei der Wahl des Titels an seine inneren Dämonen gedacht, sagt Kevin Barnes. Er wisse bloß noch nicht, ob er sie niederschießen oder einfangen solle.

„Skeletal Lamping“ von Of Montreal ist auf CD und LP bei Polyvinyl/Cargo Records erschienen.

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Die Welt ist eine Kirsche

Der Hamburger Jacques Palminger kleidet auf „Mondo Cherry“ humoristische Zeilen in ein kuscheliges Kostüm aus Dub und Reggae

Jacques Palminger ist einer der drei Humoristen von Studio Braun. Seine Qualitäten als feinsinniger Unterhalter übersah man bislang leicht: Neben Rocko Schamonis Schnoddrigkeit und Heinz Strunks oft streberhafter Hysterie gab Palminger den distanzierten Filou mit Oberlippenbart. Während die Kollegen in den letzten Jahren Platten aufnahmen, die Bücherlisten eroberten und sich bei Zimmer frei! befragen ließen, blieb Palminger im Hintergrund. Dem Massengeschmack war seine Rolle als selbsternannter „einfacher, dünner, bisschen dümmlicher Typ“ zu undurchsichtig – vielen Anhängern galt er gerade deshalb als das interessanteste Mitglied von Studio Braun. Umso erfreulicher ist, dass er sein Können nun mit dem Soloalbum Mondo Cherry beweist. Es wird deutlich: Während Strunk und Schamoni sich vor allem als Musiker auszeichnen, ist Palminger ein genialer Wortschöpfer.

Gleich das erste Stück mit dem bezeichnenden Titel Worte nur Worte zeigt, dass es Jacques Palminger vor allem um Sprache geht. Sein lyrischer Mischmasch aus Werbejargon, Schlagertexten und abstrahierten Sinnsprüchen machen Mondo Cherry zu einem ungeheuer komischen Album. Mit dem Humor der sogenannten Comedians hat es nichts gemein, denn Jacques Palminger verlässt sich nicht auf lustig gemeinte Stimmakrobatik und Schenkelklopfereien. Seine Texte sind nicht einfach nur albern – er spricht eine Sprache, die ohne das übliche Vokabular des Humoristen auskommt. Im Wechselspiel von freier Assoziation und dadaistischer Fleißarbeit entstehen Verse wie „Drehe deine Leber zur Sonne und du bist ein Star“. Palminger betont seine Sätze nachdrücklich – so entsteht der Eindruck, man könne diese schiefen Bilder entschlüsseln. Da ist eine rätselhafte Hintergründigkeit, zwischen Albernheit, Poesie und Geheimsprache ist oft nur schwer zu unterscheiden. Darin liegt der eigentliche Witz der Texte. Die Coverversion der Italo-Disco-Schnulze I Like Chopin macht dies besonders deutlich. Palminger hat den englischen Text wortwörtlich übersetzt, es ist erstaunlich anzuhören, wie er die sinnfreien Zeilen („Weißt du noch, das Piano / So leicht, so ungewöhnlich / Die klassische Sensation / Sentimentale Verwirrungen“) so in eine surreale Traumvision verwandelt.

Angesichts solcher Wortspielerei ist die Musik auf Mondo Cherry eher zweitrangig. Der von Viktor Marek produzierte Dub klingt entspannt und luftig, aber auch unspektakulär. Die Musik erfüllt ihren Zweck, sie dient dem Vortrag als Folie. Interessant aber wird es immer erst, wenn Jacques Palmingers Stimme zu hören ist. Seine Sprachkunst richtet sich in den rhythmischen Aushöhlungen von Dub und Reggae behaglich ein, die tiefen Bässe und der schleppende Groove schaffen Resonanzräume. Dass Mondo Cherry dennoch eine gelungene Pop-Platte ist, verdankt Palminger der Sängerin Rica Blunck. Der Soul ihrer Stimme stellt sich seinem lakonischen Sprechgesang entgegen. Mal umschmeichelt sie den Playboy, dann wieder singen sie im Duett. So erklingen schließlich doch richtige Ohrwürmer, denen man Palmingers Schwäche für Schlager und Chansons immer wieder anhört.

