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Du singst wie an der Bushaltestelle

Über die Jahre (24): Sie vertauschen Gitarre und Bass wie The Police. Aber sie klingen so anders! „Colossal Youth“ von den Young Marble Giants erscheint 1980 – und jetzt wieder.

Young Marble Giants Colossal Youth

Stuart Moxham spielt auf seiner Gitarre rhythmische Muster, sein Bruder Philip auf dem Bass die Melodie dazu. Eine Rhythmus-Maschine tuckert, gelegentlich kommt von der Orgel eine traurige Melodie, und Alison Statton singt charmant dazu. Als Colossal Youth von den Young Marble Giants im März 1980 erscheint, ist es eine kleine Sensation. Punk ist eben vorbei, und jetzt gibt es kaum jemanden, der sich nicht sofort in die Band verliebt.

Das Trio aus Cardiff in Wales existierte damals bereits seit zwei Jahren. Die Moxham-Brüder waren hagere, kurzhaarige Jungs, Zigaretten in den Mundwinkeln. Alison, die Sängerin, trug ein Mädchen-Kostüm auf, buntes Kleid, weiße Söckchen, Turnschuhe. Das schattige Foto auf der LP und die schlichte Gestaltung der Hülle versprachen Melancholie und Freudlosigkeit. Und in gewisser Weise erinnert die Musik der Young Marble Giants auch an Bands wie Joy Division und The Passage: in ihrer Kargheit und ihrem Ernst. Da ist nichts unkontrolliert oder wütend, da schäumt nichts über wie bei der Pop Group, The Slits oder The Raincoats.

Das Jahr 1980 war reich an neuen Klängen und wagemutigen Platten, das Album Colossal Youth aber sollte keine Grenzen überschreiten. Die Stücke waren kurz und eingängig. Sie verströmten eine Leichtigkeit, die selten war in dieser Zeit. Der Gesang Stattons klang beiläufig, so als würde sie nur für sich singen. Als sie am Ende des Jahres im Leser-Pool des New Musical Express in der Kategorie Beste Sängerin den achten Platz belegte, wunderte sich Stuart Moxham. Es heißt, er sei zunächst dagegen gewesen, die Freundin seines Bruders in die Band aufzunehmen: „Alison ist keine Sängerin! Alison singt, als wäre sie an der Bushaltestelle oder sonst wo.“

Es ist die Einfachheit und Selbstverlorenheit, die Abwesenheit von Kunstwollen und Virtuosität, die den bleibenden Charme der Young Marble Giants ausmacht. In ihrer Musik verbinden sie unvereinbar scheinende Einflüsse. Stuart Moxhams resonanzloser, abgehackter Gitarren-Klang hat etwas vom frühen Rock’n’Roll – den Twang Duanne Eddys, die Rhythmik Eddie Cochrans. Philip Moxhams Bass führt häufig die Melodie, er klingt wie eine zweite Gitarre. Ungewöhnliches ist die Orgel mit der eingebauten Rhythmusmaschine. Sie klingt wie eine Referenz an die Musik, die das britische Fernsehen zum Testbild spielte, wenn das Abendprogramm vorbei war.
Die Young Marble Giants veröffentlichten noch die instrumentale Testcard E.P. und die Single Final Day, dann lösten sie sich auf. Das letzte Stück war ein Kinderlied über die Apokalypse. Stuart Moxham soll es in der Zeit geschrieben haben, die man braucht, es anzuhören: in 1 Minute und 39 Sekunden.

„Colossal Youth“ von den Young Marble Giants ist im Jahr 1980 bei Rough Trade erschienen. Soeben wurde das Album bei Domino Records als LP und Doppel-CD wiederveröffentlicht. Die zweite CD enthält neben Demo-Versionen der Stücke des Albums sowohl die „Testcard E.P.“ als auch die drei Songs der „Final Day“-Single. Eine limitierte Dreifach-CD enthält zusätzlich die Peel Session der Band.

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(23) Sister Sledge: „We Are Family“ (1979)
(22) Rechenzentrum: „The John Peel Session“ (2001)
(21) Sonic Youth: „Goo“ (1990)
(20) Flanger: „Spirituals“ (2005)
(19) DAF: „Alles ist gut“ (1981)
(18) Gorilla Biscuits: „Start Today“ (1989)
(17) ABC: „The Lexicon Of Love“ (1982)
(16) Funny van Dannen: „Uruguay“ (1999)
(15) The Cure: „The Head On The Door“ (1985)
(14) Can: „Tago Mago“ (1971)
(13) Nico: „Chelsea Girl“ (1968)
(12) Byrds: „Sweetheart Of The Rodeo“ (1968)
(11) Sender Freie Rakete: „Keine gute Frau“ (2005)
(10) Herbie Hancock: „Sextant“ (1973)
(9) Depeche Mode: „Violator“ (1990)
(8) Stevie Wonder: „Music Of My Mind“ (1972)
(7) Tim Hardin: „1“ (1966)
(6) Cpt. Kirk &.: „Reformhölle“ (1992)
(5) Chico Buarque: „Construção“ (1971)
(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
(3) Soweto Kinch: „Conversations With The Unseen“ (2003)
(2) Syd Barrett: „The Madcap Laughs“ (1970)
(1) Fehlfarben: „Monarchie und Alltag“ (1980)

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Ehrt den samtenen Untergrund

The Concretes aus Stockholm spielen frisch mit den Klängen und Stimmungen der sechziger Jahre.

The Concretes Hey Trouble

The Concretes beschwören die Geister der Vergangenheit. A Whales Heart von ihrem neuen Album Hey Trouble ist ein meisterhaftes Stück Velvet-Underground-Verehrung. Der prägnante Basslauf scheint Ode to Street Hassle von Spacemen 3 entlehnt. Diese wiederum hatten ihn – der Titel verrät es – den Streichern auf Street Hassle des ehemaligen Velvet-Underground-Sängers Lou Reed nachempfunden. Die Trommeln klingen, als hätte seine Kollegin Mo Tucker sie direkt an Georgia Hubley, die Schlagwerkerin von Yo La Tengo weitergereicht. Der sehnsüchtige Gesang und die dichten Wolken aus Gitarren- und Orgel-Sounds erinnern an eine weitere Band der späten achtziger Jahre, deren Referenz Velvet Underground waren: Galaxie 500. Warum also hört sich die Musik von The Concretes nicht an wie ein weiterer Aufguss eines allzu vertrauten Idioms? Warum verbindet sich das wohlige Gefühl der Vertrautheit mit der überraschenden Freude, etwas Neuem zu lauschen? Wie gelingt das diesen jungen Schweden nun schon zum dritten Mal auf Albumlänge?

Wer weiß, ob die siebenköpfige Band aus Stockholm die Wiedergänger der späten Sechziger, Bands wie Yo La Tengo, Galaxie 500 oder Spaceman 3, überhaupt kennen. Sie nähern sich der Tradition mit einer Frische und Unbekümmertheit, die es unerheblich macht, ob sie sich der Referenzen bewusst sind. Die Zitate werden nicht bedeutungsschwanger ausgestellt – seht her, was wir alles kennen –, sondern in immer neue Zusammenhänge gestellt. Und The Concretes sind weit davon entfernt, Drogenmusik zu machen. Sie benutzen den reichhaltigen Schatz an Klängen und Melodien auch nicht wie Galaxie 500, um eine Kathedrale der Melancholie zu bauen. Und schon gar nicht als Sprungbrett für solistische Krachexkursionen wie Yo La Tengo.

Überhaupt ist das Ausufernde ihre Sache nicht. Ihre Stücke sind perfekt geformte Kleinode. Sie sind selten länger als vier Minuten, jede Note sitzt. Da klingen sogar die barocken Arrangements der Beach Boys, die schimmernden Gitarrenströme der Byrds und die Euphorie der Girl Groups der sechziger Jahre noch mit. Die Melodien sind atemberaubend und eingängig. Die schnellen Nummern atmen immer einen Hauch von Melancholie. Und auch in den traurigen Liedern scheinen dieser besondere Humor und diese freundliche Empathie durch, die so typisch sind für The Concretes. Nicht umsonst heißt die neue Platte Hey Trouble. Mit dieser Musik kann man sich beherzt jedem Ärger stellen.

„Hey Trouble“ von The Concretes ist erschienen bei Finger Lickin‘ Records/Alive

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McGyver spielt den Löwenzahn

Obskure Instrumente und Effektgeräte, Jaro Salos Kochkünste und das finnische Radio haben geholfen: „Spare Time Machine“ von Pepe Deluxé klingt psychedelisch und richtig alt.

Pepe Deluxe Spare Time Machine

Jari Salo alias James Spektrum ist das Zentrum der Band Pepe Deluxé. Über die aktuelle Besetzung sagt er: „Ich bin so eine Art Regisseur, der die 20, 30 Musiker, die auf dem Album zu hören sind, leitet.“ Bislang stand der Name Pepe Deluxé für wilde Tanz- und Lounge-Orgien, die sich unzähliger Quellen und Samples bedienten. Im Fokus des neuen Albums Spare Time Machine stehen die späten Sechziger und der Psychedelic-Rock.

Viele der Psychedelic-Alben aus den sechziger Jahren klingen heute angestaubt. Das liegt wohl an der grobschlächtigen Technik damaliger Tage. Bandmaschinen und raumgroße Synthesizer beförderten nicht gerade das feinsinnige Arbeiten. All die durchgedrehten Effekte und seltsamen Instrumentenkombinationen, die auf diesen uralten Alben zu hören sind, werden von Pepe Deluxé nun verdichtet und in delirische Höhen transformiert.

Jari Salo liebt diese Ära und ihren Sound. Er benutzt das alte, analoge Equipment. Je obskurer, desto besser. Jari ist besonders stolz auf ein Sechs-Spur-Mischpult, gebaut vom finnischen Radio für die Olympischen Spiele in Helsinki im Jahr 1952. Das Unikat befindet sich seit Kurzem in seinem Besitz. Spare Time Machine nahm er auf Vier-Spur-Kassetten auf, es klingt authentisch nach den Sechzigern. Vier Jahre hat er an dem Album gearbeitet, immer mehr obskure Ausstattung herangekarrt, unterschiedliche Musiker zu Sessions eingeladen und sie bekocht. „Es gab Musiker, die sagten: Ich mag die Musik nicht, aber das Essen ist hervorragend“, erzählt er. Die in diesen Sessions entstandenen Aufnahmen hat er in liebevoller Kleinarbeit zusammengelötet.

Viele Bands vermählen alte Strukturen mit einem zu glatten Klang. Jari Salos Musik klingt alt, er lässt die Klänge und Effekte von damals auf eine neue Art kollidieren. Er lässt seine Musiker jammen wie Jimi Hendrix seine Experience, verwendet dann aber nur die Instrumentalteile, die er gesamplet hätte, gäbe es die Musik bereits auf Platte. All das richtungslose Geeiere experimenteller Pop-Platten, seitenfüllende Stücke, endlose Gitarrensoli, haben bei ihm keine Chance. Er nimmt nur die gelungenen Experimente.

Auf Pussy Cat Rock gibt es die fetten Tom-Toms der Girl-Group-Mini-Dramen, zischende Hi-Hats, wie wir sie von Garagen-Bands kennen, dazu eine psychedelisch bratzende Orgel und eine Fuzz-Gitarre, die sich ein Duell mit einer Surf-Gitarre liefert. Das klingt nicht überladen, weil Jari Salo die Elemente in den Dienst des Stücks stellt. „Am Ende des Tages hört man Platten nicht wegen der Effekte, sondern wegen der Songs“, sagt Jari. Apple Thief beginnt mit einer Spieldosen-Melodie, schwingt sich mit einem melodiösen Bass, Steel-Gitarre und Vintage-Synthesizer-Klängen zu einem veritablen Pop-Song auf. Dazwischen gibt es noch eine improvisiert wirkende Passage für Violine. Das heißt: Was wie eine Violine klingt, ist in Wirklichkeit ein beschleunigter Standbass. Der Irrsinn mündet in einem epischen Streicher-Arrangement von Markus Schneider. Der hat in einem früheren Leben Musik für C-64-Spiele komponiert. Spare Time Machine ist voller solcher Details. Viele Klänge haben eine andere Quelle, als man im ersten Moment glaubt.