Ganz am Ende gönnt sich Palminger dann noch eine ganz große Geste. Bei Deutsche Frau spielt er mit einem Orchester. In dieser sinfonischen Dichtung treffen Kitsch und geheimnisvoller Text aufeinander: „Deutsche Frau, du hast zwei Beine / Du gehst damit oft zu weit.“ Die irrsinnige Unternehmung entpuppt sich bei mehrmaligem Hören als vollkommen logisch: Schließlich geht es Palminger bei aller Albernheit auch immer um große Gefühle. Nachvollziehbarer ist auch, dass Jacques Palminger im Laufe des Albums immer wieder enerviert aufstöhnt. So klingt es eben, wenn einem die Selbstverständlichkeit des eigenen Genies Kopfschmerzen bereitet.

„Mondo Cherry“ von Jacques Palminger & The Kings Of Dub ist als CD und LP erschienen bei PIAS/Rough Trade.

Lesen Sie hier Ulrich Stocks Porträt von Jacques Palminger.

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Klarinette zu entdecken

Über die Jahre (45): Die experimentellen Alben von Rolf Kühn aus den siebziger Jahren waren lange nicht mehr erhältlich. Nun hat er für „More, More, More & More“ seine liebsten Stücke aus dieser Zeit zusammengestellt

Ein Foto, entstanden in den siebziger Jahren auf Ibiza: Der Klarinettist Rolf Kühn trägt enge Jeans, Koteletten bis zum Kinn, mehrere Ringe, sein Jeanshemd ist weit aufgeknöpft. Neben ihm stehen sein jüngerer Bruder, der Pianist Joachim Kühn, und der Perkussionist Nana Vasconcelos. Zu sehen ist es im Büchlein zu Rolf Kühns CD More, More, More & More – neben einer Reihe psychedelischer Airbrush-Bilder, die an Miles Davis‘ Bitches Brew erinnern.

Es war die Zeit der verzerrten Klänge, es waberten die ersten Synthesizer. Großartige Alben nahm Rolf Kühn damals für das Label Musik Produktion Schwarzwald (MPS) auf. Lange waren sie vergriffen, die Firma Universal kaufte vor zehn Jahren den Katalog von MPS auf und macht die Experimente des deutschen Jazzrock seitdem nach und nach wieder zugänglich. Auf More, More, More & More hat Kühn nun seine liebsten Aufnahmen der sechs Alben zusammengestellt, die in den Jahren 1971 bis 1980 erschienen.

Mitte der Fünfziger war er nach New York gekommen. Er wohnte zunächst bei der Pianistin Jutta Hipp und erlebte den Beginn des Free Jazz mit den Auftritten des Ornette Coleman Quartetts. Gleichzeitig spielte er Cool und Bigbandswing im Orchester von Benny Goodman.

Eine Sternstunde des aufkommenden frei improvisierten Jazzrocks ist Kühns erstes Album für MPS, Devil in Paradise aus dem Jahr 1971. Zu hören sind neben Kühn sechs der Musiker, die den Free Jazz früh prägten: Tony Oxley spielt das Schlagzeug, heute gehört er zu den großen Improvisatoren und begleitet den Pianisten Cecil Taylor; Albert Mangelsdorff spielt Posaune, und am Klavier sitzt der noch junge Joachim Kühn. Das Titelstück ist auch auf More, More, More & More zu hören: Rolf Kühns Klarinette nimmt eine Melodie Ornette Colemans auf, darunter mischen sich das Flüstern und Grummeln der Posaune Mangelsdoffs, das reibende Scheppern Oxleys und ein einfacher weicher Akkord Joachim Kühns.

Rolf Kühns frühe Aufnahmen für Impulse! Records sind schon länger wieder erhältlich. Nun wird die Lücke geschlossen. Die auf More, More, More & More zusammengestellten Stücke geben einen kleinen Einblick in die Klangwelt Kühns. Sie sind nicht chronologisch geordnet, ansonsten wäre die Entwicklung von den akustischen Free-Form-Experimenten der frühen siebziger Jahre über die elektronisch verstärkte Instrumentierung und die Arbeit mit synthetischen Klängen bis zu hin zu Jazzrock und Free Funk noch deutlicher nachvollziehbar.