Der verrückteste Sound in Jari Salos Ohren ist das Wah-Wah-mäßige Geräusch, das sein Gitarrist McGyver – „der heißt so, weil er alles spielen kann“ – in Captain Carter’s Fathoms einem Löwenzahn entlockt. „McGyver playing the dandelion. Natürlich habe ich diesen Sound noch durch einen Synthie gefiltert“, erzählt er. Natürlich.

„Spare Time Machine“ von Pepe Deluxé ist als LP und CD erschienen bei Catskills/Groove Attack

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Ich bin Tischler

Heute kann jeder ein Label gründen. Markus Wilhelms hat es getan. Der Handwerker aus Hamburg macht Platten aus Liebe zum Schottischen: „Get While The Getting’s Good“.

Get While The Gettings Good

Der Satz zur Begrüßung in der Küche seiner Wohnung ist natürlich klasse: „Ich bin Tischler seit 21 Jahren.“ Markus Wilhelms, 37, ging also mit 16 in die Lehre? „Ja, nach der Mittleren Reife in Emden.“

Zunächst ein Leben, wie es viele führen, aus der Provinz in die große Stadt. Der Tischler, der von Ostfriesland nach Hamburg zieht, verbringt seine Tage mit Einbaumöbeln; er lebt von der Arbeit, für die Musik.

Mit seiner Frau hatte er vergangenes Jahr in Urlaub fahren wollen, 1300 Euro lagen schon bereit; sie sagte: „Nimm das Geld, und mach die erste Single.“ So eine Ehe muss man führen. Denn der Mann hatte einen Traum, der auf Erfüllung drängte: Platten zu machen. Nicht als Musiker, sondern als Inhaber eines Labels.

Inhaber eines Labels – wie das klingt! Er ist das Label. Sein Programm: den „Sound Of Young Scotland“ auf den Kontinent zu bringen.

Vor zwanzig Jahren war er zum ersten Mal in Glasgow gewesen, einer Stadt, die er seither zu den hässlichsten zählt, die er kennt, eine bitterarme Stadt, Arbeiterstadt, deren Bewohner ihn aber begeistern mit ihrer Freundlichkeit und ihrer Sprache: „Die haben einen ganz, ganz eigenen Akzent… wie Afrikaner, die Englisch sprechen, das R wird gerollt.“

Und so singen sie auch; Markus Wilhelms findet, dass wir das hören sollten. Er macht es möglich.

Inzwischen hat er vier Singles herausgebracht, koloriertes Vinyl, hübsch verpackt, Musik auch fürs Auge. Und nun die erste Kompilation, Get While The Getting’s Good, zwar nicht in Rillen gepresst, da zu teuer, „leider“, aber auf CD, „immerhin nicht im Jewel-Case, das war mir wichtig“ – 19 Stücke sehr verschiedener Bands, 75 Minuten. „Die hab ich eines Abends nach vier, fünf Bier zusammengestellt, wie früher ein Mixtape für Freunde.“

Die Musik weht aus den Lautsprechern wie eine frische, nahezu friesische Brise, quicklebendiges Popschottentum von Folk bis Rock bis Elektronika. Holt euch dieses Probier-Album, möchte man den Lesern zurufen, zumal zum Sparpreis von 10 Euro.

Aufgeladen und bereit nennt er seine Einmannplattenfirma, ein Name mit angespannten Muskeln und nicht von ungefähr: Aufgeladen und bereit fur Action und Spass, das war eine Platte der Fire Engines aus dem Jahre 1982 – eine schottische Band, die mit einem deutschen Titel kam, wenn auch ohne Umlaut und Esszett.

Zum Beweis holt der Labelchef das gute Stück aus seiner Sammlung. Die Stücke heißen Get Up And Use Me oder Lubricate Your Living Room, Part 1; man könnte sie eigentlich gleich auflegen.

„Die Briten lieben deutsche Titel“, sagt er. Als eine seiner Bands neulich in der BBC zu Gast war, habe der Moderator den Label-Namen während der Sendung viermal genannt, „weil ihm das so viel Spaß gemacht hat“. Die schottischen Bands seien zudem stolz, ihre Musik auf einem ausländischen Label herauszubringen – mag es auch klein sein.

Alles gut also? Es könnte besser laufen. In den vergangenen Wochen schlief die Nachfrage nach Aufgeladen-und-bereit-Platten komplett ein. Niemand wollte auch nur eine. Windstille im Online-Shop. Der Plattenhandel ist ein verdammt schwieriges Geschäft geworden.

Markus Wilhelms sieht es gelassen. Er hatte auch schon mal 400 Vorbestellungen für eine Single. Heute so, morgen so. Bei ihm zu Haus steht nichts Gebranntes, „gar nichts“; er mag das nicht: „Es ist mir ganz wichtig, die Musik auch zu kaufen.“ Seine letzte Anschaffung war eine gebrauchte Langspielplatte des Saxofonisten Pharoah Sanders, „von 1969, auf dem Impulse-Label“.

Und, kommt noch mehr Musik aus Schottland? „Ich bereite gerade die nächsten drei Singles vor.“

Es geht also weiter? „Auf jeden Fall!“

Die Kompilation „Get While The Getting’s Good – A Collection Of Scottish Music“ ist erschienen bei aufgeladen und bereit

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Mein Leben als Musical

Patrick Wolf ist der neue Prinz Pop. In seinen Stücken türmen sich Ukulele, Vibrafon und Atari-Computer übereinander. Obendrauf schlägt bisweilen der Disko-Hammer

Patrick Wolf The Magic Position

Es ist eine Eigenart der Briten, dass sie sich aufrichtig über good looks and style freuen können, gleich, welcher Herkunft diese sind. In roten Caprihosen hat sich Patrick Wolf für das Cover seines neuen Albums The Magic Position fotografieren lassen, herrlich auf ein Karussell-Bambi drapiert, um den Hals trägt er eine Art Lametta, die Haare leuchten orangerot, seine Füße sind in spitze, goldene Schuhe gekleidet. Der Junge könnte aus einem bunten Disney-Traum auf die Erde gepurzelt sein, das Cover aber sollte man als Pop-Art-Installation verstehen, in der die Bilder einer heilen Kinderwelt spielerisch ins Androgyne überführt werden.

Patrick Wolf unterscheidet sich nicht nur äußerlich von der gerade aktuellen Klasse der Londoner Gitarrenjugend, distinktionssicher nimmt der 23-Jährige seine Popstarwerdung unter Aufbietung privater Mythen und Erzählungen seit seiner ersten Veröffentlichung Lycanthropy (2003) in Angriff. Es ist die Geschichte vom ehrgeizigen Knaben aus kulturell engagiertem Elternhaus, der das Violinenspiel aufgab, weil er es nur zur zweiten Geige brachte. Der zur Harfe griff, statt sich den Jungsbünden mit den Gitarren anzuschließen. Der geschlagen, gemobbt und verlacht wurde an der Schule, weil er Kleider trug, die die meisten ihren Mädchen nicht anziehen würden. Seine ersten Lieder nahm Patrick Wolf mit Kassettenrekordern und Synthesizern auf, einige davon schickte er seinem Idol Björk, ohne jemals Antwort zu erhalten. Mit 16 vagabundierte er durch London.

Die Inszenierung gilt bei Wolf immer dem eigenen Körper: Auf Lycanthropy war er noch der Lumpenbube, der in seinen verfremdeten Folksongs von Vergewaltigung und Verletzung berichtete, beglaubigt mit Field Recordings vom Trafalgar Square und schlimmen Atari-Geräuschen. Diese Musik, die direkt aus dem Leben um die Ecke zu biegen schien, diente vorbildlich der Illustration eines durchlittenen Martyriums. „It’s wonderful what a smile can hide / if the teeth shine right“, jubiliert Patrick Wolf jetzt zum Auftakt der CD The Magic Position – eine verlängerte Gedenkminute für den Schuljungen und die Last, die dieser so lange auf dem Herzen trug. Die 13 Lieder der neuen Produktion dürfen in prächtigen Streicher- und Posaunen-Arrangements erstrahlen, Wolfs Stimme thront auf wilden Soundgebirgen, deren Innenleben von umhergeisternden Ukulelen, von Vibrafon, Klarinette und Glockenspiel bestimmt wird, und irgendwo im Stollen schlägt auch jemand den Disko-Hammer.

The Magic Position bedient sich durchaus der Hurra-Ästhetik der frühen achtziger Jahre, als Pop für eine kurze Zeit Avantgarde sein konnte, bevor George Michael und Wham! zum Ernst des Lebens übergingen. Es würde niemanden wundern, wenn Patrick Wolf Songs mit Marc Almond (Soft Cell) oder Kevin Rowland (Dexys Midnight Runners) aufgenommen hätte, beim Vertreiben der alten Dämonen aber kam ihm Pop-Ikone Marianne Faithfull zu Hilfe, mit verlebter Stimme. Was ja auch wieder passt, der Entertainer Wolf führt längst sein Leben als Musical auf. Im Video zu The Magic Position hat man ihm bunte Kulissen besorgt und viel Volk, das tanzt. Schaut her, das ist der neue Prinz Pop, bisexuell, mit breiter Brust und immer noch in kurzen Hosen: „You put me in the magic position / to live to learn to love / in the major key.“

„The Magic Position“ von Patrick Wolf ist erschienen bei Loog/Polydor

Dieser Text ist entnommen aus DIE ZEIT Nr. 21/2007

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Immer rein damit!

Kronkorken und Alufolie, Filz und Klebeband, bei Volker Bertelmann alias Hauschka gehört das alles ins Klavier. Es ist die pure Lust am Imperfekten, die ihn treibt

Hauschka Prepared Piano

Wer einmal erlebt hat, wie aufwändig das Stimmen eines Klaviers ist, der versteht, weshalb viele Musiker seinen Klang für perfekt halten. Umso faszinierender ist, welchen Reiz die Zerstörung dieses perfekten Klangs auf viele Pianisten ausübt. Henry Cowell, John Cage, Arvo Pärt, Cor Fuhler, sie alle geben sich mit den 88 Hämmern nicht zufrieden, sie öffnen ihre Instrumente und streuen Grautöne zwischen die schwarzen und weißen Tasten.

Vor zwei Jahren nahm der Düsseldorfer Volker Bertelmann unter dem Pseudonym Hauschka ein Album am präparierten Klavier auf, The Prepared Piano. Er klemmte Lederfetzen, Filzstücke und Gummi zwischen die Saiten, umwickelte die Hämmer mit Alufolie, legte Gegenstände auf die Saiten, wob Gitarrensaiten ein und verband sie mit Klebeband.

Kronkorken hüpften durch den Korpus, stumpf schlugen die abgeklebten Saiten an – oder hörte man ein Schlagzeug? Mancher Klang war so verfremdet, dass er von einem Keyboard oder einer Gitarre stammen konnte. In Wirklichkeit war auf der Platte fast nur das Klavier zu hören. Gesang gab es keinen.

Bertelmann schwelgte nicht, seine Melodien wären auch ohne die Störklänge nicht romantisch. Traffic wirkte in seinem rastlosen Drängen wie eine Hommage an Jacques Tatis gleichnamigen dialogfreien Film von 1971. Immer wieder blieben die Klänge hängen, vielen Mustern wurde die harmonische Auflösung von dumpfem Hämmern verweigert. Bei Firn stolperten beinahe alle Töne, kaum eine Saite schien unpräpariert. Kein Wort bestand aus zufällig Hingeworfenem, einer Lockerungsübung gleich – knacken da Gelenke? Nur ganz selten tauchten hier melodiöse Muster auf, manchmal hieb er mehrmals auf die gesperrte Taste ein, immer vehementer, so als vermutete er irgendwo da unten einen freundlichen Klang. Die pure Lust am Imperfekten trieb ihn zu immer neuen Experimenten, klanglich und rhythmisch.