More, More, More & More dokumentiert ein Stück Zeitgeschichte. Die elf Stücke eignen sich hervorragend, den ersten und vielseitigsten deutschen Jazzklarinettisten Rolf Kühn neu oder wieder neu zu entdecken.

Die Kompilation „More, More, More & More“ von Rolf Kühn ist bei MPS-Records/Universal erschienen.

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(43) The Sisters Of Mercy: „First And Last And Always“ (1985)
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(41) Dennis Wilson: „Pacific Ocean Blue“ (1977)
(40) Klaus Nomi: „Nomi“ (RCA/Sony 1981)

Eine vollständige Liste der bisher in dieser Rubrik besprochenen Platten finden Sie hier.

Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter zeit.de/musik

 

Ego schmeckt toll

Zwanzig Jahre hat Grace Jones kein Album veröffentlicht. Mit sechzig wagt sie einen neuen Anlauf. „Hurricane“ ist ein eitles Werk. Wie gut das klingt!

So kann man sie sich wirklich nicht vorstellen. Grace Jones steht am Fließband. In Arbeiterkluft mit Haarnetz. Keine Party, null Glamour. Das ist das Szenario im Heftchen, das ihrer neuen Platte beiliegt. In Plastik gegossene Körperteile liegen auf dem Fließband, am Ende der Produktionskette sind das Hunderte – wenn nicht tausend – Klone. Grace Jones reproduziert sich – klingt die Musik auch so?

Unbedingt!

Donnerte Horst Hrubesch dieser Tage wieder Kopfbälle zwischen die Pfosten, stiege Mohammed Ali wieder in den Ring – es käme uns mächtig exotisch vor. Zwanzig Jahre hat Grace Jones nun kein Album mehr veröffentlicht, mit sechzig wagt sie einen neuen Anlauf. So etwas geht meistens schief, die einen biedern sich dem Zeitgeist an, die anderen dokumentieren den Stillstand.

Grace Jones macht es besser, sie besinnt sich auf ihre Stärken. Das fiel ihr noch nie schwer. Hurricane ist ein eitles Werk, von Egozentrik durchdrungen: „Grace Jones is in the house …“ tönt eine Ansage, Jubel verhallt. Oder hat sie ihn verschluckt? Und wie schmeckt ihre Eitelkeit?

Lecker!

Ihre Platten aus den frühen Achtzigern klingen auch heute noch frisch. Zweieinhalb Dekaden nach Alben wie Night Clubbing und Warm Leatherette zaubert Grace Jones auf Basis des Erfolgsrezept ein neues Süppchen. Wie damals köchelt sie zum Rhythmus von Sly & Robbie. Die beiden sollen in ihrer Karriere etwa 200.000 Lieder eingespielt haben – da sind diese neun weiteren nur ein kleiner Gefallen! Sie bearbeiten Schlagzeug und Bass angenehm routiniert, eine innere Ruhe federt jeden Ton, jeden Taktschlag. Ihre Rhythmen sind luftig, man möchte ihnen stundenlang lauschen. Sie sind Grace Jones’ narrativem Stil eine geniale Grundlage.

Und da sind viele Gäste. Tony Allen ist dabei, der Erfinder des Afrobeat, Adam Green, die Thereminvirtuosin Pamelia Kurstin. Brian Eno spendet Geist, einem Stück leiht Tricky sein Krächzen. In dieser Runde entsteht düsterer Pop, der glänzt und funkelt.

Die Diva selbst bleibt eine Überzeichnung. Spielt mit Kannibalismen, sonnt sich im Ego. Nur einmal verbrennt sie sich: Amazing Grace hätte sie nicht singen müssen. Schon gar nicht zum Breitbandwabern des Synthesizers. Aber was sind schon dreißig Sekunden in einer hermetischen Dreiviertelstunde.

Lesen Sie hier die Rezension zum Album aus der ZEIT Nr. 46

„Hurricane“ von Grace Jones ist als CD und LP erschienen bei Wall Of Sound/Rough Trade.

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Skream: „Skreamizm Vol. 3“ (Tempa 2007)
Tied + Tickled Trio: „Aelita“ (Morr Music 2007)
Kammerflimmer Kollektief: „Jinx“ (Staubgold 2007)
Various: „The World Is Gone“ (XL Recordings/Indigo 2006)

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