Hauschka Versions

Die Stücke dieser Platte sind nun die Grundlage für die Versions Of The Prepared Piano. Volker Bertelmann bat elf Musiker, seine Stücke mit ihren eigenen Mitteln weiter zustricken. Sie dürften dabei auch gern singen.

Legt man die CD in den Rechner, so ordnet iTunes sie dem Genre „Unclassifiable“ zu, das ist nur gerecht. Jeder der zwölf Musiker bastelt etwas Neues und vor allem Anderes aus dem Material. Den Anfang macht Eglantine Gouzy, sie fügt Two Stones nur ihre Stimme hinzu. Im Duett mit sich selbst singt sie eine zerbrechliche Melodie. Ähnlich funktionieren World Of Things To Touch von Tarwater und Morning von Mira Calix.

Die meisten anderen Musiker gehen weniger rücksichtsvoll mit Bertelmanns Geklimper um. Barbara Morgenstern legt über die hypnotisierenden Klänge von Where Were You eine leichte Keyboardmelodie, auch sie singt dazu. Bertelmann selbst macht aus Traffic eine säuselige Popnummer mit mehrstimmigem Gesang und Schlagzeugcomputer. Vert baut in das gleiche Stück Bläser und breites Synthesizer-Bratzeln ein, dazu rappt er. Twins wird in den Händen von TG Mauss zu einer treibenden Diskonummer.

Nobukazu Takemura und Frank Bretschneider nahmen sich jeweils das Stück Kein Wort vor, es sind die beiden einzigen Instrumentalstücke auf dem Album. Takemura zerstückelt das Ursprungsmaterial mit grobem Messer, wildgewordene Bandmaschinen verspulen sich dazu, der Rhythmus ist dahin. Bei Bretschneider hingegen brummt es düster, ein mechanisches Klopfen gibt Struktur.

Die Stücke bleiben Experimente, niemand schummelt das stolpernde Klavier soweit in den Hintergrund, dass man es nicht mehr hört. Ihre Stimmungen werden weiter getragen, hier und da taumeln auch die hinzugefügten Instrumente, Klänge und Stimmen ganz gehörig. Am interessantesten ist das Album dort, wo man Versionen und Herangehensweisen vergleichen kann, weil sich mehrere Musiker über das gleiche Stück hermachen.

Vor einigen Wochen stellte Pinky Rose an dieser Stelle Alva Noto vor und sein Prinzip, Klängen durch unzählige Kopiervorgänge die Graustufen zu nehmen. Bei Hauschka funktioniert es umgekehrt. Zwölfmal werden seine kargen Stücke aus dem Jahr 2005 auf den Kopierer gelegt, in diesem sitzt ein kleiner Gnom, der willkürlich Farbe auf die Walzen der Maschine aufträgt. Im Hintergrund sieht man noch das grieselige Original, davor tummeln sich nun bunte Kleckse.

„Versions Of The Prepared Piano“ von Hauschka ist als CD erschienen bei Karaoke Kalk, ebendort erschien im Jahr 2005 „The Prepared Piano“ als CD und LP

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Tuff, Tuff, Tuff

Der Rhythmus ist stoisch, der Bass treibt eintönig. Davor dröhnen Keyboards, die Gitarrenlinien pulsieren. Electrelanes Spiel mit der Wiederholung wird nie langweilig.

Electrelane No Shouts No calls

Die Repetition hat eine lange Geschichte in der Popmusik. Schon vor dem Minimalismus von Velvet Underground spielte der amerikanische Gitarrist Bo Diddley mechanische Rhythmen, gleichförmig und präzise wie der Takt einer Lokomotive. In den Siebzigern trieben vor allem die deutschen Gruppen Kraftwerk und Can das Prinzip zur Perfektion.

Auch das Quartett Electrelane aus Brighton macht sich dieses Spiel mit der Wiederholung zu Eigen. Auf dem letzten Album Axes gab es mit Gone Darker sogar ein Stück, in dem die Musikerinnen das Bild der Lokomotive konkret aufgriffen. Man hört, wie sich ein Güterzug nähert, wie er vorbeidonnert und sich entfernt.

So seien klassische Rocklieder aufgebaut, erklärt Verity Susman, die Sängerin und Keyboarderin der Band, zumindest die Lieder von Electrelane. Meist beginnen sie zaghaft und leise, um sich dann plötzlich zu steigern und Spannung aufzubauen und diese zu halten. Irgendwann lassen sie die Stücke einfach ausklingen, ohne sie zu einem wirklichen Höhepunkt geführt zu haben.

In der repetitiven Musik Electrelanes geht es – wie auch schon in den endlosen Improvisationen bei Can – um die Freiheiten, die die Wiederholung bietet. Der stetige Rhythmus der Schlagzeugerin Emma Gaze ermöglicht der Bassistin Ros Murray und der Gitarristin Mia Clarke, ihre zunächst monotonen Linien in viele Richtungen aufzubrechen. Verity Susman wechselt derweil zwischen Synthesizer, Farfisa-Orgel, Keyboard und Klavier und gibt jedem Stück eine eigene Klangfarbe. Freiheit bedeutet ihnen nicht das Zurschaustellen von Virtuosität. Bis auf Susman sind die Musikerinnen Autodidaktinnen, Susman sagt, sie habe erst verlernen müssen, was sie konnte. Freiheit ist stattdessen die Möglichkeit, jederzeit die Richtung ändern zu können, ohne dass die Musik auseinanderfällt.

Ihr Debüt Rock It To The Moon von 2001 war noch weitgehend instrumental, erst mit dem zweiten Album The Power Out näherten sie sich klassischen Strukturen, sie sangen auch häufiger. Auf dem im vergangenen Jahr erschienenen Album Axes trieben sie die Prinzipien von Wiederholung und Variation weiter. Ein Männerchor kam zu unorthodoxem Einsatz, das Quartett führte ungewöhnliche Instrumente wie Akkordeon und Ukulele ein. Es übte sich sogar in freier Improvisation und verzichtete dabei ausnahmsweise auf das monotone Grundmuster.

Das vierte Electrelane-Album No Shouts No Calls ist in Berlin entstanden, Verity Susman lebt dort. Es ist eine richtige Pop-Platte geworden, voller Liebeslieder vom Kennenlernen, vom Kontrollverlust und vom Verlassenwerden. Sie sind eingängig und immer etwas melancholisch. Das Fundament bleibt die Repetition, der stoische Rhythmus, die markanten Linien der Gitarre, der flexible, aber treibende Bass und die pulsierenden Keyboard-Akkorde.

Das Album besteht aus einer Vielfalt von Texturen und schimmernden Harmonien. Die Schönheit der häufig mehrstimmig gesungenen Stücke und die Kraft des stetigen Rhythmus wirken geradezu euphorisierend.

„No Shouts No Calls“ von Electrelane ist als CD und Doppel-LP erschienen bei Too Pure/Beggars Banquet

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Rock’n’Roll in 17 Stichen

Die Manic Street Preachers wollten eine einzige Platte aufnehmen und sich danach auflösen. „Send Away The Tigers“ ist nun ihre achte.

Manic Street Preachers Send Away The Tigers

Ist das Kim Wilde? „Your love alone is not enough, not enough, not enough. When times get tough, they get tough, they get tough, they get tough.“ Wenn die Zeiten hart, hart, hart sind, ist auch deine Liebe nicht genug, genug, genug, klar. Zeilen, die dem Popsternchen und Männertraum der Achtziger durchaus gut stünden, stumpf gereimt und ein bisschen doof. Kim Wilde würde gut zu den hier musizierenden Manic Street Preachers passen. Schließlich nahmen sie bereits das Stück Little Baby Nothing gemeinsam mit der wenig gesangsbegabten Pornodarstellerin Traci Lords auf.

Es ist nicht Kim Wilde, es ist Nina Persson, Sängerin der schwedischen Popgruppe The Cardigans. Ihr dünnes Stimmchen verrät sie in der ersten Minute von Your Love Alone Is Not Enough, der ersten Single des neuen Albums der Manic Street Preachers Send Away The Tigers. Ein schwaches Lied, inklusive „La la la la la la la la“-Gesäusel.

Es ist ihr achtes Album, bei ihnen wird gerne argwöhnisch mitgezählt. Im Jahr 1992 veröffentlichten sie ihr Debüt, Generation Terrorists. In unzähligen Interviews erläuterten sie ihren Plan: ein einziges Album veröffentlichen, davon mehr Exemplare verkaufen, als Guns ’n’ Roses von Appetite For Destruction, drei Abende hintereinander im ausverkauften Wembley-Stadion spielen und sich dann auflösen. Damals beliebte Bands hielten sie für „worse than Hitler“, im Video zu You Love Us trat der Bassist Nicky Wire als Marilyn Monroe auf, in Thailand erreichten sie ein Auftrittsverbot, nachdem sie der königlichen Familie dort den Tod gewünscht hatten. In einem Interview mit dem BBC-Moderator Steve Lamacq ritzte sich der Gitarrist Richey James mit einer Rasierklinge 4 Real in den Arm. Siebzehn Stiche machten ihn zur Ikone.

Die vier Musiker aus Wales betonten nimmermüde, wie ernst sie es meinten. Und ihr Plan erfüllte sich zu einem Hundertstel. Von Generation Terrorists wurden eine Viertelmillion Exemplare verkauft, von Appetite For Destruction indes 25 Millionen. In London spielten sie zweimal vor 900 Menschen im Marquee Club, in Wembley wären es 90.000 gewesen. In Deutschland traten sie auf im Vorprogramm der Toten Hosen. Auflösen konnten sie sich besser: Nachdem ihre ruppiges drittes Album The Holy Bible erschien, verschwand plötzlich Richey James. Sein Auto wurde an der Severn Bridge gefunden, der Grenzfluss zwischen Wales und England ist dort beinahe einen Kilometer breit. Vom Musiker fehlt bis heute jede Spur.

Als Trio machten sie weiter und nahmen mitreißende Alben auf, Everything Must Go erschien im Sommer 1996 und This Is My Truth Tell Me Yours zwei Jahre darauf, beide wurden mit dem Brit Award für das beste Album belohnt. Danach ging’s musikalisch bergab. Ihr letztes Album, Lifeblood, klang gepflegt nach Langeweile. Die Ironie der früheren Jahre, der Glam und der Punk waren verschwunden. Ihre Gesten gerieten immer größer, der glatte Bombast ihrer Stücke begann zu nerven. Gar die Hülle der letzten Platte glänzte aufdringlich. Derweil gaben sich die Musiker als große Sozialisten, besuchten Fidel Castro und sangen ein Lied für Elián Gonzáles, ein Kind, das zum Politikum zwischen Kuba und den USA geworden war.

Send Away The Tigers ist ein kleiner Schritt nach vorne, immerhin. Es ist weniger geschliffen, die Stücke sind wieder besser. Vieles klingt typisch: die getragenen, hallenden Gitarren, das einfache Bum-Tschak des Schlagzeugers Sean Moore, die hymnischen Refrains und die zitatreiche Lyrik. Besonders gelungen ist das rockige Underdogs, es versprüht diese renitente Attitüde der frühen Jahre, verpackt Sozialromantik in punkige Akkorde. Der Autumnsong baut auf einem ergreifenden Gitarrenmuster auf, im Mittelteil wird leider ein bisschen zu viel geklatscht. The Second Great Depression besticht durch ein düster gestrichenes Cello und eine schöne Melodie. Mit gepresster Stimme beklagt James Dean Bradfield in Rendition die Folterpraktiken der CIA, „Never knew the sky was a prison“. So was hört man gerne von ihm, auch wenn das Lied sonst lahm daherkommt.

Vieles vom Rest klingt verfettet und satt. Hier ein Schunkelrhythmus (Indian Summer) und ein übertriebenes Gitarrensolo (Imperial Bodybags), dort eine Reminiszenz an den peinlichen deutschen Metal der Achtziger (Rendition) und ein zu billiger „Nanana“-Refrain (Winterlovers). Unübertroffen schlecht ist die Single Your Love Alone Is Not Enough.

Zehn Stücke sind es insgesamt, die Bilanz wäre wohl ausgeglichen, fünf zu fünf. Wenn es nicht ganz am Ende, einige Minuten nach dem eigentlich abschließenden Stück Winterlovers, plötzlich weiter tönen würde: „As soon as you’re born they make you feel small, by giving you no time instead of it all. Till the pain is so big you feel nothing at all“, krächzt James Dean Bradfield sich durch eine unerträglich dick aufgetragene, bluesrockige Version von John Lennons Working Class Hero aus dem Jahr 1970. „If You Wanna Be A Hero, Just Follow Me“. Bei Lennon klang das noch ironisch.

Knapp verloren. Schade.

„Send Away The Tigers“ von den Manic Street Preachers ist als CD und LP erschienen bei Red Ink.

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Auf Englisch noch blöder

Guns n‘ Roses, Queen, Whitney Houston und Daft Punk haben etwas gemeinsam: Ihre Stücke werden von dem Kölner Duett Wolke nachgespielt

„Ich will mich befreien, ich will mich be-he-freien! Ich will mich befreien, denn du brauchst nur dich selbst, deine Lügen die brauch ich nicht. Ich muss mich befreien, Gott weiß, ich will mich befreien.“ Das klingt irgendwie bekannt? Freddy Mercury schmachtete diese Zeilen vor dreiundzwanzig Jahren ins Mikrofon – auf englisch natürlich: I Want To Break Free. Im Hintergrund litt sich seine Band Queen nicht weniger leidenschaftlich durch ein bombastisches Rockstück. Und hier? Ein Klavier spielt ein sanftes pling-pling-pling-pling, dazu ein freundlicher Bass und ein elektronischer Rhythmus, zurückhaltend, fast weinerlich gesungene Worte. Was ist das?

Ich will mich befreien ist das Titelstück eines Minialbums des Kölner Duetts Wolke. Sie interpretieren darauf fünf sehr unterschiedliche Lieder aus sehr unterschiedlichen Richtungen. Da sind zu hören Stücke von Queen, den kalifornischen Rockern Guns n’ Roses, dem Soulpopsternchen Whitney Houston, von Daft Punk aus Frankreich und der Frankfurter Tanzkombo Snap.

Wolke, das sind Oliver Minck und Benedikt Filleböck. Ihre behutsam arrangierte Popmusik tragen sie mit Bass und Klavier vor, dazu singen sie, ein programmiertes Schlagzeug ploppt die Rhythmen. Der Name passt, bei Wolke klingt alles leicht. Zwei Alben haben sie bisher veröffentlicht, Sušenky (2005) und Möbelstück (2006), Sušenky ist tschechisch und heißt Süßigkeit, auch das passt.

Ein Xylophon gibt den Takt vor in Um die Welt rum, dazu werden ein paar Akkorde auf dem Bass geschrammelt, später klatscht es programmiert, jemand spielt Harmonium. Die französische Band Daft Punk schrieb das Original, Around The World. Viel zu übersetzen gab es in diesem Fall nicht, sie singen nur immer wieder „Um die Welt rum“, zweiundvierzig Mal. Es fällt auf, wie übertrieben lang die Originale sind. Around The World muss nicht sieben Minuten dauern, Wolke kommen mit drei Minuten aus.

Sweet Child O’ Mine kürzen sie von sechs auf viereinhalb Minuten und nennen es Mein süßes Kind. Das Gitarren-Gezeter des Guns n’ Roses Gitarristen Slash wurde vor einigen Jahren vom amerikanischen Magazin Guitar World unter die besten einhundert Gitarrensoli gewählt, das einleitende Gitarrenmuster galt den Lesern des britischen Magazins Total Guitar als das beste aller Zeiten. Es hilft alles nichts, Wolke ersetzen es durch ein gesäuseltes „Badada, Badada, Badada, Badada“.

Das flotteste Stück in der Sammlung ist Ich will mit jemandem tanzen, Whitney Houstons I Wanna Dance With Somebody. „Ooh, ich will mit jemandem tanzen, ooh, ich will mit jemandem die Hitze spüren. Mmh, ich will mit jemandem tanzen, aah, mit jemandem, der mich liebt.“ Köstlich.

Wolke nehmen das ernst, was sie machen, das ist sehr angenehm. Die Süßlichkeit und Leichtigkeit ihrer Lieder ist nicht ironisch. Auch die nachgespielten Stücke auf Ich will mich befreien leben nicht nur vom Kalauer. Die Übersetzungen sind – soweit es eben geht – lyrisch, den Pathos der Originale lassen sie meist weg. Nur bei In Ewigkeit, ihrer Version von Snaps The First, The Last, Eternity legt sich Oliver Minck mehr ins Zeug und brüllt die Texte mit rauchiger Stimme. Aber wie sollte er mit dem dick Aufgetragenen auch sonst umgehen? „Ganz egal, wo ihr herkommt, ich habe euch was zu erzählen. Und ich will, dass ihr mir zuhört, dass ihr mit mir geht. Macht euch keine Sorgen, gute Nachricht ist unterwegs. Und so wie alles anfing wird es auch zu Ende gehen.“ Das klingt im englischen Original sogar noch blöder.

Aber was hätten sie auch davon, sich nur lustig zu machen? Wenig. Denn wie oft kann man lachen, wenn eine Band wie die Original Deutschmacher eine sinnlose Übersetzung eines internationalen Hits nach dem anderen singt? Wenn sie You Keep Me Hanging On von den Supremes bzw. Kim Wilde mit „Du lässt mich hängen an“ übersetzen? „Setz mich frei, warum nicht Säugling? Geh aus meinem Leben, warum tust du’s nicht, Säugling? Weil du nicht wirklich liebst mich, du nur lässt mich hängen an!“ Nun, ja, einmal. Wenn überhaupt.

Die liebevollen Neubearbeitungen von Wolke kann man immer wieder hören.

Hören Sie hier „Ich will mich befreien“

„Ich will mich befreien“ von Wolke ist als CD erschienen bei Tapete Records

Wolke auf Tour:
18.04.07 Aachen (Raststätte)
19.04.07 Luxembourg (D:qliq)
20.04.07 Duisburg (Buschbrand)
21.04.07 Berlin (Maschinenhaus)
26.04.07 Köln (Studio 672: Unplugged bei Lagerfeuer deluxe)
27.04.07 Nürnberg (K4)
28.04.07 Karlsruhe (Nun Cafe)
17.05.07 Düsseldorf (Pretty Vacant)
18.05.07 Frankfurt (Das Bett)

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Wenn die Zahnfee kommt

Im Land der Teebäume singen holde Feen Weihnachtslieder, und die Bläser der Heilsarmee scheppern klagend. Der Schwede Peter von Poehl singt, als hätte sich Brian Wilson in die Tundra verirrt

Wenn der schwedische Musiker Peter von Poehl deutsch spricht, hat er einen auffälligen österreichischen Akzent. Ob es daran liegt, dass er lange mit dem österreichischen Musiker Florian Horwath zusammengearbeitet hat? Gemeinsam werkelten sie in der Graefestraße in Berlin an Aufnahmen, Graefe Recordings nannten sie sie. Deutsch habe er aber von seinem Vater gelernt, erzählt der 33-jährige von Poehl. Seine Mutter ist Schwedin. In Schweden ist er aufgewachsen, von dort hat es ihn 1998 nach Frankreich verschlagen, dann vor zwei, drei Jahren nach Berlin, genauer Kreuzberg. Er arbeitete mit Bertrand Burgalat zusammen, begleitete den Autor Michel Houellebecq auf Tournee und produzierte das letzte Album des Königs der Nouvelle Chansons, Vincent Delerm.

Was hat ihn nun dazu gebracht, an eigenen Stücken zu arbeiten? „Um ehrlich zu sein: Ich musste diese Platte machen, ich hatte keine Wahl.“ Das Album Going To Where The Tea Trees Are ist zur Hälfte in Schweden und zur anderen Hälfte in Deutschland entstanden, Aufmerksamkeit wurde ihm zuerst in Frankreich zuteil. Beim Pariser Sender Radio Nova wurde seine erste Single Going To Where The Tea Trees Are zum Hit.

Wenn man in Schweden aufwächst, berichtet er, habe man nur zwei Möglichkeiten: „Entweder du spielst in einer Rockband oder Fußball. Ich war immer eher derjenige, der in der Rock- oder Garagenband gespielt hat. In meiner Heimatstadt Malmö bekamen wir den Proberaum von der Stadt gestellt. Wir haben monatlich sogar 50 Euro erhalten, um uns Instrumente zu kaufen. Natürlich haben wir davon eher Bier gekauft.“ Gibt es diese Förderung junger Bands noch immer? „Ich glaube nicht. Aber zu meiner Zeit waren auch die staatlichen Musikschulen für alle Kinder frei. Es ist ein Grund dafür, dass es so viele schwedische Bands gibt.“

Going To Where The Tea Trees Are erzähle vor allem von seiner komischen Beziehung zu seinem Heimatland. Man könnte auch sagen: von der Suche nach einer Heimat. „Schweden ist für mich einerseits bekannt, andererseits vollkommen fremd. Eine wirkliche Heimat habe ich noch immer nicht gefunden.“ In Berlin glaubte er anfangs, einen solchen Ort gefunden zu haben: „Berlin ist weit genug entfernt von Schweden, aber auch nicht zu sehr. Ich glaube, in Schweden gibt es pro Quadratkilometer zehn Menschen, in Paris eine Million. Und in Kreuzberg? In der Graefestraße, hatte ich das Gefühl, gibt es einen Graefe pro Quadratmeter. Das hat mir sehr gut gefallen.“

Mit subtilen Arrangements nimmt er die Hörer gefangen. Kindergitarre und Bläserensemble gehören für Peter von Poehl zusammen. Mit hauchzarter Stimme singt er zur akustischen Gitarre von der Sehnsucht nach einem Platz im Leben, vom Reisen und der Tooth Fairy, der Zahnfee. Saxofon und Tuba, Cello, Flöte, Klarinette und analoge Keyboards umspielen sich. Mit schwedischem Garagenrock hat das wenig zu tun.

Spricht durch die opulenten Hintergrundchöre ein Brian Wilson aus der schwedischen Tundra zu uns? Der Vergleich sei sehr schmeichelhaft und mache ihn stolz, sagt von Poehl, aber eigentlich seien seine Stücke weit mehr von schwedischen Weihnachtsliedern beeinflusst, als von den Beach Boys. „Als Kind habe ich im Schulchor gesungen. Die Arrangements kommen daher. Mich hat damals auch die Kapelle der Heilsarmee sehr beeindruckt. Deshalb verwende ich Bläser. Bei uns gab es in jedem Klassenzimmer ein Harmonium. Jeder Morgen begann mit Musik. Die Lehrerin setzte sich ans Harmonium und begann zu singen, wir stimmten ein.“

“Home is where my heart is”, singt er in A Broken Skeleton Key. Englische Texte, deutschsprachige Interviews, französisches Lebensgefühl und schwedische Erziehung: Irgendwo dazwischen liegt die Heimat des Peter von Poehl. Sein Album träumt ausgehend von den musikalischen Eindrücken seiner Kindheit vom Pop der Gegenwart. Seit Kurzem führe er das auch hin und wieder opulent live auf – „mit zehn Musikern, Bläsern und allem drum und dran“. In Paris trat er mit großer Besetzung unlängst sogar in der altehrwürdigen Cigale auf.

Hören Sie hier „A Broken Skeleton Key“

„Going To Where The Tea Trees Are“ von Peter von Poehl ist erschienen bei Herzog Records/Edel Contraire

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